Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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XII.

Der Vogelsteller und der Förster.

              In den alten Forst, den vogelreichen,
Wo die Sänger all', die großen, kleinen,
Sich im Saal von Birk' und Föhr' und Eichen
Zum volkstümlichen Konzert vereinen,
Ging der Vogelsteller früh am Morgen
Mit Lockvögeln im verhängten Bauer,
Und mit Garn und Spindel, um verborgen
Sich ins Grün zu legen auf die Lauer.

Still noch war es, nur des Taus Geriesel
Hörte man, wenn Luft das Laub bewegte,
Oder leises Rascheln, wenn ein Wiesel
Unterm dichten Brombeerstrauch sich regte;
Oder eines Eichhorns knabbernd Krispeln,
Oder eines Holzwurms dumpfes Nagen,
Bis die Wipfel durch geschwätzig Lispeln
Kündeten: es sei nicht fern vom tagen.

Und schon fing der Nebel an zu streichen,
Und der Baumbart weht' im Wind gleich Flören,
Und es schütteln sich erwacht die Eichen,
Und es strecken knisternd sich die Föhren.
Und zuhöchst von knot'ger Birke nieder
Tönt ein schriller Pfiff, von fern ein zweiter,
Jetzt ein fragend Zwitschern hin und wieder,
Und so geht's wie eine Losung weiter.

Selbst die Vöglein im verhängten Bauer
Fühlen, daß es draußen tagt, und singen,
Und der Vogelsteller auf der Lauer
Legt nun Hand an Spindel und an Schlingen;
Und die eingekerkerten Verräter
Stellt er unter Eich' und Föhr' und Birke,
Daß sie ihr Geschlecht aus freiem Äther
Niederlocken in des Trugs Bezirke.

Und schon hüpft's und flattert's neubegierig
Hier und dort hernieder von den Ästen,
Langsam erst und fern, bald nah und rührig,
Leckrer Imbiß winkt den muntren Gästen. –
»Nur herab zur Tafel, schneller, schneller!
So, – ein Druck, – nun seid ihr meine Beute!«
Höhnisch lachend ruft's der Vogelsteller,
Sieh – da steht der Förster ihm zur Seite.

»Halt,« so spricht er grimm, »du Waldentweiher,
Du Beleid'ger meiner Reichsinsassen!
Unter Freien will ich stehn, ein Freier,
Sklavenjäger, willst du frei sie lassen?
Vogelfang ist hier verpönt mit Rechten:
Darum auf das Garn! Hinweg die Spindel!
Meine Sänger sollst du mir nicht knechten,
Geh mit deinem lustigen Gesindel! –

Aber nein! auch sie, die armen Sklaven,
Die nur du zu solchem Dienst gezwungen,
Sie auch sollst du mir nicht länger strafen, –
Offen ist's: – heraus, heraus, ihr Jungen!
Nicht umsonst verlieh euch Gott die Flügel
Und den freien Klang der frommen Seelen;
Schwingt euch wieder über Tal und Hügel,
Und entweiht nicht eure reinen Kehlen.

Da ist euer Reich in Gottes Saale,
Nicht dort drin im dumpfen Stubenqualme!
Nicht wahr, das tut wohl im Sonnenstrahle?
Ja, – das freie Lied nur wird zum Psalme!« –
Und so öffnet er die Bauer alle,
Bis der Vögel letzter ausgeflogen. –
»So – jetzt geh und lern aus ihrem Schalle,
Was es heißt: um Freiheit sein betrogen!« –

Jener geht, obwohl mit leeren Bauern,
Ruhig fort, als ging' er eben gerne;
Immer sieht er noch den Förster lauern,
Plötzlich hält er an und ruft von ferne:
»Nicht wahr, Freund, hier scheiden sich die Raine,
Und ihr dürft mich jenseits nicht mehr greifen?« –
Jener nickt, – da setzt sich der am Steine
Ruhig hin und hebt nun an zu pfeifen.

Sieh – und plötzlich flattert's zu ihm nieder,
Seine Vögel sind's, die wohlerzognen;
Alle kehren sie gehorsam wieder,
Keiner fehlt von all den weggeflognen;
In die offnen Bauer hüpfen alle,
Gleich als wären sie zu Hause drinnen,
Und umtönt von ihrer Lieder Schalle
Geht der Vogelsteller stolz von hinnen.

Und der Förster sieht's und ruft empöret:
»Geh, und nimm sie mit, ich fühl's mit Grollen,
Daß die Freiheit nicht für die gehöret,
Welche selber nimmer frei sein wollen!
Wie das klingt und schallt im Sonnenlichte,
Wie das hüpft und fliegt in lauen Strahlen! –
Schlecht nur hätten so servile Wichte
Da gepaßt zu meinen Liberalen!« –

 
Entschuldigung.

(An einen Freund.)

            Geliebter Freund, bei dem es mir gelungen,
Mich einzusingen in dein warmes Herz,
Du fragst mich nicht aus eitlen Huldigungen,
Du fragst, ich fühl's, mich aus besorgtem Schmerz,
Warum ich auf der Muse Stapelplätzen
So selten käm' ein Liedchen abzusetzen!

Wie soll ich ganz dir meinen Dank beweisen,
Nicht daß du mich entbehrst, nein, mich nur nennst?
Wie aber kann ich gnug dich glücklich preisen,
Daß du den Grund nicht meines Schweigens kennst?
Nicht kennst die Mächte, welche kalt und nüchtern
Den lautesten der Sänger selbst verschüchtern?

O glaube mir, nicht müßig liegt die Feder,
Ich tauche sie noch oft ins Herzblut ein;
Wohl mancher merkt mir's ab, doch nicht ein jeder,
Auch will's ja nicht bemerkt von jedem sein;
Denn was wir Arbeit nennen, Fleiß der Seelen,
Das nennen sie: den lieben Tag bestehlen.

Darf ich doch selber ihr es kaum gestehen,
Die Lied des Herzens, Herz des Lieds mir ist. –
»Sie werden lächeln,« meint sie, »und dich schmähen,
Daß du nur eines Namens Herold bist!
Mach etwas Tücht'ges: Dramen und Geschichten;
Wer wird denn ewig Liebeslieder dichten?« –

Doch sei's, ich bleibe drum nicht müßig, Lieber!
Oft wird die Brust mir ganz besonders voll;
Dann dehnt sie sich und geht in Liedern über,
Und schmelzt mir wider Willen Gram und Groll.
Dann mag ein andrer sitzen und sich fassen,
Wer einmal nachgab, kann es nimmer lassen.

Des Lieds Gewohnheit läßt sich nicht entwöhnen,
Man will's auch nicht, weil sie so selig macht;
Sie kann ermut'gen, trösten und versöhnen,
Und kostet nichts, als höchstens eine Nacht.
Ist's besser nicht, als in des Schlummers Räumen,
Sie wach am Pult, doch schöner, zu verträumen?

So träum' ich oft, und hab' der Träume viele
Mir aufbewahrt für eine bessre Zeit;
Es kommt zu nichts mit dem Gedankenspiele,
Mit dieser selbstgefäll'gen Eitelkeit;
Wer wird nach Herzen in Journalen schauen?
Man liest sie nur, um leichter zu verdauen!

Gib ihnen, was dir aus dem tiefsten Herzen
In einer Stunde seltnen Glückes quoll;
Gib ihnen echte Freuden, echte Schmerzen,
Der wärmsten Liebe reinsten Jubelzoll;
Ja gib, was, wenn's AnakreonDer berühmte griechische Lyriker (6. Jahrhundert vor Chr.), dessen Gedichte die Liebe, die Freundschaft und den Wein besingen. gesungen,
Durch Menschenalter hätte fortgeklungen; –

Sie werden sitzen um den Tisch beim Glase,
Das Zeitblatt fassen sie mit krampf'ger Hand,
Durchblättern's, rümpfen die bebrillte Nase,
Was Unverständ'ges murmelnd von Verstand,
Bis sie zum Schluß nach mancher Phras' und Note
Ein Wortspiel machen, oder eine – Zote.

Wer, lieber Freund, erfaßt von diesem Bilde,
Zerbräche nicht die Schranken der Geduld?
Es ist das Herz mit seiner Kraft und Milde,
Um dessen Gunst die scheue Muse buhlt;
Wo sie bemerkt, man will sie nicht verstehen,
Da wird sie rot und wendet sich zum Gehen.

Sprich, trätest du, die junge Braut am Arme,
Wohl gern in einer Schenke Lärm und Dampf?
Und kostet' es, umtobt vom lauten Schwarme,
Mit ihr zu tändeln, dir nicht schweren Kampf?
Ja, überströmte bei dem tollen Schalle
Dir nicht vor Unbehaglichkeit die Galle?

Nein, willst du schwärmen mit der Treuerkornen,
So tu's in trauter, stiller Einsamkeit:
Der Stunden süßeste sind die verlornen,
Die man der Teuren fern von Lauschern weiht!
Man mag davon aufreden wie im Traume,
Doch nicht es aufschrein in unheil'gem Raume!


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