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4

Der Krieg aber dauerte eine Unendlichkeit. Für die Unempfindlichen wurde er allmählich ein selbstverständlicher Zustand, wie Kriege es von jeher für einen großen Teil der Menschheit gewesen sind; doch für die Empfindsamen, die wie Oliver in einem bequemen Frieden aufgewachsen waren, und die man gelehrt hatte zu glauben, daß alle Konflikte und Widersprüche unnötig und verkehrt seien, schien diese lange Belagerung – die doch so viel kürzer war als die Trojas – ewig zu währen. Die Spannung steigerte sich zur Agonie, statt zur Gewohnheit und Selbstverständlichkeit zu werden. Die eigene Untätigkeit wurde Oliver unerträglich. Er mußte mitwirken, mußte irgendwie an der Arbeit teilnehmen, wenn schon nicht am Kampf; an der Gefahr, wenn schon nicht am Siege, der wie jeder Sieg zweifelhaft und fast unmöglich schien.

Er ging nach Frankreich und übernahm eine Motorambulanz. Marios Freunde Boscovitz und Street betätigten sich auf die gleiche Weise. Mario selbst war verwundet worden, hatte sich wieder erholt, ging zurück an die Front und stellte Oliver seine Pariser Wohnung zur Verfügung. Aber Oliver fühlte sich durchaus nicht wohl. Er fand Frankreich unangenehm und die französische Sprache widerspenstig. Wenn er überhaupt sprach, wollte er korrekt sprechen; sein Stolz und seine Liebe zur Genauigkeit verwarfen verachtungsvoll jene grotesken Annäherungsversuche an das Französische, die seinen amerikanischen Freunden genügten und ihre primitiven Zwecke zu erfüllen schienen. Die eingeborenen Frauen fand er hinterlistig, die Männer falsch und beide Geschlechter geldgierig. Außerdem lastete der dauernde Anblick der Toten und Verwundeten, auch wenn er ihm nicht gerade Übelkeit und Schwindel erregte, schwer auf seinem Gewissen. Er konnte das Gefühl der Empörung, die fortwährende Rebellion seiner Vernunft gegen all die Torheit, all das Leid, all die unverhüllte Gemeinheit, die er an der Quelle dieses Blutbades fand, nicht abschütteln. Er wurde nervös, fand keinen Schlaf mehr, magerte ab. Die Ärzte verordneten ihm Ruhe. Irgendwo abseits vom Lärm der Kanonen und Zeppeline sollte er versuchen, seine Kraft wiederzufinden.

Seinem so tief eingewurzelten Trieb zur Selbstnachahmung und Wiederholung folgend, zog er sich nach Oxford oder vielmehr nach Iffley zurück. Er konnte nicht kämpfen, er konnte nicht studieren, er konnte niemandem nützen.

»Doch«, erklärte Mr. Darnley, »Sie können auch von Nutzen sein, während Sie sich hier erholen. Schloß Iffley ist zu vermieten. Übernehmen Sie es und verwandeln Sie es in ein Erholungsheim für Offiziere, die nicht in England zu Hause sind, etwa für Kanadier. Zehn oder zwölf können Sie leicht dort unterbringen; Sie brauchen ja nicht mit ihnen zusammenzuleben; Sie können hier im Pfarrhaus wohnen und so den Betrieb von der nächsten Nachbarschaft aus im Auge behalten. Rose wird Ihnen helfen. Sie ist eine ausgezeichnete Haushälterin.«

Ja, das konnte er wirklich tun. Es war nur eine Geldfrage; und das Geld, aus dem er sich persönlich so wenig machte, und das er als so große Bürde empfand, war tatsächlich seine einzige starke Seite, sagte sich Oliver voll Bitterkeit. Ohne seinen Reichtum wäre er eine Null gewesen. War das nicht ein Unrecht und eine Schande, da doch sein Geist reich war an vernünftigem, sorgfältig durchgesiebtem Wissen und sein Herz von dem Wunsch beseelt, Gutes zu tun, Ungerechtigkeiten abzuschaffen und Glück zu verbreiten? Woher kam diese seltsame Unfähigkeit? Ach, wie sollte es denn möglich sein, Gutes zu tun, wenn man das Gute nicht herauszufinden vermochte, oder Ungerechtigkeiten abzuschaffen, wenn man nicht sicher wußte, was gerecht war, oder Glück zu verbreiten, wenn man es selbst nie gekannt hatte? Moralisten und Reformer standen vor der Menschheit wie Ärzte am Sterbebett: sie mochten freundlich Trost spenden und ausgezeichnete Rezepte verschreiben. Doch die Zukunft gehörte den Gesunden, die keine Ärzte brauchten. Der arme Oliver fühlte, daß er nicht zu diesen Gesunden zählte. Sein Körper mochte stark genug sein, aber seine Seele war von Geburt aus verkümmert. Wie der Vetter Caleb Wetherbee äußerlich, so war er innerlich beschaffen.

Der Betrieb in Schloß Iffley funktionierte wie andere Kriegseinrichtungen auch: unbeholfen, kostspielig und irgendwie unbefriedigend; doch füllte er eine Lücke aus, bewirkte wahrscheinlich manches Gute, und die junge Rose verhinderte mit Takt und Geschick ausgesprochene Mißstände und brachte einige Ordnung in das Chaos.

Die jungen Männer von Übersee ließen es sich im Gasthaus wohl sein; ihre Rechnungen für Whisky und Cognac gingen an das Heim; einige, die sich für besonders feine Kerle hielten, ließen ihre Photographie mit Widmung ›für Miß Rose Darnley‹ zurück; und einer schrieb sogar an Oliver, um ihm für seine Gastfreundschaft zu danken. Sie erinnerten ihn ein wenig an seine Freunde in Great Falls oder im Williams College; aber sie schienen gewöhnlicher und roher; oder war sein eigenes Urteil überempfindlich und überkritisch geworden? Doch bestand für ihn keine Notwendigkeit, ihre Gesellschaft zu suchen, und bald verlor er sie ganz aus den Augen. Die Vereinigten Staaten traten in den Krieg ein, Aushebungen fanden statt, und er war verpflichtet heimzukehren und sich zu melden.

In den Monaten, die er nun in Amerika verbrachte, lebte er wie in einem Traumzustand. Trotz der Erregung, die ihn umgab, fühlte er sich befriedigter als zuvor, und sein Gewissen war ruhig, obwohl er nun wirklich zum Mitschuldigen an dem Verbrechen und der Narrheit geworden war, die er zutiefst verdammte. Denn jetzt war eine Sache höherer Gewalt daraus geworden; die Wogen trugen ihn mit sich fort, und seine eigenen Handlungen und sein eigenes Schicksal wurden vor seinem Innern zu einem Schauspiel, das ebenso unerklärlich und ungewollt zu sein schien wie der Umlauf der Gestirne. Außerdem war er zu tätig, um nachzudenken, zu müde, um zu träumen. Ob es nun an der heimatlichen Luft lag, die für ›kräftiger‹ galt als das milde Klima Englands oder Frankreichs, oder daran, daß er gleichsam zu dem Leben seiner Jünglingszeit zurückkehrte, wo er sportliche Übungen und gemeinschaftliches Wirken mit Selbstverständlichkeit ganz ernst genommen hatte – kurz, er wurde seine Depression los, und die Unlösbarkeit der letzten Fragen hörte auf, ihn zu quälen.

Als einfacher Soldat in der Linie und später auf verschiedenen verantwortlicheren Posten stellte er fest, daß der Krieg große Ähnlichkeit mit dem Rugbyspiel hatte. Er erinnerte sich aller falschen Begründungen, mit denen seine Mutter und andere hochgesinnte Leute diesen Sport zu rechtfertigen suchten: er sei gut für die Gesundheit und Moral der jungen Männer, oder er erprobe und kräftige den Charakter; dabei wußte Oliver doch aus Erfahrung, daß nach der Spielzeit jeder Lump, jeder Duckmäuser und jeder Schuft der gleiche war, ja, vielleicht noch tiefer stand, als vorher. So verteidigten auch jetzt die Außenstehenden den Krieg; sie sagten, das arme Serbien sei beleidigt, das arme Belgien überfallen, die Lusitania in den Grund gebohrt worden. Das alles mochte in der Tat Anlaß zu Groll geben. Aber der Soldat fühlt keinen Groll – ausgenommen etwa gegen seine eigenen Offiziere – und hat persönlich kein Unrecht erlitten. Er hört einfach das Signal, als ginge es zur Jagd; er untersteht der Disziplin, weil ihm nichts anderes übrigbleibt, wenn er sich einmal auf die Sache eingelassen hat, und er schlägt sich tapfer, wenn der Augenblick da ist; denn der Krieg ist das größte, erregendste Abenteuer des menschlichen Lebens. Genau so war im kleinen das Rugby ein Ventil für die Urtriebe und ein gespielter Krieg gewesen. Die brüllende Zuschauermenge fühlte die gleiche Gier nach Kampf und Wettstreit und verhielt sich ebenso wie in Kriegszeiten die Öffentlichkeit, die jeweils ihrer Partei Beifall spendete. Oliver sah im stillen alle diese traurigen, aber normalen Notwendigkeiten ein und konnte sich lächelnd in sie ergeben, weil sich sein Körper in gesunder Anspannung befand und sich im Einklang mit der Welt zu bewegen schien. Es war ein Trost, in den Sielen zu gehen und Scheuklappen zu tragen, denn die Aussicht war nach der einen Seite durch physische Müdigkeit und nach der andern Seite durch die öffentliche Meinung versperrt.

Seine Mutter empfing ihn herzlich. Nie war sie so erfreut über ihn gewesen wie jetzt, wo er sich in ernste Lebensgefahr begab. Er war zu seiner Pflicht zurückgekehrt; er tat das, was für jeden jungen Mann das Richtige war; endlich besiegte er die verhängnisvolle Neigung, sein Leben im Ausland zu vergeuden, wie es sein Vater getan hatte. Alle alten Damen berauschten sich an wildem Patriotismus, wenn sie nicht gerade weinerliche Pazifistinnen waren.

Aber wenn Mrs. Aldens handfester Patriotismus im Augenblick Olivers Lage erleichterte, so machte er der unglücklichen Irma das Leben unerträglich schwer. Solange Amerika dem Kriege ferngeblieben war, hatte dieser sie mit romantischem Stolz erfüllt; wie herrlich war Deutschland an allen Fronten vorgedrungen! Als aber nun die Vereinigten Staaten in den Krieg eintraten und ihr eigener wunderbarer Oliver gegen die Streiter des Lichtes kämpfen sollte, geriet Irma in äußerste Verzweiflung. Oliver selbst versuchte sie zu trösten und aufzurichten. Er lobte die Deutschen, erkannte an, wie treu sie die Grundsätze ihrer Philosophie, den kategorischen Imperativ, den Willen zur Macht in die Tat umsetzten, und wie männlich sie dem gefolgt seien, was sie für den Ruf des Schicksals hielten. Und aller Ruhm sei ja ohne Feinde unmöglich; je größer der besiegte Widerstand, desto größer auch der Sieg; und Irma sollte es nicht so schwer nehmen, wenn ihn die äußeren Umstände auf die gegnerische Seite gestellt hätten. Die meisten menschlichen Wesen seien eben keine Deutschen; und wenn er zufällig in Deutschland geboren wäre, würde er ebenso treu auf der andern Seite gekämpft haben.

Das war eine schreckliche Tragödie, fand Irma, aber gerade in der Schrecklichkeit lag auch etwas Erhabenes. Sie leerte den Kelch widerstreitender Empfindungen bis zur Neige und gelangte so bis zu den tiefsten Tiefen und den höchsten Höhen der Erfahrung. Immerhin ein herrlicher Gewinn! In bezug auf Oliver fand sie dementsprechend einige harte, eiserne, bittere Trostgründe und bemühte sich, ebenso heroisch zu sein wie er. Aber wie sollte sie mit Mrs. Alden länger auskommen? Es gab keine Lüge über die Deutschen, die diese nicht glaubte, keinen deutschen Sieg, den sie nicht verkleinerte, keine Aussicht auf einen Erfolg der Deutschen, die sie nicht lächerlich machte. Nun Amerika auf den Plan getreten sei, sagte sie, stehe der Ausgang fest: Oliver werde an der Spitze seines Regiments Unter den Linden einziehen, der Kaiser werde entthront werden, und man werde eine friedliche deutsche Republik nach dem Vorbilde der amerikanischen Konstitution errichten.

»Unwissende, selbstsüchtige, beschränkte alte Frau!« pflegte Irma dann in unverständlichem Deutsch zwischen den Zähnen zu murmeln; doch die Spannung wurde so groß, daß sie sich endlich heldenhaft entschloß, Mrs. Alden durch ihr Fortgehen zu bestrafen. Es war ein großes Opfer, das sie da der Ehre ihres Landes brachte, denn Mrs. Alden würde nun das Legat zurückziehen, das sie Irma in ihrem Testament vermacht hatte; doch die Sache war selbst diesen Verzicht wert. Sie freute sich, in diesen heroischen Zeiten über alle Bedenken erhaben zu sein und fuhr unerschrocken auf einem holländischen Dampfer nach Göttingen davon.

Mrs. Alden, die zwar über die Undankbarkeit dieser Ausländer empört, aber eigentlich nicht von ihr überrascht war, sah sich gezwungen, Letitia Lamb zu bitten, als Hausdame zu ihr zu kommen. Die arme Letitia war ja selbst keineswegs mehr jung und auch nicht sehr kräftig, doch stand sie allein; das selbstsüchtige unverheiratete Mädchen hatte nicht die zermürbenden Erfahrungen einer Gattin und Mutter hinter sich; sie würde wohl noch ein paar Jahre aushalten, und wenigstens war sie keine Deutsche.

Dieser Widerhall des Krieges in der Damenwelt drang kaum zu Olivers Ohren; er verstärkte nur die matte Trostlosigkeit, die sich auf dem Grunde seines Herzens festsetzte. Doch konnte er aus dem Innern des Leviathans auch durch andere Öffnungen herausschauen, ähnlich als hätte Jonas aus den Augen des Walfisches hervorlugen können. Vor allem bekam er häufig lange Briefe von Mario; denn Vanny war zum zweiten Male verwundet worden; ›schwer verwundet‹, hatte er zuerst geschrieben, aber dann das Wort ›schwer‹ ausgestrichen und durch ›ernstlich‹ ersetzt. Sein linker Arm war am Ellbogen zerschmettert, aber nicht durch einen Unglücksfall beim Fliegen, sondern durch eine verirrte Granate, die die Flugzeughalle getroffen hatte. Eine Amputation wurde nicht für nötig gehalten, aber wahrscheinlich würde der Arm nicht mehr seine volle Beweglichkeit wiedergewinnen, sodaß es mit dem Pilotendienst am Motor vorbei war. Tant pis. Einstweilen wollte er, sobald er das Lazarett verlassen konnte, zu einem langen Urlaub nach England zurückkehren. Die Verletzung hatte zuerst bösartig geschienen, sich aber dann als eine sogenannte Fünf-Pfund-Verwundung herausgestellt, eine Verwundung nämlich, für die mancher gern fünf Pfund gegeben hätte.

Weiter schrieb Vanny, er freue sich darauf, nach Hause zu kommen – obwohl er ja eigentlich kein Zuhause hätte – und müßig im Garten zu sitzen, die Lerchen singen zu hören und vielleicht ein wenig [Krocket] zu spielen. Das würde sein, als kehre man in die glückliche Kindheit zurück und jage einem großen, bunt und herrlich bemalten Gummiball nach. Doch hoffe er, sich rechtzeitig zu erholen, um zu den Endkämpfen an die Front zurückkehren zu können.

In Ermangelung von Angehörigen, zu denen er sich begeben konnte, wollte er zur Erholung in Olivers Offiziersheim nach Iffley gehen. Schade, daß Oliver nicht dort war! Sie müßten entschieden wieder eine Weltreise zusammen machen – freilich würde die Welt nach dem Kriege eine ganz andere geworden sein. Vorläufig war in der Muße – um nicht zu sagen Langeweile – von Iffley, in der Fürsorge von Olivers Freunden und im Gefühl seiner unsichtbaren Gegenwart Zeit und Anlaß genug zu vielen Briefen.

»Wer, glaubst Du«, schrieb Mario einmal, »ist gestern hier in den Garten gestürmt, hat mit dem weißen Schal gewinkt, den er immer wie ein Tatar um sich drapiert, und dazu geschrien: ›Gratuliere mir, gratuliere mir‹? Cooly – Lord Basil Kilcoole, weißt du, der in Peckwater in den künstlerisch eingerichteten Zimmern über mir wohnte. Mit dem Garten meine ich übrigens den des Pfarrhauses, nicht den von Schloß Iffley. Deine schöne Freundin Rose hat mir nämlich gütigerweise Deinen eigenen Korbstuhl und Deinen eigenen Arbeitstisch unter Deinen Lieblingsbaum gestellt, sodaß ich nicht den ganzen Tag die dicke Atmosphäre verwundeten Heldentums jenseits der Hecke zu atmen brauche; wenn das Wetter es erlaubt, sitze ich immer hier. Ich fühle mich hier auf besonders angenehme Weise bei Dir zu Gast und gewissermaßen in Deinem Schatten, ziehe Nutzen aus Deinen Verdiensten und werde um Deinetwillen verwöhnt. Das ist auch einer der Gründe, weshalb ich Dir so häufig diese unendlichen Briefe schreibe, die Dich mit allen ihren Kleinigkeiten vielleicht langweilen, während Dein strategischer Geist von Fragen über Leben und Tod geplagt wird. Ich gebrauche das Wort strategisch, denn nun, wo Du Soldat sein mußt, wirst Du es sicher bald zum General bringen. Aber Leben und Tod, lieber Oliver, halten sich stets die Wage; es ist ermüdend, sich darum Gedanken zu machen oder angstvoll das Zünglein an der Wage zu beobachten. Nach welcher Richtung es sich neigt, würde im Grunde gar nichts ausmachen, wenn nicht so viele liebenswürdige Kleinigkeiten das Leben erfüllten, das wir nun einmal leben. Deshalb leg Deine Strategie beiseite und höre den Rest meiner dummen kleinen Geschichte.

›Gut‹, sagte ich also zu Cooly. ›Ich gratuliere dir. Aber wozu?‹

›Es ist ein Junge.‹

›Hallo! Ich wußte nicht, daß du verheiratet bist.‹

›Ich bin auch nicht verheiratet. Ich bin noch zu jung dazu.‹ Cooly spielt immer auf seine zarte Jugend an, doch weiß ich zufällig, daß er dreiundvierzig ist und sein langes Haar färbt, so daß es in kupfrigem Kastanienbraun leuchtet. Er ist eine jener knochigen Erscheinungen, die sich mit den Jahren nicht viel verändern, er läuft bei jedem Wetter ohne Hut herum, ist ein großer Bergsteiger und erhält mit Hilfe von viel Bewegung und frischer Luft seine blühende Gesichtsfarbe – von weitem – ganz jugendlich.

›Na‹, sagte ich, ›ich wußte nicht, daß du guter Hoffnung warst.‹

›Sei kein Esel! Es handelt sich nicht um mein Kind, sondern um das meines Bruders, du weißt doch, er hatte nur Töchter; er war dumm genug, in diesen sinnlosen Krieg zu ziehen, obwohl wir Iren eigentlich neutral sind; bloß weil er vor Jahren einmal in der Garde gewesen ist. Natürlich mußte er fallen, und der blöde Titel wäre auf mich gekommen – Danduffy – sie hätten mich fortan Danduffy genannt und mir den schönen Namen Basil Kilcoole weggenommen, unter dem ich bei der Nachwelt bekannt werden will. Nun aber hat glücklicherweise meine Schwägerin nochmals ein Kind erwartet, und wenn es wieder ein Mädchen gewesen wäre, so wäre ich dank der Tyrannei des Heroldsamtes Seiner Majestät mein Leben lang Danduffy geblieben. Aber der Herr hat sich meiner erbarmt, und es ist ein Junge geworden. Dieser unmündige Organismus ist jetzt der ›Marquis of Danduffy‹; und wenn das Wurm am Leben bleibt, bin ich gerettet. Deswegen sage ich: Gratuliere mir, gratuliere mir.‹

›Aber wieso spielt dein Name eine Rolle, und wie sollst du überhaupt der Nachwelt bekannt werden, wenn du deine Gedichte nie veröffentlichst?‹

›Meine Gedichte veröffentlichen?‹ zischte er in gespieltem Entsetzen. ›Wie sollte ich dazu kommen, irgend etwas zu veröffentlichen? Meine Verse werden nicht einmal niedergeschrieben. Einen Vers aufs Papier nageln, heißt ihn morden. Hast du deinen Phaidros vergessen? Und wenn man nicht einmal lebendige Philosophie in einem Buche finden kann, wie viel weniger noch lebendige Dichtung! Homer hat niemals etwas geschrieben. Sokrates hat niemals etwas geschrieben. Christus hat niemals etwas geschrieben. Der heilige Franziskus hat niemals etwas geschrieben. Und warum soll ich meinen Geist materialisieren und meine Melodien profanieren, indem ich sie verbrecherischerweise mit einer Reihe von Buchstaben ankette? Buchstaben sind Fesseln. Ich atme meine Begeisterung aus, ich gebe sie von mir; und wer Ohren hat zu hören, mag meine Worte bewahren und weitertragen. Und wenn er sie nicht geradezu weiterträgt, sondern wie Paulus eine neue Inspiration aus dem bloßen Echo des Nachhalls der göttlichen Worte schöpft, dann um so besser. Die Kommenden werden ihre eigenen Lieder unter meinem Namen singen, und ich werde bis in Ewigkeit durch ihre Kehlen ein neues Lied singen.‹

›Sehr nett‹, sagte ich, ›aber meine Kehle ist trocken. Laß uns zum Tee gehen.‹

Eine von Coolys Eigenheiten ist die, daß er sehr geizig ist und es sehr schätzt, wenn man ihn zum Tee einlädt. Ich habe den Verdacht, daß alle seine Kunstschätze seine eigenen Machwerke sind, denn er ist Maler so gut wie Dichter, und zwar Maler in allen möglichen Stilen. Seine Corots sind ganz nach dem Leben gemalt, und seine byzantinischen Madonnen könnten für echt verkauft werden, während er Wohnräume mit Fresken à la Tiepolo und Watteau ausstattet und seine Fächer, die von denen Condors nicht zu unterscheiden sind, in Bond Street die höchsten Preise erzielen. Und doch kommen ihm ein paar Pfennige für Tee zu viel vor, und er trägt ewig dieselben Cordhosen und Tweedjacken. Die Idee, auf meine Kosten Tee zu trinken, versetzte ihn also in die beste Laune, und er schritt mit einer Geschwindigkeit, die des Achill würdig gewesen wäre, auf die ›Isis Inn‹ zu.

›Aber, Cooly, wenn du deine Eingebungen nie aufschreibst, fürchtest du dann nicht, sie zu vergessen oder sie zu verwechseln und zu verderben?‹

›Allerdings‹, erwiderte er nachdenklich, ›weiß ich oft nicht, ob etwas, das mir gerade durch den Kopf geht, von Shakespeare ist oder ein früherer Vers von mir. Zum Beispiel höre ich augenblicklich in meinem Innern die Worte: ›Beständ'ge Lügner, die uns niemals täuschen.‹ Ich möchte wissen, ob das irgend jemand schon gesagt hat.‹

›O ja, du hast es bei Lafontaine geklaut.‹

›Warum fragen wir überhaupt, wer es zuerst gesagt hat? Die Zeile ist doch ein Chamäleon. Vielleicht war sie ursprünglich französisch; jetzt ist sie englisch. Vielleicht hat sie nur bedeutet, daß zu viele Lügen sich selbst widerlegen – eine Schulbuchplattheit! Aber jetzt ist der Sinn der, daß uns unsere Inspirationen selbst, in der Maske endloser Illusion, auf mystische Weise zum Herzen der Wahrheit führen können.‹

Du erinnerst Dich doch der beiden Pappeln am Eingang der kleinen Gartenwirtschaft? An diesem Nachmittag wirkten sie besonders feierlich und elegant, wie sie im Winde schwankten und ihre Zweige abwechselnd ineinander verschlangen und wieder trennten, als ob zwei schlanke Zinnentürmchen wie die von St. Mary lebendig geworden wären, ihre Köpfe aneinander legten und sich umarmten und rhythmisch zur Musik des Windes tanzten. ›Wenn mein Latein nicht so eingerostet wäre‹, sagte ich zu Cooly, ›und mein Griechisch nicht so ungenügend, würde ich ein Epigramm über diese beiden Pappeln verfassen. Ihre Linien, ihre Fülle, ihr Gemurmel und ihre Melancholie sind ganz klassisch.‹

Cooly warf seine gefärbten Federn zurück wie ein Vogel, wenn er trinkt, und zeigte einen Augenblick lang über seinem weiten Kragen einen riesigen Adamsapfel, der sich auf- und ab bewegte. Der Mensch schien tatsächlich inspiriert zu sein, nur ist er für einen lyrischen Apollo knochendürr und sieht zu sehr wie Abraham Lincoln aus. Nach einem Weilchen begann er zu flöten:

Ambigua Zephyro Geminae dum fronde susurrant
cedit ab immemori muta sorore soror
.‹

›Hört, hört‹, rief ich, ›aber bitte, sag es nochmal. Im Lateinischen hast du einen kleinen englischen Akzent. Ich glaube nicht, daß ich es ganz verstanden habe.‹

›Unmöglich, unmöglich. Dafür ist es nicht gut genug. Aber ich werde es auf Englisch wiederholen.‹

Und wieder schüttelte Apoll seine ambrosischen Locken, wieder stieg der Adamsapfel auf und nieder, und unaufhaltsam fluteten die Worte:

›Die Pappeln, Zwillingsschwestern, flüstern lind,
Vom Wind vereint und bald getrennt vom Wind.‹

›Wirklich, mes compliments! Doch ist die moderne Version nicht ganz getreu. Im Original ist weniger und mehr enthalten.‹

›Ganz unvermeidlich‹, fiel er ein, noch völlig unter dem feierlichen Bann seiner Muse. ›In der Dichtung kann niemals das gleiche zweimal gesagt werden.‹

›Zugegeben. Aber etwas mußt du mir erklären: warum ist dein englisches Epigramm klassisch und dein lateinisches Epigramm romantisch?‹

›Weil wir‹, erwiderte er, ohne im geringsten zu zögern, ›wenn wir aus dem Chaos aufsteigen, nach Wahrheit, Vollendung und Einfachheit streben; aber wenn wir umkehren und uns von der höchsten Vollendung nach innen wenden, so finden wir dort Schmerz, Enttäuschung und das Rauschen der Winde.‹«


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