Auswahl Deutscher Gedichte für höhere Schulen
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Schwert und Pflug

Einst war ein Graf, so geht die Mär',
Der fühlte, daß er sterbe;
Die beiden Söhne rief er her,
Zu teilen Hab und Erbe.

Nach einem Pflug, nach einem Schwert
Rief da der alte Degen;
Das brachten ihm die Söhne wert,
Da gab er seinen Segen:

»Mein erster Sohn, mein stärkster Sproß,
Du sollst das Schwert behalten,
Die Berge mit dem stolzen Schloß
Und aller Ehren walten.

Doch dir, nicht minder liebes Kind,
Dir sei der Pflug gegeben;
Im Tal, wo stille Hütten sind,
Dort magst du friedlich leben.«

So starb der lebensmüde Greis,
Als er sein Gut vergeben.
Die Söhne hielten das Geheiß
Treu durch ihr ganzes Leben.

Doch sprecht, was ward denn aus dem Stahl,
Dem Schlosse und dem Krieger?
Was ward denn aus dem stillen Tal,
Was aus dem stillen Pflüger? –

O fragt nicht nach der Sage Ziel!
Euch künden rings die Gauen:
Der Berg ist wüst, das Schloß zerfiel,
Das Schwert ist längst zerhauen.

Doch liegt das Tal voll Herrlichkeit
Im lichten Sonnenschimmer,
Da wächst und reift es weit und breit:
Man ehrt den Pflug noch immer.

Wolfgang Müller (1847)

 


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