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13. Unsere Mitreisenden. – Viktor und die munteren dänisch-isländischen Kinder an Bord.

Hier oben wimmelte es von Menschen: Herren, Damen und Kindern. Es waren aber nicht nur die Passagiere, unsere Mitreisenden auf der Fahrt nach Island, sondern auch eine Menge Freunde und Verwandte, welche von den Islandfahrern Abschied nehmen wollten. Denn noch lag ja das Schiff im Hafen.

Das Gedränge machte es uns schwer, herumzugehen.

Die Matrosen liefen hin und her. Sie waren eifrig mit den letzten Vorbereitungen zur Abfahrt beschäftigt.

Man hörte sie kurze, abgebrochene Sätze einander zurufen.

»Was ist das für eine Sprache, die sie sprechen?« fragte mich Viktor.

Ich horchte … Zu meiner Freude hörte ich, daß sie alle isländisch redeten, meine liebe Muttersprache, die schöne, ehrwürdige, altnordische Sprache! Die Sprache der Edda, der Sagas und der Skalden.

Ich sagte es Viktor. Das interessierte ihn, und er horchte nun auch mit größter Aufmerksamkeit hin, um einige dieser seltsamen Laute sich zu merken.

Wir näherten uns einigen der Seeleute, die mit dicken Schiffstauen zu tun hatten, um einige ihrer Worte aufzufangen.

Wir brauchten nicht lange zu warten, da rief einer einem andern zu: » Komdu hingað, Árni!«

Der andere rief zurück: » Jeg gét ekki. Jeg hef annað að gera!«

»Was haben sie da gesagt?« fragte mich Viktor.

» Komdu hingað, Árni!«, antwortete ich, »bedeutet: ›Komm hierher, Árni!‹«

»Und was hat der Árni geantwortet?«

»Er sagte: › Jeg gét ekki‹, das heißt: ›Ich kann nicht!‹ › Jeg hef annað að gera!‹ (›Ich habe anderes zu tun.‹)«.

Viktor wiederholte die fremden Worte so lange, bis er sie gut auswendig konnte.

Und nicht genug damit, fing er mit Hilfe dieses etwas beschränkten Wortschatzes sogleich an, mit mir isländisch zu sprechen.

Wenn er mir etwas zu sagen hatte, rief er mir zuerst zu: » Komdu hingað, Síra Jón! – »Síra« ist der Titel, den man in der altnordischen Sprache den Priestern gibt.

Und wenn ich ihn zu mir rief, erwiderte er lachend: » Jeg gét ekki. Jeg hef annað að gera!«

Aber nicht nur fing er sofort an, sich mit mir in der isländischen Sprache zu üben, sondern auch mit den Kindern, die wir bei unserer Ankunft auf dem Schiffe vorfanden.

Es war nämlich eine Schar Kinder an Bord, sowohl isländische als auch dänische. Lauter muntere Knaben und Mädchen. Sie kamen teils von Dänemark, teils von England und wollten alle nach Island reisen.

Als Viktor mir zum ersten Mal einen isländischen Satz zurief, lief aus der Kinderschar ein kleiner isländischer Junge zu ihm hin und fragte ihn: » Ertu Íslendingur?« (»Bist du ein Isländer?«)

Da stockte nun das Gespräch. Doch von da an wurde Viktor in die Kindergesellschaft aufgenommen, und zu meinem Erstaunen machte er rasch, ja sogar in den ersten Stunden, solche Sprachfortschritte, daß er sich mit den Kindern ohne zu große Schwierigkeit verständigen konnte – und zwar nicht nur in der isländischen, sondern auch in der dänischen Sprache, die doch von der isländischen sehr verschieden ist.

Diese spielende, ungewöhnliche Leichtigkeit, fremde Sprachen zu erlernen, kam mir fast wie ein Wunder vor.

Es waren noch nicht alle Passagiere angelangt. Man wartete daher auf sie, und die Abfahrt des Schiffes wurde etwas verzögert.

Während dieser Wartezeit hatte Viktor sich vollständig auf dem Dampfer eingelebt und verkehrte heiter und ungezwungen ausschließlich mit den Kindern.

Ich ließ ihn ungestört mit ihnen plaudern und spielen und ging meine eigenen Wege mitten unter den vielen Menschen, die sich auf dem Deck bewegten.

Es wurden drei Sprachen um mich herum gesprochen: Isländisch, Dänisch und Englisch.

Die meisten Passagiere waren Isländer. Doch waren auch Dänen, Engländer und Amerikaner da.

Die Amerikaner waren aber fast alle isländischer Herkunft und konnten neben ihrer englischen Muttersprache auch gut isländisch sprechen.

Ich wurde gleich mit mehreren dieser Herren bekannt und hatte große Freude daran, mit ihnen zu plaudern.

Sie waren ausnahmslos außerordentlich liebenswürdig und heitern Sinnes.

So lernte ich einen netten jungen amerikanischen Arzt kennen. Wir stellten uns gegenseitig einander vor und sprachen eine Weile zusammen, und zwar in isländischer Sprache.

Er gab mir seine Karte. Darauf stand: Dr. med. Lárus Sigurdsson, Winnipeg. Manitoba. Kanada.

»Sie sind wohl in Island geboren?« fragte ich ihn, als ich ihn so korrekt isländisch sprechen hörte.

»Nein«, sagte er. »Ich bin in Amerika geboren und habe Island noch nie gesehen. Dies ist meine erste Reise dahin.«

»Dann haben sie immer in Kanada gelebt?« fragte ich ihn.

»Nein. Ich habe meine medizinischen Studien an der Universität von San Francisco in Kalifornien gemacht. Von Kalifornien bin ich dann nach Winnipeg in Kanada gezogen, und habe dort meine Praxis.«

»Sie freuen sich wohl sehr und sind nicht wenig gespannt darauf, die alte Saga-Insel, das Vaterland Ihrer Eltern, zum ersten Male zu sehen?«

»O ja! Ich freue mich riesig und bin gewaltig darauf gespannt«, antwortete mir der junge Amerikaner.

»Island soll in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren enorme Fortschritte gemacht haben, in jeder Beziehung. Es soll ja jetzt schon vollständig in den Strudel der modernen Zivilisation hineingeraten sein.«

»Gewiß. Es wird behauptet, daß das isländische Volk weit größere und durchgreifendere Fortschritte in den letzten dreißig Jahren gemacht habe als vorher in Jahrhunderten.«

»Ja, ja. Das ist eine Tatsache. Die Umwandlung ist geradezu ungeheuer. Ich war das letzte Mal in Island vor sechsunddreißig Jahren. Meine Freunde sagen mir, daß ich jetzt weder Land noch Leute wieder erkennen werde.«

Wir sprachen noch eine Weile miteinander, aber die Bewegung und das Durcheinander auf dem mit Menschen überfüllten Deck waren so groß, daß wir bald auseinandergedrängt wurden.

Man konnte überhaupt nur ganz kurze Gespräche führen wegen der Unruhe überall ringsum.

Auf einmal ertönt ein lautes Tuten vom Kamin des Schiffes her. Es wird stärker und stärker und verwandelt sich schließlich in ein alles übertönendes Heulen: es ist das vorletzte Zeichen zur Abfahrt.

Ein Auto rollt heran. Ein Herr und eine Dame sitzen darin, auf die man anscheinend bis dahin noch gewartet hat.

Die Unruhe auf dem Deck nimmt zu. Die Gespräche werden eifriger. Man nimmt Abschied voneinander. Viele drängen sich nach den Landungsbrücken und verlassen das Schiff, um sich dann in Gruppen an dem Kai aufzustellen.

Auf dem Verdeck bleiben verhältnismäßig wenige Leute zurück, etwa 50 bis 60 Herren, dazu Damen und Kinder: das sind die Passagiere, die nach Island fahren.

Matrosen und Hafenangestellte lösen die letzten dicken Taue und Ketten, mit denen der Dampfer festgebunden war. Schwarzer Rauch und Dampfwolken entströmen immer dichter den Schornsteinen.

Der Kapitän mit einem Steuermann stehen schon oben auf der Kommandobrücke, um die Abfahrt zu leiten.

Viktor und die lebhaften dänisch-isländischen Kinder haben jetzt mehr Platz. Sie laufen und tollen lachend auf dem Deck umher.

Mit großem Interesse schaue ich mir die Vorbereitungen zur Abfahrt an.

Plötzlich aber kommt Viktor an der Spitze der Kinderschar herangestürmt, und ich befinde mich auf einmal mitten unter ihnen.

» Hjerna! hjerna!« (»Hier! hier!«), ruft Viktor den Kindern zu.

»Die Kinder wollen Sie sprechen«, meldet er mir, »sie kennen schon Ihren Namen.«

Die Kinder grüßen mich und geben mir die Hand.

»Geht ihr alle nach Island?« frage ich sie auf dänisch.

»Ja, ja, alle.«

»Und ihr seid nicht bange vor einer so langen Reise?«

siehe Bildunterschrift

Photo Scherl. Reykjavik. Im Hintergrund Landakot mit der katholischen Kirche

siehe Bildunterschrift

Photo Scherl. Ankunft des Königs und der Königin von Dänemark und Island in Reykjavik. Rechts der isländische Ministerpräsident Thorhallsson

siehe Bildunterschrift

Gunnar Einarsson

siehe Bildunterschrift

Gisli (Konradsson) ein kleiner Verwandter von Nonni

»Bange!!!« rufen die Kinder und lachen alle laut auf. »Wovor sollten wir bange sein?«

»Ja, die Stürme und die hohen Wellen! Davor ist euch nicht bange?«

»O nein! Das ist ja gerade der größte Spaß!«

»Aber die Seekrankheit?«

»O, die fürchten wir nicht. Die geht bald vorüber.«

»Es freut mich, Kinder, daß ihr so tapfer seid.«

Ein geweckter kleiner isländischer Junge, 8 bis 9 Jahre alt, kommt näher zu mir heran und sagt:

»Ist es wahr, daß du der ›Nonni‹ bist?«

»Es gibt so viele Nonnis. Welchen Nonni meinst du?«

»Ich meine den Nonni, der die Nonnibücher geschrieben hat.«

»Ah, wenn du den meinst, dann muß ich es bekennen: der Nonni bin ich.«

Jetzt kommen sie alle näher und drängen sich ganz dicht an mich heran.

»Ist es wirklich wahr, daß du der Nonni bist?« fragen jetzt auf einmal mehrere der andern Kinder.

»Ja, ja, ganz sicher.«

Alle schauen mich jetzt eine Weile stillschweigend an.

Ein kleines Mädchen bricht aber bald das Stillschweigen und fragt:

»Was ist aus dem Manni geworden?«

»Ach, der Manni ist schon lange gestorben.«

»Das steht ja gedruckt in dem Buch ›Nonni und Manni‹« ruft tadelnd ein geweckter kleiner Junge dem Mädchen zu.

»Ach ja, jetzt erinnere ich mich«, sagt dieses.

»Und die Bogga?« fragt eines der kleinen Mädchen.

»Auch gestorben.«

»Wie schade!« sagen mehrere der Kinder.

»Dann sind Sie ja ganz allein zurückgeblieben und haben keine Geschwister mehr?« fragt ein kleiner Junge.

»Ich habe noch einen Bruder.«

»Wie heißt er?«

»Fridrik.«

»Wo wohnt er?«

»In Amerika.«

Da sie mit den Fragen fertig zu sein schienen, fragte ich meinerseits die Nächststehenden:

»Aber wie habt ihr meinen Namen kennengelernt?«

»Den haben wir aus den Nonnibüchern gelernt.«

»Habt ihr denn die Nonnibücher gelesen?«

»Ja!« kam es von allen zusammen im Chore.

»Welche Nonnibücher habt ihr gelesen?«

»Wir haben sie alle gelesen.«

»Das ist doch nicht möglich.«

»Doch! Alle!« versichern sie energisch.

Um zu sehen, ob es auch wahr sei, fragte ich eines der größeren Mädchen:

»Welche Nonnibücher hast du gelesen?«

»Den ›Nonni‹, ›Die Stadt am Meer‹, ›Die Sonnentage‹, ›Die Abenteuer auf den Inseln‹, ›Auf Skipalön‹, ›Nonni und Manni‹, ›Aus Island‹ und dann ›Ein Ritt durch Island‹. – Dies letzte Buch habe ich auf dänisch gelesen – die andern aber auf isländisch.«

»Ist es möglich? Das alles habt ihr gelesen! Dann kennt ihr also den Owe?«

»O ja! Das war ja der Schiffsjunge auf dem ›Baldemar von Rönne‹.«

»Und wer kennt den Karl?«

»Ich … ich … ich«, kam es von allen Seiten zurück.

»Wer war denn der Karl?«

»Das war der böse Junge in Kopenhagen, mit dem Sie in der Marmorkirche gekämpft haben.«

»Ganz richtig. – Und den Emil, kennt ihr auch den?«

»Den kennen wir auch. Das war der kleine Dieb.«

»Und den Harald? Wer kennt den?«

»Der Harald! Das war der gute Junge im Neuhafen. Er hat Ihnen einen Napoleonskuchen gegeben.«

»Ich bin erstaunt, Kinder, daß ihr alles das so genau behalten habt.«

Hier wurden wir aber plötzlich unterbrochen durch ein neues Heulen der Dampfpfeife. Die Mädchen hielten sich die Ohren zu.

Als das Getöne vorüber war, bat ich die Kinder, mit ihrem Spiel fortzufahren, und so trennten wir uns denn vorläufig.

Als sie fortliefen, riefen sie mir zu: »Auf Wiedersehen, Nonni! Jetzt fahren wir aufs Meer hinaus …«


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