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Nacht wars, als Rudolf zu dem Notare kam . . . Tiefes Dunkel herrscht in allen Räumen. Draußen heult der Wind. Der Regen fällt in Strömen. – Auf dem Bett, in schwarzem Beinkleid und schwarzer Weste, liegt Ferrand: eine rote Binde um den Arm verrät, daß Polidori ihm eben zur Ader gelassen hat.
Polidori steht am Bett, mit der Hand vor den Augen, um seinen Genossen so manches Verbrechens bequemer betrachten zu können. Etwas Grauenhafteres und Häßlicheres läßt sich kaum denken als Ferrands bläulich-blasses Gesicht, das von kaltem Schweiße bedeckt ist, dessen Augen so angeschwollen sind, daß sie wie zwei Beulen aussehen.
»Ich weiß nicht,« murmelte Polidori, »ob der Fürst gewußt hat, wie verführerisch Cecily sein kann und von welcher sinnlichen Wut Jakob beherrscht wird . . . annehmen läßt es sich freilich, ist doch seinem seltsam umfassenden Gesichte nichts fremd, umfaßt doch sein tiefdringender Blick Ursache und Wirkung aller Dinge! In seiner Gerechtigkeitsliebe kennt er keine Barmherzigkeit und hat gewiß Jakobs Strafe auf diese tierische, bis zur Wut gesteigerte Sinnlichkeit berechnet!« Er stand eine Weile, vor sich hinbrütend, da . . . Dann dachte er weiter: »Für Ferrand wäre es besser gewesen, er hätte sein Haupt auf das Schafott gelegt! Jeder Tod hätte vor der Qual den Vorzug verdient, die dieser Elende erduldet! Auch in mir erregt der Anblick seiner Leiden Grauen vor dem eignen Schicksale . . . Was wird der Fürst über mich beschließen? Was hat er mir als Jakobs Mitschuldigem vorbehalten? . . . Mich ihm als Hüter zu sehen, kann der Rache des Fürsten nicht genügen. Um mich leben zu lassen, hat er mir das Schafott schwerlich geschenkt! Vielleicht winkt mir ein lebenslängliches Gefängnis in Deutschland? . . . O, das wäre noch immer besser als der Tod! Vielleicht aber überliefert er mich dem Henker, wenn Jakob seiner Krankheit unterliegt? . . . Dem Fürsten ist wohl, wie ich bestimmt weiß, das gegebene Wort heilig: aber läßt sich darauf bauen, da ich doch so oft gegen göttliche und menschliche Gesetze verstoßen habe . . . Es lag in meinem Interesse, Jakobs Fluch zu verhindern, und es liegt nun in meinem Interesse, Jakobs Leben solange wie möglich hinzuhalten. Freilich werden die Symptome seiner Krankheit fortwährend bedrohlicher, und ihn zu retten, bedarf es fast eines Wunders . . . Was soll ich machen?«
Draußen hatte der Sturm den höchsten Grad erreicht, und ein Schornstein, den der Wind umstürzte, polterte mit Getöse auf das Dach und in den Hof.
Ferrand wurde aus seiner Erstarrung gerüttelt und machte eine Bewegung in seinem Bette. Die Augen noch immer geschlossen, rief er leise: »Polidori, Polidori! Hörst du nicht? Cecily ruft! Sie erwartet mich oben.« – »Hinauf gehen wirst du nicht,« versetzte Polidori, »ich halte dich und lasse dich nicht!« –
Ferrand, im äußersten Maße erschöpft, konnte gegen Polidori nicht ankämpfen, und dieser hielt ihn mit starker Faust zurück. – »Du willst mich daran verhindern?« ächzte er. – »Ja. Im Nebenzimmer brennt auch eine Lampe, und du weißt doch, wie Lichtschein auf deine Nerven wirkt.«
»Cecily ist oben. Sie wartet auf mich,« sagte Ferrand, »durch Feuer ginge ich, den Weg zu ihr zu finden . . . Laß mich los! Sie hat zu mir gesagt, ich sei ihr alter Tiger – nimm dich in acht! Meine Klauen sind scharf!« – »Du bleibst!« rief Polidori, »und wenn es nicht anders geht, so binde ich dich fest!« Plötzlich spitzte er die Ohren. Geräusch unten im Hofe, ein Wagen fuhr vor . . . »Still,« rief er, »hörst du seine Stimme?« – »Geh! Du willst mich täuschen; aber ich lasse mich nicht täuschen . . . Cecily ist oben. Hörst du sie nicht? Ich muß zu ihr und werde zu ihr gelangen!« – »Keinen Fuß setzest du aus dem Zimmer!« erklärte Polidori, »oder –« – »Und wenn du mich hindern willst,« antwortete Ferrand dumpf, »so mußt du – sterben!« – Polidori schrie auf . . . »Schurke!« rief Polidori, »du hast mich am Arme verletzt, aber deine Hand war nicht sicher, du hast mich bloß geritzt.« – »Und doch ist deine Verwundung tödlich. Ich habe dich mit Cecilys Dolche verwundet, den ich stets bei mir trage, seit sie mir entwichen . . . Warte nur ab! Das Gift wirkt schnell. Warum hast du mich hindern wollen, zu Cecily hinauf zu gehen?« – Er tappte im Dunkeln vorwärts und suchte die Tür.
»Ha! mein Arm wird steif,« murmelte Polidori, »tödliche Kälte schleicht mir durch die Adern, die Knie zittern mir unter dem Leibe, mein Blut wird zu Eis . . . Zu Hilfe, zu Hilfe! Schwindel befällt mich!« Noch einmal versuchte er sich aufzuraffen: aber es gelang ihm nicht mehr, er stürzte ohnmächtig auf die Dielen. Ferrands Mitschuldiger war gerichtet.
Eine Tür wurde aufgerissen. Scheiben klirrten. Rudolfs kräftige Stimme erklang, und eilige Schritte wurden laut. In demselben Augenblick, als Ferrand, mit dem giftigen Dolch in der Faust, die Tür zum Nebenzimmer aufriß, um die Treppe hinauf zu rennen, trat Fürst Rudolf ein, schrecklich wie der Geist der Rache, von der entgegengesetzten Seite her den Fuß über die Schwelle setzend. – »Ungeheuer!« donnerte er Ferrand zu, »mein Kind hast du gemordet! Du sollst . . .«
Er konnte nicht vollenden. Ferrand, wie vom Blitze getroffen, fuhr sich mit beiden Händen nach den Augen und schlug mit einem schrecklichen Aufschrei, der nichts Menschliches an sich hatte, mit dem Gesicht auf den Boden nieder.
Der jähe Lichtglanz, der seine Augen traf, bereitete ihm solch gräßlichen Augenschmerz, als hätte er in die Sonne hinein gestarrt. Er wand sich in den schrecklichsten Zuckungen, zerkratzte den Boden mit den Nägeln, wie um sich ein Loch zu graben, das ihn den bösen Strahlen entrückte. Rudolf, sein Diener und der Hauswart, der den Fürsten hinauf begleitet hatte, blieben, von Grauen ergriffen, stehen, ohne ein Glied zu rühren.
Erst nach langen Martern ließ der Anfall nach. Wie es der gewöhnliche Verlauf bei epileptischen Krankheiten ist, folgte auf den lange anhaltenden Gesichtsschmerz ein Anfall von Wahnsinn. Die Glieder wurden starr, die bislang geschlossenen Lider öffneten sich; die Augen suchten das Licht gierig, statt es zu fliehen; die Pupillen drehten sich, und über die Züge seines häßlichen Gesichts fuhr es wie ein Wetterleuchten. Alles Menschliche entwich daraus, die ihm innewohnenden bestialischen Triebe schienen allen Verstand zu ertöten, schienen ihm die Einbildung zu schaffen, als sei er, was ihm Cecily wiederholt zugeschrieen, kein Mensch mehr, sondern ein Tiger. Keuchend stieß er unheimliche Laute hervor, die bislang starren Glieder lösten sich, und wieder von Zuckungen befallen, schlug er vom Sofa herunter. Aber sich aufzurichten, war ihm nicht möglich, die Kräfte versagten ihm, wie ein Wurm wand er sich an der Erde hin, bald hier-, bald dorthin, ganz wie ihn seine Visionen trieben . . . Zuletzt kauerte er sich in einen Winkel des Zimmers wie in eine Höhle; und wie er nun bald die Zähne fletschte, bald damit knirschte, die Muskeln verzerrte und Flammenblitze aus den Augen schoß, gewann er tatsächlich Ähnlichkeit mit dem Tiger, diesem wildesten aller Raubtiere . . .
»Tiger! Tiger!« heulte er, »ha! Blut! Leichen zerrissen in meiner Höhle! Schalldirne, der Bruder jener adeligen Witwe, Luisens Kind, die Eule: das sind die Leichen! O, und auch Cecily wird ihren Teil bekommen . . . denn meine Klauen sind scharf und spitz . . . Ich bin ein alter Tiger, hab Moos auf meinem Schädel und Haare auf den Zähnen . . . Niemand soll es wagen, mir mein Weibchen, meine Cecily, abwendig zu machen . . . Ha! Sie ruft wieder, sie ruft wieder!« Und das häßliche Gesicht weit vorstreckend, lauschte er . . . Kurze Pause. Dann kauerte er sich wieder an die Wand hin und heulte: »Wo ist sie? Warte! Ich komme, o, ich komme. Geh, geh! Beiß in den Sand und brülle . . . Was sie für große Augen macht! O, Cecily, Cecily, dein Männchen kommt, dein Männchen kommt!« Und sich gewaltsam zusammenraffend, richtete er sich auf den Knieen empor . . . »Ha! Sie hat gebissen! Sie umschlingt mich mit ihrem eiskalten Leibe! Ich kann mich ihr nicht entwinden . . . O, diese Augen! Bloß nicht ihren schillernden Blick! Zu Hilfe, zu Hilfe! Die Schlange! Die schwarze Schlange! Hinweg von mir, hinweg! Beim Zeichen des Kreuzes, hinweg!« –
Mit der Hand auf den Fußboden gestützt, versuchte Ferrand sich zu bekreuzigen. Seine bleifarbige Stirn triefte von kaltem Schweiße; seine Augen wurden matt und gläsern. Es machten sich alle Anzeichen eines nahen Todes geltend. – Stumm und starr standen Rudolf und die anderen Zeugen der schrecklichen Szene. Ferrand hatte sich auf die Knie erhoben und fuchtelte mit den Armen in der Luft nach all den Trugbildern seiner armen Opfer, und diesem letzten krampfhaften Aufzucken folgte eine tödliche Erschütterung. Steif und leblos sank er rückwärts, die Augen schienen ihm aus den Höhlen zu treten, gräßliche Zuckungen verzerrten ihm das Gesicht, blutiger Schaum trat ihm auf die Lippen, seine Stimme nahm einen pfeifenden Klang an wie die eines Wasserscheuen, denn in ihrem letzten Stadium hat diese furchtbare Krankheit, die grauenhafte Strafe der Sinnenlust, die gleichen Symptome wie die Wut. Eine letzte Vision stieg vor dem Auge des Bösewichtes auf, und die Worte stammelnd: »Cecily, Cecily, gieriges Gespenst! Mein Fleisch raucht, mein Mark verkohlt . . . Cecily, Feuer, Cecily! Tigerin! Tigerin!« verschied er unter wilden Zuckungen . . .
Von Schauder geschüttelt entfernte sich Rudolf.