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In Lincoln saß ein düstrer Mann
Zur Stund', als eben das Jahr verrann,
Und hoch vom Dome der Türmer mit Macht
Ein neues ausblies durch die Nacht.
Da tritt der düstre Mann zum Schrein,
Faßt eine bestaubte Flasche mit Wein,
Entkorkt sie, nimmt das Glas zur Hand
Und füllt es schweigend bis an den Rand.
Und wie er es langsam zum Munde führt,
Da fühlt er sich innigst bewegt und gerührt;
Man merkt es ihm ab am funkelnden Blick,
Er denkt an die früheren Zeiten zurück.
»Vor fünfzig Jahren,« so denkt er, »da war's
Wohl anders zur Stunde des sinkenden Jahrs;
Da saßen wir unser zehn um den Tisch,
Ein jeder lebendig, ein jeder frisch.
Da klang es von Liedern so heiter und hell,
Da sprang des Kapweins glühender Quell,
Da lief durch die Runde das herzliche ›Du‹,
Da scholl viel Tolles und Kluges dazu.
Und einer erhob sich aus unserer Zahl
Und faßte begeistert den vollen Pokal.
›Nein,‹ rief er, ›bei Gott! so köstlicher Wein
Soll nicht so schlechthin vertrunken sein!‹
Und eine Flasche faßt' er sodann
Und legt' ein fesselndes Siegel ihr an,
Und hieß sie von Handen zu Handen gehn
Und ließ sie von aller Augen besehn.
›Die Flasche,‹ rief er, ›so, wie sie ist,
Sie soll bewahrt sein von dieser Frist,
Bewahrt, ob Blatt um Blatt auch fällt
Vom Kranze, der jetzt noch so wohl bestellt.
Und wenn einst nur mehr noch ein einziger lebt,
Und wieder das sinkende Jahr entschwebt,
Der hole schweigend sodann aus dem Schrein
Hervor die versiegelte Flasche mit Wein;
Entsiegle sie, nehme das Glas zur Hand
Und füll' es mit perlendem Weine zum Rand,
Und leer' es im stillgewordenen Haus
Wehmütig aufs Wohl der Geschiedenen aus!‹ –
Und fünfzig Jahre sind nun hinum,
Hier sitz' ich, der letzte, der einzige, stumm.
Wohlauf! dir, Bruder, sei das gebracht:
Du fielst, ein Beneideter, schön in der Schlacht! –
Dir, Bruder, dies: Im Meer ist's kühl! –
Dir – dieses: Ein böses Spiel ist das Spiel! –
Dir – dieses, Bruder: Du glaubtest mir nicht,
Daß Liebe die Herzen wie Binsen bricht!
Dir, Vielgeprüfter, – ein Lebehoch! –
Auch dir: Schwer drückt wohl der Ehren Joch! –
Auch dir: Nicht wahr, die peinlichste Pein
Ist die, verkannt von den Liebsten zu sein? –
Auch dir: Man beneide den Dichter nicht;
Des Herzens Grabmal ist manch ein Gedicht! –
Auch dir, du leichter, glücklicher Sinn:
Du scherztest dich lächelnd ins Jenseits hin! –«
So denkt sich der Mann, leert Glas um Glas;
Die Augen umflort's ihm, er weiß nicht was: –
Es ist doch schwer, aus frohem Verein
Der einzige – letzte Mann zu sein! |