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Viktor suchte mich bald in meinem Zimmer auf und bat mich, ihm den Verlauf der Reise in großen Zügen auseinandersetzen zu wollen.
»Zuerst«, sagte ich ihm, »wirst du allein, ohne mich, dein eigenes Vaterland, das große Deutschland, durchqueren müssen, vom äußersten Süden bis hinauf zum äußersten Norden. Das allein schon wird für dich eine bedeutende und interessante Reise werden. Sie wird ungefähr zwei Tage in Anspruch nehmen. Am ersten Abend wirst du am besten in Köln übernachten, und am folgenden Tag fährst du von Köln weiter nach Norden bis zur holländischen Grenze. Dort werde ich auf dich warten.«
»Wo soll ich aussteigen, wenn ich zur holländischen Grenze komme?«
»In Emmerich, am Niederrhein. – Wir fahren dann im Auto nach dem nahen holländischen Städtchen 's Heerenberg. Dort bleiben wir ein paar Tage zusammen, und von dort aus beginnt dann die eigentliche Reise.
Zunächst fahren wir nach Rotterdam, quer durch ganz Holland.«
»Und von Rotterdam?«
»Von Rotterdam geht es weiter bis Hoek van Holland.«
»Das liegt doch schon am Meer?«
»Ganz richtig.«
»Da werde ich also zum ersten Mal in meinem Leben das Meer sehen! … Wird das ein Erlebnis sein!«
»In Hoek van Holland gehen wir an Bord eines englischen Dampfers und fahren über den Kanal nach Harwich an der englischen Küste.«
»Die erste Seereise in meinem Leben!«
»Von Harwich geht es dann mit der Eisenbahn nach London.«
»Ich soll auch London sehen!« rief Viktor jubelnd aus … »Wie lange bleiben wir in London?«
»Jetzt auf der Hinreise nur ein paar Tage. Wenn wir aber von Island zurückkehren, können wir uns noch einmal in London aufhalten, wohl länger als jetzt. Von London aus können wir dann Ausflüge machen, nach Oxford, Cambridge, und wohin wir sonst noch wollen.«
»Wohin fahren wir auf der Hinreise von London aus?«
»Wir fahren mit dem sogenannten Flying Scotchman, das heißt, dem ›Fliegenden Schottländer‹, einem englischen Blitzzug, nach Edinburg.«
»Edinburg! Das soll sehr schön sein!«
»Das will ich meinen! Ich bin schon zweimal dort gewesen und war jedesmal voll Bewunderung über die Schönheit dieser Stadt. Wir bleiben nur einen Tag in Edinburg. Dort besteigen wir einen hochmodernen isländischen Dampfer, der uns direkt nach Island bringen wird!«
»Wir fahren also hinaus auf den Atlantischen Ozean? – Dann aber kommen wohl die Beschwerden und Strapazen?«
»O nein, Viktor, nicht die Spur! Unser Dampfer heißt ›Brúarfoß‹. Er ist bequem und pickfein in jeder Beziehung eingerichtet. Wir werden es während der Überfahrt von England nach Island sehr wahrscheinlich ebenso bequem und ruhig haben wie hier in diesem Zimmer.«
»Und die Stürme? Oder gibt es keine auf dem Atlantischen Meere zwischen England und Island?«
»Es kann dort furchtbare Stürme geben. Das hängt aber von der Jahreszeit ab. Unsere Seereise findet im Juni statt. Während dieser Jahreszeit ist das Meer dort gewöhnlich ruhig und blank wie ein Spiegel.«
»Wie wird es aber werden, wenn wir im Herbst zurückkehren?«
»Wenn wir im Herbst von Island zurückkehren, können wir allerdings möglicherweise starke Stürme erleben …«
»Und wie wickelt sich die Reise nun weiter ab?«
»Wir fahren also nach Island. Die Überfahrt wird etwa vier oder fünf Tage dauern. Wir legen dann zuerst in einigen der isländischen Fjorde an und besuchen auf kurze Zeit einige isländische Küstenstädte – jedesmal nur einige Stunden – und kommen schließlich nach Reykjavik, der Hauptstadt der Insel.«
»Und dann?«
»Dann wird es so Vieles und Schönes geben, daß wir unmöglich jetzt alles voraussehen können. Wir werden wohl in diesem Wunderlande der Eddas und der Sagas, des Feuers und des Eises, zwei bis drei Monate bleiben … Und was werden wir dort nicht alles erleben in dieser Zeit! Zunächst die Althings-Jahrtausendfestlichkeiten, die mehrere Tage dauern werden. Nachher zahllose hochinteressante Fahrten und Ausflüge durch die feuergeborene Wunderinsel mit ihren rauchenden Vulkanen und lustig springenden kochenden Quellen, durch herrliche, großzügige, wegen ihrer Schönheit weltberühmte Landschaften, bald zu Pferd, bald mit Auto, bald im Flugzeug …«
Viktor freute sich nach all dem Gehörten unbändig auf die wundervolle Reise …
Und in der Tat, welche goldene, bezaubernde Aussichten für einen 16jährigen Jungen!
Wir saßen noch eine gute Weile auf meinem Zimmer im Hause Herder und plauderten über die bevorstehenden Abenteuer der Fahrt nach der » Ultima Thule«, der geheimnisvollen Sagainsel im hohen Norden.