Auswahl Deutscher Gedichte für höhere Schulen
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Rätsel

1

Von Perlen baut sich eine Brücke
Hoch über einen grauen See,
Sie baut sich auf im Augenblicke,
Und schwindelnd steigt sie in die Höh'.

Der höchsten Schiffe höchste Masten
Ziehn unter ihrem Bogen hin,
Sie selber trug noch keine Lasten
Und scheint, wie du ihr nahst, zu fliehn.

Sie wird erst mit dem Strom und schwindet,
Sowie des Wassers Flut versiegt.
So sprich, wo sich die Brücke findet,
Und wer sie künstlich hat gefügt?

2

Auf einer großen Weide gehen
Viel tausend Schafe silberweiß,
Wie wir sie heute wandeln sehen,
Sah sie der allerältste Greis.

Sie altern nie und trinken Leben
Aus einem unerschöpften Born,
Ein Hirt ist ihnen zugegeben
Mit schön gebognem Silberhorn.

Er treibt sie aus zu goldnen Toren,
Er überzählt sie jede Nacht
Und hat der Lämmer keins verloren,
So oft er auch den Weg vollbracht.

Ein treuer Hund hilft sie ihm leiten,
Ein muntrer Widder geht voran.
Die Herde, kannst du sie mir deuten,
Und auch den Hirten zeig' mir an!

3

Kennst du das Bild auf zartem Grunde?
Es gibt sich selber Licht und Glanz,
Ein andres ist's zu jeder Stunde,
Und immer ist es frisch und ganz.
Im engsten Raum ist's ausgeführet,
Der kleinste Rahmen faßt es ein,
Doch alle Größe, die dich rühret,
Kennst du durch dieses Bild allein.

Und kannst du den Kristall mir nennen?
Ihm gleicht an Wert kein Edelstein;
Er leuchtet ohne je zu brennen,
Das ganze Weltall saugt er ein.
Der Himmel selbst ist abgemalet
In seinem wundervollen Ring.
Und doch ist, was er von sich strahlet,
Oft schöner, als was er empfing.

4

Unter allen Schlangen ist eine,
Auf Erden nicht gezeugt,
Mit der an Schnelle keine,
An Wut sich keine vergleicht.

Sie stürzt mit furchtbarer Stimme
Auf ihren Raub sich los,
Vertilgt in einem Grimme
Den Reiter und sein Roß.

Sie liebt die höchsten Spitzen;
Nicht Schloß, nicht Riegel kann
Vor ihrem Anfall schützen;
Der Harnisch – lockt sie an.

Sie bricht wie dünne Halmen
Den stärksten Baum entzwei;
Sie kann das Erz zermalmen,
Wie dicht und fest es sei.

Und dieses Ungeheuer
Hat zweimal nie gedroht –
Es stirbt im eignen Feuer:
Wie's tötet, ist es tot!

5

Ich wohn' in einem steinernen Haus,
Da lieg' ich verborgen und schlafe;
Doch ich trete hervor, ich eile heraus,
Gefordert mit eiserner Waffe.
Erst bin ich unscheinbar und schwach und klein,
Mich kann dein Atem bezwingen,
Ein Regentropfen schon saugt mich ein;
Doch mir wachsen im Siege die Schwingen;
Wenn die mächtige Schwester sich zu mir gesellt,
Erwachs' ich zum furchtbar'n Gebieter der Welt.

Friedrich Schiller

 

6

Wer nennt mir das Kloster von festem Stein,
Drin wohnen viel schöne Jüngferlein;
Ein eiserner Paladin klopft ans Haus,
Gleich springen drei, vier oder mehr heraus;
Sie tanzen um ihn, sie glühen so rot,
Sie tanzen sich alle zusammen bald tot.

Gustav Theodor Fechner

 


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