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Der 1. Juli war für mich wieder ein großer Tag. Es war der Tag des Festes, das der König Christian den Honoratioren von Reykjavik auf dem Königsschiff »Niels Juel« gab und zu dem auch ich eingeladen war.
Um 7 Uhr abends kamen vom Kriegsschiff her eine Menge Schaluppen ans Land und legten an der Landungsstelle an. In einer langen Reihe lagen die prächtigen, schneeweißen königlichen Boote da, bereit, die eingeladenen Gäste aufzunehmen. In kurzer Zeit waren sie alle vollbesetzt. Auch unser liebenswürdiger Hausherr, der Bischof Meulenberg, war selbstverständlich unter den Eingeladenen.
In rascher Fahrt glitten die eleganten königlichen Schaluppen hinaus zu dem Kriegsschiff.
Es war ein herrlicher Sommerabend. Die spiegelglatte Wasseroberfläche leuchtete unter den Strahlen der Sonne wie Silber und Gold.
Bald verlangsamten die Schaluppen ihr Tempo und hielten dann an den Fallreeptreppen. Dort standen dänische Offiziere in glänzenden Uniformen. Sie reichten den Gästen die Hände und halfen ihnen aus den Booten auf den untersten Absatz der Treppe.
Auf dem Verdeck standen der König und die Königin und empfingen die heraufgestiegenen Gäste aufs liebenswürdigste.
Das ganze Schiff war festlich geschmückt. Von irgendwoher klangen sanfte, melodische Töne einer verborgenen Musikkapelle.
So begann das schöne Fest auf dem Königsschiff, und es entwickelte sich zu einem lieblichen Märchen aus Tausend und einer Nacht in der linden, lauen nordischen Sommerluft.
Die Festteilnehmer durften sich in voller Freiheit durch das ganze schöne Schiff bewegen und sich alles nach Herzenslust ansehen.
König und Königin und eine Menge sehr höflicher und zuvorkommender Offiziere bewegten sich mitten unter den Gästen und plauderten aufs angenehmste mit ihnen.
Die Königin gab sich naturgemäß zumeist mit den Damen ab. Doch fügte es sich auch einige Male, daß sie an mich das Wort richtete. Sie fragte mich am Anfang auf französisch, wie es mir gehe und ob ich auf Thingvellir gesund geblieben sei.
Der König aber nahm mich öfters ein wenig abseits, um sich in aller Einfachheit und in der liebenswürdigsten Weise mit mir zu unterhalten. Er fragte mich unter anderem, ob ich immer weitere Nonnibücher schreibe … Und dann erzählte er mir mehrere kleine Züge aus seinem eigenen Leben – und das alles so frisch, so natürlich und so heiter, daß keine Spur von Befangenheit bei mir aufkommen konnte.
Ich sagte dem König, daß ich in den Zeitungen Verschiedenes über seinen letzten Aufenthalt in Cannes gelesen habe.
»Ja, ich fahre jedes Jahr nach Cannes«, sagte er, »und bleibe wenigstens drei bis vier Wochen dort. Ich befinde mich außerordentlich wohl in Cannes. Die Leute kennen mich alle, und sie verwöhnen mich förmlich. – Denken Sie sich zum Beispiel, da wurde ich einmal vom Bürgermeister von Cannes zu einem kleinen Fest eingeladen. Während wir zu Tisch saßen, stand der Bürgermeister auf und hielt einen Trinkspruch zu meinen Ehren. Er schloß seine Rede mit den Worten: Jetzt bitte ich Sie alle, auf die Gesundheit des Königs von Dänemark Ihr Glas zu leeren. Und dann rief er › Vive le Roi de Danmark et de Cannes!‹ (›Es lebe der König von Dänemark und von Cannes!‹) Ich protestierte sofort gegen die letzten Worte und sagte: ›O nein, ich bin nicht le Roi de Cannes!‹ Das half aber nichts. Alle Gäste riefen um so lauter › Vive le Roi de Danmark et de Cannes!‹ und der Bürgermeister sagte zu mir: ›Sie haben hier in Cannes alle Herzen erobert.‹«
Der König erzählte mir noch ein paar andere Erlebnisse, die er in Cannes mit gewöhnlichen, kleinen Leuten gehabt hatte. Ich sagte ihm, daß ich mich darüber wundere, wie leicht er sich mit den einfachsten Leuten unterhalten könne.
Darauf erwiderte der König:
»Ja, ich muß Ihnen sagen, daß ich sehr gerne mit den einfachen Leuten aus dem Volke spreche. Und wenn sie anfangs etwas benommen sind, gelingt es mir doch immer, sie zu beruhigen. Übrigens ist es in unserer Familie Sitte, daß wir uns freundlich mit den geringsten Leuten abgeben. Wir haben als Kinder eine sehr gute Erziehung erhalten.«
Dies sind ein paar Einzelheiten aus den Gesprächen des Königs mit mir. Der König war sehr mitteilsam, und seine Art war so gewinnend, daß ich nach jedem Gespräch entzückt war.
Nach einiger Zeit wurde den Gästen auf dem Schiff ein wahrhaft königliches Bankett geboten. Später wurde von den Jüngeren auch ein wenig getanzt.
Der Aufenthalt auf dem prächtigen Königsschiff dauerte vier Stunden. Während dieser ganzen Zeit bewegte sich das edle Königspaar ohne Unterlaß unter den Gästen.
Als dann endlich das königliche Fest zu Ende war, brachten uns die Schaluppen um die Zeit der Vereinigung von Abend- und Morgenrot in die Stadt zurück.