Auswahl Deutscher Gedichte für höhere Schulen
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Der fremde Reiter

(1522)

Im Winter war es noch, zur Fastenzeit,
Es hatte viel geregnet und geschneit;
Da irrten zween Gesellen spät umher
Vor Jenas Toren, ob nicht wär'
Für wenig Geld und gute Wort'
Zu finden wo ein gastlich Ort.

Die beiden kamen aus dem Schweizerland,
Von Basel her, der Schule wohlbekannt;
Erasmus trieb, der feine, dort sein Wesen.
Nun hatten sie von Luther auch gelesen
Und über ihn gehört von andern;
Das trieb sie an nach Sachsen hinzuwandern,
Weil man den eignen Augen besser traut,
Als was man bloß mit fremden angeschaut.
In Wittenberg gedachten sie zu bleiben
Und Gottes Wort in Segen dort zu treiben.

Wie sie nun in der Irre gehn herum
In Jenas Straßen grad und krumm,
Kommt auf sie zu ein guter Mann,
Der sie berichten will und kann:
»Kommt nur mit mir, ihr lieben Herrn!
Ich führ' euch in den Schwarzen Bär'n:
's ist vor dem Tor, nur wenig Schritt'.«
Er geht voran, sie gehen mit
Und treten in die Herberg' ein,
Nur trüb erhellt vom Lampenschein.

Der Wirt heißt sie willkommen zu Speis' und Trank:
»Da setzt euch hin zur Ofenbank
Und trocknet euch die Kleider und die Schuh'
Und, wenn ihr wollt, den nassen Leib dazu!«

Sie setzten sich und blieben auf dem Flecke;
Vornehmer schien der Gast dort an der Ecke
Des vordern Tisch's, ein Reitersmann,
Mit einem roten Schlepple an,
Die stolze Feder auf dem Kopf,
Die Hand gestützet auf den Degenknopf.
Ein Büchlein auch war vor ihm aufgeschlagen.
Bald fing der Mann sie traulich an zu fragen:
»Wes Lands, wohin die Reis'? Kommt näher bei!
Es ist am Tisch wohl Platz für unser drei.«

Des Mannes Freundlichkeit und Scherz
Macht offen auch der scheuen Knaben Herz.
Die geben ihm Bescheid, wie sich's gebührt:
»Von Basel hat der Weg uns hergeführt;
Ist Euch vielleicht, mein Herr, bekannt,
Ob Luther weile hie zu Land?
Viel Wunderliches hört man heutzutag,
Daß man nicht jedem glauben mag;
Drum möchten wir von Angesicht
Den sehn, von dem die Sage spricht,
Und hören ihn mit eignen Ohren.
Die Mühe, denken wir, sei nicht verloren.«
Der Fremde drauf mit Ernst versetzt:
»Zu Wittenberg ist er wohl nicht anjetzt,
Das kann ich euch in Wahrheit sagen.
Nun aber laßt mich auch was fragen:
Wie spricht man denn im Schweizerland
Von Luther?« – »Herr, gar allerhand
Wird da gered't, gemeint, gestritten.
Von vielen ist er wohlgelitten,
Sie rühmen ihn und preisen Gott den Herrn,
Was er durch ihn geschaffen nah und fern;
Doch andre schelten ihn als Ketzer,
Als Lügengeist und Volksverhetzer –«
»Ho«, spricht der Reiter, »merke schon,
Das pfeifet aus der Pfaffen Ton!«

Noch redet er viel hin und her,
Als ob er gar ein Doktor wär';
Von allem wußt' er gut Bescheid,
Der Mann im roten Reiterkleid.
Das Büchlein auch, in dem er las,
Ein gut hebräisch Psalter was.
Hebräisch, Griechisch und Latein,
Dem Reiter schien es ganz gemein,
Daß drob die Jungen gar erstaunen
Und dies und das ins Ohr sich raunen.
Und über dem tritt näher auch
Der Gastwirt, nach der Wirte Brauch,
Die Gäste wohl zu unterhalten
Von neuen Dingen und von alten.

»Ja«, hebt er an, »ihr lieben Jungen,
Bald euren Augen wär's gelungen,
Den Doktor Luther selbst zu schau'n;
Denn heute vor zwei Tagen, traun!
Hat er an ebendiesem Tisch
Gesessen ganz gesund und frisch.«
Das ärgert beide sonder Maßen
Und schalten ob den bösen Straßen,
Die sie so lang in ihrem Lauf
Nach Sachsenland gehalten auf.

Dann tritt der Wirt noch einmal für
Und ruft den einen vor die Tür.
Dem fängt das Herz gewaltig an zu pochen,
Meint, hätt' in Unschuld was verbrochen,
Ob dem der Wirt ihn strafen wollt' mit Worten;
Doch folget er ihm vor der Stube Pforten.

Der Wirt macht erst ein schlau Gesicht,
Drauf heimlich er zum Jungen spricht:
»Was gebt Ihr mir, mein junges Blut,
Wenn ich Euch sage kurz und gut,
Was Ihr zur Stunde noch nicht wißt,
Daß der der Doktor Luther ist,
Mit dem Ihr drinnen ohne Scheu
Gesprochen; glaubt's auf meine Treu!
Doch bitt' ich, haltet reinen Mund,
Tut keinem das Geheimnis kund!«

Das kann der Junge erst nicht glauben
Und meint, der Wirt woll' nur auf Schrauben
Ihm setzen den verwirrten Kopf,
Wie man es pfleget einem Tropf;
Doch er verschwört sich hoch und schwer,
Daß eben der der Luther wär'.

Nun wurmt den Jungen das Geheimnis gar,
Bis er's kann machen offenbar.
Wohl hat er zwar versprechen müssen,
Es soll kein andrer darum wissen;
Allein, dem Kameraden in das Ohr,
Bleibt's ein Geheimnis nach wie vor.
Der Kamerade hört's und stutzt.
»Hast wohl die Ohren nicht geputzt,
Verstehst die Sprach' nicht hier zu Landen
Und hast den Wirt nicht recht verstanden!
Hast du auch zweimal ihn gefragt?
Der Hutten hat er wohl gesagt,
Der Hutten, ja, das mag sich passen,
Der Hutten ist's, drauf kannst du dich verlassen!«
Dem andern kommt's nun selber vor,
Als ob getäuschet ihn sein Ohr.
Und beide werden eins gar bald,
Der Hutten sei die fremde Mannsgestalt.

Indessen kommt die Essenszeit,
Der Wirt die Speisen macht bereit,
Der Luther-Hutten ladet ein
Die Jungen, seine Gäst' zu sein.
Die lassen sich's nicht zweimal sagen,
Denn hungrig worden war der Magen;
Doch hungert wahrlich sie noch mehr
Nach all der guten, feinen Lehr',
Die ihnen zu der Seelen Heil
Soll über Tische werden teil.
Und ob der Wirt auch auf das beste
Mit Speis' und Trank bedient die Gäste,
Sie achten nicht des Koches Kunst;
Verdampfen muß der Schüssel Dunst
Umsonst; nur Ohr und Herz allein,
Die wollen heut gesättigt sein.

Und weiter spricht der Reiter nun:
»Jetzt müßt ihr eins Bescheid mir tun.
Fort mit dem Bier! Der Schweizermagen
Kann besser ein Glas Wein vertragen.
Herr Wirt, gebt Wein!« Gesagt, getan.
»Wohlauf, ihr Jungen! stoßet an!
So lasset denn den Hutten leben,
Mein'thalb den Luther auch daneben,
Und kommt nach Wittenberg ihr 'nein,
So grüßet mir Philippum fein
Und Doktor Schurfen, den Juristen,
Samt allen andern guten Christen!«

Die Schweizer sehn den Reitersmann
Mit doppelt großen Augen an:
»Nun wird er uns doch sagen müssen,
Von wem wir soll'n die Leute grüßen?«
Der aber sagt es gleichwohl nicht.
»Habt ihr den Gruß nur ausgericht't
Von dem, der kommt, so werden sie's verstehn.
Lebt wohl, ihr Herrn, auf Wiedersehn!«
Das war des Reiters letztes Wort;
Des andern Morgens war er fort.

Rudolf Hagenbach
1801-1874

 


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