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Die junge Frau – fast hätte ich mich selber an ihr wieder versündigt und hätte sie Lachtaube genannt – machte eine kleine Pause. Sie schien sich an der Neugierde ihrer Freundin zu weiden und sie gern ein wenig warten zu lassen – lange aber konnte sie dem Drange zu erzählen selbst nicht widerstehen und begann wieder: »Ich sagte Herrn Rudolf, es möchte doch wohl ein Tag noch drüber hingehen, bis wir würden fahren können, denn es läge mir gar zuviel Arbeit auf dem Halse. Aber da sagte er: ›Nicht doch, das geht auf keinen Fall, meine liebe, kleine Nachbarin. Packen Sie sich meinetwegen Ihre Arbeit zusammen und machen Sie sie draußen in Bouqueval fertig. Ich weiß, Frau Germain hat selbst Arbeit über Arbeit für Sie. Vielleicht hilft sie Ihnen bei Ihrer Arbeit, damit Sie recht bald mit der andern auch fertig werden . . . Und nun leben Sie recht wohl, meine kleine Herzensfreundin, und machen Sie sich, wie gesagt, gleich auf den Weg, sobald Ihr kleiner Germain da ist.‹ – Ich sagte zu ihm: ›Nun, da müssen wir freilich fahren, Herr Nachbar, aber danken darf ich Ihnen doch wenigstens für Ihre erneute Liebenswürdigkeit?‹ – Er sagte, dawider hätte er nichts einzuwenden; und so reichte ich ihm die Wange zum Kusse; aber der liebe Herr fackelte nicht lange, sondern drehte mir das Gesicht herum und gab mir einen derben, gar derben Schmatz auf den Mund . . . und dann war er auf einmal zur Tür hinaus!« Lachtaube lachte, und unter Lachen fuhr sie fort: »Ich mußte ihm herzlich hinterher lachen, und als bald darauf mein lieber Germain hereinkam, erzählte ich ihm alles, und er sagte: ›Herr Rudolf, liebes Kind, macht uns kein X für ein U, darauf verlaß dich, und wenn er es uns so dringend macht, nach dem kleinen Dorfe hinaus zu fahren, dann dürfen wir keinesfalls säumen!‹ Also gesagt, getan! Wir setzten uns in einen Fiaker und fuhren fidel und guter Dinge die Straße nach Saint-Denis zu . . . Sie können sich gar nicht vorstellen, in welcher glücklichen Stimmung wir diese Fahrt gemacht haben! Denken Sie nur, den krassen Unterschied zwischen der herrlichen Gottesnatur und dem Gefängniskasten, in welchem tags vorher noch mein lieber Germain schmachten mußte! Und die schlechten Subjekte, mit denen er zusammen die gleiche Luft hatte atmen müssen! Aber – unser Glück während der Fahrt war noch gar nichts im Vergleich zu dem Empfange draußen in Bouqueval. O, noch jetzt treten mir Tränen in die Augen, wenn ich daran denke . . . Was soll ich Ihnen viel erzählen, liebe, gute Freundin? Ich brauche Ihnen ja bloß eines zu sagen: Denken Sie sich, mein Germain ist der einzige Sohn der lieben, braven Frau Germain! Und Sie sind jahre-, jahrelang – ach! was sage ich! fast das ganze Leben lang durch widrige Schicksale getrennt voneinander gewesen, und keiner hat vom andern auch nur ein Sterbenswörtchen zu hören bekommen, geschweige daß sie einander je einmal gesehen hätten!«
»Was?« rief Luise und schlug in heller Verwunderung die Hände über dem Kopfe zusammen . . . »Was sagen Sie? Frau Georges ist Germains Mutter? Germain ist . . .« – »Nun ja doch,« fiel ihr Lachtaube ins Wort, »wenn sie seine Mutter ist, dann muß er schon ihr Sohn sein! Und so ist's auch, meine liebe Freundin! Mein Germain ist ihr als kleines Kind geraubt worden, und sie hat gar nicht mehr gehofft, ihn noch je einmal wiederzusehen! Können Sie sich vorstellen, wie selig die beiden Menschen waren, als sie einander in den Armen lagen? Und als Frau Georges ihren ›Jungen‹ abgeherzt und abgeküßt hatte – ich dachte wirklich schon, es würde überhaupt kein Ende haben! – da kam ich an die Reihe . . . und Herr Rudolf muß der lieben Frau wohl recht viel Gutes und Liebes von mir geschrieben haben, denn als sie mich herzte und küßte, da sagte sie, sie wisse recht gut, was ich alles ihrem Jungen zuliebe getan! – ›Und wenn du nichts dawider hast, Mütterchen,‹ sagte da Germain, ›dann hast du heute nicht bloß deinen Jungen wiedergefunden, sondern hast auch eine Tochter dazu bekommen.‹ – Und Frau Georges rief: ›Ach, Kinder, was könnte mich glücklicher machen, als in euch ein glückliches Paar zu sehen? Weiß ich doch, mein Herzensjunge, daß du in ganz Frankreich keine bessere, hübschere und gütigere Frau finden könntest, als sie hier vor mir steht!‹ Und nun wohnen wir draußen in Bouqueval, in dem freundlichen Dörfchen, auf dem hübschen Landgute, Germain und seine Mutter und ich – und meine Vögelchen habe ich auch hinausbringen lassen, die armen Tierchen mochten ohne mich wirklich gar nicht zurechtkommen! Eigentlich ist ja das Leben auf dem Lande nicht gerade meine Passion. Ich bin nun einmal eine richtige Pariser Landratte; aber mir sind die Tage doch vergangen, schnell wie ein Traum; ich arbeitete nur zu meinem Vergnügen, ging unserer lieben Mutter in allem zur Hand, ging mit meinem Germain fleißig spazieren – und endlich wurde unsere Hochzeit auf gestern vor vierzehn Tagen festgesetzt. Wer kam den zweiten Tag vorher in einem schönen Wagen an? Ein großer, dicker, kahlköpfiger Herr, der recht gutmütig aussah und mir von Herrn Rudolf ein Hochzeitsgeschenk brachte, denken Sie sich, Luise, einen Kasten von Rosenholz, auf dem auf blauem Porzellan die Worte in goldnen Buchstaben standen: ›Arbeit und Ehrlichkeit, Liebe und Glück.‹ Ich mache den Kasten auf und was finde ich darin? Kleine Spitzenhäubchen wie die, welche ich trage, Kleiderzeuge, Schmucksachen, Handschuhe, einen Langschal und einen großen Schal, kurz es war ein Feenmärchen.«
»Nun, da sehen Sie, wie es zu Ihrem Glück gewesen, daß Sie – so gut, so fleißig waren.«
»Liebe Luise, mich trifft dabei wohl kaum ein Verdienst, denn ich habe dabei gar nichts getan – es fand sich eben ganz von selbst, und das war für mich um so besser. Aber hören Sie nur weiter, ich bin noch nicht fertig. Ganz unten, auf dem Boden des schönen Kästchens, finde ich ein reizendes Portefeuille mit der Aufschrift: ›Der Nachbar seiner Nachbarin‹. Was finde ich drin? Zwei Päckchen – eins für Germain, eins für mich; in dem für Germain ein Papier, das ihn zum Direktor einer Volksbank mit 4000 Franks Gehalt ernannte, und in dem für mich bestimmten Paketchen eine Anweisung von 40 000 Franks! Das sollte meine Mitgift sein. Ich wollte es gar nicht annehmen, aber unser Mütterchen, das mit dem großen kahlköpfigen Herrn und Germain gesprochen hatte, sagte zu mir: ›Kind, Du kannst und mußt das Geschenk annehmen; es ist der Lohn für deine Rechtschaffenheit, deinen Fleiß und deine Aufopferung für die Unglücklichen; denn du mußtest dir, auf die Gefahr hin, krank zu werden und so deine Existenz zu verlieren, die Zeit, um deinen unglücklichen Freunden Trost zu bringen, vom Schlafe abringen!‹«
»Ja, das ist wahr,« fiel Luise ein, »darin tuts Ihnen niemand gleich, liebe Frau Germain.«
»Ich sagte nun dem großen kahlköpfigen Herrn, was ich getan, hätte ich gern und mit Vergnügen getan, und er antwortete: ›Das bleibt sich gleich, Herr Rudolf ist reich, das Geschenk, das er Ihnen sendet, ist ein Zeichen seiner Achtung und Freundschaft, und es würde ihm höchst schmerzlich sein, wenn sie es ablehnen wollten; übrigens wird er sich persönlich zu Ihrer Hochzeit einfinden, und würde Ihnen – darauf verlassen Sie sich – schön die Leviten lesen, wenn Sie mich mit einem Korbe zu ihm zurückschicken wollten.‹«
»Es ist doch eine schöne Sache, reich zu sein, liebe Freundin!« sagte Luise, »aber noch schöner, daß es noch immer so edle Menschen gibt, wie diesen Herrn Rudolf, die von ihrem Reichtum einen so schönen und vornehmen Gebrauch machen.« – »O, Herr Rudolf muß wohl ein steinreicher Herr sein, sonst könnte er doch nicht Geld in so reichem Maße verschenken! Aber wenn Sie erst wissen, liebe Freundin, wer dieser Herr Rudolf eigentlich ist, dann würden Sie vielleicht nicht so sehr staunen über seinen Reichtum als über seine Leutseligkeit, über seinen wahrhaftigen Edelsinn! Und diesen Herrn habe ich sogar Pakete tragen lassen, als wir zusammen Einkäufe im Magazin machten! Doch Geduld, Freundin, Geduld! Sie werden gleich hören, wie alles zugegangen ist! Am Tage vor der Hochzeit, abends zu sehr später Stunde, kam der alte große Herr mit der Glatze und dem gutmütigen Gesicht wieder. Herr Rudolf, sagte er, würde nun leider doch nicht kommen können, er aber sollte seine Stelle vertreten, Herr Rudolf sei nicht recht auf dem Posten . . . und da erst haben wir erfahren, Luise, wer Herr Rudolf ist . . . Denken Sie sich, Ihr und unser aller Wohltäter ist – nun, was meinen Sie? – O, Sie würden es nie erraten! Nein, im ganzen Leben nicht, darauf können Sie Gift nehmen! Herr Rudolf ist ein Fürst, ein regierender Fürst, ein Fürst von Gottes Gnaden!«
»Was sagen Sie da, Frau Germain? . . . Ein Fürst?« – »O, noch viel, viel was Höheres! Nicht bloß ein regierender Fürst, sondern ein regierender Großherzog mit dem Titel: Königliche Hoheit! Germain hat mir gesagt, was man darunter zu verstehen hat! Und sein Land und seine Residenz hat er über dem Rheine in Deutschland!« – »Wirklich und wahrhaftig, Frau Germain?« – »Wirklich und wahrhaftig, Luise! O, und ich hatte ihm zugemutet, mir meine Stube neu zu bohnern!« – »Aber ich denke, er hat sich als Dekorationsmaler bei der Frau Pipelet eingeschrieben?« – »Ja doch, ja doch! Aber trotz alledem ist er ein Fürst, nein kein Fürst, sondern ein Großherzog, einer, der den Titel Königliche Hoheit führt!« – »O, deswegen konnte er also so außerordentlich viel Gutes stiften!« rief Luise. –