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In der Nachmittagsversammlung sollten die Vertreter der fremden Parlamente ihre Ansprachen halten.
Schon vor ½3 Uhr fingen die Leute an, wieder zum Lögberg hinauszuziehen. Zunächst nur einzelne und kleinere Gruppen, bald aber war ein ungeheures Gewimmel in dem Raume zwischen der Zeltstadt und dem Lögberg.
Währenddem fuhr eine Reihe prächtiger Autos auf dem Platze bei dem großen Zelte vor. In das erste derselben stieg das Königspaar mit dem Kronprinzen von Schweden. Der Wagen rollte ab, und gleich darauf stiegen eine größere Anzahl Herren und Damen in die übrigen Autos, die nun dem königlichen Wagen folgten. Die Herren waren Mitglieder verschiedener ausländischer Regierungen.
Als das letzte Auto verschwunden war, brachen alle übrigen Gäste des Landes auch auf und begaben sich in einem langen zwanglosen Zuge zur Versammlungsstätte am Gesetzesfelsen.
Auch von Reykjavik rollten fortwährend unzählige Autos nach der Thingebene, alle vollbesetzt mit Menschen. Aber nicht genug damit, es flogen von Reykjavik auch unablässig Flugzeuge zum Flugplatz, ebenso dicht besetzt. So war wieder eine unzählbare Menschenmenge am Lögberg in der Almannaschlucht versammelt.
Kurz vor dem Zeitpunkt des Beginns des Festaktes entstand plötzlich eine große Bewegung. Hoch oben in der Luft hatten sich mehrere Flugzeuge vereinigt, darunter auch das englische Riesenflugzeug, das jetzt aussah wie ein großer Adler unter Tauben.
Auf einmal gab es einen furchtbaren Knall in der Luft, es folgte ein zweiter, ein dritter und ein vierter.
Aller Augen richteten sich nach der Höhe, und man sah, daß Bomben von den Fliegern auf die Versammlung herabgeworfen wurden!
Angst und Bangen überkam viele aus der Menge. Sollte das ein kriegerischer Angriff sein?
Aber die meisten wußten, daß es sich nur um eine harmlose Überraschung handelte.
Die Bomben platzten in der Luft, und ihr Inhalt löste sich in viele Teile auf, die auseinanderstoben. Jeder Teil entrollte sich und verwandelte sich in eine kleine Flagge. Es regnete nun Flaggen all der Völker, die eben an der Tausendjahrfeier teilnahmen, über die Versammlung: isländische, deutsche, englische, französische, dänische, schwedische, norwegische, finnländische, tschechoslowakische, färöerische, amerikanische und noch eine Menge anderer. Wirklich eine wundersame Überraschung! Die versammelte Menge dankte für diese neuartige Aufmerksamkeit durch tosendes, langanhaltendes Händeklatschen.
Als die Ruhe einigermaßen wieder eingetreten war, konnte der Festakt beginnen.
Es war mir gelungen, einen ausgezeichneten Platz in der nächsten Nähe der Rednerbühne zu bekommen.
Es schlug 3 Uhr. Eine große Stille trat ein.
Der isländische Ministerpräsident erhob sich von seinem Sitz und schritt nach der Rednerbühne. Er erklärte, daß in dieser Versammlung die Vertreter der fremden Völker, die die Einladung Islands zur Teilnahme an dem Tausendjahrfest des Althings angenommen hätten, jetzt von der Rednerbühne herab in alphabetischer Reihenfolge der Länder die Grüße und Glückwünsche ihrer Regierungen an das isländische Volk überbringen würden.
Der Minister begrüßte dann selber im Namen des Althings und des ganzen isländischen Volkes die vielen teuren Gäste, welche die lange Reise nicht gescheut hätten, sondern in so überaus großer Zahl nach dem einsamen nordischen Eilande gekommen seien.
Die Redner wurden alsdann der Reihe nach von dem Ministerpräsidenten aufgerufen, und zwar, wie angekündigt, nach der alphabetischen Ordnung der Länder. In der Liste waren aber die Namen der Länder in französischer Sprache angegeben, und so kam es, daß Deutschland ( Allemagne) an erster Stelle erschien.
Der Redner Deutschlands war der Reichstagsabgeordnete Karl Hildenbrand, ehemaliger Gesandter.
Rechts und links von der Rednerbühne waren zwei mächtige Fahnenstangen aufgerichtet. Sie waren aber ohne Fahnen. Sobald der Vertreter Deutschlands die Stufen hinaufgestiegen war, flogen an den beiden Fahnenstangen deutsche Flaggen in die Höhe und blieben oben, bis der Redner seine Rede vollendet hatte. Das wiederholte sich in entsprechender Weise bei jedem Redner.
Herr Hildenbrand hielt seine Rede in deutscher Sprache. Er redete ausgezeichnet. Seine tiefe, klangvolle, kräftige Stimme wurde überall klar und deutlich gehört. Wie Hammerschläge klangen seine Worte und wurden durch die Lautsprecher bis zu den entferntesten Zuhörern getragen.
Diese deutsche Ansprache, in der der Abgeordnete Hildenbrand Grüße und Glückwünsche des deutschen Reichstags und des Reichspräsidenten v. Hindenburg an das isländische Althing zum Ausdruck brachte, war ein eindrucksvoller und würdiger Anfang der rasch aufeinander folgenden Reden.
Auf den Vertreter Deutschlands folgten die Vertreter der englischen Regierung und des englischen Unterhauses, dann der Abgesandte der Vereinigten Staaten Nordamerikas, dann der von Kanada, der des dänischen Folketings, dann der Finnlands. Dieser hielt seine Rede teils in finnländischer, teils in isländischer Sprache, was stürmischen Applaus hervorrief.
Es folgte nun der Vertreter Frankreichs. Er zeichnete sich besonders durch glänzende Beredsamkeit aus. Er sprach in seiner Muttersprache. Nachdem er das politische Lob ausgeführt hatte, pries er auch »die großartige Organisation des Tausendjahrfestes«. Er nannte es ein Wunder, daß es dem Organisationstalent der Isländer geglückt sei, unter den denkbar schwierigsten Verhältnissen ein solches Fest mit so vielen Teilnehmern unter freiem Himmel, in einer Wüste, mit solch einer tadellosen Ordnung zu veranstalten. Nach diesen Ausführungen wagte er es, wie er mir gegenüber in Aussicht gestellt hatte, zum Schluß einige Worte in isländischer Sprache anzufügen. Das machte wie beim finnischen Vertreter einen nicht geringen Eindruck.
Da ich die kurze isländische Rede noch auswendig weiß, will ich sie hersetzen. Der Redner rief mit starker Stimme, indem er mit Bedacht eine kleine Pause nach jedem Worte machte: » Frakkland – ann Íslandi – nú – sem – fyr. – Lengi – lifi – Ísland!« (Zu deutsch: »Frankreich liebt Island jetzt wie immer (= früher). Lange lebe Island!«)
Die Reihe wurde fortgesetzt durch die Abgesandten Norwegens, Schwedens, Hollands, der Tschechoslowakei; ferner wurden Grüße überbracht von der altnordischen – jetzt englischen – Insel Man, von den Färöern, von Dakota, Manitoba, Minnesota, Saskatschewan und noch von mehreren andern amerikanischen und kanadischen Staaten, wo zahlreiche isländische » Settlements« (Niederlassungen) sich befinden.
Es war eine Huldigung der Welt an die alte Sagainsel Island, wie eine solche ihr noch nie zuteil geworden war.
Alle diese Reden waren getragen von den freundlichsten Gefühlen für das Land, das Volk und das Althing. Besonders dieses wurde immerfort in den schmeichelhaftesten Ausdrücken als das älteste und eines der besteingerichteten Parlamente der Welt gefeiert. Die Weisheit der isländischen Gesetzgebung in alter und neuer Zeit wurde rühmend hervorgehoben. Es wurde erinnert an die bekannte Behauptung des großen dänischen Literarhistorikers Grundtvig, daß »der isländische Freiheitsstaat das Wunder des Mittelalters« gewesen sei.
Auch die alte Literatur Islands, die Edda, die Sagas und die Skaldengedichte wurden in den höchsten Tönen gepriesen. Immer wieder wurde behauptet, daß diese Literatur zu den bedeutendsten und schönsten der Welt gehöre und den Vergleich aushalten könne mit den Literaturen der höchststehenden Völker aller Zeiten.
Das heutige, das moderne Island wurde nicht minder gepriesen. In staunender Bewunderung, hieß es, schaue die moderne Welt auf die Riesenfortschritte, welche das kleine isländische Volk in den letzten Jahrzehnten gemacht habe.
Als die Rede des letzten fremdländischen Vertreters verklungen war, ertönte von der Höhe einer Felsenwand ein prächtiger Chorgesang. Daraufhin löste sich die Versammlung auf, und alles strömte wieder hinab zur Ebene.