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11. Die Herrlichkeiten Edinburgs. – Lauriston-Street. Die Blumenuhr.

»Edinburg!« sagte unser neuer Freund, indem er aufstand und uns zum Abschied die Hand drückte.

Ein paar Minuten später hielt der Zug in dem stattlichen Edinburger Hauptbahnhof.

Wir stiegen aus und holten zunächst unsere Koffer am Gepäckwagen.

Unzählige Autos standen in nächster Nähe des Bahnsteiges bereit. Wir gaben einem der Chauffeure einen Wink. Augenblicklich sprang er zu uns heran und brachte die Koffer in seinem Wagen unter.

»Wohin?« fragte er, sobald wir im Wagen Platz genommen hatten.

»Lauriston-Street«, erwiderte ich.

Im Nu verließ unser Wagen den Bahnhof und rollte in schneller Fahrt durch die weltberühmte Princes-Street unserem Ziele zu.

Viktor machte große Augen, als er diese prachtvolle Straße sah, die von den Edinburgern – und übrigens auch von vielen andern – als die schönste Straße der Welt angesehen wird.

Sie ist aber auch wirklich wunderbar schön. An der einen Seite erhebt sich eine ununterbrochene Reihe von prächtigen Monumentalbauten, an der andern dagegen ist merkwürdigerweise kein Haus zu sehen, sondern statt dessen eine Folge von immer tiefer und tiefer abfallenden Riesenterrassen mit den reichsten und schönsten Blumenanlagen.

Eine Straße dieser Art habe ich bis jetzt noch nirgendwo in der Welt gesehen.

Während wir so durch die Princes-Street fuhren, wurde es mir plötzlich klar, daß die Fahrt ein Umweg sei. Ich kannte Edinburg genügend, um zu wissen, daß Lauriston-Street nicht vor uns, sondern hinter uns lag. Ich gab deshalb dem Chauffeur ein Zeichen und erinnerte ihn daran, daß wir nach der Lauriston-Street wollten.

» All right, Sir!« rief er mir zu. »Der Umweg ist nicht groß. Die Princes-Street ist aber die schönste Straße von Edinburg. Die müssen Sie sehen.«

Ich ließ ihn gewähren und nahm ihm den Umweg nicht übel, da er es ja so gut mit uns meinte.

Warum aber fuhr ich gerade nach der Lauriston-Street? Der Grund war dieser:

Wie ich in meinem vor vielen Jahren geschriebenen Buch »Zwischen Eis und Feuer – Ein Ritt durch Island« erzähle, kam ich auf meiner ersten Islandreise im Jahre 1894 von Dänemark aus auch nach Edinburg. Damals wohnte ich zwei Tage lang bei sehr liebenswürdigen englischen Freunden in Lauriston-Street.

Beim Abschied luden sie mich freundlichst ein, wieder zu kommen, und wenn ich wirklich noch einmal Edinburg besuchen würde, bei ihnen zu wohnen. Ich versprach es feierlich.

Es waren nun allerdings sechsunddreißig Jahre seit meinem damaligen Besuch verflossen. Trotz der langen Zwischenzeit aber meinte ich mein gegebenes Wort halten zu sollen.

Als wir unser vorgesehenes Absteigequartier in der Lauriston-Street erreichten, mußte ich eine unangenehme Überraschung erleben.

Wir sprangen aus dem Wagen und bezahlten dem Chauffeur, was wir schuldeten. Dann wollte ich nach der Tür des mir wohlbekannten Hauses gehen – blieb aber erstaunt stehen, denn es war unmöglich, sie wieder zu finden. Das frühere Haus war nicht mehr da, und seine Stelle nahm ein neues, schöneres und größeres ein.

Trotzdem klingelte ich an der Tür. Ein paar Minuten nachher öffnete ein junger Diener.

Ich grüßte und fragte, ob eine Karte angekommen sei, die ich von London aus abgesandt hatte, um meine Ankunft für heute anzumelden.

» Yes, Sir«, antwortete der junge Engländer. »Die Karte ist angekommen. Aber die Herrschaft hat nicht herausfinden können, wer Sie sind.«

»Verzeihen Sie, wer wohnt denn hier im Hause?«

Der junge Mann sagte mir mehrere Namen, die mir alle fremd waren.

Ich nannte nun die Namen meiner früheren Gastgeber: White, Bader, Stephenson und mehrere andere, und fragte den Diener, ob nicht einige von ihnen noch hier wohnten.

Er schaute mich verwundert an und sagte: »Diese Namen habe ich noch nie gehört.«

Ich erklärte ihm nun kurz, daß ich vor sechsunddreißig Jahren hier bei Freunden gewohnt hatte, die aber offenbar alle anderswohin verzogen, wenn nicht gestorben seien.

Darauf sagte der Diener: »Treten Sie, bitte, ein; ich werde Sie zum Hausherrn führen. Er wird Ihnen die nötigen Aufschlüsse geben.«

Er führte uns in ein Sprechzimmer und holte den Hausherrn. Dieser kam bald und empfing uns mit großer Höflichkeit.

Ich setzte ihm die Lage auseinander, und nun klärte sich alles auf.

Das Haus, wo ich früher aufgenommen worden war, war schon seit vielen Jahren niedergerissen und durch ein neues ersetzt. Und meine früheren Gastgeber waren gestorben!

Ich fing nun an, mich zu entschuldigen, daß ich mich und meinen Begleiter bei ganz unbekannten Menschen angemeldet hatte, und fügte bei, daß wir selbstverständlich uns für die Nacht Unterkunft in einem Hotel verschaffen wollten.

»Damit bin ich aber nicht einverstanden«, sagte der Herr. »Die Vorsehung hat Sie nun einmal in mein Haus geführt. Machen Sie mir doch die Freude, Sie diese Nacht beherbergen zu dürfen.«

Jeder Widerstand von meiner Seite war ohne Erfolg. Und so nahm ich denn die gastfreundliche Einladung des Herrn an.

Es möge genügen, kurz zu bemerken, daß wir hier im Schoße einer sehr vornehmen und liebenswürdigen englischen Familie die denkbar angenehmste Aufnahme und Behandlung fanden.

Ebenso wie in London erbot sich auch hier ein junger Herr, Guill mit Namen, um Viktor noch am selben Abend in Edinburg herumzuführen.

So gründlich wurde diese Besichtigung der Stadt vorgenommen, daß mein Reisebegleiter erst gegen 10 Uhr abends wieder zurückkam.

 

Am folgenden Tag machten wir beide zusammen während der Vormittagsstunden noch einen langen Spaziergang durch die interessante Stadt.

Als wir durch die Princes-Street gingen, blieb Viktor plötzlich stehen, wandte sich mit einem geheimnisvollen Ausdruck im Gesicht zu mir und sagte: »Hier in der Nähe ist etwas, was mir gestern gezeigt wurde, und was auch Sie sicher interessieren wird.«

»Und was ist es?«

»Eine große Uhr aus lauter Blumen.«

»Aus Blumen! Eine Uhr aus Blumen?«

»Ja, und sie liegt mitten in einer großen Blumenanlage, da unten auf einer der tieferen Terrassen. Und das Merkwürdige dabei ist, daß sie geht.«

Ich erinnerte mich, daß ich schon einmal irgendwo von dieser Merkwürdigkeit hatte sprechen hören. Aber gesehen hatte ich eine solche Uhr noch nie.

Ich gab also Viktors Einladung mit Freuden nach, und so stiegen wir denn beide zusammen in die herrlichen Terrassen-Anlagen der Princes-Street hinunter.

Viktor fand sofort die Stelle, und so standen wir vor der kunstvollen Blumenuhr.

Mitten in einer prachtvollen Anlage, wo unzählige Blumen von den seltensten Farben prangten, war ein mächtiges rundes Blumenbeet zu schauen. Die Zusammenstellung der Blumen war außerordentlich geschickt ausgeführt. Mitten in diesem Blumenbeet aber war die Uhr.

Die ganze Uhrscheibe war aus lauter Blumen gemacht. Sie konnte wohl ungefähr zwei Meter im Durchmesser haben. Die Scheibe war blendend weiß, von Rändern in Rot, Blau und Gold umrahmt.

Auf dem weißen Grunde waren zwei große Zeiger, wie bei einer gewöhnlichen Uhr. Sie waren ebenfalls aus Blumen gemacht, aus niedlichen, kleinen Blumen, deren Farbe sich scharf von dem weißen Untergrund abhob.

Die zwölf Stundenzahlen hatten wieder eine andere Farbe, so daß sie sehr deutlich zu sehen waren. Auch die Minuten, zwischen den Stundenzahlen, waren durch andersgeartete kleine Blümlein bezeichnet.

Und damit des Wundersamen noch nicht genug: Wenn man die Uhr eine Zeit lang fixierte, konnte man sehr deutlich die stete Vorwärtsbewegung des großen Zeigers beobachten!

Viktor schaute mich an und sagte: »Ist das nicht fabelhaft?«

»Gewiß. Und ich bin dir dankbar dafür, daß du mir die Uhr gezeigt hast.«

Nachdem wir eine gute Weile die Blumenuhr uns angeschaut hatten, machten wir einen Rundgang durch die herrlichen Blumenanlagen von Terrasse zu Terrasse, um dann unsern Spaziergang durch die Princes-Street fortzusetzen.

Wir sahen uns » the Castle«, die berühmte befestigte Burg der schottischen Hauptstadt, an, dann bewunderten wir das unvergleichliche Monument Walter Scotts und noch viele andere Sehenswürdigkeiten, und als wir damit fertig waren, kehrten wir zu unsern neuen Freunden in der Lauriston-Street zurück, denn es war Mittag geworden, und im Laufe des Nachmittags sollte unser Islanddampfer, die »Brúarfoß«, Schottland verlassen.

Unsere Gastgeber empfingen uns wieder mit der größten Liebenswürdigkeit und luden uns zum Mittagessen ein.

»Ob wir aber dann zeitig das Schiff erreichen?« fragte ich den Hausherrn.

»Sie brauchen keine Sorge zu haben«, erwiderte er, – »die ›Brúarfoß‹ fährt erst zwischen 4 und 5 Uhr nachmittags ab. Wir können also ganz ruhig zu Mittag speisen. Nach dem Essen lasse ich Sie dann im Auto nach Leith zur Abfahrtstelle der Islanddampfer bringen.«

Leith ist die Hafenstadt von Edinburg.

Mit Dank nahmen wir jetzt die Einladung an, und nach der Mahlzeit konnten wir noch eine gute Stunde mit der Familie im Salon beim Kaffee zusammensitzen.

Auf meine Frage, wie oft es Fahrgelegenheit von Leith nach Island gebe, antwortete uns das Familienhaupt:

»Jede Woche gehen Dampfer von Leith nach Island ab. Ebensooft kommen Schiffe von Island hier an. Und mit jedem Jahre werden die Verbindungen mit der Insel häufiger.«

»Reisen auch Schotten und Engländer öfters dorthin?« fragte ich weiter.

»Gewiß. In den Sommermonaten ist übrigens die Überfahrt von hier nach Island außerordentlich gesund und angenehm. Das Meer ist in dieser Zeit meistens glatt wie ein Spiegel, und die Luft außergewöhnlich rein und erfrischend.«

»Werden denn die Islandreisen zur Erhaltung der Gesundheit gemacht?«

»Ich glaube, daß die meisten Islandreisenden die Tour als Erholungs- und Vergnügungsreise machen. Die übrigen sind in der Mehrzahl Geschäftsreisende.«

Der Herr erzählte weiter, daß sein Sohn schon fünf Reisen nach Island gemacht habe, er selber aber schon neun. Und jedesmal seien beide gesünder und kräftiger nach Hause zurückgekehrt.

»Die Hauptsache übrigens«, fügte er hinzu, »sind die Ritte und Fahrten auf der Insel selbst. Island ist ohne Zweifel eines der schönsten, interessantesten und angenehmsten Touristenländer der Welt. Das Klima ist – im Sommer wenigstens – ausgezeichnet. Nirgendwo in Europa gibt es eine so reine, gesunde und kräftigende Luft wie in Island. Es haben Ärzte und Gelehrte eigene Abhandlungen geschrieben über die isländische Luft. Und was die Naturschönheiten der Insel betrifft, so sind sie von einer geradezu unbeschreiblichen Großartigkeit und Mannigfaltigkeit … Mir wenigstens entleidet es nie, die großzügigen isländischen Landschaften auf den ausgezeichneten einheimischen Pferden zu durchstreifen. Und dann noch eins: die gastfreundliche isländische Bevölkerung! Nirgends in der Welt habe ich eine solche Gastfreundschaft genossen wie in Island.«

»Ich sehe«, bemerkte ich, »daß Sie ein großer Islandfreund sind. Und ich freue mich, daß ein glücklicher Zufall mich gerade zu Ihnen geführt hat.«

»Sie haben recht«, sagte er, »ich bin ein begeisterter Islandfreund. Es gibt aber in England unzählige solche Islandfreunde.«


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