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Wie der Kapitän mir gesagt hatte, fuhren wir diesen ganzen Tag und die folgende Nacht ständig auf spiegelglattem Meere durch dichten Nebel hindurch unter der Begleitung der unermüdlich heulenden Schiffssirene. Da während dieser Zeit in der Natur die Reisenden nichts anzog, indem der Nebel schon auf kurze Entfernung undurchdringlich war, blieben die meisten in den Schiffssalons gemütlich beieinander.
Dort wußte man sich trotz allem Nebel zu helfen: es wurde musiziert und sehr schöne, ja, ohne Übertreibung, erstklassige Konzerte gegeben.
Die Auftretenden waren die beiden berühmten Konzert- und Opernsänger Skagfield und Eggert Steffánsson.
Da saß man nun stundenlang in dem größten Saal des Schiffes und erfreute sich an den auserlesenen Gesängen der beiden Künstler. Der eine suchte den andern – in edlem Wettstreit – zu überbieten. Den Vorteil dieses Wettstreits aber hatten die Zuhörer.
Und so vorzüglich und glänzend waren zum Teil die künstlerischen Leistungen, die wir zu hören bekamen, daß manche Tonhalle und mancher der bedeutenden Konzertsäle unserer Großstädte auf den kleinen isländischen Dampfer »Brúarfoß« mit Recht hätten neidisch werden können.
Unter den Reisenden befanden sich auch mehrere junge isländische Universitätsstudenten und Künstler, die an ausländischen Universitäten und Akademien sich ausbildeten.
Am zweiten der beiden nebligen Tage, während wir in einem der Gesellschaftssalons zusammensaßen, bereitete uns einer dieser jungen Isländer eine willkommene Überraschung. Er hieß Eggert Gudmundsson und war Kunstmaler. Er hatte schon ein paar Jahre an der Münchener Akademie studiert und von den dortigen Professoren glänzende Zeugnisse bekommen. Da er jetzt auf der Reise nach Island alle seine Werke mit sich führte, um sie in Reykjavik auszustellen, wurde er von einem der Passagiere gebeten, seine Malereien und Zeichnungen auch uns zu zeigen.
Während wir also im Salon beisammen waren, kam Herr Eggert Gudmundsson mit einer großen, dicken Mappe herein. Er breitete alle seine Kunstwerke auf den Tischen aus, und sie wurden mit dem größten Interesse angeschaut und bewundert.
Natürlich wurde der junge Mann von allen Seiten beglückwünscht. Er verdiente es auch, denn was er geleistet hatte, war nach dem allgemeinen Urteil sehr bedeutend.
Als die kleine Ausstellung vorüber war, näherte ich mich dem Künstler und hielt dann auf dem Deck ein Plauderstündchen mit ihm.
Da erfuhr ich nun über seine Verhältnisse Einzelheiten, die einen tiefen Eindruck auf mich machten.
Dieser künstlerisch hochbegabte junge Mann war von Island vollständig mittellos nach München gereist. In München angekommen, ließ er sich sofort in die Kunstakademie aufnehmen.
Was er aber in München an Armut, Elend und Entbehrungen ausstehen mußte, ist nicht zu beschreiben.
Die ganz kleinen Unterstützungen an Geld, die er ab und zu von seinen armen Eltern zugesandt erhielt, reichten kaum hin, daß er sich anständig kleiden und die Miete für ein sehr dürftiges Zimmer bezahlen konnte. Für Nahrung blieb fast nichts übrig, so daß er oft viele Tage hintereinander im eigentlichsten Sinne des Wortes fasten mußte. Morgens und abends war gewöhnlich pures Wasser das einzige, was er zu sich nehmen konnte. Ein Stück Brot war eine Seltenheit. An Heizung im Winter war nicht zu denken.
Daß er bei solchen Entbehrungen und solcher Not hatte leben können, war mir ein Rätsel.
Ich kann hier noch vorweggreifend bemerken, daß ich ihn nach meiner Islandreise in München besuchte und alle diese Einzelheiten bestätigt fand.
Trotz eifrigen Bemühens ist es mir leider nicht gelungen, ihm hinreichende Unterstützungen zu beschaffen. Und doch hatte er, wie schon gesagt, von den Professoren in München die glänzendsten Zeugnisse und die dringendsten Empfehlungen erhalten.
Als ich in Island von Eggert Gudmundsson sprach, wurde mir gesagt, daß die isländische Regierung jedes Jahr verhältnismäßig große Summen als Unterstützung für mittellose junge Isländer ausgebe, die an fremden Universitäten und andern Bildungsanstalten den Studien obliegen. Indes seien aber diese Studenten so zahlreich, daß die Geldmittel bei weitem nicht ausreichten, um allen zu helfen.
Die Leiden aber und die harte Not des mutigen und ideal veranlagten jungen Gudmundsson stimmten mich sehr traurig und gingen mir lange nach.