Leopold von Ranke
Geschichtsbilder aus Leopold v. Rankes Werken
Leopold von Ranke

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58. Fürst Bismarck.

Aus Rankes Nachlaß mitgeteilt von Alfred Dove. Ausgewählte Schriftchen. Entwurf einer Betrachtung zu Bismarcks 70. Geburtstag, 1885.

Der preußische Staat mußte von dem Druck, welchen die auswärtigen Verhältnisse ihm auferlegten, befreit werden. Der dänische, der österreichische und der französische Krieg sind daraus gleichmäßig hervorgegangen. Dem Einfluß einer fremden Nationalität auf das nördliche Deutschland, der auf einem dynastischen Verhältnis beruhte, welches eben unterbrochen wurde,Mit König Friedrich VII. von Dänemark, der am 15. November 1863 starb endete der Mannsstamm der ältern Linie des Hauses Oldenburg, welcher seit 1448 in Dänemark, seit 1460 auch in Schleswig-Holstein regierte. Auf die Nachfolge erhoben die beiden jüngern Linien Augustenburg und Glücksburg Anspruch; für Christian von Glücksburg hatte der Londoner Vertrag von 1852 entschieden. mußte ein Ende gemacht werden, wenn die Nation jemals ihrer Einheit innewerden sollte. Aber der Hader, der zwischen den beiden in Deutschland vorwaltenden Mächten lange bestand und hierdurch noch geschärft wurde, konnte unmöglich länger fortdauern, wenn der preußische Staat seiner vollen Unabhängigkeit sich erfreuen sollte. War doch vor kurzem der Versuch gemacht worden, die Einheit der Nation in dem Hause Habsburg zur Darstellung zu bringen. Die Bundesfürsten, der Bundestag schienen sich dem zu fügen. Der gordische Knoten der deutschen Verwicklungen konnte nicht gelöst, er mußte zerhauen werden. Dies konnte nicht unternommen werden ohne Gefährdung der eignen Existenz: auf diese Gefahr hin wurde es unternommen. Aber dank der Ausbildung, welche eine lange vorausrechnende Sorge der Regierung dem militärischen Geiste des Volks und der Armee verschafft hatte, gelang es vollkommener, als man je erwartet hatte. Der einzige Bundesstaat, der sich dem wirksam entgegensetzte, wurde vernichtet. Dem alten Nebenbuhler wurde kein Fuß breit Landes entrissen; aber ein neuer Bund wurde geschlossen, der den Einfluß desselben auf das übrige Deutschland abschnitt.

Der Sieg von Sadowa eröffnete eine neue Ära für die Politik der Welt, nicht alle Welt aber akzeptierte ihn. Noch immer wollte Frankreich den Einfluß nicht entbehren, welchen es früher in Deutschland ausgeübt und zu Anfang des Jahrhunderts beinahe zu einer wirklichen Oberherrschaft ausgebildet hatte. Es hoffte noch immer, die Niederlagen, die es danach erlitten, durch eine neue Erhebung wettzumachen. Man hat später erfahren, wie tief das noch immer auf die Zersetzung in Deutschland wirkte; alle Hoffnungen, die alten Zustände wiederherzustellen, schlossen sich an Frankreich. An und für sich hätten die beiden Nationen wohl nebeneinander bestehen können. Unausgesetzte Eifersucht aber bewirkte endlich einen Bruch, der zum Kriege führte, in welchem die Monarchie Friedrichs des Großen den Sieg über die napoleonischen Tendenzen und ihre Streitkräfte davontrug. Hierdurch erst wurde die volle Unabhängigkeit gesichert. Was die politischen und militärischen Führer der letzten Jahrzehnte geträumt, wurde vollendet. Es liegt die größte Befriedigung des Selbstgefühls einer Nation darin, wenn sie weiß, daß auf Erden kein Höherer über ihr ist. Gleichsam von selbst geschah es dann, daß die preußische Monarchie sich zum Deutschen Reich erweiterte; alle die, welche den Sieg hatten erfechten helfen, nahmen Teil an der neuen Gestaltung.

Drei kriegerische Handlungen, deren wahre Ursache in der Entwicklung der inneren Kraft lag, deren Beginn und Gang jedoch nicht ohne den die auswärtigen Geschäfte leitenden Minister vollzogen werden konnte, welcher die Einheit der Idee in sich selbst trug und in jedem Moment der Differenzen gegenwärtig erhielt. Die größte intellektuelle Fähigkeit hatte sich mit dem universalen Interesse identifiziert. Notwendig fiel es ihr zu, dann auch den Frieden zu leiten, die allgemeine Teilnahme an der Besorgung der öffentlichen Angelegenheiten verfassungsmäßig zu sichern. Noch weniger als bisher könnte ich hier auf eine Einzelheit eingehen, ich will nur beim Allgemeinsten stehen bleiben, ohne die Irrungen zu berühren, die dann eintreten mußten und eingetreten sind. Das vornehmste Objekt von allen ist die Organisation der nationalen Institute, welche dem entsprechen mußte, was in den europäischen Staaten überhaupt die maßgebende konstitutionelle Idee geworden ist, zugleich aber das Verdienst hatte, das Volk selbst in seiner Tiefe zu ergreifen und heranzuziehen. Das gehörte nun einmal zu dem Ganzen der Umwandlung, die sich vollzog. Wir sind inmitten derselben begriffen. So widerwärtig und verabscheuungswürdig die Ausschreitungen sind, die dabei dann und wann vorkommen, so läßt sich doch erwarten, daß die Belleitäten des Umsturzes durch den Gedanken der allgemeinen Umfassung und Entwicklung aller Kräfte zurückgedrängt werden.

Aber noch etwas andres möchte ich von meiner Seite in Erinnerung bringen. Die wissenschaftlichen Studien, die nie in größrer Ausdehnung in Deutschland geblüht haben als heutzutage, bedürfen des Friedens, denn nur aus langjähriger Anstrengung und Arbeit der Gesamtheit und der einzelnen können große Resultate hervorgehen. Eine solche Epoche ist dem deutschen Geiste in den Jahren seit dem letzten große Kriege gewährt worden, ebenfalls hauptsächlich durch das Verdienst des Staatsmanns, der in jedem Augenblick den kriegdrohenden Impulsen entgegentrat und, indem er sie zurückwies, zugleich eine Art von Vorsitz in dem europäischen Rate davongetragen hat.

Noch ist aber auf diesem Wege viel zu tun übrig. Das innre Verständnis in der Nation selbst muß vollendet, die äußre Stellung nach allen Seiten hin gesichert werden. Wenn man den siebzigsten Geburtstag Bismarcks feiert, so geschieht das nicht allein in Bewunderung dessen, was durch ihn geschehen ist, sondern in der Erwartung, daß die Gründungen, die seinem Kaiser und ihm gelungen sind, für alle Zukunft bestehen und für jedermann die erfreulichsten Früchte, nicht der Ruhe, sondern der Tätigkeit hervorbringen werden. Das walte Gott!


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