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Rudolf konnte leider die Marquise nicht, wie er gerechnet hatte, retten; sie sollte, nachdem sie den Saal im Gesandtschaftspalais verlassen, einen Höflichkeitsbesuch bei Frau von Nerval machen; ihre Empfindungen bestürmten sie aber so heftig, daß sie den Mut, auf den andern Ball zu gehen, nicht fand, sondern heimkehrte. Und dadurch wurde alles verdorben. Baron Graun, wie fast alle Personen, die bei der Gräfin ** geladen gewesen waren, war auch von Frau von Nerval geladen worden, und Rudolf ließ durch Baron Graun dort nach Frau von Harville vorfragen, um sie für denselben Abend noch um eine Unterredung zu ersuchen. Der Baron kehrte aber unverrichteter Dinge zurück, da die Marquise gar nicht auf dem Balle erschienen war. Rudolf war außer sich, denn er hatte mit Recht gemeint, ihr vor allem den Verrat anzeigen zu sollen, den man an ihr hatte begehen wollen. Nun war es zu spät, denn der schändliche Brief war dem Marquis kurz nach Mitternacht zugestellt worden.
Am andern Morgen ging Marquis von Harville langsam in seinem Schlafzimmer auf und nieder – am Kamin lag ein Stuhl und ein Tisch, beide aus Ebenholz, umgestürzt; auf dem Teppich lagen Glasscherben, halb zertretene Kerzen, und ein Armleuchter war weit von dem Flecke hinweggerollt, wo er sonst zu stehen pflegte. Das waren die deutlichen Zeichen eines heftigen Kampfes, der hier vor sich gegangen sein mußte.
Herr von Harville war etwa 30 Jahre alt und hatte ein männliches Gesicht von im allgemeinen angenehmem, mildem Ausdruck, das jetzt bleich und verzerrt aussah. Er trug noch denselben Anzug wie tags vorher. Sein Hals war entblößt, die Weste offen, das Hemd zerrissen, stellenweis wie mit Blut befleckt. Das sonst wohlgeordnete braune, gelockte Haar hing ihm wirr über die bleiche Stirn.
»Morgen um ein Uhr wird Ihre Frau sich zu einem Stelldichein in der Rue du Temple Nr. 17 begeben. Folgen Sie ihr dorthin. Dann werden Sie erfahren, daß Paris um einen Hahnrei reicher ist. Gratuliere zu solcher Ueberraschung!« Das stand in dem Billet, das er vom Marmorsimse genommen, und jetzt mit gierigen Blicken im bleichen Lichte des Wintergartens verschlang.
Da wurde die Tür geöffnet, und ein greiser Kammerdiener trat ein. Ohne seine Stellung zu verändern, das Billet in der Hand zerknüllend, wandte der Marquis sich zur Seite. – »Was willst du?« herrschte er den Diener an, der kein Wort erwiderte, aber einen schmerzlichen Blick auf die im Zimmer umherliegenden Gegenstände warf . . . »Gnädiger Herr!« rief er nach einer Weile, »Blut an Ihrem Hemd? O Gott! o Gott! Sie haben sich gewiß verwundet! Aber warum haben Sie denn nicht geklingelt wie sonst?« – »Laß mich!« – »Aber, Herr Marquis! Das Feuer ist ja ausgegangen. Es ist schrecklich kalt hier . . . nach Ihrem . . .« – »Still! Ich sage dir doch, du sollst mich in Ruhe lassen!« –
An allen Gliedern zitternd, hub der Diener wieder an: »Herr Marquis! Sie hatten doch Herrn Doublet befohlen, heut morgen Punkt elf hier zu sein! Jetzt ist's so weit. Herr Doublet wartet mit dem Notar.« – »Gut,« sagte der Marquis bitter, seine Ruhe allmählich wiederfindend; »laß die Herren kommen.« – »Sie warten schon im Kabinett.« – »Nun, dann gib mir andere Sachen! Aber schnell, ich muß gleich ausgehen.«
Während Joseph sich damit befaßte, in dem Gemache seines Herrn Ordnung zu machen, trat dieser an den Gewehrschrank, musterte ein paar Minuten lang die darin befindlichen Waffen, winkte Joseph zufrieden und sagte: »Du hast doch nicht vergessen, meine Waffen oben im Jagdkasten zu putzen?« – »Vor vier Wochen sind sie doch erst vom Büchsenmacher gekommen.« – »Sieh nach, was dran fehlt, und bring sie mir her! Ich werde wohl bald auf die Jagd gehen und wünsche, daß alle meine Waffen in sauberster Ordnung seien.«
Nachdem er sich umgezogen, trat der Marquis in sein Kabinett, wo sein Intendant Doublet und der Schreiber eines Notars auf ihn warteten. – »Das Dokument muß dem Herrn Marquis noch vorgelesen werden,« sagte Doublet, »dann braucht es bloß unterfertigt zu werden.« – »Haben Sie es gelesen, Doublet?« – »Jawohl, Herr Marquis!« – »Nun, das genügt. Ich unterzeichne.« Sobald dies geschehen war, ging der Schreiber. – »Von jetzt ab,« sagte Doublet mit triumphierendem Blicke, »steigen Ihre Einnahmen aus dem Grund und Boden auf anderthalbhunderttausend Franks. Ich glaube, es ist Ihnen nicht unbekannt, daß ein solches Bareinkommen zu den großen Seltenheiten, auch bei uns in Frankreich, zählt.« – »Nun, dann gehöre ich also zu den Glückspilzen der Erde?« meinte Harville lächelnd; »ein solches Glück, wie es mich verfolgt, steht ja fast ohnegleichen da!« – »Gott sei Dank, Herr Marquis, es mangelt Ihnen ja an nichts; Jugend, Reichtum, Gesundheit: das alles besitzen Sie! Und was schöner noch als dies alles ist: eine edle Gattin und ein Töchterlein, süß wie ein Engel!«
Der Marquis maß den Intendanten mit finsteren Blicken . . . »»Wieviel Geld haben Sie in der Kasse?« – »19.300 Franks, Herr Marquis, das bei der Bank deponierte Geld nicht gerechnet.« – »Bringen Sie mir noch heut vormittag 10 000 Franks in Gold, und sollte ich nicht da sein, so geben Sie es Joseph.« – »Binnen einer Stunde wird das Geld da sein.« – »Adieu, Doublet!« – Doublet verneigte sich, und Herr von Harville sank, das Gesicht in beide Hände vergrabend, wie vernichtet auf einen Stuhl. Es waren die ersten Tränen, die er seit Sarahs Billet vergoß . . .
»O!« rief er, »grausamer Hohn des Schicksals, das mich mit Reichtum bedacht hat! Was bleibt mir, in den goldnen Rahmen zu fassen? Meine Schande – meiner Frau Schande – Schande, die bei einem Eclat schließlich auch mein Kind, meine Tochter mittrifft! Muß ich mich zu diesem Eclat entschließen, oder soll ich Mitleid walten lassen?« – Funkelnden Auges richtete er sich auf und sprach finster vor sich hin: »Nein, nein! Blut, Blut! Das Schreckliche ist der Tod des Lächerlichen!« – Plötzlich hielt er inne, wie wenn ein Gedanke recht tiefen Eindruck auf ihn machte, und heftig fuhr er fort: »Ich weiß ja, was der Grund dazu ist: Widerwille, der in ihrem Herzen gegen mich wohnt! Sie scheut sich vor mir! Aber ist's denn meine Schuld? Muß sie mich drum hintergehen? Verdiene ich nicht statt Haß eher Mitleid? – Nein, nein! Blut, Blut! . . . Beide, alle beide sollen bluten! Ganz sicher hat sie doch dem andern, dem andern alles gebeichtet!« – Und dieser Gedanke drohte ihn ganz außer sich zu bringen: er hob die geballten Fäuste gen Himmel, fuhr sich mit der heißen Hand über die Augen und kehrte, da er die Notwendigkeit fühlte, vor seinem Dienstpersonal ruhig zu erscheinen, in sein Schlafzimmer zurück. Dort nahm er aus dem Jagdnecessaire ein kleines Pulverhorn, Kugeln und Zündhütchen, schloß es wieder zu, steckte den Schlüssel zu sich und langte aus dem Waffenschrank ein Paar Taschenpistolen.
In diesem Augenblicke kehrte Joseph zurück, um zu melden: »Die Frau Marquise ist empfangsbereit.« – Als er gegangen war, sprach der Marquis weiter vor sich hin: »Es ist ein Drama wie jedes andere. Gut denn, ich will zu ihr gehen, will die perfide Fratze mit der gleisnerischen Freundlichkeit angaffen, unter der sie zweifellos an den begangenen Ehebruch denkt; will die Lüge von ihrem Mund hören, dieweil ich in ihrem schon verderbten Herzen das Verbrechen lese. – Ja, ein merkwürdiges Schauspiel, wenn man sieht, wie eine Frau, die ihrem Manne Schmutz anhängt, der nur durch Blut abzuwaschen, ihn ansieht, ihm Rede und Antwort steht!«
Er verließ das Zimmer, ging jedoch nicht zu seiner Gemahlin, sondern auf den in der Nähe seines Hauses befindlichen Droschkenplatz . . . »Nach der Rue de Belle-Chase, Ecke der Rue Saint-Dominique, an der Gartenmauer warten!« – Mit diesen Worten stieg er in eine Droschke und ließ die Fenster herunter. Bald war die Droschke dem Hause des Marquis gegenüber angelangt. Von hier aus konnte niemand das Haus verlassen, ohne daß Harville ihn sehen mußte.
Das von seiner Frau gewährte Stelldichein war auf ein Uhr bestimmt. Harville ließ keinen Blick von der Tür. Es schlug Mitternacht, als sich die Tür seines Palais langsam öffnete. Die Frau Marquise trat heraus . . . »Hm,« sagte der Marquis in bitterer Ironie, »so aufmerksam? Sie scheut sich, den Galan warten zu lassen.«
Der Eindruck, den er hatte, war so schmerzlicher Art, daß er sich kaum beherrschen konnte, als er das Fenster ein wenig aufzog, um dem Kutscher zuzurufen: »Du siehst doch die Dame dort im blauen Schal und schwarzen Hute?« – »Die an der Mauer entlang geht?« – »Ja.« – »Die jetzt zum Droschkenplatze geht?« – »Ja doch! Sobald sie eine Droschke nimmt und einsteigt, so fahre hinterher!« – »Gut!«
Gleich darauf fuhren beide Droschken ab, aber nach einer kleinen Weile bemerkte der Marquis zu seiner nicht geringen Verwunderung, daß sein Wagen vor der in der Nähe befindlichen Kirche hielt.
Tausenderlei Gedanken bestürmten den Marquis. Zuerst meinte er, es sei seiner Frau aufgefallen, daß ein Wagen hinter dem ihrigen her fahre. Dann aber drängte sich ihm die Meinung auf, daß der Brief, den er bekommen, nichts als eine gemeine Verleumdung sei . . . Was sollte seine Frau Frömmigkeit heucheln, wenn sie sich schuldig fühlte? Wie könnte sie mit dem Heiligsten solchen Spott treiben?
Im nächsten Augenblicke zog freudige Hoffnung in sein Herz, denn zwischen dieser anscheinenden Frömmigkeit und dem Schritte, der seiner Frau angedichtet wurde, lag ja ein zu großer Kontrast . . . Aber die tröstliche Täuschung war von keiner langen Dauer, denn der Kutscher bog sich jetzt zu ihm und raunte ihm zu: »Die Dame steigt wieder ein.« – »So fahre ihr hinterher!« – »Gut! Die Geschichte wird ja recht nett!« Und der Kutscher rieb sich die Hände.
Die Droschke fuhr über die Kais, am Rathause vorbei, die Rue Sainte-Avoye entlang und bog endlich in die Rue du Temple ein. Ein paar Sekunden später trat der Marquis hinter seiner Frau her in das Haus.