Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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XI.

Die Bestellung.Im Jänner 1840 gelangte ein falsches Gerücht vom Tode des Autors in die Presse. Es regnete darauf ehrende Nekrologe in prosaischer und poetischer Form in allen Blättern des In- und Auslandes, die Seidl bei guter Gesundheit lesen konnte. Dies war der Anlaß zu dem Gedicht »Die Bestellung«.

        »Wir sitzen so traulich beisammen,
Und haben einander so lieb!«
So sangen wir erst noch heiter,
Und wurden plötzlich trüb;

Und sahn uns in die Augen,
Wir wußten nicht warum?
Und klangen an mit den Gläsern,
Und saßen wieder stumm.

Da faßt' ich ihn am Arme,
Den nebensitzenden Freund,
Und sprach: »'s ist Zeit zum Aufbruch
Sonst wird noch heute geweint!«

Und als wir nach Hause schritten,
Die schweigenden Straßen entlang,
Und als vom Dome nieder,
Die späte Stund' erklang,

Und als die Häuser standen,
So still und geisterbleich;
Da ward uns um die Herzen
Gar wundersam und weich.

Vorm Tore seines Hauses
Da drückt' ich ihm noch die Hand;
Es war mir, als sollt' er wandern
Weit – weit in ein fremdes Land.

»Leb wohl,« begann er, »und morgen –
Nicht wahr, – wir werden uns sehn?« –
»»Ja morgen seh'n wir uns wieder,«« –
So sprach ich – und wollte gehn.

»Wir müssen uns morgen sehen –
Die Hand drauf!« – rief er bewegt.
Ich gab ihm die Hand, wir schieden –
Auch ich war aufgeregt.

Ich ging, schlief, träumte wie immer,
Stand morgens wie immer auf,
Verfolgte nüchtern wie immer
Den nüchternen Tageslauf.

Und abends ging ich wie immer,
Und suchte den Freund mir auf;
Mußt' heute ja gar ihn suchen:
Ich gab ja die Hand ihm drauf. –

Ich poch' an seiner Türe,
Die alte Magd erscheint;
Ich frage sie: »Ist er zu Hause?« –
Sie nickt mit dem Kopf und weint.

»Was ist es, Mütterchen?« frag' ich;
»»Ja,«« sagt sie, »»das war schnell!
Heut' früh noch war er so freundlich, –
Jetzt liegt er tot zur Stell!««

»Tot?« ruf' ich – »Tot« so weint sie;
Ich stürz' ungläubig hinein, –
Da liegt er auf seinem Bette,
Beim Himmel – das ist nicht Schein!

Wie, wie nur ist er gestorben?
Genug, er starb, – er ist tot!
Das Schicksal steht nicht Rede, –
Genug, er starb, – er ist tot!

Und schweigend sitz' ich nieder,
Und fasse die kalte Hand;
Mir war, als wär' er gewandert
Weit, weit in ein fremdes Land.

Mir war, als kläng' es von ferne
Durchs Zimmer schaurig und trüb:
»Wir sitzen so traulich beisammen,
Und haben einander so lieb!«

 
Lust und Schmerz.

        Mensch, wenn ein Mensch vor dir erscheint
Mit menschlich froher Brust,
Was denkst du dann im stillen, Freund,
Von seiner hohen Lust?
Ist dein Entzücken voll und rein,
So du darüber hast?
Wird's eitel ganze Freude sein,
Was dich mit ihm erfaßt?

Sieh, Freund, erblick' ich einen so,
Dann denk' ich stets bei mir:
»Du, guter Mann, du bist so froh,
Stehst gar so selig hier,
Schlürfst all' das bißchen Fried' und Freud'
In diesem Stündchen ein,
Und denkst nicht, wann dir nach der Zeit
Je wieder so wird sein?

Wer weiß, du guter Ohnenot,
Der du so munter bist,
Wer weiß, ob dieses ›Heute rot‹
Nicht ›Morgen tot‹ schon ist.
Wer weiß es, ob du diesen Trank
Nicht mit dem Tode trinkst,
Ob nicht vom Rosenbette blank
Ins Rasenbett du sinkst!

Wer also, denk' ich dann so fort,
Wer also darf sich freun,
Da schon das erste Blatt verdorrt,
Wenn wir das letzte streun?
Wer kann vom Herzen munter sein,
Wenn Nacht den Tag berührt,
Und oft der goldne Freudenwein
Zum Totenweine wird?!« –

Doch, Menschen, wenn ein Mensch vor euch
Im schmalen Sarge liegt,
Die Augen zu, die Wangen bleich,
Die Händ' ans Herz geschmiegt, –
Was denkt ihr dann, durchfährt's euch nicht
Wie Schreck vorm Spiegelbild?
Seh' ich dem Toten ins Gesicht,
So werd' ich weich und mild.

»Ei!« denk' ich mir, »du stummer Mann,
Du hast es nicht so schlecht:
Versöhnt sieht uns dein Antlitz an,
Und alles ist dir recht. –
Und doch hinwider, wenn man's nimmt,
So hast du's, o! recht schwer:
Dein Saitenspiel ist abgestimmt,
Kein Lautner stimmt dir's mehr!

Was je darüber fuhr und klang,
Es fuhr und klang umsonst,
Dein Heimgang ist ein stiller Gang,
Und stumm ist's, wo du wohnst!
Drum denk' ich, rüstig aufgespielt,
Solang' die Saite hält:
Nur ein Land gibt es, wo man fühlt,
Nur eine laute Welt!« –

So, Brüder, war ich oft nicht froh,
Wo alles froh erschien,
Und sah ich eine Leiche wo,
So blickt' ich lächelnd hin.
Des ist ja grad das Menschenherz
So höhnend sich bewußt:
Nie hat es einen ganzen Schmerz,
Nie eine ganze Lust!


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