Johann Gabriel Seidl
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Johann Gabriel Seidl

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XII.

Die beiden Ahasvere.Ahasverus ist der Legende zufolge der Name eines Schusters zu Jerusalem, vor dessen Hause Christus auf dem Wege nach Golgatha rasten wollte, was dieser jedoch nicht zuließ. Zur Strafe dafür wurde er von dem Herrn dazu verdammt, ruhelos durch die Welt zu wandern, ohne je sterben zu können. Die Sage läßt ihn zu verschiedenen Zeiten in Italien, Spanien, auch in Deutschland und andern Ländern auftreten. Seine Gestalt kehrt auch in der neueren Poesie oft wieder.

                              Tolle Zecher stürmen lärmend in die düstre Schenk' hinein,
Werfen sich auf Tisch' und Bänke, schrein nach Würfeln und nach Wein,
Einen hagren alten Juden in absonderlicher Tracht
Haben sie zum Zechgelage sich als Tischnarrn mitgebracht.

»Setz dich, Gauner,« schallt es spöttelnd, »da ist Imbiß, da ist Trank,
Aber daß du uns die Zeche zahlst mit einem guten Schwank!
Seht ihn nur mal an, den Schächer, – wahrlich hol' uns der und der,
Ist er, wie er ist, am Ende nicht der echte Ahasver?«

Und ein brüllend Hohngelächter folgt dem plumpen Witze nach,
Und ein schwerer Seufzer ächzet wie ein Windstoß durchs Gemach. –
»Weh geschrien,« so ruft der Jude, »weh geschrien, ich bin erkannt!
Habt Erbarmen mit mir Armen, ja – ich bin's, den ihr genannt!«

Unwillkürlich schauernd springen alle Zecher rasch empor,
Scheu den Spuk mit Augen messend, den ihr Spöttermund beschwor;
Und der Jud', unheimlich grinsend, duckt sich demutsvoll und spricht:
»Fürchtet euch, gewalt'ge Herren, vor dem schwachen Juden nicht!

Bin ich selber doch geschlagen! Zwei Jahrtausende schon fast
Wall' und wandr' ich auf und nieder, und noch hab' ich keine Rast;
Ja, der Ahasver, der alte, könnt' erzählen viel, ihr Herrn,
Große Dinge, grause Dinge; – Jugend aber hört's nicht gern!« –

»Sprich, erzähl', erzähle!« lärmt es, – und der Jude lächelt kalt:
»Neues soll ich euch erzählen, und für mich ist alles alt.
Schlimme Zeiten allerorten, schlimmre Zeiten vor der Tür,
Allerorten Not und Jammer, Übergriff und Ungebühr.

Ist die Welt doch grau geworden und ist immer noch ein Kind,
Taub noch wie vor tausend Jahren, wie vor tausend Jahren blind;
Hat das Messer in den Händen, aber scheut sich vor dem Schnitt,
Hat den Schlüssel zu den Ketten, aber schleppt sie knechtisch mit.

Wollt ihr warten, bis sich's bessert? Seht an mir, was warten frommt!
Ahasvere seid ihr alle; wartet bis der Heiland kommt!
Löst ihr euren Fluch nicht selber, niemand löset euren Fluch,
Und in lächerlicher Demut webt ihr euer Leichentuch.

Menschenalter sah ich kommen, Menschenalter sah ich gehn,
Alle hofften auf die Zukunft, keiner hat sie je gesehn;
Wer wie ich gelebt mit allen, aber nicht mit ihnen starb,
Weiß, was jede Zeit verloren, weil sie selbst sich's nicht erwarb.

Warten, warten?! – Ich muß warten, vor mir liegt die Ewigkeit,
Doch vor euch, ihr unglücksel'gen Glücklichen, liegt nur die Zeit,
Und die Zeit ist täglich euer, wenn ihr sie zur euren macht;
Wer sich scheut den Tag zu wecken, darf nicht klagen, daß es Nacht.

Tausenden auf meiner Wandrung hab' ich es gepredigt laut,
Doch sie haben immer wieder auf den alten Wahn gebaut;
So ward euer Fluch – der meine, eure Qual – Qual für mein Herz,
Und der Menschheit Leid – mein Leiden, und der Schmerz der Welt – mein Schmerz!

Ewig so herumzuwandeln durch das ew'ge Einerlei,
Ewig so ihn anzuhören eurer Ohnmacht eitlen Schrei,
Ewig dort zu sehn euch betteln, wo kein Ohr, kein Aug' für euch,
Lächerlich fast möcht' ich 's nennen, wär's so trostlos nicht zugleich!« –

Und der Jude knickt zusammen, ächzend wie ein morscher Baum,
Und die ernstgewordnen Zecher sitzen stumm und atmen kaum;
Sieh, da regt sich's tief im Winkel, sieh' da hebt sich's lang empor,
Und ein grauer Schatten schreitet schweigsam feierlich hervor.

Um die hagren Lenden fließet ihm ein faltiger Talar,
Erdenfahl sind seine Wangen, silberweiß sind Bart und Haar,
Hoch die Stirn und tief die Augen, überwölbt von dichten Brau'n,
Und sein Leib, obwohl verwittert, dennoch kräftig, fast zum Grau'n.

Stieg er plötzlich aus dem Boden, war er ungesehen nah?
Niemand weiß es, alle schaudern, furchtbar drohend steht er da,
Und in seinen Augenhöhlen, erst noch sternlos, flammt's wie Brand,
Und dem Juden auf die Schulter legt er seine Knochenhand.

»Geh, du Lügner,« spricht er zürnend, »geh, armsel'ger Gaukler, geh;
Prahle nicht mit einem Fluche, dessen Wucht nur ich versteh'!
Weltschmerzheuchler, Leidensmäkler, Arzt, der heilen will mit Gift,
Willst der Welt ihr Leid du deuten, lies auf meiner Stirn die Schrift.

Daß sie wegstößt ihren Heiland, wie einst ich ihn stieß von mir,
Daß sein Wort sie überhöret, wenn er warnend spricht zu ihr,
Daß sie von sich selbst erwartet, was nur er ihr geben kann,
Daß sein Glaub' ihr ward zum Wahne, das nur ist ihr Fluch und Bann.

Geh, betrogener Betrüger, geh, du Krüppel deiner Zeit,
Daß der Herr dich nicht im Zorne mahn' an seine Ewigkeit!
Darin eben liegt das Unheil und der Welt unsel'ger Bruch,
Daß sie so, wie du, verblendet prahlt mit ihrem ärgsten Fluch!« –

Also spricht er, schlägt den Mantel um die Schulter, wendet sich,
Durch die düstre Stube schallen seine Tritte schauerlich;
Und die tollen Zecher trinken ihre Krüge nimmer leer,
Höhnend aus der Schenke stoßen sie den falschen Ahasver.

 
Ansichten.

        »Freund, da hilft kein Widerstreben,«
Also schallt es rings mir zu,
»Willst du mit der Zeit nicht leben,
Glaub, umsonst nur lebtest du.

Sieh die jüngern, rasch gewonnen
Haben sie's im kühnen Schwung,
Und die ältern, klug besonnen,
Tun, so gut sie's können, jung.

Soll man dich nicht fallen lassen,
Stimme deine Saiten um;
Wie man's liebt, so mußt du's fassen,
Besser vorlaut sein, als stumm.

Reiß dich los von all dem Plunder,
Der so alt ist wie die Welt;
Jeder Tag bringt neue Wunder,
Und das neue nur gefällt.

Keck ins Leben mußt du tauchen,
Greifen in das Rad der Zeit,
Fleisch und Blut ist's, was wir brauchen,
Poesie der Wirklichkeit!« –

Habet Dank für eure Lehre,
Was ihr wollt, weiß ich genau;
Rudert auf bewegtem Meere,
Klammert euch an jedes Tau.

Haschet jeden flücht'gen Funken
Gierig auf und facht ihn an,
Und genießt entzückungstrunken,
Was die Zeit euch bieten kann;

Aber wehrt mir nicht zu denken:
Jede Zeit hat ihre Zeit,
Was sie hat nur kann sie schenken,
Glänzende Vergänglichkeit.

Mehr als auf manch neues Wunder,
Das nur, weil es neu, gefällt,
Bau' ich drum auf jenen Plunder
Weil er alt ist, wie die Welt.

Und so laßt denn meinem Streben,
Wird's auch mehr als Streben nie,
Als Devis' in Kunst und Leben:
»Wirklichkeit der Poesie!«


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