Eugen Sue
Die Geheimnisse von Paris
Eugen Sue

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Viertes Kapitel.

Sarah Mac Gregor.

Jakob Ferrand kannte die Dame noch nicht, die jetzt mit ihrer gewohnten Ruhe und Sicherheit in sein Privatzimmer eintrat, und kannte die Absicht nicht, die sie zu ihm führte. Er maß die Gräfin mit einem inquisitorischen Blicke und nahm, trotzdem sie sich jetzt mehr denn je ihrer eisigen Ruhe befleißigte, ein schwaches Zittern ihrer Brauen wahr, das ihm einen gewissen Grad von Verlegenheit zu verraten schien. Er erhob sich von seinem Sessel, zeigte auf einen anderen und sagte zu seiner neuen Klientin: »Sie haben eine Unterredung mit mir gewünscht. Gestern mußte ich wegen Ueberbürdung ablehnen. Ich war auch erst heute orientiert. Entschuldigen Sie also, bitte!« –

»Was mich zu Ihnen führt, ist folgendes, Herr Notar – ich schicke voraus, daß ich mich über Sie genau erkundigt habe, und daß mich lediglich der Ruf strenger Rechtlichkeit zu Ihnen führt, in welchem Sie in allen Kreisen stehen . . .« – »Ich bitte, gnädige Frau, zur Sache,« versetzte der Notar, wieder über die gleichen Worte, die er schon von Frau von Orbigny gehört, ärgerlich. –

»Es mögen vierzehn Jahre her sein – wenn ich nicht irre, war es im Dezember des Jahres 1824 – als ein noch junger Mann zu Ihnen kam – streng schwarz gekleidet – um für ein Kind von drei Jahren 150 000 Franks zu deponieren. Die Namen der Eltern sollten unbekannt bleiben. Sie übernahmen die Verpflichtung, dem Kinde eine Leibrente von 8000 Franks zu sichern. Die Hälfte davon sollte bis zum Mündigkeitsalter für das Kind zum Kapital geschlagen, die andere Hälfte an diejenige Person ausgezahlt werden, die sich mit der Erziehung des Mädchens befaßte.«

»Weiter, bitte,« sagte Ferrand. – »Das Kind ist, wie ich gehört habe, im vierten Lebensjahre verstorben.« – »Eine Frage: welches Interesse haben Sie persönlich an dieser Sache?« – »Nun, fände morgen meine Schwester ihr Kind wieder, so dürfte sie aufs sicherste hoffen, sich mit dem Vater des Kindes, der jetzt ledig ist wie sie, zu verehelichen. Meine Nichte ist den Eltern frühzeitig genommen worden; weder der Vater noch die Mutter haben noch eine Erinnerung von ihr. Fände man jetzt ein Mädchen von 17 Jahren – so alt wäre jetzt meine Nichte – ein beispielsweise von ihren Eltern verlassenes Kind – und man brächte es zu meiner Schwester und sagte ihr, daß es ihre Tochter sei, daß nur gewisse Interessen es als notwendig hätten erscheinen lassen, das Kind für tot anzugeben, fände sich vielleicht gar ein achtbarer Notar, der das Kind legitimierte . . .«

Ferrand sprang vom Stuhle auf und rief empört: »Still, still! Was Sie mir sagen, was Sie mir zumuten zu wollen scheinen, ist die bodenloseste Niederträchtigkeit!«

»Mein Herr!« rief die Gräfin, nicht minder erregt, »bitte, keine überflüssige Aufregung! Wem geschähe damit ein Unrecht? Meine Schwester ist ledig, der Mann, den sie heiraten möchte, desgleichen. Beide sind untröstlich über den Verlust ihres Kindes; ists sündhaft, sie durch eine Täuschung zu den glücklichsten Menschen zu machen? Einem armen Mädchen auf diese Weise ein geradezu glänzendes Geschick zu sichern?«

»Ich wiederhole, daß es eine niederträchtige Handlung ohnegleichen ist,« rief Ferrand, »und wenn eine Frau von Stande, wie Sie, sich mit dergleichen Manipulationen befaßt, so ist das geradezu eine Schande!« –

Sarah warf dem Notar aus ihren schwarzen Augen einen durchbohrenden Blick zu und versetzte mit kalter Ruhe: »Nun, so lassen Sie sich sagen, Herr Ferrand, daß ich keine Schwester habe, sondern daß ich selbst die Mutter des Kindes bin, von welchem ich sprach, daß ich nur auf Umwegen zu dem Ziele, das ich mir gesteckt, zu gelangen suchte, und daß ich eine Fabel ersonnen habe, um Sie für die Angelegenheit zu gewinnen. Sie wollen nichts davon wissen, nun, so werfe ich die Maske ab; wenn Sie den Krieg wollen, dann sollen Sie ihn haben.« – »Warum soll mir an Krieg gelegen sein?« erwiderte Ferrand, »ich weigere mich ja nur, an einem Verbrechen teilzunehmen!« – »Bitte auf eine kurze Zeit noch um Gehör,« sagte Gräfin Sarah, »Sie sind als Mann von Grundsätzen bei aller Welt angesehen; aber seit dem ersten Augenblick unserer Unterredung möchte ich bezweifeln, daß Sie tatsächlich Anspruch auf ein solches Renommee besitzen.« –

Ferrand richtete einen bösen Blick auf die Gräfin, die sich aber nicht dadurch einschüchtern ließ, sondern kalt fortfuhr: »Mein Zweifel gründet sich zwar nur auf Nichtigkeiten, auf den Instinkt, auf unerklärliche Ahnungen, die mich aber selten irregeführt haben . . .«

»Es wird am Platze sein, dieser Zusammenkunft ein Ende zu bereiten.« – »Ich bin gewiß damit einverstanden,« versetzte Sarah, »vorher aber noch ein paar Worte über das, was ich von Ihnen will: Zuerst bemerke ich, daß ich vom Tode meines Kindes fest überzeugt bin, worauf aber nichts weiter ankommt, denn ich werde behaupten, daß es nicht tot sei, daß Sie es bloß haben verschwinden lassen, um sich im Verein mit Ihrem Klienten die für das Kind ausgesetzte Summe zu teilen.«

Ferrand zuckte die Achseln . . . »Wäre ich solch verbrecherischen Tuns fähig,« rief er, »dann hätte ich das Kind wohl nicht verschwinden lassen, sondern ich hätte es endgültig beseitigt.«

Sarah fuhr zusammen, schwieg eine Weile und fuhr dann fort: »Für einen Mann von Grundsätzen ist es ein tief durchdachter, verbrecherischer Gedanke . . . Sollte ich vielleicht zufällig das Richtige getroffen haben? Auf alle Fälle nötigt einen so etwas zum Ueberlegen, und ich werde es an Ueberlegung nicht fehlen lassen. Sie sollen sehen, daß ich eine Frau bin, die sich kein X für ein U vormachen läßt. Was mich auf meinem Wege hindert, das zermalme ich unerbittlich. Bis morgen lasse ich Ihnen Bedenkzeit. Ich wiederhole: Was ich von Ihnen begehre, können Sie skrupellos tun; wenn unsre Lüge einigermaßen pfiffig angedreht ist, dann wird der Herr Papa in seiner Freude über diesen Wiederfund seines Kindes sich kaum Gedanken machen. Zudem sind für den Tod meines Kindes andere Beweise als meine Briefe an ihn nicht vorhanden. Darüber sind nun elf Jahre ins Land gegangen, und ihm die Ueberzeugung beizubringen, daß ich ihn deshalb hintergangen, weil er sich damals nicht gerade nett gegen mich benommen, wird mir sonderlich schwer kaum fallen. Irgend welche Gefahr, Ihren Ruf zu schädigen, ist nicht vorhanden; Sie brauchen als Notar ohne Furcht und Tadel bloß zu versichern, daß alles zwischen Ihnen, mir und Madame Seraphim abgesprochen gewesen, und wer sollte in solche Aussage von Ihnen Zweifel setzen? Ueber das defraudierte Geld soll kein Wort fallen; das soll Ihrem Klienten, der von all diesen Dingen nichts hören soll, ungeschmälert bleiben; und was Sie dabei verdienen wollen, nun, das brauchen Sie ja nur zu sagen.«

Jakob Ferrand bewahrte all seine Kaltblütigkeit, trotzdem die Situation nichts weniger als ungefährlich für ihn war, und um sich Zeit zur Ueberlegung zu schaffen, sagte er ruhig zu Sarah:

»Sie wollen morgen wissen, wie ich mich zu Ihrem Antrage stelle. Nun, lassen wir uns Zeit beiderseitig bis übermorgen nachmittag. Habe ich bis dahin keine Nachricht von Ihnen, daß Sie sich anders besonnen haben, so werden Sie zu Ihrem Nachteile spüren, daß die Justiz ehrliche Leute zu schützen weiß, die sich an verbrecherischen Umtrieben nicht beteiligen wollen.«

»Sie wünschen also einen Tag Bedenkzeit mehr? Nun, das erachte ich für ein gutes Zeichen, und ich gebe Ihnen diese Frist gern. Uebermorgen, zur nämlichen Zeit, werde ich wieder bei Ihnen erscheinen, und von Ihnen wird es abhängen, ob Sie Krieg oder Frieden haben wollen. Vorm Kriege nehmen Sie sich in acht: er wird erbittert und rücksichtslos geführt werden.«

Mit diesen Worten ging Sarah . . . »Alles geht gut,« sagte sie bei sich, »das Mädchen, das Rudolf in einer Zufallslaune nach Bouqueval hinausgeschafft hat, doch gewiß nur in der Absicht, es später zur Maitresse zu machen, brauche ich nicht mehr zu fürchten. Und ein anderes Waisenkind, das sich in die von mir ausgesonnene Rolle findet, wird sich schon auftreiben lassen. Ich kenne ja Rudolfs edles und großes Herz. Um dem Mädchen, das er für sein Kind hält, das bislang verlassen und unglücklich gelebt, Rang und Namen zu geben, wird er unser Verhältnis wieder aufleben lassen, und die Weissagung meiner Amme, daß ich eine Krone tragen werde, wird sich endlich erfüllen.«


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