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Helene Mainwaring an Mr. Fielden.
Theurer und geehrter Freund! – Ihr letzter Brief traf an dem Morgen ein, als ich London verließ, und mit dankbarer Ehrfurcht küßte ich jene liebevollen und frommen Stellen, wo Sie meinen Unmuth und meine kindische Melancholie besänftigen und mein Herz in seinem Streben nach Ruhe und Hoffnung ermuthigen. Ja, ich habe in der That vielen Grund, dem Himmel dankbar zu seyn; nicht der letzte dieser Gründe ist, daß mir in der Jugend der Himmel Sie zum Führer gab. Wie oft, wenn sich meine wilde Phantasie eine Zukunft baute und sagte: So soll meine Heimath seyn! –, wie oft, obwohl ich nicht einmal Ihnen meine Träume sagte, haben Sie mich durch sanfte, unerwartete Worte auf sicherere Pfade geleitet und meiner Seele einen höheren Schwung gegeben. »Nicht auf Erden kannst Du Deine Zukunft suchen – nicht in der Zeitlichkeit kannst Du eine Heimath errichten!« So flüsterte mein Herz,während ich Ihren Worten lauschte, und es beruhigte sich von seiner Träumerei und ward still. Dann verwandelte, was ich Poesie genannt und in eitlen Phantasien und leeren Reimen auszudrücken gesucht, seine Natur und verschmolz in Religion. Sie wissen, wie selbst die Formen unseres Glaubens auf mich wirken – die Glocke, die Ihre kleine Heerde in die Dorfkirche ruft – die Kinderstimmen, die sich zu dem einfachen Gesange vereinigen – jene traulichen Gruppen, die nach dem Gottesdienst zwischen den Gräbern zerstreut stehen, bis Sie sich nähern, und Ihr Lächeln, geweiht von dem feierlichen Gottesdienste auf Ihren demüthigen Kindern ruht! Wie tief haben sich mir diese Sabbathe eingeprägt! Wie deutlich fühlte ich an jenen Tagen unter meinem Schritte die Brücke zwischen Erde und Himmel! Solche Sabbathe habe ich nie wieder erlebt. Wenn ich in der großen Stadt, der ich nun entflohen bin, allein nach der benachbarten Kirche ging, suchte ich vergebens das liebevolle Band zwischen dem Hirten und der Heerde! Diese kalte, unvertrauliche Zuhörerschaft, diese studierte, ausgearbeitete Predigt – Ach! hier war die Form der Religion, bei Ihnen aber die Seele! Diese so große, in ihrem Gottesdienste so kalte Menge flößte mir ein eigenthümliches Mitleid ein. Zu ihnen kommen zugleich alle Sorgen, Hoffnungen und Schmerzen Ihrer Gemeinde; in jenem kleinen Kreise eröffnet jedes Leben seine Chronik für Alle. Wie oft strebte Ihre Rede einen besondern Kummer, einen vereinzelten Zweifel zu stillen. Aber in dieser unzusammenhängenden Masse fallen die Worte wie Schnee auf die Oberfläche des Wassers, sie zerschmelzen, während sie fallen. Wie Viele können am nächsten Feiertag abwesend seyn, ohne vermißt zu werden; – die kalte Predigt könnte eben so gut für Ausländer gehalten werden. Jede Woche können Mißgeschick und Tod unter dieser gleichgiltigen Menge ihre Opfer gefunden haben. Wenn ich die Versammlung betrachtete, so erschien mir die Gemeinde in dem Gebäude wie ein Bild alles Lebens im Tempel der Schöpfung; der Tod ist unter ihnen und rings um sie, und doch hören sie gleichgiltig die Versicherungen der Unsterblichkeit oben!
Warum kehren mir diese Gedanken jetzt so feierlich und trübe zurück? Weil ich selbst – o, mein zweiter Vater! gleich den Uebrigen, die Unsicherheit irdischen Glücks zu sehr vergessen habe; weil Ihre Stimme nicht nahe war, um mein Herz zu erwecken, als es, noch schlimmer als in der Kindheit, eine irdische Zukunft ausdachte und eine irdische Heimath baute. Ach, Sie haben das Geheimniß meines Herzens gelesen, obwohl ich Ihnen nur die Oberfläche zeigte; Sie haben voraus errathen, was Percival mir geworden ist – wie sein Glück jeden Gedanken eingenommen hat – wie ich in seiner Liebe einem Phantom zulächelte, welches davon fliegt und flüstert: Es gibt keine Glückseligkeit auf Erden.
Wie würden Sie ihn lieben, nicht meinetwegen, sondern seiner selbst willen! Wie würden Sie über Ihre eigene Furcht lächeln, daß ich getäuscht sey! Wissen Sie, was ich in ihm liebe? Es ist die Abwesenheit des Trugs – die Unmöglichkeit zu täuschen. Nein, »es ist kein Ideal meiner eigenen Einbildungskraft, welches ich betrachte,« wofern wirklich, mir selbst kaum bewußt, ein solches Ideal geschaffen war, bevor ich ihn kannte. Von meiner Einbildungskraft steht er fern. In den Traumgesichten, die mir meine Phantasie gewährt, bin ich allein betheiligt. Ihm kann ich nicht beschreiben, warum ich in dem einen Augenblick lächle und in dem nächsten weinen könnte. Mein Herz, welches sich demüthig zu seinem Herzen neigt, ist durchdrungen von seiner vortrefflichen Güte, geehrt durch sein edles Vertrauen. Ich kann ihm meine trüben und unbedeutenden Gedanken nicht entdecken; aber wenn ein Gedanke sich zu den höchsten Regionen erhebt, dann steh' ich beschämt, denselben verkleinert zu sehen, wenn ich ihn mit einer großherzigen Handlung vergleiche, die, gleichsam ohne Gedanken, aus seinem fromm-einfältigen Streben nach Wohlthun und Edelsinn entspringt. Dann ist es, als ob die Einbildungskraft, die das Gute vorher nur wie einen Schatten erstrebte, in seinem Herzen nur das wirkliche Gute gefunden hätte, – als ob ich in seiner Fähigkeit, edel zu handeln, meine träumerische Verehrung dessen, was edel ist, verwirklicht sähe; denn selbst die höchste Poesie ist nur der Lobgesang hoher Thaten, und selbst die glänzendsten Träume unserer Phantasie sind nur der unvollkommene Widerschein guter menschlicher Handlungen. Dennoch hat es Augenblicke gegeben, wo ich seufzte, wenn ich sein treues Wesen klar vor mir ausgebreitet sah, daß ich das meine nicht eben so durchsichtig zu machen vermag – daß, obwohl ich ohnehin nur wenig zu gewähren habe, in meiner Seele oder meinem Herzen auch noch etwas ist, was ich zurückzuhalten verurtheilt bin. Neuerdings hat mich dieser Gedanke minder gequält; ich fühlte, daß in jenem Etwas, was hienieden nie enthüllt oder verstanden wird, eine Vorbedeutung dafür liege, daß mein Schicksal hier unvollendet bleiben möchte. In der Einsamkeit, des Nachts – in den Strahlen der sinkenden Sonne; – im Lichte des steigenden Mondes, tritt all' dies Unausgesprochene bei mir herrschend in den Vordergrund. Die Erde verschwindet – die unerklärte Erhebung vereinigt mich mit dem Unendlichen – mir ist, als hätt' ich dann die Bande des Staubes abgeschüttelt, und meine Seele weilt unter den Geistern droben. Entsinnen Sie sich, wie Sie mir einst ein Buch mit sanftem Verweis wegnahmen, welches ich ohne Erlaubniß ans Ihrer Bibliothek genommen – »Das Leben der älteren Heiligen?« Sie wollten mich vor der krankhaften Begeisterung bewahren, welche jene Schilderungen in einer erhitzten Phantasie erzeugen könnten. – Ach, Ihre Warnung war vielleicht weissagungsvoll; warum kämen sonst solche Entzückungen und Träume, in lichten Stunden, zu einem so demüthigen, fehlenden Wesen, wie Ihre Helene? Sehen Sie aus diesen Zeilen meinen Seelenzustand. Leiten Sie mich, wo ich irre, stärken Sie mich, wo ich schwach bin, ermahnen Sie mich, wo ich klage, mein geliebter Lehrer!
Sie befragen mich über meine Tante, deren Lebensweise und Gewohnheiten. Was kann ich Ihnen sagen? Für mich ist sie stets dieselbe – ich kann durch kein Mittel ihre Liebe gewinnen. Aber ich glaube nicht, daß sie unfreundlich, noch weniger, daß sie hartherzig ist – sie ist nur zurückhaltend. Ich betrachte sie mit einer gewissen mitleidigen Ehrfurcht. Sie erscheint mir wie eine einsame Verbannte auf einer wüsten Insel. Die Segel des Lebens ziehen hin und her auf der See, aber sie flößen der Verbannten keinen Wunsch zur Flucht ein. Sie scheint in ihrer Einsamkeit wie festgewurzelt zu seyn und dieselbe wie ein Reich zu beherrschen. Wenn ich sie aber mit Andern sprechen höre, (mit mir unterhält sie sich nie,) so ist mir's, als ob die Welt, und nur die Welt, ihr düsteres Sinnen beschäftigte. Eine Erfahrung, ungeheuer aber traurig, die sie aus Büchern und aus dem Leben geschöpft, gibt ihren starren Aussprüchen etwas, was Weisheit scheinen würde, wenn es nicht Hohn wäre. Giebt sie ihre Erfahrung auf solche Weise kund, so fällt dieselbe gleich einer Bürde auf mich; aus ihren harten Vorräthen geht nie eine Hoffnung oder ein Glaube hervor. Wie sie bei solchem Leiden und so finsterer Niedergeschlagenheit in Gegenwart der Guten hienieden so streng geduldig und resignirt seyn kann, wie sie nie zum Glauben an Freude und Tugend ihre Zuflucht nimmt, zum Glauben an ein Seyn oder ein Prinzip außer ihrer eigenen schrecklichen Existenz – das macht mich staunen, als über eine, den Sterblichen nicht verliehene Kraft; denn sind wir nicht mitten unter Schmerz und Kummer schwach geschaffen, damit wir im Gefühl unserer eigenen Sterblichkeit erkennen mögen, daß Schmerz und Kummer mit uns zugleich sterblich sind? und damit wir so gerade aus unserer Gebrechlichkeit den sichersten Trost schöpfen mögen? Aber während ich ehrfurchtsvolle Scheu vor ihr empfinde, liebe ich doch diese Arme, Stolze, Einsame so herzlich! Ich habe in letzter Zeit ein stilles, wenn auch trübes Vergnügen in dem Gedanken empfunden, daß sie, wenn mir kein langes Leben beschert ist, erkennen werde, wie ich sie liebte und bemitleidete, wenn ich nicht mehr bin. Ich habe ihr, gerade durch meinen Tod, die Freundlichkeit zu vergelten gesucht, die sie meinen Eltern bewiesen hat. Und dann wird vielleicht ihr Herz für die Waise aufgehen, die sie ohne Liebe beschützte, und sie wird zugeben, daß noch Dankbarkeit auf Erden wohnt.
Das einzige Wesen, gegen welches meine Tante sich warm zu zeigen scheint, ist mein Cousin. Ich sehe ihre Augen glänzen, wenn er eintritt. Ihre Stimme wird sanfter, wenn sie ihn begrüßt; und sie ist so stolz auf sein Genie! Er hat Ihnen ohne Zweifel von seinem letzten glänzenden Succeß Nachricht gegeben. Sein Buch liegt stets in der Nähe meiner Tante; seltsam scheint es mir gleichwohl, daß sie, bei ihrer Verachtung gegen die Meinung der Welt, sich mehr über den Ruf des Buches als über die Verdienste desselben freut. Die letzteren kann ich nicht beurtheilen – was verstehe ich von den Streitfragen der Männer? Alles was ich zu fassen vermag, ist Friede, Liebe und Schönheit. Aber wenn zwischen den Seiten, die mein schwacher Verstand nicht beurtheilen kann, ein Gedanke, warm von erhabener Hoffnung und begeistertem Wohlwollen, hervorblitzt, o, dann füllen sich auch meine Augen mit Thränen und auch ich werde dann stolz auf den Ruhm meines theuren Cousins. Bisweilen erschrecke ich bei dem Gedanken, daß in ihm meine Einbildungskraft mehr lebt, als in meinem edlen Percival. Er zieht jenen geheimnißvollen Theil meines Wesens an – meine Phantasieen, arme Träumerin die ich bin, verschmelzen mit seinem Genie, seiner Laufbahn. Wie wünsche ich, seine Schwester zu seyn, oder, daß ich eine Schwester hätte, deren Schicksal an seines gefesselt wäre– um ihm bei seiner rauhen Prüfung zuzulächeln, mit ihm seine harten Entbehrungen zu tragen, seinen Hoffnungen zu lauschen, seinen Triumph zu theilen, der, wie mir eine sichere Ahnung sagt, ihm gewiß werden wird. Wie wenn zwei getrennte Wesen in mir wären, wandern auf diese Weise oft, während mein Herz still, treu und zufrieden bei Percival weilt, meine unruhigen Gedanken mit Ardworth von hinnen; und nun im Gebete umschließe ich sie Beide!
Aber ich bin in Laughton, welches Sie mir, wie Sie sich erinnern, oft am Kamin oder bei unseren ländlichen Spaziergängen beschrieben haben! Ach, wenn dies jemals wirklich meine Heimath werden sollte, wie werde ich mich sehnen, Sie hier zu begrüßen, und aus Ihrem eigenen Munde zu hören, wie süße Pflichten am besten erfüllt werden! Es ist natürlich, wenn dieser Ort meine Liebe gewonnen hat, als wenn es ein lebendiges Wesen wäre! Wäre Percivals Heimath die rauheste Hütte, so würde es ebenso seyn. Es ist nicht darum, wie Sie wohl wissen, daß das alte Herrenhaus größer ist, als Ihre kleine Helene je eines zuvor außer in ihren Feenmährchen gekannt hat – sondern daß ein Verbindungsglied zwischen dem Herrenhaus und der Hütte vorhanden ist. Percivals ganzes Denken scheint darauf gerichtet, was um ihn ist, glücklich zu machen – die Härte des Kontrastes zwischen Armuth und Reichthum, Mühseligkeit und Ruhe verschwinden zu lassen. Es scheint, als ob man, wenn man hier das Herrenhaus zerstörte, zugleich die Hütte verwüstete. Kein Elend ist hier zu sehen; die eine Wohnung ist bescheidener als die andere, aber jeder Eigenthümer scheint in gleichem Maße zu haben, was ihm seiner Erziehung nach am meisten scheinbar ist. Und da herrscht eine Vertraulichkeit, weit verschieden von bloßer Herablassung und Respekt, welche alle vereinigt, die an diesem glücklichen Orte wohnen. Man tritt in eine Hütte und spricht mit dem Bewohner, als ob man daheim wäre. Jedes Verlangen äußert man wie gegen einen Freund. Percivals Reichthum scheint nur ein anvertrautes Gut zum allgemeinen Besten. Eine Art von Religion weht mich da an und die Atmosphäre des Ortes ist das Gute. Seine Mutter – man liebt sie so sehr! Ach, wird diese Mutter je die meinige seyn! Was hab' ich gethan, um ein solches Loos zu verdienen? Nur dieser Gedanke kann mich mit bescheidenem Zweifel über eine so selige Zukunft beunruhigen.
Mein theurer Lehrer, schelten Sie mich nicht, wenn ich gestehe, daß – so sehr ich ringen will, Ihnen gehorsam zu seyn und die Ahnungen, die Sie verwerfen, aus meiner Seele zu verbannen, – daß sie gleichwohl wiederkehren und mich dennoch heimsuchen werden. Wenn in Ihrem Hause – während meine Gesundheit so fest war, während mir die Kälte nie Schauer, die Hitze nie Fieber bereitete – meine Augen beim anbrechenden Frühling von den knospenden Blättern und Blüthen fern abschweiften, um auf der Stelle der Landschaft zu ruhen, wo sich unter düsterem Immergrün die fernen Gräber erhoben – wenn selbst damals kein Gespräch, kein Buch, kein Gegenstand mich mehr erquickte, als diejenigen, welche die Gedanken jenseits des Grabes trugen und mein Herz zu jener dunkeln Grenze floh, wie ein Vogel zum Neste; wenn selbst damals solcher Art die Neigungen waren, die ich nicht zu zügeln vermochte, ist es dann zu verwundern, wenn sie mich jetzt bewegen?
Allerdings ist es eine seltsame Krankheit, welche mich befallen hat. Ich leide wenig Schmerz. Ich weiß keine bestimmte Beschwerde anzugeben, aber Kraft und Leben vergehen mir von Tag zu Tag mehr. Nun, wenn es so seyn muß, wenn die Ahnung, die ich nicht zu verbannen vermag, nur der himmlische Ruf ist, der freundlich die Lösung der Ketten andeutet, die mich zu sehr an die Erde fesseln, die ich verlassen soll – so möge ich wenigstens sterben, ohne daß mein wahres Leben vernichtet ist; bevor meine Fehler mir einen Feind bereitet, bevor ein Schmerz mein Vertrauen auf Gott geschwächt, oder eine Täuschung meinen Glauben an menschliche Herzen vernichtet hat! Alle Wesen liebend, möge ich im Urquell der Liebe untergehen! Vielleicht wird eben, was hier unvollendet in mir ruht, Entwickelung und Ziel finden – und meine eigene Seele, jetzt trüb und unruhig, wird im Lächeln Gottes mir selbst klar werden. Bis zu unserem Wiedersehen – wenn ich eher scheide, bis zu Ihrem Wiedersehen, o mein irdischer Vater!
Helene.
Schreiben von John Ardworth an Mr. Fielden.
Wenn Sie, theurer Freund und Lehrer, mir, dem Widerstrebenden, in meiner launischen Jugend befahlen, Newton und Thucydides bei Seite zu legen und mit Ihnen auszugehen – wenn Sie mich auf das große System der Natur aufmerksam machten und wie alle Dinge ihre bestimmte Zeit erwarteten – wie das gewelkte Laub auf den Frühling harre und das Korn auf die Aernte im Herbst; wenn Sie mir so das Gesetz der Geduld einprägten – da ahnten Sie vielleicht kaum, auf wie harten Boden die Lehre gesäet wurde, oder wie sehr mein rebellisches Innere dem aufgelegten Zügel widerstrebte. Als Sie mir dann, da ich älter und empfänglicher für die eleusinischen Geheimnisse wurde, die unter den schlichten Lehren des christlichen Glaubens liegen, erklärten, in wie wunderbarem Einklange die Vorschriften dieser so unaussprechlich weisen Religion mit den Systemen der Welt stehen: wie in dem, was anfangs nur als Pflicht gegen Gott erscheint, in dem Gehorsam gegen Gebote, eine Philosophie wohne, welche den Geist am trefflichsten zu erziehen vermöge und alle edleren Fähigkeiten zeitige; wie wir im Glauben nicht nur das Vertrauen auf eine göttliche Zukunft, sondern auch auf die Redlichkeit der Menschen wach erhielten, die jene Zukunft mit uns theilen sollen; wie wir in der Geduld unter Prüfung und Leiden unsere Leidenschaften von ihren Täuschungen reinigten; selbst bei diesen Erklärungen ahnten Sie wenig, mit welchem Widerstreben ich Ihre Gründe aufnahm und ihrer Wahrheit Gehör lieh. Aber, der Himmel sey gepriesen, die Lehren haben am Ende Wurzel gefaßt. Erfüllen sich je meine Träume der Zukunft, so verdanke ich es jenen Lehren, die den Stoizismus zum Christenthum erwärmten und der l zweifachen Lehre – »trage und entsage« – eine größere als Epiktets Autorität gaben.
Seit meinem letzten Briefe habe ich zwei große Prüfungen erfahren – einen Triumph für den Geist, ein Weh für das Herz. Ich habe die beiden göttlichen Grundsätze in irdischen Angelegenheiten angewendet und bin am Ende dadurch ruhig geworden. Stärker, wenn auch trauriger, steige ich jetzt den Berg meiner Laufbahn empor. Und in dem Augenblick, wo vielleicht mein Schritt am mindesten fest war, ist mir ein großes Gut zugefallen. Nebel, die mich einen Augenblick verwirrten, sind vor der Vergangenheit gewichen. Da ich jetzt weiß, was und wer ich bin, so kann ich besser beurtheilen, was ich seyn werde.
Während meiner letzten Prüfungen erwachte ein Gedanke, der mich vielleicht zu der krankhaften und fehlerhaften Anstrengung aufregte, welche eine Episode der Berühmtheit bewirkte für das ernstere Epos, welches das Leben eines Mannes, der wahre Auszeichnung sucht und Nutzen stiften will, seyn sollte; – ein Gedanke, der mich sehr aufregte und beunruhigte, erwachte aus dem Zweifel, den Ihre schriftliche Erzählung hinsichtlich meiner Jugend mir natürlich eingeflößt hatte. War ich zugleich vaterlos und namenlos? Dieser Zweifel ist verschwunden. Lang und schmerzlich ist die Geschichte, die Sie von mir hören werden, oder von einem Anderen, der sie füglicher erzählen kann. Sobald ich einen gewissen Auftrag, den ich übernommen, ausgeführt habe, werde ich zu Ihrem stillen Hause kommen. Wie in den alten Tagen, wenn ich, nachdem ich durch das Jargon metaphysischer Spekulationen meine Begriffe verwirrt, in Ihr kleines Zimmer stürzte und rief: »Legen Sie Ihre griechischen Poeten bei Seite, öffnen Sie ihren Beausobre Isaac de Beausobre (1659-1738), französischer Theologe. – sagen Sie mir, woher der Gedanke kommt und was Leben ist!« so will ich auch jetzt wieder alle Unruhe meiner Brust ausschütten und mich noch einmal als glückliches Kind vor Ihnen fühlen!
Sie fragen mich bedeutsam, ob ich Percival St. John kenne und was ich von ihm halte? Diese Fragen sind so sehr mit Ihren Aeußerungen über Helenen verflochten, daß Sie sogleich das Geheimniß Ihres Interesses verrathen. Lassen Sie Ihre Besorgniß schwinden; Helene hat Einen gefunden, der ihrer werth. Sie wissen, wie schwer es mir wird, meine Altersgenossen zu bewundern. Diesen Percival, einen bloßen Knaben und unerfahren, bewundere ich nicht nur – ich verehre ihn. Seine offenherzige Jugend läßt deutlich sichtbar mannhaftes Ehrgefühl erkennen. Ich, ein harter, mühevoller Arbeiter, strebe nach einem fernen Guten. Er steht vor mir, wie das Gute selbst! Wenn wir uns sehen, sollen Sie mündlich die Beweise für das Gesagte erfahren. Ja, er, und er allein verdient jenes Engelskind. Wie herrlich steht Beiden die Jugend! wie schade, daß sie einmal alt werden sollen! Sie, mit ihrer Dichterseele – Er, mit seinem humanen Herzen – die Psyche und der Eros! Nein, Ehrgeiz, Sorge und Alter sind nicht für sie! Adieu.
Ewig Ihr dankbarer Schüler,
John Ardworth.
Gray's Inn, Oktober 1831.
Schreiben Gabriel Varney's an – – Dieser Brief ist an einen von Varney's vertrauten Bekannten gerichtet, einen Genossen seiner gewöhnlichen Laster, der aber völlig unbekannt mit seinen düstern Verbrechen ist. ( Anm.d.Verf.)
Düsteres Landleben, Freund! traurige Verschwendung von Stunden, die nie zurückkehren! Meine Philosophie ist Schnelligkeit – Vorwärts und in Bewegung! – Das Leben, alter Freund, ist ein Federball, munter und rasch genug, wenn er gehörig gehandhabt wird, aber nichts als ein Kork und einige schlechte Federn, wenn er zur Ruhe kommt. Ein hübscher Landsitz das, den mein Freund Percival St. John hat! Ich verlebte meine Kindheit hier, und so obscur der Ort nun ist, so würde ich ihn doch nicht verschmähen als einen pied-de-terre mit einem halben Dutzend Freunden wie Du, einem halben Dutzend Dirnen wie Celeste, und Wein und Würfeln dabei. Aber nie sahst Du Reichthum so weggeworfen wie bei diesem jungen Gentleman! Ach, wenn dieser Reichthum ein Jahr lang mein wäre, wie sollten die Gevattern schwatzen und die ernsten Frommen die Schultern in die Höhe ziehen! Kennst Du, –; mich hat stets das Verlangen gepeinigt reich genug zu seyn, wenn auch nur auf ein Jahr – meinen Wünschen den Zügel schießen zu lassen im Bereich eines jener kolossalen Vermögen, welche durch den Gegensatz die armseligen Ausschweifungen von uns armen vauriens in den Staub demüthigen. Jedenfalls bin ich stets in der Phantasie ein Millionär. Ich schwimme in Ueberfluß, wenn ich einsam mit meiner Cigarre dasitze – dann kommt ein verdammter Mahner und all' mein Witz muß in Trab gesetzt werden, um ein elendes Paar Stiefeln zu bezahlen! Wie kann eines Menschen Genie gehörig in so einem winzig kleinen Blumentopf groß wachsen! Den Wurzeln eines kranken Orangenbaumes muß man Raum schaffen; aber das Schicksal erweitert nie den Kübel, in welchen eines Mannes Genie gepflanzt ist. – Apropos! der verfluchte Weinhändler ist unverschämt – er drängt! Geh' hin und sag' ihm gelegentlich, daß ich vertraut mit dem jungen St. John bin, der nächstens volljährig wird und Keller hat, so groß wie die Katakomben! Wozu, zum Teufel, sind denn diese reichen Freunde gut, wenn nicht dazu, Einem Kredit zu verschaffen? Vermißt Ihr mich nicht in B**** St.? … in der B****-Straße. – Wer tröstet die kleine Julie? – Beiläufig: Sophie schreibt mir einen Sermon. Sag' ihr, daß ich mich sehr geschmeichelt fühle, wenn ich wirklich ihr Herz gebrochen und ihren Frieden vernichtet habe. Wenn ein Mann über vierzig ist, sind solche Vorwürfe wahre Komplimente! Du ärgerst mich durch Dein dummes Lob von M–'s letztem Artikel. Ich bin nicht eifersüchtig, gewiß nicht. Aber wenn ich weiß, was an mir ist, und ich höre Deinesgleichen schwatzen von einem sublimen Gemälde von Martin, oder von einer brillanten Composition von Donizetti, oder von M–'s wundervollem Aufsatz in der Edinburgh – dann steigt der Groll in mir. Was hab' ich für ein hartes Loos –! In Rom würde C–i stundenlang vor meiner Staffelei stehen. In Berlin würde S–g mich unter allen savans auswählen, um über Metaphysik mit mir zu sprechen. Rossini hat mich seinen künftigen Nachfolger genannt. Und bei all' diesen Gaben muß ich unfruchtbar und obscur in dieser unseligen Atmosphäre stehen. O. sagen sie – Es fehlt ihm an Fleiß! Ja, weil ich eines Gentleman's Geist habe und das Leben genießen muß. Fleiß! – Verdienst der Dummköpfe! Nein, mein Stern soll schon noch leuchten! Mein seyen die kühnen, raschen, kecken Eingebungen des Geistes oder des Glücks, gleichviel! »die Welt ist meine Auster, die ich mit dem Schwerte öffnen will!« Da ist ein langer Brief für Dich! Es hat mir wohl gethan, denn ich war gräulich verstimmt, als ich mich zum Schreiben niedersetzte. Jetzt hab' ich mich in den Gedanken an die verlorene Zeit eingewiegt, die ich wieder gewinnen muß, wenn ich Euch alle wiedersehe! Welche Toaste, welche Lieder, und welche schwarzäugige Blicke! Ach, ja! alles das ist mir nothwendig; und zu all' dem flüstert eine kleine leise Stimme zu, »Geld, Geld, Geld, Gabriel Varney!« Verdammt, Geld müssen wir freilich haben!
Tout à vous,
Und etwas für des Gouverneurs Steinbild!
Don Juan.