Auswahl Deutscher Gedichte für höhere Schulen
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Walter von der Vogelweide

(Zur Enthüllung seines Denkmals in Bozen)

Hört, was euch wird wohl gefallen!
Unser Walter ist nicht tot:
Gestern noch sah ich ihn wallen,
Als er ließ sein Lied erschallen,
Zugewandt dem Abendrot.

Hätt' ich ihn auch nicht gewahret
Und erkannt die Kerngestalt,
Der das Alter blieb ersparet,
Hätten mir ihn offenbaret
Seine Weisen mannigfalt.

Auf die eine, froh und scherzend,
Folgt' die andre, trüb und bang,
Ja, wie traut ihr Wehe herzend,
Doch, ob linde oder schmerzend,
Er nur sprach aus jedem Klang.

Und er sang das Lob der Frauen,
Die er nirgends holder fand,
Nirgends auf beblümten Auen
Minniglicher anzuschauen
Als im deutschen Vaterland.

Und er sang des Lenzes Wonnen
In der Vöglein Melodei,
Doch von ihm, der schnell verronnen,
Stieg er auf zum Himmelsbronnen,
Dem entspringt ein ewiger Mai.

Und er sang des Mannes Stäte,
Der nur lebt der Pflicht zu Dank
Und dem Tod entgegenträte.
Ehe daß er übel täte
Und den Schild nicht hielte blank.

Doch das höchste seiner Lieder
War der Heimat Ruhm geweiht,
Die vom Firn zum Meere nieder
Stets ihm lauscht von neuem wieder
Und bis in die fernste Zeit.

Martin Greif

 


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