Auswahl Deutscher Gedichte für höhere Schulen
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Dem Erlöser

Der Seraph stammelt, und die Unendlichkeit
Bebt durch den Umkreis ihrer Gefilde nach
    Dein hohes Lob, o Sohn! wer bin ich,
        Daß ich mich auch in die Jubel dränge?

Von Staube Staub! Doch wohnt ein Unsterblicher
Von hoher Abkunft in den Verwesungen
    Und denkt Gedanken, daß Entzückung
        Durch die erschütterte Nerve schauert!

Auch du wirst einmal mehr wie Verwesung sein,
Der Seele Schatten, Hütte, von Erd' erbaut,
    Und andrer Schauer Trunkenheiten
        Werden dich dort, wo du schlummerst, wecken.

Der Leben Schauplatz, Feld, wo wir schlummerten,
Wo Adams Enkel wird, was sein Vater war,
    Als er sich jetzt der Schöpfung Armen
        Jauchzend entriß und ein Leben dastand!

O Feld vom Aufgang bis, wo sie untergeht,
Der Sonnen letzte, heiliger Toter voll,
    Wann seh' ich dich? wann weint mein Auge
        Unter den tausendmal tausend Tränen?

Des Schlafes Stunden oder Jahrhunderte,
Fließt schnell vorüber, fließt, daß ich aufersteh'!
    Allein sie säumen, und ich bin noch
        Diesseit am Grabe! O helle Stunde,

Der Ruh' Gespielin, Stunde des Todes, komm!
O du Gefilde, wo der Unsterblichkeit
    Dies Leben reift, noch nie besuchter
        Acker für ewige Saat, wo bist du?

Laß mich dorthin gehn, daß ich die Stätte seh'!
Mit hingesenktem, trunkenem Blick sie seh'!
    Der Ernte Blumen drüber streue,
        Unter die Blumen mich leg' und sterbe!

Wunsch großer Aussicht, aber nur Glücklichen,
Wenn du, die süße Stunde der Seligkeit,
    Da wir dich wünschen, kämst: wer gliche
        Dem, der alsdann mit dem Tode ränge?

Dann mischt' ich kühner unter den Throngesang
Des Menschen Stimme, sänge dann heiliger,
    Den meine Seele liebt! den Besten
        Aller Gebornen, den Sohn des Vaters!

Doch laß mich leben, daß am erreichten Ziel
Ich sterbe! daß erst, wenn es gesungen ist,
    Das Lied von dir, ich triumphierend
        Über das Grab den erhabnen Weg geh'!

O du mein Meister, der du gewaltiger
Die Gottheit lehrtest! zeige die Wege mir,
    Die du da gingst, worauf die Seher,
        Deine Verkündiger, Wonne sangen.

Dort ist es himmlisch! Ach, aus der Ferne Nacht
Folg' ich der Spur nach, welche du wandeltest:
    Doch fällt von deiner Strahlenhöhe
        Schimmer herab, und mein Auge sieht ihn.

Dann hebt mein Geist sich, dürstet nach Ewigkeit,
Nicht jener kurzen, die auf der Erde bleibt;
    Nach Palmen ringt er, die im Himmel
        Für der Unsterblichen Rechte sprossen.

Zeig' mir die Laufbahn, wo an dem fernen Ziel
Die Palme wehet! Meinen erhabensten
    Gedanken, lehr' ihn Hoheit! führ' ihm
        Wahrheiten zu, die es ewig bleiben!

Daß ich den Nachhall derer, die's ewig sind,
Den Menschen singe! daß mein geweihter Arm
    Vom Altar Gottes Flammen nehme!
        Flammen ins Herz der Erlösten ströme!

Friedr. Gottlieb Klopstock (Friedensburg 1751)

 


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