Auswahl Deutscher Gedichte für höhere Schulen
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Sprüche

Sechs Wörtchen nehmen mich in Anspruch jeden Tag:
Ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag.
Ich soll ist das Gesetz, von Gott ins Herz geschrieben,
Das Ziel, nach welchem ich bin von mir selbst getrieben.
Ich muß, das ist die Schrank', in welcher mich die Welt
Von einer, die Natur von andrer Seite hält.
Ich kann, das ist das Maß der mir verliehnen Kraft,
Der Tat, der Fertigkeit, der Kunst und Wissenschaft.
Ich will, die höchste Kron' ist dieses, die mich schmückt,
Der Freiheit Siegel, das mein Geist sich aufgedrückt.
Ich darf, das ist zugleich die Inschrift bei dem Siegel,
Beim aufgetanen Tor der Freiheit auch ein Riegel.
Ich mag, das endlich ist, was zwischen allen schwimmt,
Ein Unbestimmtes, das der Augenblick bestimmt.
Ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag,
Die sechse nehmen mich in Anspruch jeden Tag.
Nur wenn du stets mich lehrst, weiß ich, was jeden Tag
Ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag.

Friedr. Rückert (Weisheit des Brahmanen)

 

Die kleinste Sache kannst du gut verrichten,
Die kleinste schlecht. Aus lauter kleinen Dingen
Besteht der Tag, bestehen alle Tage,
Besteht das Leben. Darum warte nicht
Mit deiner Weisheit, deiner Redlichkeit,
Bis große Dinge mit Posaunen kommen!
An jedes wende du dein ganz Gemüt,
Die ganze Seele, alle Lieb' und Treu'.
Den Stempel, den du jedem aufgedrückt,
Den siehst du, und er kommt dir wieder vor
Wie alte Münzen, jed' aus andrer Zeit,
Mit deinem Bildnis, und du freust dich dran!
So wendet an ein jedes kleinste Blümchen
Die Sonne ihre ganze Kraft ein Weilchen,
Die Erde ihren ganzen Fleiß, wenn auch
Nur kurz, und jedes prangt ihr schön geschmückt!
Und so bezwingt sie, Tag für Tag, das Jahr.
Wer nur den Tag gewinnt, der hat die Schlacht
Gewonnen! Du gewinne Augenblicke!
Denn hast du jeden Augenblick besiegt,
Hast du das ganze Leben dir gewonnen!
Das ganze Leben dir geschmückt! dir leicht
Die ungeheure Last der Zeit gemacht!
So trägt ein Kind den Baum in Spänen fort!
Das Leben ist nicht schwer dem immer Guten.
Allein dem selten oder oft nur Guten
Verwirrt es sich wie dem verschlafnen Weber!
Das Leben ist so leicht dem immer Guten.

Leopold Schefer. (Aus dem Laienbrevier)

 

Jubel

Als ob noch tausendfacher Segen schliefe,
So fühl' ich reich das Bergwerk meiner Kraft.
Ich löse, was zu Licht will, aus der Haft.
Ich bin der Bergmann meiner eignen Tiefe.

Ernst Lissauer

 

An gutem Alten
In Treue halten,
Am kräftigen Neuen
Sich stärken und freuen
Wird niemand gereuen.

Emanuel Geibel

 

Das höchste Gut des Mannes ist sein Volk;
Doch dieses Volk ist formlos, rechtlos, schutzlos
Dem Feind, dem Nachbar hilflos preisgegeben:
Dem Volk Gestalt und Schutz gibt erst der Staat,
Drum ist das höchste Gut des Volks sein Staat.

Felix Dahn

 

Willst du dir ein hübsch Leben zimmern,
Mußt ums Vergangne dich nicht kümmern.
Und wäre dir auch was verloren,
Mußt immer tun wie neu geboren;
Was jeder Tag will, sollst du fragen,
Was jeder Tag will, wird er sagen;
Mußt dich am eignen Tun ergötzen,
Was andre tun, das wirst du schätzen,
Besonders keinen Menschen hassen
Und das übrige Gott überlassen.

Wolfgang Goethe

 

Dein bestes Glück, o Menschenkind,
Berede dich mit nichten,
Daß es erfüllte Wünsche sind:
Es sind erfüllte Pflichten!

Karl Gerok(1886)

 

Die Tugend hab' ich nie gelobt,
Die nimmer sich im Sturm erprobt.
Die Weisheit hab' ich nie gepriesen,
Die nie im Leben sich erwiesen.

Man lernt nicht fechten ohne Schwert,
Man lernt nicht reiten ohne Pferd;
Dem guten Schwimmer stärkt die Glieder
Der Strom, den schlechten reißt er nieder.

Friedrich Bodenstedt

 

Proben gibt es zwei, darinnen
Sich der Mann bewähren muß,
Bei der Arbeit recht Beginnen,
Beim Genießen rechter Schluß.

Emanuel Geibel

 

In dir ein edler Sklave ist,
Dem du die Freiheit schuldig bist.

Matthias Claudius

 

Weißt, wo es keinen Herrn und keinen Diener gibt?
Wo eins dem andern dient, weil eins das andre liebt.

Friedrich Rückert

 

Aufgabe

Keiner ist gleich dem andern, doch gleich sei jeder dem Höchsten!
Wie das zu machen? Es sei jeder vollendet in sich.

Friedr. Schiller (1797)

 

Pflicht für jeden

Immer strebe zum Ganzen! Und kannst du selber kein Ganzes
Werden, als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an!

Friedr. Schiller (1797)

 

Willst du dich am Ganzen erquicken,
So mußt du das Ganze im Kleinsten erblicken.

Wolfgang Goethe

 

Frei in unendlicher Kraft umfasse der Wille das Höchste,
Aber zum nächsten zunächst reife bedächtig die Tat.

Franz Grillparzer

 

Ob auf dem Spiel
Nichts steht, ob viel,
Wahr sei dein Wort:
Gott hilft dir fort!

Martin Greif

 

Das höchste Streben, dem der Mann
In jedem Stand sich weihen kann,
Es ist: zu trachten jederzeit
Nach Wahrheit und Gerechtigkeit.

Martin Greif

 

Nie stille steht die Zeit, der Augenblick entschwebt,
Und den du nicht benutzt, den hast du nicht gelebt.
Und du auch stehst nie still, der gleiche bist du nimmer,
Und wer nicht besser wird, ist schon geworden schlimmer.
Wer einen Tag der Welt nicht nutzt, hat ihr geschadet,
Weil er versäumt, wozu ihn Gott mit Kraft begnadet.

Friedrich Rückert

 

Wer sich nicht nach der Decke streckt,
Dem bleiben die Füße unbedeckt.

Wolfgang Goethe

 

Die Alten ehre stets,
Du bleibst nicht ewig Kind;
Sie waren, wie du bist,
Und du wirst, was sie sind.

Volksweisheit

 

Junges Blut
Spar' dein Gut!
Armut im Alter wehe tut.

Volksweisheit (Hausspruch)

 

Wer ist Lehrling? – Jedermann.
Wer ist Geselle? – Der was kann.
Wer ist Meister? – Der was ersann.

Volksweisheit

 


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