Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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IV.

Die Träne.

            In dunkler Kummer saß ein Mann
An schwarzbehängtem Tische,
Der prüfte grübelnd, dacht' und sann,
Wie er die Säfte mische.

Metall und Säure, Salz und Stein
Zersetzt er in Phiolen,
Verbindet, gießet aus und ein,
Stellt's über Eis und Kohlen.

Zusammenrafft er, was er kennt,
Und treibt's in düstrem Schweigen;
Das, was man eine Träne nennt,
Will er durch Kunst erzeugen;

Erzeugen eine Trän', – ein Naß,
So wohlfeil in dem Auge!
Er mischt und mengt ohn' Unterlaß,
Versucht's mit Dampf und Lauge.

Geschmolzner Demant scheint's ihm bald,
Bald Wasser im Kristalle;
Doch ist der Demant hart und kalt,
Der Tropf' erlischt im Falle.

Kein Feuer ist's, – der Funke brennt,
Die Tränen aber kühlen;
Es ist kein andres Element,
Kein Element kann fühlen.

Es ist nicht lebend, ist nicht tot,
Die Träne lebt im Werden,
Doch kaum, daß sie zur Schau sich bot,
So fällt sie tot zur Erden.

Sie ist ein Kind der Harmonie,
Ein Kind des Widerstrebens; –
Das ganze Reich der Alchimie
Durchforscht der Mann vergebens.

Da springt er auf von seinem Sitz
Und wandelt in das Freie,
Verschwört Erfindung, Kunst und Witz,
Und spürt Verdruß und Reue.

Doch wie er wandelt, wie er geht,
Da wird es eben Abend;
Sein lang' entbehrter Odem weht
Ums Haupt ihm mild und labend.

Die Sonne steigt hinab ins Meer,
Daß alle Wellen blitzen,
Und aus der Brandung ringsumher
Viel helle Tränen spritzen.

Die Blumen wiegen Blüt' und Blatt,
Wie voll geheimem Sehnen,
Und jedes Knospenäuglein hat
Viel hundert helle Tränen.

Und Menschen stehn und wandeln stumm
In wehmutheitrem Bangen,
Und schaun beseligt um und um,
Mit Tränen auf den Wangen. –

Da greift's wohl auch dem Mann ins Herz,
Wie er es nie empfunden,
Er fühlt sich wie vom bangen Schmerz
Erleichtert und entbunden.

Der Kehl' aus tiefster Brust, von da
Dem Antlitz, dem entglühten,
Von da den Augen tritt es nah,
Er kann es nicht verhüten. –

Es flimmt vor ihm, – er hält die Hand
Vors Auge, – Tränen sind es:
Was keine Kunst, kein Mühen fand,
Ein reicher Strom nun rinnt es.

Und neu geschaffen, inniglich
Fühlt er es, süßbeklommen:
Nicht machen läßt die Träne sich,
Von selber muß sie kommen.

 
Die Tränen der Liebe.

        Die heimlichen Tränen der Liebe,
Sie gleichen, im stillen verwischt,
Der sympathetischen Tinte,
Die schnell nach dem Schreiben erlischt.

Ein Blättchen, mit ihr so beschrieben,
Fliegt arglos und sicher dahin,
Und nur dem Geweihten verrät es
Der Liebe lieblichsten Sinn.

Er hält es über die Flammen,
Da färbt sich's, gewinnet Gestalt,
Und spricht vom Herzen zum Herzen
Mit rätselhafter Gewalt.

So ist's mit den Tränen der Liebe, –
Sie netzen die Wange so leis',
Daß, wie sie verrollt und vertrocknet,
Kein Ungeweihter es weiß.

Jedoch in der Nähe von Herzen,
Die wärmer und inniger glühn,
Da sieht man es bald auf den Wangen,
Wie magische Röslein erblühn.

Da liest der Geweihtere deutlich
Die Spuren von Leid und von Lust,
Und findet im stillen Erröten
Den Schlüssel zum Rätsel der Brust.

Mit Tränen beschreibt so die Liebe
Der Wangen verschwiegenes Blatt:
Denn nur die Liebe kann lesen,
Was Liebe geschrieben hat.


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