Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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XII.

Eine Konzertszene.

                  Wie heißt der Raum, wo, Mann an Mann gepreßt,
Die Masse sich zum Knäuel ballen läßt;
Wo jede Kraft des einzelnen verschwindet,
Wo sich der Stoß, der traf das erste Glied,
Elektrisch durch die ganze Kette zieht,
Daß auch das letzte dumpf ihn mitempfindet;
Wo sich empor zur Stirn, die Tropfen sprüht,
Die festgeklemmte Hand umsonst bemüht;
Wo matter stets der Fuß sich streckt und hebt,
Bis er des Halts beraubt in Lüften schwebt.
Wie heißt der Raum? – Ein Sklavenschiff vielleicht?
Wo eingepfercht in fauler Brettertruhe,
Voll blödhinbrütender Verzweiflungsruhe,
Ein Negerstamm dem Tod entgegenkeucht? – –
Wie, Sklaven? – Könnte sein – doch schwarze nicht,
Auch keuchen sie entgegen nicht dem Tode;
Nur Sklaven sind's und Sklavinnen der Mode,
Und lebenslustig glänzt ihr Angesicht.
Und tausend Kerzen streuen ihren Schimmer,
Zurückgespiegelt von Demantenflimmer,
Verschwenderisch längs Wand und Wölbung aus, –
Unheil'ge fort! – Dies ist der Musen Haus.

    Schon tritt aus ihrer Priesterinnen Chor
Die lieblichste voll ernster Weihe vor,
Und läßt gewaltig durch die stillen Hallen
Des Dichters Wort von stolzer Lippe schallen.
Es freut sie, Trägerin des Werks zu sein,
Das, anspruchslos erdacht beim Lampenschein,
Durch sie nun darf den Weg ins Leben finden,
Um in der Brust von Tausenden zu zünden. –
Es zündet aber nicht! Wohl sind die Hände
Nicht allzukarg, wohl schallt als Lobesspende
Dem deutschen Lied ein welsches »bravo« nach,
Doch ihr nur, die, – nicht jenem, was sie sprach.
Almosen ist es, nicht Begeisterung,
Nur Mitleid mit dem Schoßkind, das den Schwung
Der Flügel sich durch plumpen Ballast lähmte,
Und schnöden Kies mit lautrem Gold verbrämte.
Ob hie und da ein schönes Auge leuchte,
Und mit verstohlner Träne sich befeuchte,
Ob hie und da ein Herz bewegter schlage,
Ob hie und da ein einzelner sich frage,
Warum, was ihm die Seele süß bezwingt,
An tausend Ohren wirkungslos verklingt, –
Ein Mißgriff ist's, – hier gilt nicht solcher Brauch,
So wie der Götze, so das Opfer auch.

    Da öffnet sich das Tor zum zweitenmal, –
Der Tonkunst Liebling schreitet in den Saal,
Und blickt umher, und wirft sich in die Brust,
Und lächelt süß und harrt, bis sich die Lust,
Ihn nur zu sehn, in laute Wonn' ergießt,
Und vor der Saat ihm schon die Ernte sprießt.
Doch horch! – wohl schallt ihm warmer Gruß entgegen,
Ein Willkomm, – doch kein Jubel, kein Orkan!
Er steht und staunt, ungläubig und verlegen;
Ihm – nur ein Gruß? – Wer hat ihm das getan?
Doch sei's, – er kann's erobern, kann's erzwingen,
Und wenn er will, so muß es ihm gelingen.
Er singt, so sang er nie, so mild, so stark,
Nachzittern seine Tön' im tiefsten Mark;
Im leisen Ach, in schmachtend sel'gen Blicken
Verrät sich ihm der Lauschenden Entzücken.
Was Laun' ihm vorenthielt, er hat's erkämpft,
Und triumphierend harrt er des Tributes.
Und wieder schallt's, doch wieder, wie gedämpft,
Ja schüchtern fast, wie bar des frohen Mutes,
Der seine Lorbeern frei und ganz verschenkt,
Und nichts für andre zu ersparen denkt.
Für andre sparen? – Sänger ahnst du's nun?
Zieh dich zurück, laß deinen Ehrgeiz ruhn;
Ein Nam' erst ist es, welcher dich entthront,
Ein Stern, verkündet erst am Horizont!
Zieh dich zurück, bevor er aufgegangen,
Bevor die längst Erwartete sich zeigt,
Die Kunstheroin, der sich voll Verlangen
Ein Weltteil schwärmerisch entgegenneigt.
Zieh dich zurück, und räum' ihr deinen Thron:
Die Mod' hat reichen, doch nicht ew'gen Lohn.

    Da öffnet sich das Tor zum drittenmal, –
Die Geig' in zarten Händen naht ein Knabe,
Der fremden Armes sich bedient zum Stabe,
Denn ach! ihm fehlt der Augen lichter Strahl;
Dafür hat ihm Natur für seine Nacht
Ein Fünkchen Kunst im Herzen angefacht,
Ein leichtgefährdet Flämmchen, kurz von Dauer,
Doch ihm sein einzig Licht in Not und Trauer.
Hier will er's leuchten lassen vor der Welt,
Ein Belisar der Kunst, dem als beredter
Fürsprecher sich das Mitleid beigesellt.
Schon hat die heimliche Magie der Bretter,
Der weltbedeutenden, sein Herz erfaßt,
Durch seine Finger zuckt's in wilder Hast,
Die Brust arbeitet, seine Lippen beben,
Den toten Augenstern durchströmt's wie Leben.
Er spricht durch Tön', er weint, er lacht, er malt,
Er sieht, sieht mehr, als all' die andern sehen,
Sieht eine Zauberwelt vor sich entstehen,
Aus der ihm Himmelslicht entgegenstrahlt,
Und Märchen sind's aus dieser Zauberwelt,
Was er dem Volk auf seiner Geig' erzählt. –

    Da plötzlich läuft ein Flüstern durch die Hallen,
Der Nachbar stößt den Nachbar, deutend, an,
Nach einem Punkte kehrt das Haupt sich allen,
Erst leises Summen, einzeln Rufen dann,
Jetzt, da die Mass' erkannt den Gegenstand,
Ein lauter Wechselkampf von Stimm' und Hand,
Der mit der Schlußkadenz des Blinden oben
Zusammenstimmt in unermeßlich Toben.
Das ist des armen Geigers schönster Tag,
Sein Herz zerspringt ihm fast vor heft'gem Schlag.
Beinah erliegend solchem Überglücke
Entwankt er, Tränen im erloschnen Blicke. –
Und unaufhörlich tobt der Jubel fort; –
Noch einmal tritt der Geiger auf die Szene,
Und sucht für seine Wonn' ein warmes Wort,
Und findet nichts als eine kalte Träne.
»O könnt' ich sie, die mich beglücken, sehn!«
So seufzt er still, und wendet sich zum gehn. –
Beglückter Blinder, glücklich heut', wie nie,
Daß Gott nicht jetzt das Augenlicht dir lieh!
Voll süßen Trostes gehst du nun von dannen,
Und niemand mag den frommen Wahn dir bannen,
Der neu dein blindes Aug' geblendet hat;
Weh dir, wär' plötzlich dieser Flor zerrissen,
Und solltest du beschämt dir sagen müssen:
»Ich schlürfte mich an fremdem Nektar satt!«

    Dort oben thront sie, lässig hingelehnt,
Die Königin des Tags, so heiß ersehnt,
So lang' erwartet und erkauft so teuer,
Die selbst das Eis der Pole setzt' in Feuer,
An deren Ruhm sich Fama heiser blies.
Wo blieb' ein Kranz für andre noch zu winden,
Wo noch ein Herz für andre zu entzünden,
Seit ihr Erscheinen sich nur ahnen ließ.
So war's, da einst auf sieggewohnter Fährte
Der Held des Westens durch die Länder zog;
Wie sank der Fürsten Hoheit da im Werte,
Vor denen sonst sich jeder Nacken bog;
Vergessen standen sie, als kleine Zeugen,
Zu sehn, wie alle sich der Größe beugen.

    Und unsre Größe, seht sie nun so nah! –
Eh' wir es ahnten, hofften, war sie da;
Und wie bescheiden, ach! wie ohne Prunken
Sie kam, die hohe Priesterin der Kunst,
Als wär' sie vom Olymp herabgesunken,
Und hergezaubert uns durch Göttergunst.
Wir blickten hin – und leer noch war der Ort,
Wir blicken wieder hin – und sie ist dort!
Drum lief ein plötzlich Flüstern durch die Hallen,
Drum stieß des Nachbars Arm den Nachbar an,
Drum kehrt' auf einen Punkt das Haupt sich allen,
Drum leises Summen, einzeln Rufen dann,
Bis, da die Mass' erkannt den Gegenstand,
Losbrach ein Wechselkampf von Stimm' und Hand,
Der mit der Schlußkadenz des Blinden oben
Zusammenstimmt' in unermessnem Toben.

    Der arme Geiger dauerte mich sehr,
Die reiche Künstlerin doch fast noch mehr.
Er war getäuscht, allein er sah es nicht,
Und was er hörte bleibt sein Trost für immer;
Doch sie, wenn einst zerstiebt der Täuschung Schimmer,
Wenn einst der Thron, auf dem sie sitzt, zerbricht,
Sie wird es sehn – und es zu sehn sich sträuben,
Und was sie hört, es wird ihr Stachel bleiben!
O Königin des Tags, mißtrau dem Thron:
Die Mod' hat reichen, doch nicht ew'gen Lohn.

 
An die moderne Muse.

            Wer bist du, Weib? Mich dünkt, ich soll dich kennen!
Es liegt ein Zug in deinem Angesicht,
Der mich gemahnt, dich wohlbekannt zu nennen, –
Ja, ja – du bist's! Doch nein, du bist es nicht!

Du trittst so kühn auf klirrenden Sandalen
Mit Amazonen-Ungestüm einher,
Als sollte jeder Fürst Tribut dir zahlen,
Als gab' es ohne dich kein Zepter mehr.

Gesetze willst du eigenmächtig sprechen,
Willst einer neuen Ordnung Patin sein,
Willst übers Knie der Vorzeit Bau zerbrechen,
Und jedes Kreuz durch Blut zum Schwerte weihn.

Der süße Fried' ist deinem Aug' ein Greuel,
Und nur der Kämpfende ist dir ein Mann,
Zusammenballen willst du einen Knäuel,
Damit dein Scharfsinn ihn entwirren kann. –

Bald wieder blickst du schmachtend, eine PhryneDie berühmte griechische Hetäre (4. Jahrh. vor Chr.), deren Reiz selbst ihre Richter bezauberte.,
Leichtfertig schwärmend, höhnisch, wollustsatt,
Halb Faun, halb Seraph, mit verzogner Miene,
Die für das Heiligste ein Lächeln hat. –

Bald sprudelt dir der Mund von Bildern über,
Die, ob dir fremd, du als erlebt verkaufst;
Du wirfst der Suada falt'gen Mantel drüber,
Und alles ist und heißt, wie du es taufst.

Der Beduine muß sein Roß dir borgen,
Der Perser muß dir seine Rosen streun,
Der Hindu dich mit Gangesflut versorgen,
Nur deiner Heimat magst du dich nicht freun. –

Bald steckst du so viel Sträußchen dir ans Mieder,
Daß man den Stoff vor Schmuck nicht mehr erkennt; –
Bald lässest du zur Schenkenmagd dich nieder,
Die jedes unter seinem Wert benennt. –

Und forsch' ich nach der Frauen schönster Gabe,
Nach Frömmigkeit, o ja, du hast sie auch:
Nur schämst du dich zu gehn an unsrem Stabe,
Dich zu erbaun nach unserem Gebrauch.

Den alten Gott im Himmel willst du läutern,
Er ist dir zu prosaisch, wie er ist,
Du willst auch ihm den Horizont erweitern,
Um wert zu sein, daß sein Geschöpf du bist.

Du taumelst fort in Wunderphantasien,
Bald knapp am Boden hin, bald himmelwärts;
Du hüllst den hohlsten Sinn in Melodien,
Nur eins vermiss' ich, wenn du singst, – das Herz! –

Nein, nein, – du bist das Weib nicht, das ich suche,
Bist nicht die Muse, der ich Treue schwor,
Und die, wiewohl verfolgt vom Spott und Fluche,
Doch ihre Geltung noch nicht ganz verlor.

Die traute, keusche, wahre, fromme Muse,
Die einst durch Deutschlands Auen friedlich schritt,
Aufflammend nur zur zürnenden Meduse,
Wenn Fremdlingshohn ihr gutes Recht bestritt.

Die traute Muse, die so herzlich bieder
Der Heimat Recht' und Sitten ernst vertrat,
Und stolz, doch mild, von ihrer Höhe nieder
Beschwicht'gend auswarf ihre Friedenssaat.

Die keusche Muse, die Paläst' und Hütten
Heimsucht', als Botin einer schönren Flur,
Nie unbescheiden, immer wohlgelitten,
Ein einfach Kind der heiligen Natur.

Die wahre Muse, die da jedem Dinge
Den echten, ungeschminkten Namen lieh,
Wohl wissend, daß zum Herzen der nur dringe,
Der treu die Herzenssprache spricht, – wie sie.

Die fromme Muse mit dem Kinderglauben,
Die Gott verehrt' in seiner Schöpfung Bild,
Und stets bedacht, zu geben, nicht zu rauben,
Ihr schlichtes Lied für ein Gebet noch hielt.

Ja du, du bist die Muse, die ich wähle,
Du bist die Göttin, die mich treu geführt,
Auf die ich noch in Freud' und Leiden zähle,
Die noch vielleicht mein brechend Aug' berührt.

Du mit den unvergeßlich holden Mienen,
Zu deinem Tempel will ich einsam ziehn,
Und kann ich dir nicht mehr als Priester dienen,
Doch wenigstens vor deinem Altar knien!


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