Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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VII.

Gräberrosen.

          Des Totengräbers Klärchen
War gar ein liebes Kind,
Fünf Sommer hatt' es eben
Und Wangen rot und lind.

Des Totengräbers Tochter
War Klärchens Mütterlein;
Sein Vater war ein Junker,
Ein Junker reich und fein.

Des Junkers Eltern aber
Die waren stolz und rauh,
Und meinten, nur die reichste
Sei auch die beste Frau.

Drum schalten sie den Junker,
Drum fluchten sie ihm gar,
Als sterbend ihm sein Bräutchen
Das liebe Kind gebar.

Und was der Fluch begonnen,
Vollendete der Tod;
Der arme Junker wußte
Nicht Rat in seiner Not.

Er gab dem Totengräber
Sein Kind samt seinem Gold,
Und sprach: »Da nimm mein Alles!
Mir zahlt der König Sold.«

Und mit den schwarzen Reitern
Da ritt er in die Schlacht,
Und von den schwarzen Reitern
Da ward er heimgebracht.

Und ward zu Grab getragen
Wohl schon am nächsten Tag,
Dicht neben jenem Grabe,
Worin sein Bräutchen lag.

Des Totengräbers Klärchen
Scheut sich vor Gräbern nicht;
Sie sind ihm nichts als Beete,
Worauf es Blumen bricht.

Es eilt zu einem Grabe,
Bricht weiße Rosen ab:
Es kennt ja nur die Rosen,
Kennt nicht der Mutter Grab.

Es eilt zum andren Grabe,
Bricht rote Rosen ab:
Es kennt ja nur die Rosen,
Kennt nicht des Vaters Grab.

Und zwischen beiden Gräbern,
Da sitzt es oft allein,
Und flicht sich lächelnd Kränze
Beim blassen Abendschein.

So spinnt durch stumme Rosen
In Kindeshänden dort
Der Eltern Einverständnis
Noch übers Grab sich fort.

 
Blumeneid.

            Wo eine Blume wächst, dort ist ihr Boden,
Wär's nicht ihr Boden, wüchse sie nicht dort;
Sei's eine unerforschte Felsenritze,
Sei's eine unerstiegne Alpenspitze,
Es ist und bleibt ihr lieber Heimatort,
Und wann sie blühn soll, blüht sie dort vom Herzen,
Und soll sie welken, welkt sie ohne Schmerzen.

Da setzt der Mensch sie oft in fremden Boden,
Und lehrt sie blühn und welken, wann's ihn freut,
Lehrt sie zu bunten Zwittern sich verflachen,
Lehrt sie im Winter Frühlingsmienen machen,
Lehrt sie verleugnen ihre Schüchternheit,
Und fühlt sich um so lüsterner vergnüget,
Je künstlicher sie sich und ihn belüget.

Seh ich im Frei'n auf liebem Mutterboden
Vorm Treibhaus so die Wiesenblumen stehn,
So scheinen sie mir stets, halb mit Bedauern,
Halb mit Verachtung, inner diesen Mauern
Die Schar abtrünn'ger Schwestern anzusehn,
Und ihnen zuzuwehn voll bittren Leides:
»Ihr habt vergessen eures Blumeneides!« –

»»Treu bleiben wollen wir dem Heimatboden,
Wir wollen blühn auf ihm, – wo nicht, vergehn!
Ein Sturm kann uns verstreun, ein Hagel knicken,
Ein Fuß zertreten, eine Hand uns pflücken,
Schmerzvolle Lieb' uns auf die Gräber sä'n,
Ein Bräutchen uns in seine Locken flechten, –
Wir wollen sterben – und mit niemand rechten!

Was Blum' ist, kann getrennt vom Heimatboden
Wohl welken, aber sich verleugnen nicht;
Wir wollen frei vergnügen und verschönen,
Doch nicht um Augendienst in Kerkern frönen,
Bei Ofensonnen und bei Scheibenlicht!««
»Abtrünnige, heraus aus euren Grüften!
Wie stirbt sich's süß in Gottes freien Lüften!«


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