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Kurz nach 9 Uhr sollte an einer andern Stelle der weiten Thingebene der letzte Teil des Festprogramms des ersten Tages zur Ausführung kommen.
Im Programmbüchlein war zu lesen: »Kurz nach 9 Uhr Islandsglima« (›Isländischer Ringkampf‹ – alljährlicher Wettkampf um die Meisterschaft).
Die Normannen wie die Nordgermanen überhaupt waren große Sportsmänner. Leibesübungen aller Art standen bei ihnen hoch im Kurs. Eine der beliebtesten Sportsübungen war die Glima, ein Ringkampf eigener Art, der nach genau bestimmten Regeln vorgenommen wird. Jedem Kämpfer ist ein Riemen um Hüfte und Oberschenkel geschlungen. Daran fassen sie sich gegenseitig, und einer sucht den andern so zu Fall zu bringen, daß er mit dem Körper den Boden berührt. Trifft dies zu, so ist der Kampf entschieden. Der Fall darf nur durch Aufstützen mit den Händen oder den Füßen abgewehrt werden. Die Glima hat sich durch mehr als tausend Jahre bis zum heutigen Tage in Island erhalten.
Der Ringkampf sollte an diesem Abend des ersten Festtages zwischen etwa zwanzig jungen Kämpfern aus Nordisland und ebenso vielen aus Südisland ausgefochten werden.
Man kann sich denken, mit welcher Spannung alle Sportfreunde des Landes, aber auch die Fremden, dieser Kraftprobe entgegensahen.
Für den ersten Sieger war ein kostbarer Preis ausgesetzt.
Alles zog zu Fuß oder im Auto hinaus nach dem Stadion, auch die königlichen Personen.
Es gelang mir, im Gedränge ein Auto zu erwischen, um hinauszufahren. Auch einen Sitzplatz im Stadion eroberte ich mir.
Mehr Zuschauer als die, welche im Stadion selbst zusahen, hatten sich auf der höher als dieses gelegenen Bergeshalde gelagert.
Die Ringkämpfer in leichten, blendendweißen Trikots standen kampfbereit einander gegenüber. Der Ausrufer nahm sein großes, einem seemännischen Nebelhorn ähnliches Sprachrohr, wandte sich nach Süden und rief mit Donnerstimme hinein:
»Die Glima beginnt!« Dann wandte er sich nach Norden, dieselben Worte wiederholend, dann nach Osten und zuletzt, immer langsam und feierlich, nach Westen.
Der Kampfrichter rief die Namen der beiden ersten Kämpfenden aus. Ein junger Nordländer trat in die Mitte des Kampfplatzes, ein junger Südländer tat desgleichen. Alle übrigen Ringkämpfer setzten sich in Reih und Glied auf den Boden und schauten zu.
Unterdessen begrüßten sich die beiden ersten Gegner gegenseitig durch eine leichte Verbeugung und gaben sich die Hand. Man hält in Island viel auf diese Höflichkeitsformen vor und nach dem Kampf, denn zwischen den Kämpfern soll immer trotz allen Kampfeseifers ein ritterlich-freundschaftliches Verhältnis herrschen.
Nun nahm die Glima ihren Anfang. Die beiden Gegner faßten einander an, zuerst ganz ruhig und gemessen. Dann aber auf einmal begannen die eigentlichen Kunstgriffe.
Die beiden jungen Männer drehten und wendeten sich mit erstaunlicher Behendigkeit; sie hoben einander in die Höhe, warfen einander auf den glatten Bretterboden nieder; aber eine gute Weile gelang es jeweils dem Geworfenen, das Ausfallen zu vermeiden. Blitzschnell und geschmeidig sprang er immer wieder auf.
Doch lange dauerte der interessante Kampf nicht; denn unerwarteterweise wurde der eine Kämpfer doch so zu Fall gebracht, daß er vom Richter als besiegt erklärt werden mußte.
Die beiden Gegner gaben sich wieder die Hand, verbeugten sich leicht voreinander und gingen rasch nach ihrem Platz zurück.
Der Aufrufer ergriff sein Sprachrohr und rief hintereinander nach allen vier Himmelsrichtungen: » Sunnlendingurinn vann« (»Der Südländer hat gewonnen«).
Ich als Nordländer fühlte mich durch diesen Ausgang des Kampfes beunruhigt, denn aus lokalpatriotischen Gründen mußte ich ja mit den Nordländern gegen die Südländer halten.
Wenn die jungen Leute von Akureyri und dem Eyjafjördur an die Reihe kommen, dachte ich aber, werden meine nordländischen Landsleute schon besser abschneiden.
Die zwei folgenden Kämpfer wurden aufgerufen. Ihr Kampf verlief ähnlich wie der erste. Und wieder verkündete das große Sprachrohr: » Sunnlendingurinn vann!«
Und so wurde das eine Paar nach dem andern aufgerufen. Die Kämpfe wurden immer eifriger, immer härter und härter, denn nun strengten sich die Nordländer gewaltig an.
Ach, es half wenig! Fast nach jedem Kampf erklang der Ruf: » Sunnlendingurinn vann« Oder zur Abwechslung: » Norðlendingurinn féll!« (»Der Nordländer fiel!«), was ja auf dasselbe hinauskam. Nur wenige Male hieß es: » Norðlendingurinn vann!« Ich kam nach und nach in eine traurige Stimmung. Denn offensichtlich waren die Südländer meinen nordländischen Landsleuten überlegen.
Zuallerletzt kamen die beiden Führer an die Reihe, zwei Ringkämpfer, die sich durch ungewöhnliche Kraft und Geschmeidigkeit auszeichneten.
Diese letzte Glíma war die interessanteste. Hier sah es aus, als ginge es auf Leben und Tod. Ja, lange tobte der Kampf. Keiner der beiden Gegner konnte zu Fall gebracht werden. Doch schließlich unterlag der bis dahin tüchtige und tapfere Nordländer, und das Sprachrohr verkündete: Der König der nordländischen Ringkämpfer ist gefallen!
Also fast auf der ganzen Linie eine Niederlage Nordislands!
Neben mir saß ein südisländischer Junge von etwa dreizehn Jahren. Ich wandte mich zu ihm hin, als der Kampf vorüber war, und beglückwünschte ihn zum Sieg seiner engeren Landsleute. Ich fügte hinzu, daß ich ein Nordisländer sei und daß ich mich wundere über die große Überlegenheit der südländischen Ringkämpfer. Die Antwort des Knaben überraschte mich durch ihre Sachlichkeit. Statt seine Freude über die größere Tüchtigkeit seiner Landsleute auszudrücken, erwiderte er: »Wir Südländer haben gewonnen, aber ihr Nordländer seid stärker als wir; nur haben wir uns viel mehr geübt, und gerade darauf kommt es bei der Glíma an.«
»Ich vermute, daß du mir das alles mehr aus Höflichkeit gesagt hast als aus Überzeugung.«
»Nein, nein!« wiederholte er. »Die Nordländer sind uns wirklich an Kraft überlegen.«
Unterdessen hatten die vierzig Ringkämpfer sich in der Nähe des Königs aufgestellt. Der Vormann des Sportvereins verlas nun mit lauter Stimme das Endergebnis des Kampfes. Als er damit fertig war, hielt der König eine kurze, schöne Ansprache, in der er den hohen Stand der sportlichen Leistungen der isländischen Jugend rühmte. Dann ging er zu den Reihen der jungen Ringkämpfer hin und gab jedem die Hand. Hierauf überreichte er feierlich dem Meisterkämpfer den wohlverdienten Preis.
Damit war diese Festnummer zu Ende. Es war zwischen 11 und 12 Uhr nachts, aber wie immer die stille, helle, nordische Sommernacht, welche die Menschen eher zum Wachen als zum Schlafen einzuladen scheint.
Ich hatte vor, sobald als möglich mich zur Ruhe zu begeben. Aber vorher schaute ich noch in meinem Handbüchlein nach, was die folgenden zwei Tage an Festlichkeiten bringen würden.