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49. Jugendgespielen und Freunde aus alter und neuer Zeit. – Zum Tee beim Justizminister, wobei ein zweitägiger Autoausflug ins Innere des Landes verabredet wird.

Die paar Wochen, die nun folgten, vergingen mit vielen Besuchen und Ausflügen ins schöne Land hinein.

So wurde mir zum Beispiel eines Tages gesagt, daß eine meiner Spielgenossinnen aus alter Zeit in Reykjavik wohne. Sofort verschaffte ich mir ihre Adresse, denn natürlich brannte ich vor Verlangen, sie zu besuchen und mit ihr über unsere Jugenderinnerungen zu sprechen. Wie freute ich mich aber auch, als ich zu hören bekam, wer sie war. Sie hieß Sophie Johnsen und war jahrelang mit mir auf dem Gute Mödruvellir im Hörgártal und nachher in Akureyri zusammengewesen. Sie stammte aus sehr guter Familie und hatte als ein hochbegabtes Kind gegolten. Aus dem damaligen jungen Mädchen war jetzt eine 80jährige, würdige Matrone geworden. Sie war fünf Jahre älter als ich, hatte aber doch in unserer goldenen Jugendzeit vor 65 Jahren oft mit mir gespielt und mich auch öfters auf kleine Ritte in der Umgebung von Mödruvellir mitgenommen.

Ich ging sofort zu ihr in ihre Wohnung. Es wäre mir unmöglich, die Freude zu schildern, die wir hatten, als wir uns beide in ihrem netten, kleinen Heim wieder trafen. Genau wie ich, hatte sie noch allerlei Erlebnisse aus der alten, glücklichen Jugendzeit im Gedächtnis. Sie konnte sich noch ganz genau an das liebe, kleine Lämmchen erinnern, das wir aus den Klauen des schwarzen Raben retteten und von dem ich in dem Buch »Sonnentage« erzählt habe. Sie wußte auch noch ganz gut, wie ich damals war: ein sehr unternehmender, wilder Junge, immer der Führer bei allen Streichen, sagte sie, aber trotzdem von den Kindern gut gelitten, von den kleinen Mädchen besonders deshalb bewundert, weil ich mich so gern in alle Gefahren stürzte. Das betrachteten sie als Mut, und das gefiel ihnen.

»Als du später, zwölf Jahre alt, von Akureyri mit dem kleinen dänischen Segler in die Welt hinausfuhrst, wie haben wir Kinder doch alle geweint. Wir konnten nicht begreifen, daß deine Mutter das zuließ«, versicherte mir Frau Johnsen.

Sie erzählte mir viele Beispiele meiner damaligen Heldentaten und wiederholte immerfort den Ausruf: »O guter Nonni! Wie glücklich wir doch damals waren!«

Und so plauderten wir weiter über die selige Kinderzeit von damals. Sie sagte mir auch, daß mehrere von unsern Spielgenossen und -genossinnen in Akureyri, in Mödruvellir und auf Skipalón noch lebten. Ich würde sie dort treffen, wenn ich nach dem Nordlande reisen würde.

Ach die liebe, gute Sophie Johnsen! Immer dieselbe genau wie damals, nur mit dem Unterschiede, daß sie jetzt eine Greisin geworden war.

Übrigens trotz der 80 Jahre war sie noch frisch und gesund und im Herzen noch jung. Sie ging ebenso rank und gerade umher wie in der Kinderzeit und mit einem ebenso freundlich lächelnden Gesicht.

In Reykjavik besuchte ich auch wiederholt meinen alten lieben Freund Gunnar Einarsson, den ehemaligen isländischen Knaben, der wie ich im Jahre 1870 nach Kopenhagen fuhr und mit mir nach Frankreich weiterreisen sollte, aber von seinen Eltern nach Island zurückberufen wurde. Auch er war jetzt beinahe 80 Jahre alt geworden, aber wie Sophie Johnsen fast ebenso frisch, heiter und jugendlich wie damals; noch immer kerngesund, keine Spur von gebückter Haltung.

Er lebt in Reykjavik wie ein stämmiger, ehrwürdiger Patriarch inmitten seiner Kinder und Kindeskinder, die alle wohlbegabte und tüchtige Glieder seines Geschlechtes sind.

Und wie waren sie doch alle so herzlich gut zu mir, sooft ich zu ihnen kam, der jugendliche Großvater und seine prächtigen Söhne Johannes, Fridrik und Hjalti, und seine Tochter Abeline. Ich wurde traktiert und verwöhnt wie ein Prinz, und als ich später Island verließ, durfte ich nicht alle meine Sachen mitnehmen, nur was ich während der Reise brauchte. Das übrige würde mir nur zur Last fallen, meinten sie. Das alles behielt Fridrik, der älteste Sohn Gunnars, und schickte es mir auf seine Kosten nach. Nie werde ich der lieben, guten Familie genug für all ihre Güte danken können.

Und der kleine Thorhall, der ebenfalls mit mir nach Frankreich hätte reisen sollen, dessen Mutter es aber nicht zuließ, – ach, leider war er schon lange in der Ewigkeit. Aber sein Sohn war da, Tryggvi Thorhallsson, jetzt Islands Ministerpräsident. Ich habe das ja schon erzählt. Ihm verdanke ich meine Islandreise, und während ich in Island war, konnte ich fahren, wohin ich wollte; sein vornehmes, elegantes Auto und die seiner Mitminister standen zu meiner Verfügung. Mit zweien seiner herziglieben Kinder, Thorhall und Valgerd, fuhr ich tagelang durch das ganze Land. Aber darauf werde ich später noch zurückkommen.

Am 7. Juli lud mich der Herr Justiz- und Unterrichtsminister Jónas Jónsson zum Tee ein.

Der Minister gilt als einer der begabtesten und tatkräftigsten Männer des Landes. Er wird allgemein der »Mussolini Islands« genannt, und in allem, was im Lande geschieht, soll seine Hand im Spiele sein.

Wenn von ihm gesprochen wird, wird er immer kurzerhand Jónas genannt.

Seine Pläne sind kaum zu zählen, und seine Tatkraft bei der Ausführung ist sprichwörtlich. Dabei ist Jónas ein vollkommener Gentleman, vornehm, gewandt und ein anziehender Gesellschafter. Er ist hoch geachtet und von vielen geliebt, hat aber auch wie alle Politiker bittere politische Feinde.

Beim Tee lernte ich seine Gemahlin und seine etwa 14jährige Tochter kennen.

Alle waren sehr liebenswürdig gegen mich und verstanden es, diesen kurzen Besuch zu einem der anregendsten und angenehmsten meiner Besuche in der Landeshauptstadt zu machen.

Als ich die Tochter des Ministers sah, war mein erster, flüchtiger Eindruck, daß sie ebensogut ein Kind des sonnigen Südens als des kühlen Nordens sein könnte. Ihre dunklen, lebhaft glänzenden Augen, ihre Gesichtszüge und überhaupt ihre reserviert-höfliche Haltung, alles das erinnerte mich an die Kinder Südfrankreichs, wo ich öfter meine Sommerferien zugebracht hatte.

Ich sprach mit dem Herrn Minister über seine großen Pläne zur geistigen Hebung der Bevölkerung auf der ganzen Insel. Ich hatte viel erzählen gehört von den riesigen und hochmodern eingerichteten Schulgebäuden, die Jónas überall im Lande aufführen ließ, wahre Paläste mit Schwimmhallen und Zentralheizung, wofür das warme Wasser immer nur von den heißen Quellen hergenommen wird.

Als ich ihm dann sagte, wie gern ich die eine oder andere dieser Schulen einmal selbst sehen möchte, sagte der freundliche Minister:

»Aber nichts ist so leicht als das. Sind Sie morgen und übermorgen frei?«

»Ja gewiß, Herr Minister.«

»Nun gut. Dann ist die Sache ja schon abgemacht.«

Ich merkte sofort, daß er blitzschnell in seinem Geiste einen Plan zurecht gemacht hatte. Kein langes Überlegen; der Plan wurde sofort in ein paar Sätzen ausgedrückt:

»Ich stelle ein größeres Auto für zwei Tage zu Ihrer Verfügung. Den Chauffeur werde ich genau instruieren. Ihr deutscher Junge fährt natürlich mit. Ich werde auch für angenehme Gesellschaft sorgen. Sie werden verschiedenes zu sehen bekommen, was Sie interessieren wird: eine unserer neuen Schulen, Laugarvatn, dann die Flóa-Ebene, die Grýla, ein Gefängnis draußen auf dem Lande, Skálholt, das Grab von Jón Arason usw. Ich hoffe, es wird Ihnen nicht langweilig werden.«

Alles das war in einem Nu abgemacht und mit der Schnelligkeit und Klarheit eines amerikanischen Geschäftsmannes ausgedrückt.

Ich fühlte mich im siebten Himmel vor Freude und nahm alles mit größtem Dank an. Viktor war ebenfalls selig, als ich kurz darauf nach Hause kam und ihm von dem bevorstehenden Ausflug ins Land hinein in dem schönen Auto des Ministers Jónas berichtete. Wenn ich diesen Ausflug ausführlich beschreiben wollte, würde leicht ein ganzes Buch daraus werden. Ich muß mich daher der Knappheit befleißen, soweit es die Fülle des Erlebten zuläßt.


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