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Gegen Ende des Mahles fragte uns der Herr Bischof, ob wir wohl Lust hätten, nach Tisch einen Ritt ins Land hinein zu machen.
Da wir von der Reise nicht im mindesten ermüdet waren, nahmen wir die freundliche Einladung mit Begeisterung an.
Zu unserer nicht geringen Überraschung fügte der Bischof noch bei: »Dann möchte ich Ihnen aber auch vorschlagen, daß ich Sie selber auf Ihrem ersten Ritt führe. Ich kenne die Gegend gut, und ich habe ein eigenes ausgezeichnetes Reitpferd.«
Da war nichts zu machen, wir mußten den liebenswürdigen Herrn Bischof als Führer bei unserem ersten Ausflug in das wunderreiche, eigenartige Land annehmen.
Der hochwürdigste Herr gab sofort die notwendigen Befehle. Die Pferde wurden geholt, gesattelt und vor dem Haus aufgestellt. Wir selber zogen unsere Reitanzüge an, dann gingen wir vor das Haus hinaus und bestiegen unsere netten kleinen Pferdchen.
Es ging zuerst durch die Straßen von Reykjavik. Bald aber kamen wir auf die große Landstraße, welche nach der Hafenstadt Hafnarfjördur führt. Hier konnten wir unsern lebhaften kleinen Rennern die Zügel schießen lassen.
Es war eine Freude, wie rasch wir vorankamen. Das Pferd des Bischofs war schnell wie der Wind, und die beiden andern wollten nicht zurückbleiben, sondern folgten ihm tapfer nach.
Das Reiten war mir anfangs ungewohnt, für Viktor aber etwas ganz Neues. Doch ich gewöhnte mich bald gut wieder ein, und Viktor verstand sich auch nach kurzer Übung auf die Kunst.
Der Weg führte durch eine wilde, kahle, schauerlich-schöne vulkanische Gegend, aus erstarrter Lava bestehend, nur spärlich heideartig bewachsen. Links und rechts am Weg waren unzählige, gewaltige Lavablöcke, einige so groß wie Häuser, von unregelmäßiger Gestalt, wild zerfetzt und zerrissen.
Und als wir nach dem kleinen aufblühenden Handelsplatz Hafnarfjördur kamen, sahen wir, daß diese etwas über dreitausend Einwohner zählende Stadt ganz aufgebaut ist auf diesem aufgeregten Lavafelsenmeer. Die Häuser stehen auf oder zwischen den Blöcken. Ein überaus eigenartiger Anblick.
Trotz der Unebenheit und Zerrissenheit des Bodens, auf dem die Häuser stehen, hat man es doch verstanden, ziemlich regelmäßige Straßen, Gassen und Häuserreihen herzustellen. Aber das Bild dieser merkwürdigen Stadt ist im höchsten Grad seltsam. Die ganze Gegend um Hafnarfjördur herum gleicht, wie gesagt, einem wild aufgeregten Felsenmeer.
Der Ausbruch, der dieses seltsame Gelände hervorgebracht hat, muß vor Jahrtausenden stattgefunden haben, als die ganze Gegend ein einziges, ungeheures Feuerland war. Heute ist das Feuer erloschen, die flüssige, rotglühende Lava ist abgekühlt und erstarrt. Aber das furchtbare, aufgeregte Gewoge ist noch vorhanden in den starren, düsteren Gebilden von hartem Lavagestein.
Man kann sich denken, welches Interesse und welche Freude wir Fremdlinge an diesem erstaunlichen Schauspiel hatten.
Beim Ritt durch die Stadt Hafnarfjördur grüßten uns viele Personen; denn der Herr Bischof war ja hier bekannt, und man wußte auch durch die Zeitungen, daß der Nonni nach Island komme mit einem Jungen aus dem fernen Þjóðverjaland, d. h. Deutschland. So wußten die Leute sofort, wer die beiden Begleiter Monseigneur Meulenbergs waren.
Plötzlich rief mich der Bischof an. Ich lenkte mein Pferd zu dem seinen hin.
»Können Sie das Haus sehen dort vorne?« fragte er, indem er mit der Hand nach einem der größeren Häuser in der Nähe deutete.
»Gewiß, Herr Bischof, was für ein Haus ist das?«
»Das ist ein Hospital, das wir vor kurzem hier gebaut haben. Es wird von derselben Schwesternschaft geleitet, die Sie im Spital von Reykjavik gesehen haben.«
»Haben die Schwestern in dem neuen Spital viel zu tun?«
»O ja. Es ist immer voll besetzt.«
Ohne daß ich es wußte, waren wir im Hospital telephonisch angemeldet worden. Als wir also das Haus erreichten, stiegen wir ab. Ein Diener sprang aus der Eingangstüre heraus und nahm unsere Pferde in Verwahrung.
Die Schwestern freuten sich sehr über unsern Besuch und nahmen uns mit der größten Gastfreundschaft auf.
Nachdem wir uns gestärkt hatten, wurde ich von der Vorsteherin in alle Krankenstuben geführt. Ich sprach viel und lange mit den Kranken und freute mich, daß ich meine Muttersprache noch leidlich gut sprechen konnte, obwohl ich sie sechzig Jahre lang fast nie mehr gesprochen hatte.
In einer der Krankenstuben erhielt ich von einer kranken Frau eine überraschende Nachricht.
»Wissen Sie«, sagte sie zu mir, »daß Sie hier in der Stadt eine nahe Verwandte haben?«
Ich mußte ihr bekennen, daß ich keine Ahnung davon hatte.
»Es ist eine Witwe«, sagte sie, »sie heißt Pálina Thórarinsdóttir und wohnt hier in Hafnarfjördur mit ihrer Tochter. Sie stammt wie Sie aus Nordisland und ist die Tochter Ihres Onkels Thórarinn, des Bruders Ihres Vaters.«
Ich war sehr erfreut über diese Nachricht, schrieb mir Straße und Nummer auf und meldete mich dann telephonisch bei Frau Pálina Thórarinsdóttir.
Als ich später zu ihr kam, wurde ich mit größter Liebenswürdigkeit empfangen. Lange unterhielt ich mich mit ihr über unsere Heimatgegend und unter anderem auch über unser Geschlecht, das, wie sie mir sagte, so ziemlich über die ganze Insel verbreitet sei. Ich würde viele Verwandte finden, nahe und entfernte, in den Gegenden, die ich mir vorgenommen hatte zu besuchen.
Wie fast alle Isländer, so wußte auch diese Frau genau Bescheid über unsere Vorfahren bis weit in die graue Vorzeit hinauf.
Ich wurde dann, wie überall, gastfreundlich bewirtet. Im Empfangszimmer stand ein Piano, auf dem die Tochter mir zu Ehren mit Geschick eine schöne Musikunterhaltung gab.
Nach mehrstündigem Aufenthalt in Hafnarfjördur schlug der Bischof vor, unsern Ritt fortzusetzen.
Die Pferde wurden geholt, wir saßen auf und drangen nun weiter ins Land hinein.
Die Landschaften, durch welche wir ritten, wurden immer merkwürdiger.
Die Bodenverhältnisse waren so seltsam wild, die riesigen Lavablöcke so durcheinandergeworfen, daß ich keinen besseren Vergleich finden kann, als den schon oben angewandten eines wild aufgeregten Meeres. Man mochte sich auch vorstellen, daß wütende Titanen und Riesen in einem schauerlichen Kampf sie gegeneinander geschleudert hätten.
Wie winzige Zwerge ritten wir kleine Menschen durch diese großzügige Landschaft hindurch.
Endlich führte uns der Bischof auf eine gute Landstraße, die sich durch das vulkanische Gelände hindurchschlängelte.
Unsere feurigen Pferde waren ungeduldig geworden und drängten unaufhaltsam voran. So ritten wir eine gute Weile in scharfem Galopp. Immer war der Bischof an der Spitze, Viktor und ich folgten. Auf einmal hielt der Bischof sein Pferd zurück, drehte es um, und fragte mich:
»Wie gefällt Ihnen Ihr Pferd?«
»Ganz gut«, erwiderte ich. »Es ist sehr willig und läuft gut.«
»Und wie finden Sie seinen Gang?«
»Ein wenig hart. Es schüttelt mich zuweilen etwas mehr, als ich es wünsche. Ich kann es aber ganz gut aushalten.«
»Das war es gerade, was ich mir dachte«, sagte der Bischof. »Wenn Sie damit einverstanden sind, würde ich Ihnen vorschlagen, zur Abwechslung mein Pferd zu versuchen. Es hat eine sanftere Gangart.«
Ich nahm den Vorschlag gern an. Und so wechselten wir die Pferde. Dann setzten wir unsern Ritt fort.
Aber welch ein Unterschied! Das Pferd des Bischofs hatte ein ganz anderes Temperament als das meinige. Das sollte ich auf verschiedene Weise merken.
Zuerst wollte ich es zurückhalten, damit der Bischof wieder an der Spitze reiten könne. Damit war aber das stolze Tier nicht im entferntesten einverstanden. Ich konnte die Zügel so stramm anziehen, wie ich nur wollte, davon nahm es auch nicht die geringste Notiz, sondern trotz meiner Bemühungen sprang es vorwärts, als gälte es das Leben. Und es drängte und jagte, bis es sich wieder an der Spitze befand.
Aber auch dann war es ihm noch nicht genug. Es schien nämlich wohl zu merken, daß nicht mehr sein Herr auf seinem Rücken saß, sondern ein anderer. Da meinte es wohl, daß es sich etwas Besonderes erlauben dürfe. Kurz, was das ungewöhnlich starke und selbstbewußte Tier meinte, weiß ich nicht, das eine aber ist sicher: mir kündigte es den Gehorsam und tat nun gegen meinen Willen und trotz meiner Anstrengungen, was es nur wollte. Nicht nur lief es auf der Landstraße wenigstens noch einmal so schnell wie früher voran, sondern als es auf einmal links ein Gelände sah, das weniger mit Lavablöcken übersät war wie das übrige, sprang das übermütig gewordene Tier mit mir auf dem Rücken über den Graben am Wegesrand und raste wie besessen von der Landstraße feldeinwärts. Und so trug es mich nun eine geraume Zeit mit Blitzesschnelle über Stock und Stein dahin.
Immer straffer zog ich die Zügel an und bemühte mich mit aller Kraft, das Tier zum Stillstand zu bringen. Aber vergebens.
In meiner frühesten Jugend hatte ich unzählige Male ähnliche tolle Ritte in den isländischen Bergen unternommen. Das kam mir jetzt zugute. Denn obwohl viele Jahre mich von jener Zeit trennten, konnte ich es sicherlich meinen früheren Reitübungen verdanken, daß ich jetzt fest genug im Sattel saß. Schließlich brachte ich es auch fertig, des launenhaften Tieres Herr zu werden.
Zuerst gelang es mir, es zum Stehen zu zwingen. Dann suchte ich es durch freundliches Zureden und liebkosende leichte Klapse zu beruhigen. Geradeso, wie ich es früher als kleiner Junge oft mit aufgeregten Pferden getan hatte.
Durch freundliche Behandlung lassen sich die Tiere in den meisten Fällen viel leichter beruhigen und zum Gehorsam bringen als durch Härte und Peitschenhiebe.
Als das Pferd sich schließlich beruhigt hatte und es ihm offenbar klar geworden war, daß kein Feind, sondern ein guter Freund auf seinem Rücken saß, da war es auch ganz gewonnen. Und von nun an gehorchte es mir musterhaft. Ja, es tat am Ende alles, was ich nur wollte.
Es war ein wenig Gras an der Stelle, wo wir uns befanden. Ich gab ihm Zeit, einige Maulvoll davon zu nehmen, bevor ich es nach der Landstraße zurücklenkte. Als ich endlich die Landstraße erreichte, wurde ich vom Bischof und von Viktor heiter beglückwünscht, daß es mir gelungen war, mit heiler Haut zurückzukehren.
Unterdessen war es schon spät am Nachmittage geworden. Der Bischof meinte, es sei Zeit, umzukehren.
»Wir wollen zunächst wieder nach Hafnarfjördur reiten«, sagte er. »Dort speisen wir zu Abend und reiten dann weiter nach Reykjavik zurück.«
In Hafnarfjördur wurden wir diesmal von dem freundlichen holländischen Pfarrer, Herrn Dreesen, welcher der kleinen katholischen Gemeinde und dem Spital vorsteht, empfangen und mit großer Liebenswürdigkeit bewirtet.
Es war spät geworden, als wir von dem holländischen Hausherrn Abschied nahmen. Erst zwischen 9 und 10 Uhr abends verließen wir Hafnarfjördur und ritten nun in aller Eile auf Reykjavik zu.
Ein herrlicher Ritt in der hellen und wunderbar schönen nordischen Sommernacht.
Als wir in Landakot abstiegen, war der nächtliche Himmel rotglühend.
Dieser feenhaft schöne Glanz am Himmel war das Abendrot der niedergehenden Sonne. Ohne zu verschwinden, verwandelt es sich bald nach Mitternacht in das Morgenrot.
Hiermit war unser erster Tag in Landakot zu Ende.
Mit dem folgenden Tag fing eine neue Periode unseres Reiselebens an: nämlich unser fast dreimonatiger Aufenthalt auf Island. Ja, wir blieben hier von Juni bis September.
Und diese ganze Zeit waren wir redlich bemüht gut auszunützen. Da gibt es also vieles zu erzählen.
Ich bin überzeugt, daß wenn alle die abenteuerlustigen Jungen aus Österreich, aus der Schweiz, aus Frankreich und Deutschland, die vor meiner Abfahrt so sehr danach verlangten, mit mir nach Island zu reisen, tatsächlich mitgefahren wären, ja, ich bin fest überzeugt, sie hätten es nicht bereut. Sie hätten im Gegenteil eine ungeheure Freude an all dem Neuen gehabt, das sie dort zu sehen bekommen, und an den unzähligen interessanten Erlebnissen, die sie mit mir durchgemacht hätten. Und, was noch wichtiger ist, sie wären gekräftigt an Leib und Seele von der herrlichen Reise zurückgekehrt. Vor allem wäre der Aufenthalt auf Island ihnen gut bekommen. Da können Viktor und ich aus Erfahrung sprechen.
Solange wir in Island waren, haben wir beide, sowohl Viktor wie auch ich, jede Woche wenigstens ein Pfund an Körpergewicht zugenommen. Wir sind sonnenverbrannt und viel gesunder und kräftiger, als wir vorher waren, von unserer Reise nach Hause zurückgekehrt.