Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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Erste Lese.

Es hat mich oft schon tief gekränkt,
Und oft mich wieder erhoben,
Daß eben, was einer tadelnd verwarf,
Die andern rühmend loben.

I.

Das Glücksglöcklein.

              Der König lag am Tode, da rief er seinen Sohn,
Er nahm ihn bei den Händen und wies ihm auf den Thron.
»Mein Sohn,« so sprach er zitternd, – »mein Sohn, den lass' ich dir,
Doch nimm mit meiner Krone noch dies mein Wort von mir.

Du denkst dir wohl die Erde noch als ein Haus der Lust,
Mein Sohn, das ist nicht also, – sei dessen früh bewußt!
Nach Eimern zählt das Unglück, nach Tropfen zählt das Glück; –
Ich geb' in tausend Eimern zwei Tropfen kaum zurück!«

Der König spricht's und scheidet. – Der Sohn begriff ihn nicht:
Er sieht noch rosenfarben die Welt, im Maienlicht.
Zu Throne sitzt er lächelnd, beweisen will er's klar,
Wie sehr getäuscht sein Vater von düstrem Geiste war.

Und auf das Dach des Hauses, grad über seinen Saal,
Worin er schläft und sinnet und sitzt am frohen Mahl,
Läßt er ein Glöcklein hängen von hellem Silberklang,
Das läutet, wie er unten nur leise rührt den Strang.

Den aber will er rühren (so tut er's kund im Land),
So oft er sich recht glücklich in seinem Sinn empfand;
Und traun! zu wissen glaubt er's, – da wird kein Tag entfliehn,
An dem er nicht mit Rechten das Glöcklein dürfte ziehn.

Und Tag' um Tage heben ihr rosig Haupt empor,
Doch abends, wenn sie's senken, trägt's einen Trauerflor.
Oft langt er nach dem Seile, das Auge klar und licht: –
Da zuckt ihm was durchs Innre, das Seil berührt er nicht.

Einst tritt er, voll des Glückes erhörter Freundschaft, hin:
»Ausläuten,« ruft er, »will ich's, wie hoch beglückt ich bin!«
Da keucht ein Bot' ins Zimmer, der's minder spricht als weint:
»»Herr, den du Freund geheißen, verriet dich wie ein – Feind!««

Einst fliegt er, voll des Glückes erhörter Lieb', herein;
»Mein Glück, mein Glück,« so ruft er, »muß ausgeläutet sein!«
Da kommt sein blasser Kanzler und murmelt bang und scheu:
»»Herr, blüht denn auch dem König hienieden keine Treu?««

Der König mag's verwinden, er hat ja noch sein Land
Und einen vollen Säckel und eine mächt'ge Hand,
Er hat noch grüne Felder, noch Wiesen voll von Duft,
Und drauf den Fleiß der Menschen und drüber Gottes Luft.

Zu seinem Fenster tritt er, sieht nieder, sieht hinaus,
Und Wiege seines Glückes bedünkt ihn jedes Haus.
Zum Seil hin eilt er glühend, will ziehn, will läuten – sieh!
Da stürmt's herein zum Saale, da fällt's vor ihm aufs Knie.

»Herr König, siehst du drüben den Rauch, den Brand, den Strahl?
So rauchen unsre Hütten, so blitzt der Nachbarn Stahl!«
»»Ha, freche Räuber!«« donnert der Fürst in wildem Glühn,
Und statt des Glöckleins muß er sein rächend Eisen ziehn.

Schon bleichen seine Haare, vor Dulden wird er schwach,
Und stets noch schwieg das Glöcklein auf seines Hauses Dach.
Und wenn's auch oft wie Freude sich auf die Wang' ihm drängt,
Er denkt kaum mehr des Glöckleins, das er hinaufgehängt. –

Doch als er nun zu sterben, in seinem Stuhle saß,
Da hört' er vor dem Fenster Geschluchz' ohn' Unterlaß.
»Was soll das?« fragt er leise den Kanzler, »sprich's nur aus!« –
»»Ach, Herr, der Vater scheidet, – die Kinder stehn vorm Haus!««

»Herein mit meinen Kindern! – Und war man mir denn gut?«
»»Stünd', Herr, zu Kauf ein Leben, sie kauften deins mit Blut!««
Da wogt's auch schon zum Saale gedämpften Schritts herein,
Und will ihn nochmal segnen, ihm nochmal nahe sein.

»Ihr liebt mich also, Kinder?« – Und tausend weinen: »»Ja!««
Der König hört's, erhebt sich, steht wie ein Heil'ger da,
Sieht auf zu Gott, zur Decke, langt nach dem Seile stumm,
Tut einen Riß, – es läutet, – und lächelnd sinkt er um.

 
Mein Glück.

          Sagt wo sind sie, jene Stunden,
Und wer hat sie weggebannt,
Wo ich, frei und ungebunden,
Noch vor Glück kein Glück gekannt?
Wo mir als ein Wonnebringer
Noch der Strom der Jahre rann,
Wo mir noch der Freude Finger
Freundlich jeden Faden spann?

Wie ein Hain der Hesperiden
Lag die Welt vor meinem Blick:
Alle Blumen blühten Frieden,
Alle Bäume trugen Glück.
Da bedurft' es nicht des Pflückens,
Nicht der Sorge, nicht der Wahl:
Denn die Äste, trauten Nickens,
Boten selbst das leckre Mahl.

Doch wie frei ich war von Schranken,
Leere war der Freiheit Frucht;
Mein Genießen war ein Schwanken,
Und mein Leben eine Flucht.
Wahrlich schöner ist's zu leben
In der Wehmut stillem Hain,
Als auf Rosen hinzuschweben,
Ohne sich's bewußt zu sein!

Doch um nimmer zu erscheinen,
Schwand nun jener goldne Tand,
Und ich weiß nicht, soll ich weinen,
Oder lächeln, daß er schwand?!
Andre Sterne sind erschienen
Und erleuchten meine Bahn,
Und es sieht mit andern Mienen
Eine neue Welt mich an.

Auf das bunte Lustgewimmel
Sank ein leiser Nebelhauch,
Ferner steht mir Erd' und Himmel,
Ferner, aber höher auch.
Meine sonst so freie Seele
Liegt in Banden, die sie liebt,
Und wie sehr sie's auch verhehle,
Sucht sie doch, was sie betrübt.

»Sprich! Du leidest?« sagen alle,
Die so still mich wallen sehn,
Und doch glaub' ich, wie ich walle,
Mir sei nie so wohl geschehn!
Mit der Wehmut leisem Lächeln
Malt die Trauer mein Gesicht,
Und der Freude laues Fächeln
Rührt mich, doch berauscht mich nicht.

Und so, krank zugleich und wählig,
Fühl' ich's endlich tief und klar:
Seit ich's nicht bin, bin ich selig,
Und war's nicht, solang ich's war.
Ja dies Bluten ohne Wunde,
Dieser tränenfrohe Blick,
Dieser Ernst in heitrer Stunde,
Dieses Unglück ist – mein Glück!


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