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Es war keine übertriebene Schilderung, die die Gräfin von der Marquise von Harville gegeben hatte. Sie war tatsächlich von imposanter Schönheit, von einer um so selteneren Schönheit, als dieselbe weniger in der Regelmäßigkeit der Züge, als in dem unbeschreiblichen Reize des gesamten Ausdrucks ihres Gesichtes beruhte, aus dem ein unsägliches Maß von Herzensgüte sprach. Ihr blendend weißer Teint war vom frischesten Rot überhaucht, und über die Schultern, die fest waren wie Marmor und schöner glänzten als weißer Marmor, fiel das hellbraune Haar in langen Locken. Ihr frischer Mund verhielt sich zu dem herrlichen Augenpaar wie ein freundlich gewinnendes Wort zu dem sanftesten aller melancholischen Blicke.
Sie trug ein weißes Kreppkleid, das mit rosa Kamelien garniert war, unter denen, halbversteckt, Diamanten gleich funkelnden Tautropfen blitzten. Ueber ihre weiße, reine Stirn lief anmutig ein Band, gewunden aus Kamelienblättern.
Gräfin Sarah, die an ihrer Seite schritt, war etwa 35 Jahre, schien aber nicht älter als dreißig zu sein. Ihr Aussehen schien wie ein Beweis dafür, daß Selbstsucht am besten konserviert. Ein leichtes Embonpoint lieh ihr eine in gewissem Sinne üppige Grazie. Das Feuer ihrer glühend schwarzen Augen auszuhalten, waren nur wenige Menschen imstande. Ihre feuchten roten Lippen deuteten auf Entschlossenheit und Sinnlichkeit. Auch sie trug über der Stirn einen diademartigen Schmuck in Form eines Kranzes aus natürlichen und smaragdgrünen Pyrrhusblättern, der zu dem gescheitelten kohlschwarzen Haare vortrefflich paßte und ihrem leidenschaftlichen Profil mit der römischen Nase ein an die Antike erinnerndes Aussehen gab.
Beide hatten Rudolf in dem Augenblicke gesehen, als sie gleich ihm dem Wintergarten zuschritten; Rudolf aber schien sie nicht zu sehen, denn er stand, als sie sichtbar wurden, gerade an der Ecke einer Allee.
»Der Fürst ist so lebhaft von der Gemahlin unsers Gesandten eingenommen, daß er auf uns gar nicht achtet,«, sagte die Marquise zu Sarah. – »O, glauben Sie doch nicht so etwas, liebe Clemence,« versetzte Sarah, die vertraute Freundin der Marquise, »er hat uns sicher gesehen, fürchtet sich aber, mit mir zusammenzutreffen, weil er noch immer gegen mich eingenommen ist.« –
Da Rudolfs Verhältnis zu Sarah und die aus ihm resultierenden Ereignisse etwa 17–18 Jahre zurücklagen, war in der Gesellschaft nichts darüber bekannt, zumal sowohl Rudolf als auch Sarah recht wichtige Gründe hatten, darüber zu schweigen. – »Ich begreife seinen Starrsinn, Ihnen aus dem Wege zu gehen, weniger denn je und habe ihm sein seltsames Benehmen gegen Sie, eine doch einst so gute Freundin, mehr denn einmal vorgehalten. Aber er sagte mir immer: ›Ja, meine Liebe, was ist dagegen zu machen? Wir sind nun doch einmal Todfeinde, ich habe mir den Schwur geleistet, kein Wort mehr mit ihr zu wechseln, und dies Gelübde, setzte er hinzu, muß mir um so heiliger sein, als es mich ja doch des Umganges mit einer so liebenswürdigen Dame beraubt! Oder – schätzen Sie solchen Verlust vielleicht für gering?‹« – »Glauben Sie mir, liebe Freundin,« erwiderte die Gräfin Sarah, »irgendwelcher Grund zu solcher Todfeindschaft liegt keineswegs vor. Wäre nicht eine dritte Person dabei mit im Spiele, so hätte ich Sie in das große Geheimnis schon längst eingeweiht. Aber was ist Ihnen denn, meine Liebe? Sie scheinen ja in gar tiefes Sinnen versunken zu sein?« – »O, mir ist nichts, gar nichts, liebe Freundin. In der Galerie war es so heiß, daß ich Kopfschmerzen bekommen habe. Setzen wir uns doch hier einen Augenblick nieder!«
Sie nahmen nebeneinander auf einem Plaudersofa Platz. Die junge Frau erwiderte mit keinem Worte, und Sarah sagte im Tone freundschaftlichen Vorwurfes zu ihr: »Haben Sie denn gar kein Vertrauen zu mir? Wollen Sie ihn tatsächlich alle Hoffnung mit ins Grab nehmen lassen?« – »Was reden Sie da?« rief die Marquise erschrocken.
»Sie kennen ihn noch nicht, meine Liebe! Er ist doch immer so unglücklich gewesen, daß man es gar nicht für möglich halten sollte. Sie könnten Freude daran finden, ihn noch immer zu peinigen.« – »Kein Wort mehr davon, wenn Sie mich lieb haben,« rief Frau von Harville, »denn Sie tun mir bitter weh. Was hat mich denn anders ins Unglück gestürzt, als eben das Mitleid mit seiner Lage?« setzte sie, unwillkürlich seufzend, hinzu. – Sarah schien die letzten Worte nicht zu verstehen und fuhr fort: »Und wie sehr verdient er das Interesse, das Sie ihm widmen! Gestehen Sie es doch nur ein! Wie könnte auch solch edles Antlitz nicht seiner Seele Spiegel sein? Ich habe ihn einmal in Uniform gesehen und muß sagen, daß ich nie eine schönere Mannesgestalt gesehen habe. Würde der Adel nach Verdienst und Gestalt gemessen, so müßte er Herzog und Pair sein.« – »Ach, bitte, sprechen wir von etwas anderm,« sagte Frau von Harville nach einer ziemlich langen Pause; »meinetwegen,« setzte sie mit erzwungener Heiterkeit hinzu, »von Ihrem Todfeinde, dem Fürsten, den ich so lange nicht gesehen habe. Ich muß Ihnen bekennen, daß ich ihn höchst anziehend finde. Doch Ihnen habe ich es zu verdanken, daß mein Faible für ihn nicht allzu lange gedauert hat. Die Rolle der Todfeindin haben Sie so vortrefflich gespielt, haben mir soviel von dem Fürsten erzählt, daß ich es nicht in Abrede stellen kann, daß an Stelle der Zuneigung Abneigung getreten ist.« – »Aber so sagen Sie mir doch,« fragte Sarah, »ist Ihr Gemahl heut abend hier?«
»Nein,« antwortete Frau von Harville sehr verlegen, »er hatte keine Lust auszugehen.« – »Mir kommt es so vor, als lasse er sich jetzt immer weniger in Gesellschaft sehen, während Sie immer in arge Unruhe geraten, sobald die Rede auf Ihren Gemahl kommt.« – »Ich? Aber das ist doch Ihr Ernst nicht!« – »In Ihren Zügen kommt, wenn Sie auf ihn zu sprechen kommen, vielleicht ohne daß Sie es wollen, eine gewisse schüchterne Abneigung zum Ausdruck, ein Widerwillen, wie ihn jemand durch eifersüchtiges, mürrisches Wesen hervorrufen kann.«
Frau von Harville antwortete rasch: »Nein, mein Mann ist weder eifersüchtig, noch mürrisch.« Dann fuhr sie, sicher in der Absicht, ein ihr lästig gewordenes Gespräch abzubrechen: »Herr du meine Güte! Da kommt der unausstehliche Lucenay, ein Intimus von meinem Manne. Und ich meinte, er sei an tausend Meilen weit weg.« – »Es hieß tatsächlich, er sei auf ein paar Jahre nach dem Orient gereist. Das nenne ich eine unvermutete Heimkehr, die der Herzogin sicherlich recht unangenehm gewesen sein wird, mag ihr auch der Herzog nirgendswo in den Weg treten,« meinte Sarah mit feinem Lächeln. »Im übrigen wird sie ja nicht die einzige sein, die über diese plötzliche Wiederkunft grollt. Herr von Saint-Remy, das Muster aller Elegants, der ganz Paris durch seinen Luxus blendete, wird sich auch nicht wenig ärgern, soll er doch so gut wie ruiniert sein, wenn man es auch an dem Aufwand, den er macht, nicht merkt; seine Frau freilich ist ja unermeßlich reich . . .« Sie hielt jäh inne – – – »Ach, Gott!« rief sie, »der Herzog hat uns gesehen, er kommt, wir müssen uns schon drein ergeben!«
Der Herzog von Lucenay, einer der vornehmsten Familien Frankreichs angehörig und noch jung, mit einem Gesicht, das einst schön und männlich gewesen, aber durch die maßlose Ausschweifung, der er sich hingegeben, den häßlichen Zug der Abgelebtheit bekommen hatte, war hastig und jäh in seinen Bewegungen, schrie und lachte ungebärdig, führte auch allerhand unflätige Reden im Munde, daß man sich immer seines hochadeligen Namens erinnern mußte, um zu begreifen, wie er Zutritt zur vornehmsten Gesellschaft von Paris finden konnte. Seine Gemahlin war eine Dame von nicht geringer Schönheit, die trotz ihrer dreißig Jahre noch zu den interessantesten Erscheinungen dieser Kreise zählte, doch nicht tadellos in ihrem Wandel war, was man ihr aber in Anbetracht des unausstehlichen Wesens ihres Mannes bereitwillig nachsah. –
»He, he!« rief er, »was sieht man da? Die schönste Dame auf dem ganzen Balle zieht sich zurück? Darf das sein? Na, das wäre ja die unverantwortlichste Sünde, die jemand begehen könnte! Das brauchen doch wir uns nicht bieten zu lassen, wir – Männer! Haben wir doch ein Recht drauf, alle Schönheit zu bewundern, die . . .« – »Aber, lieber Herr Herzog, reden Sie doch nicht gar zu laut,« bemerkte die Marquise, »Sie zwingen uns sonst, Sie zu meiden!« – »Wie Sie das sagen, Marquise!« erwiderte der Herzog, »ich kenne Sie ja gar nicht wieder! Kommen Sie her, reichen Sie mir Ihren Arm und machen Sie mit mir einen Gang durch die Galerie!« – »Aber doch nicht mit Ihnen!« versetzte abwehrend die Herzogin, »ach, bitte rühren Sie das Bukett nicht an! Auch den Fächer nicht! Sie zerbrechen ja doch immer alles, was Sie in die Finger bekommen.« – Der Herzog lachte so laut, daß Frau von Harville sich gewiß auf der Stelle entfernt hätte, wäre nicht im selben Augenblicke Herr Karl Robert – der junge hübsche Herr, den Frau Pipelet »den Kommandanten« zu nennen liebte – von der andern Seite hergekommen. So fürchtete sie, es könne wohl aussehen, als sei sie ihm entgegen gegangen, und blieb beim Herzoge stehen . . . »Ei, der Tausend!« rief Lucenay, »wo kommen Sie denn hergeschneit, Karl Robert? Hab Sie doch eben erst in den Pyrenäen getroffen! Marquise, ein großartiger Kerl, dieser Karl Robert! Singt wie ein Schwan und tanzt wie Apollo . . . Na, Sie sollen sehen, wie ich ihn aufziehe! Wünschen Sie, daß ich Sie mit ihm bekannt mache?«
Karl Robert trat näher. Seine hohe Gestalt war gut proportioniert, sein Gesicht zeichnete sich durch die tadellose Reinheit der Züge aus, dennoch fehlte es seiner Gestalt an Grazie und Eleganz, er hatte eine steife, gezwungene Haltung, und seine Hände und Füße waren groß und gemein. Sobald er aber die Marquise von Harville erblickte, trat auf seine Züge plötzlich ein Ausdruck tiefer Melancholie, und so geschwind, daß man nicht anders konnte, als ihn für erheuchelt halten, und doch war es nicht sowohl Heuchelei, als tiefes Unglück, unsägliche Trostlosigkeit, so daß Frau von Harville, als er jetzt vor ihr stand, unwillkürlich an die unglückverkündenden Worte denken mußte, die eben aus ihrem Munde gefallen waren.
»Ach, guten Tag, Bester,« rief Lucenay ihm zu, ihn am Arme packend, als er vorbeigehen wollte, »was fehlt Ihnen? Sie sehen ja ganz elend aus!« – Mit der kläglichsten Stimme antwortete Karl Robert, einen langen, melancholischen Blick auf die Marquise werfend: »Wohl fühle ich mich freilich gar nicht.« – »Können Sie denn Ihren ewigen Keuchhusten gar nicht mehr los werden?« fragte Lucenay, dem Anschein nach mit echter Teilnahme. – Auf Karl Roberts Gesicht trat helle Zornesröte, und heftig erwiderte er: »Wenn Sie sich für meine Gesundheit wirklich so lebhaft interessieren, dann haben Sie vielleicht morgen früh die Güte, mir eine Kondolenzvisite zu machen?« – »Wie sagten Sie?« versetzte Lucenay stolz, »gewiß, ich werde nicht ermangeln, durch meinen Lakai nach Ihrem Befinden vorfragen zu lassen.« – Karl Robert verneigte sich leicht und ging weiter. Frau von Harville stand auf, nahm Sarahs Arm, ging Herrn Karl Robert nach, der vor Unwillen schier außer sich war, und sagte im Vorbeigehen leise zu ihm: »Morgen ein Uhr bin ich bei Ihnen . . .« Dann kehrte sie mit der Gräfin in den Ballsaal zurück und fuhr bald darauf nach Hause.