Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

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Elftes Kapitel.

Aufopferung.

»O, meine Clemence,« rief Rudolf, sobald sich Murph mit David entfernt hatte, »Sie wissen wohl nicht, wer Gräfin Sarah ist, wenn Sie sie auch kennen? Sarah ist – Mariens Mutter.« – »Gerechter Gott!« rief Clemence. – »Und ich war der Meinung, der Tod habe sie hinweggerafft.« –

Eine lange Pause folgte. Frau von Harville wurde leichenblaß. Das Herz drohte ihr zu brechen.

»Sie wissen auch nicht,« sprach Rudolf mit maßloser Herbigkeit weiter, »daß dieses selbstische, ehrgeizige Weib, das mich nur meines Fürstenranges willen liebte, mich in meinen jungen Jahren zu einem ehelichen Bunde verleitet hat, der später wieder gelöst worden ist. Sarah, die sich nachmals wieder verheiraten wollte, hat all das Unglück, dessen Zeugen wir teilweis geworden, über ihr und mein unglückseliges Kind gebracht.«

»O, jetzt wird mir die Abneigung erklärlich, die Ihr Herz gegen sie beherrscht.« – »Nun werden Sie auch begreifen, warum Sarah Sie zweimal durch gemeine Verleumdung ins Unglück zu stürzen versucht hat . . . In ihrem maßlosen Ehrgeize hat sie geglaubt, mich dazu zwingen zu können, daß ich sie wieder aufnehme – und um solchen Zwang auf mich auszuüben, war ihr jedes Mittel recht.«

»Ha! Ist das eine erbärmliche Intrige!« – »Und nun, Clemence, nun höre ich, daß der Tod sie verschont hat!« – »Königliche Hoheit, es ist Ihrer unwürdig, solchen Gedanken zu fassen,« sagte Clemence. – »O, meine Teure,« rief Rudolf, »Sie können sich nicht ausmalen, welch grenzenloses Leid dieses Weib über mich gebracht hat! Vernichtet sie mir nicht eben wieder den schönen Traum, meinem Kinde eine Mutter zu geben, die sich seiner mit wahrer Liebe angenommen hätte? O, dieses Weib ist ein Racheengel, der mich unablässig peinigt und verfolgt wie eine Furie des Altertums!«

»Trösten Sie sich, königliche Hoheit,« erwiderte Clemence, die Tränen abwischend, die sich in ihre Augen stahlen, »und lassen Sie nicht allen Mut sinken! denn Sie haben eine ernste, heilige Pflicht zu erfüllen. Eben sagten Sie ja noch, in einer edlen und gerechten Regung von Vaterliebe, daß Ihre Tochter hinfort ganz ebenso glücklich werden solle, wie sie bislang unglücklich gewesen sei; soll sich dieses Wort bewahrheiten, so ist es doch notwendig, daß Sie sie legitimieren, und wie soll dies anders geschehen können als durch eine offizielle Vermählung mit ihrer Mutter, also Gräfin Sarah!«

»Das wird nun und nimmer geschehen, denn ich belohnte ja dann den Eidbruch dieses schändlichen Weibes, hülfe ihrer Selbstsucht und ihrem Ehrgeize zur Befriedigung! Ich werde meine Tochter anerkennen, werde sie an Kindes Statt annehmen, werde sie Ihnen überantworten, denn ich bin überzeugt, daß sie bei Ihnen wahre Mutterliebe finden wird.«

»Nein, königliche Hoheit,« antwortete Clemence, »das können Sie nicht tun! Denn das hieße die Geburt Ihrer Tochter verschleiern! Gräfin Sarah entstammt einem alten Adelsgeschlecht. Eine eheliche Verbindung mit ihr entspricht zwar Ihrem Range nicht vollständig, immerhin ist sie nichts weniger als unehrenhaft . . . Zwar wird Ihr Kind dadurch nicht legitim, aber die eheliche Geburt ist ihr nicht abzusprechen, sie wird sich, gleichviel welche Zukunft sie erwartet, immer getrost auf ihren Vater und ihre Mutter berufen können.«

»Aber Ihnen entsagen? Das kann ich nicht. – O, Sie können sich nicht denken, welches Glück mir das Leben im Bunde mit Ihnen und meiner Tochter, den beiden Wesen in der Welt, die ich allein liebe, in Aussicht stellt!«

»Ihr Kind bleibt Ihnen. – Gott hat es Ihnen auf wunderbare Weise wieder zugeführt. – Wollten Sie Ihr Glück nicht preisen, so wären Sie undankbar gegen das Schicksal!«

»Ach, Sie lieben mich nicht, wie ich Sie liebe!«

»Wenn Sie das meinen – und Sie tun gut daran, das Opfer Ihren Pflichten zu bringen –, dann wird es Ihnen minder schwer werden, sich in Ihre neue Lage zu finden.«

»Aber wenn Sie mich lieben, wird Ihr Bedauern ebenso schmerzlich sein, wie das meinige, und was bleibt Ihnen dann übrig?«

»Wohlzutun, königliche Hoheit. – Anderer Schmerz und Leid zu teilen – Leid, das Sie selbst in meinem Herzen weckten, über dem ich bereits schweren Kummer vergaß und dem ich süßen Trost verdanke.«

»Hören Sie mich an! Um meiner Tochter willen will ich mich mit diesem Weibe vermählen, aber bei ihr zu leben, wenn das Opfer vollbracht ist, das kann ich nicht – nun und nimmer! Denn ich fühle nur Widerwillen und Verachtung gegen sie . . . Nein, nein, wir werden stets getrennt voneinander leben – sie darf nie meine Tochter sehen, Marie bleibt bei Ihnen, denn sie verlöre an Ihnen die zärtlichste Mutter.«

»Es bleibt ihr der zärtlichste Vater, und durch solche offizielle Heirat wird sie die eheliche Tochter eines souveränen Fürsten Europas, und ihre Stellung wird, wie Sie selbst sagen, so glänzend, wie sie vordem dunkel war.«

»Sie sind unbarmherzig, Clemence – und ich – ich bin tief unglücklich!«

»Sprechen Sie nicht so, Sie sind ja so gerecht, üben Ihre Pflicht auf so edle Weise, opfern sich auf und verleugnen sich selbst auf die edelste Weise . . . Hätte man zu Ihnen gesagt, als Sie Ihr Kind in so großem Schmerz beweinten: sprechen Sie einen Wunsch aus, einen einzigen, und er soll verwirklicht werden, so würden Sie unbedenklich ausgerufen haben: meine Tochter, meine Tochter möge leben! Dieses Wunder ist geschehen, Sie haben Ihre Tochter wiedererhalten und – Sie nennen sich unglücklich! Wie, wenn Ihre Marie das hörte?«

»Sie haben recht, Clemence,« erwiderte Rudolf nach langer Pause, »soviel Glück wäre der Himmel auf Erden gewesen und – solches Glück verdiene ich nicht! – Ich werde tun, was ich tun muß. – Ich beklage mein Zögern nicht, denn ich habe dabei eine neue schöne Seite Ihres Herzens kennen gelernt.«

»Sie haben dieses Herz erhöht. Wenn ich jetzt Gutes vollziehe, so gebührt Ihnen der Ruhm, wie Ihnen stets das Verdienst aller guten Gedanken, die ich hatte, von mir zugeschrieben worden ist. – Mut, königliche Hoheit! Führen Sie Ihre Tochter, sobald sie die Reise vertragen kann, aus Paris! Bringen Sie sie nach Ihrem Deutschland! In diesem ernsten, ruhigen Lande wird sie ein ganz anderer Mensch werden, wird sie an ihre Vergangenheit denken nicht anders als an einen trüben Traum!«

»Aber Sie, Clemence? Sie?« fragte Rudolf mit zitternder Stimme. – »Mir wird – jetzt kann ich es Ihnen ja sagen, weil es mich immer mit Stolz und Freude erfüllen wird – mich wird meine Liebe zu Ihnen sattsam entschädigen, wird mir ein Schutzengel sein, wird mich über alles hinwegtrösten, was im Schoße der Zukunft noch für mich verborgen liegen mag . . . Ich werde mit Ihnen in regelmäßigem Briefwechsel bleiben, und Sie – Sie werden mich von allem unterrichten, was sich im Leben jenes lieben Kindes vollziehen wird, das wir mit so unendlicher Wonne eine kurze, kurze Zeitlang unser Kind nannten!« – Sie konnte die Tränen nicht zurückhalten, die sich ihr in die Augen drängten – »die aber, das wollen Sie für gewiß annehmen! – zeit meines Lebens mir lieb und teuer bleiben wird wie mein eigenes Kind! Kommt einmal die Zeit, daß wir einander die lautere Liebe gestehen dürfen, die uns aneinander kettet, dann werde ich – das Versprechen gebe ich Ihnen – in Ihr Land hinüber kommen, werde in Ihre Residenzstadt ziehen, werde nie wieder von Ihrer Seite weichen, sofern Sie mich nicht verjagen oder verstoßen – und werde an Ihrer Seite mein Leben beschließen, das freilich wohl, hätten unsre Leidenschaften zum Worte kommen dürfen, anders hätte verlaufen können, das jedoch trotz allem nie anders als ehrenhaft und würdig verlaufen ist.«

»Königliche Hoheit,« – mit diesen Worten riß Murph die Tür auf und rannte ins Zimmer – »das Kind, das Ihnen der liebe Gott wiedergegeben, hat sein Bewußtsein wiedererlangt. Das erste Wort, das den Weg über ihre Lippen fand, war: Mein Vater! – Kommen Sie, kommen Sie, Prinzessin Marie verlangt es nach Ihrer Gegenwart!«


Kurz nachher hatte die Marquise von Harville das Palais des Fürsten verlassen. Der Fürst aber verfügte sich in Begleitung Murphs, Grauns und eines Adjutanten zur Gräfin Sarah Mac Gregor.


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