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Gegen die Mittagszeit kehrten wir in das Bischofshaus zurück. Wir hatten vor dem Essen noch Zeit, uns weiter über die Veranstaltungen zur Tausendjahrfeier zu unterhalten. Es gab manches zu berichten. Ich hatte in einer isländischen Zeitung gelesen, daß in der Zeltstadt jeder der eingeladenen Festgäste sein eigenes Zelt haben würde, und daß die Regierung auch entlang der Autostraße zur Thingebene eine Menge Zelte habe errichten lassen als Stationen für Autoreparaturen und für die Krankenhilfe, damit bei Unglücksfällen rasch Hilfe zur Hand wäre. Die Zelte seien so nahe beieinander, daß man von einem zum andern rufen könne. Dazu werde noch ein Arzt fortwährend längs der Landstraße patrouillieren.
»Das ist ja alles fabelhaft!« rief Viktor.
Als ich meinen Bericht fortsetzen wollte, hörten wir plötzlich die Hausklingel ertönen. Obgleich es uns nichts anging, sprang Viktor auf und schaute vorsichtig durch die Vorhänge nach der Haustüre.
»Da stehen vier vornehme Herren und zwei davon in Prachtvollen, goldgalonierten Uniformen.«
Jetzt sprang auch ich auf und erkannte sofort, daß die vier Herren Franzosen waren.
Es dauerte nicht lange, da wurde an meine Türe geklopft. Es war eine Meldung vom Herrn Bischof: Ich möchte gleich zu ihm kommen. Ich machte mich zurecht und ging dann die Treppe hinauf nach dem Empfangszimmer des Bischofs. Als ich eintrat, erhoben sich die vier Herren von den eingenommenen Plätzen. Ich machte meine Verbeugung und wurde dann vom Bischof ihnen einzeln vorgestellt. Es waren der französische Konsul in Reykjavik, der Kommandant der »Suffren« und zwei französische Parlamentsmitglieder, Senator und Député, die als offizielle Vertreter Frankreichs zur Tausendjahrfeier Islands gesandt worden waren. Die beiden Herren hatten die Reise auf der »Suffren« gemacht. Der Konsul hatte sie mit dem Kapitän der »Suffren« zu einem Höflichkeitsbesuch bei dem Bischof eingeladen.
Nach der Vorstellung und einigen stehend gewechselten Worten nahmen wir alle Platz und plauderten eine gute Weile lebhaft und munter zusammen. Im Laufe des Gesprächs brachte der Herr Kommandant der »Suffren« die Rede auf unsern Besuch an Bord seines Schiffes. Es wurde jetzt fest abgemacht, daß wir am späten Abend uns auf dem Kriegsschiffe einfinden sollten. Die späte Stunde machte keine Schwierigkeiten, da es ja fast bis zur Tagesscheide hell ist wie mitten im Tag.
Nach einer guten halben Stunde erhoben sich die Herren, und man verabschiedete sich herzlich voneinander.
Nach diesem Besuch kehrte ich zu Viktor zurück, um unsere abgebrochene Unterhaltung weiterzuführen. Ich berichtete zuerst, wer die Besucher gewesen waren, und teilte ihm auch die Stunde unseres Besuches auf dem französischen Kriegsschiff mit. Dann gingen wir wieder zum Thema über.
»Haben Sie gehört«, fing Viktor an, »daß sehr bald ein englisches Riesenflugzeug erwartet wird?«
»Nein, davon habe ich nichts gehört.«
»Es soll heute nachmittag ankommen und wird im Hafen auf dem Wasser landen. Die englische Regierung habe es hierher geschickt zu Ehren der Tausendjahrfeier. Es ist eine Aufmerksamkeit der englischen Regierung gegen Island. Das Flugzeug wird während der drei Festtage täglich von hier nach Thingvellir fliegen und über dem Festplatz kreisen. Am Abend wird es dann nach Reykjavik zurückkehren und während der Nacht hier im Hafen liegen.«
»Das ist ja ganz interessant.«
»Ich habe auch gehört, es werde während des Tages, zwischen den Flügen, über dem Festplatz auf den großen Thingvallasee niedergehen, der dicht neben dem Festplatz liegt.«
»Das wird prächtig werden. Und ich muß sagen, Viktor, es ist wirklich nett von den Engländern, so viel zu Ehren Islands zu tun.«
Mit einem eigentümlichen Lächeln erwiderte Viktor: »Sicher ist es nett von den Engländern; aber wer weiß, vielleicht wird Deutschland ebensoviel, ja möglicherweise noch mehr tun …«
Ich sah den Jungen an und merkte gleich an seinem Gesichtsausdruck, daß er noch etwas wissen mußte, was mir unbekannt war.
Nach einer kleinen Pause sagte ich zu ihm: »Aber, mein Lieber, wie können die Deutschen mehr tun als die Engländer? So ein ungeheuer großes Kriegsschiff wie die ›Rodney‹ haben sie ja nicht. Vor dem Weltkriege, ja, da hätten sie mehr tun können. Aber jetzt würde es ihnen doch wohl schwer fallen.«
»Vor dem Kriege«, rief Viktor eifrig aus, »da wäre ganz sicher der Kaiser Wilhelm auf seiner prachtvollen Kaiserjacht ›Hohenzollern‹ mit einem ganzen Geschwader nach Reykjavik gekommen … Aber auch jetzt, nach dem Krieg, ist es nicht unmöglich, daß die Deutschen die Engländer trotz allem doch überflügeln werden.«
»Was meinst du eigentlich, Viktor? Du mußt etwas gehört haben. Also heraus damit! Was haben die Deutschen vor?«
Triumphierend erwiderte der Junge: »Nun, ich will es Ihnen sagen. Ich habe tatsächlich etwas sehr Interessantes gehört. Es ist wahr, die Deutschen haben keine so großen Kriegsschiffe mehr wie die ›Rodney‹, auch keine Riesenflug, zeuge. Aber sie haben etwas, was noch größer und bedeutender ist … und das ist der ›Zeppelin‹.«
Jetzt wurde mir der berechtigte patriotische Stolz meines jungen deutschen Gefährten klar …
»Wie?« rief ich aus. »Hast du wirklich gehört, daß der ›Zeppelin‹ nach Island kommen soll?«
»Ja, ich habe davon gehört. Es sei abgemacht, daß der ›Zeppelin‹ komme.«
»Der ›Zeppelin‹ nach Island! Das ist großartig, Viktor. Und wenn es wahr ist, dann hast du auch recht: dann haben die Deutschen noch mehr getan als die Engländer. – Die hohen Kosten oder das schlechte Wetter könnten allerdings die Fahrt verzögern. Aber wir wollen das Beste hoffen. Kommt der ›Zeppelin‹ nicht während des Festes, so wohl sicher nachher.«
Es traf sich, daß mit diesem Ausblick unsere Unterhaltung ihren Abschluß fand, denn das Zeichen zum Mittagessen ertönte.