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Französische Geschichte III, Werke Bd. 10 S. 144-150.
Noch in seinen letzten Jahren erschien Mazarin als ein stattlicher Mann von braunem, lockigem Haupthaar, breiter und hoher Stirn, sorgfältig in seinem Äußern, von jener Milde des Ausdrucks, die man an gebildeten Italienern bemerkt, gewinnend und durch eigene Ruhe die andern beruhigend. Wenn aber bei irgendeinem, so lernte man sie bei Mazarin als Außenseite kennen. Bei der ersten Begegnung umarmt er die, welche ihm und der Sache des Königs Dienste geleistet haben, und erwirbt ihr volles Zutrauen. Wie bald aber ändert sich diese Meinung; die meisten sahen sich in ihren Erwartungen geradezu getäuscht. Man sagte von Mazarin, der Dankbarkeit, die man ihm schuldig sei, werde man durch die Art und Weise entledigt, in der er die Erfüllung seiner Zusagen lange verzögere und endlich nicht ohne Unannehmlichkeiten gewähre. Nur diejenigen schien er zu schätzen, die er noch nicht ganz gewonnen hatte; man mußte selbständig sein, gefährlich werden können, um etwas bei ihm zu erreichen. Die, welche weniger von ihm abhingen, hatten sich größerer Berücksichtigung zu erfreuen als die, welche er ganz in seinen Händen hatte; wie unter anderm die Bischöfe einen Vorzug, den er den Marschällen und Herzogen vor ihnen zugestand, sich nur daher erklären konnten, daß er von dem Klerus weniger Widerspruch fürchtete.
Richelieu war ein Dogmatiker der Gewalt, die er gründete. Er hatte den Geist inquisitorischer Verfolgung und trieb diese bis zum äußersten. Mazarin suchte zu behaupten, was er fand, oder es wiederherzustellen, wenn es erschüttert war, aber unter ihm hat niemand auf dem Schafott geblutet, bei ihm war alles Transaktion. Denn nicht von innerer Parteiung war er ausgegangen wie sein Vorgänger, sondern von auswärtigen Geschäften, in denen Feindschaft und Freundschaft wechseln, der Krieg durch Unterhandlungen beendigt wird. Durch ausgleichende Unterhandlung suchte er nun auch den großen Kampf der ministeriellen Autorität mit der Widersetzlichkeit und Auflehnung der untergeordneten Machthaber zum Ziele zu führen. Unter dem mannigfaltigsten Wechsel von Zuständen hatte er wirklich die alte Grundlage wiedergewonnen, wiewohl sie noch nicht vollständig befestigt war. Seine ganze Natur, seine diplomatische Gewandtheit, der Einfluß, der seiner Persönlichkeit wie von selbst zufiel, die Oberflächlichkeit selbst, mit welcher er haßte und liebte, machte ihn dazu fähig. Doch sind ihm seine Erfolge nicht ohne Mühe zuteil geworden.
So wenig als denen, die Stellen und Gnaden bei ihm suchten, erschien Mazarin den fremden Gesandten auch der befreundeten Mächte zuverlässig. Eines Tages hören sie ihn alle Möglichkeiten, welche die eingeschlagene Richtung darbietet, mit Feuer und Beredsamkeit entwickeln; wenn sie ihn wieder besuchen und etwa ein günstiger Augenblick vorübergegangen ist, zieht er aus seinen Vordersätzen vollkommen andere Folgerungen. In den Unterhandlungen, die er persönlich führt, zeigt er beinahe eine kaufmännische Ader. Die Ware, die er los sein will, schlägt er hoch an, obwohl er sie von Herzen gering schätzt; den Wert dessen was man ihm anbietet, obwohl er ihn vollkommen erkennt, sucht er herabzusetzen. Gegen das was der andere wünscht stellt er sich gleichgültig an, obgleich er es nicht minder begehrt und begehren muß. Unendlich glücklich fühlt er sich, wenn er am Ende noch größere Vorteile davonträgt als er ursprünglich erhalten zu können meinte. Der Königin und dem König schildert er sein Verfahren bis ins Kleinste, nicht gerade mit Selbstgefälligkeit, aber mit einem gewissen Behagen und mit sichtbarer Freude, wenn ihm sein Vorhaben gelingt.
Unleugbar ist sein Eigennutz. Bei Besetzung der Stellen nimmt er sich nicht übel, auf eine oder die andre Weise einem Vorteil von ein paar tausend Scudi nachzugehen; er läßt bemerken indem er ein Patent selbst überliefert, daß er dem Ernannten dadurch die Geschenke erspart, die sonst dem Überbringer hätten gezahlt werden müssen; er macht Halbpart mit den Kapern, die er autorisiert. Aber ebenso unleugbar ist, daß sein ganzes Sinnen dahin ging, die französische Monarchie groß und stark zu machen, in Ludwig XIV. einen König, wie er sein sollte, auszubilden und zurückzulassen. In einem seiner Briefe bald im Anfange seiner Verwaltung findet sich sogar der höchst auffallende Gedanke, daß ein Mann, der die französische Monarchie leite, den Anhauch göttlicher Inspiration erwarten dürfe. Nie ist das Große und Echte mit dem Kleinlichen, ja selbst Gemeinen enger verbunden gewesen als in Mazarin.
Er ward nun als der Atlas und das Orakel der Monarchie betrachtet, als der Mann, auf dessen Schultern sie ruhe, der sie mit seinem Wort leite. Die ministerielle Gewalt war unter ihm durch die persönliche Gunst des Fürsten mit der königlichen aufs engste vereinigt. Die Königin-Mutter blieb ihm, solange sie Macht und Ansehen besaß, durch Grundsatz und Gewohnheit ergeben. Es scheint wohl, als ob sie später, nachdem alle Zwecke, die sie gehabt hatte, erreicht waren, eine gewisse Verstimmung über die Fortdauer der Autorität des Kardinals empfunden habe; Ludwig XIV. gab einer solchen jedoch nicht Raum, er trug Bedenken dem Mentor, dem er sein Glück zuschrieb, selbst durch kleine Anforderungen unangenehm zu werden.
Das sonderbarste Verhältnis bildete sich. Der König von Frankreich erschien fast als der Hofmann des Ministers; der König besuchte den Minister, der Minister nie den König; er begleitete ihn selbst nicht die Treppe hinab. In diesem hohen Ansehen und einer ununterbrochenen Anerkennung desselben lag für Mazarin das vornehmste Moment seiner Zufriedenheit. Als er einst nach der Vermählung Ludwigs XIV. ein paar Tage mißvergnügt erschien, und man der Ursache nachforschte, so fand sich, daß er auch von der jungen Königin besucht zu werden erwartet hatte; als dies geschehen war, kehrte seine heitere Miene zurück. Den Vortritt der Prinzen von Geblüt hätte er sich damals nicht mehr gefallen lassen, wie im Anfang; er hielt zuletzt über dem Vorrang der Kardinäle nicht minder streng als einst Richelieu. Wie sehr ihnen beiden in diesen Zeiten des Zeremoniels der Besitz ihrer hohen geistlichen Würde zustatten kam, wäre nicht auszusprechen. Und hing nicht damit auch ihr Trachten nach Reichtümern zusammen? Es erschien fast wie ein Herkommen bei den Kirchenfürsten. »Das war ein großer Papst«, hörte man Mazarin einst bei dem Denkmal Johanns XXII. in Avignon ausrufen, »er hinterließ acht Millionen.« Weder der Besitz der Macht allein noch des Geldes allein könnte ihnen genügen; sie streben alles zu vereinigen, Macht und Vorrang und Überfluß.
Auch der Glanz der Kultur gehört zu der Form des Lebens, in der sie sich gefallen. Mazarin konnte als ein FremderGiulio Mazarini, aus einer sizilischen Familie stammend, geboren 1602, in Rom gebildet, war 1634 als päpstlicher Nuntius nach Paris gekommen; Richelieu zog ihn 1639 in seinen Dienst und empfahl ihn zu seinem Nachfolger. dem Aufschwung der französischen Literatur und Sprache nicht den lebendigen Anteil seines Vorgängers widmen. Nur etwa die französische Komödie gewann ihm Teilnahme ab; er liebte es, auch in dem ernstesten Geschäft ein witziges Wort daraus, eine entsprechende Situation in Erinnerung zu bringen. Übrigens aber scheint er die Literatur, um die er sich zu kümmern habe, mehr in der italienischen oder lateinischen gesehen zu haben, wie die Verbindungen schließen lassen, in denen er mit Vittorio Siri, mit Capriata stand; von StradaGelehrter Jesuit in Rom, Verfasser des Geschichtswerkes »De bello Belgico« (Krieg Spaniens gegen die Niederlande bis 1590), gestorben 1649. ließ er sich wohl eine lateinische Inschrift angeben. Ohne selbst gelehrt zu sein, hatte er doch für die allgemeine Gelehrsamkeit einen lebendig angeregten Sinn. Er sparte weder Geld noch Mühe, um die Bibliothek, die ihm während der Unruhen zerstört worden war, wieder herzustellen; sein Bibliothekar pflegte ihm die Erwerbungen, die er machte, auf einer Tafel aufzulegen, bei der er zu seinen Audienzen gehend oder von denselben kommend vorüberging, wo er einen Augenblick gewann um sie in Augenschein zu nehmen. Es freute ihn, wie einst Papst Leo in einem ähnlichen Fall, wenn ihm ein oder das andre damals verkaufte besonders wertvolle Werk als wiedererworben zu Gesichte kam. Überdies besaß er einige der schönsten Kunstwerke aller Zeiten, das Sposalizio der heiligen Katharina von Corregio, die Venus del Pardo von Tizian; das erste hatte ihm sein Gönner, dem er wieder die größten Dienste leistete, Antonio Barderini, abgetreten; manches andere stammte aus der Galerie Karls I. Bei ihm fand man die schönsten Tapisserien aus Brügge, unvergleichliche Silberarbeiten, orientalische Teppiche, oder worin sonst der Geist der Kunst sich mit dem Luxus vereinigt und ihn geadelt hat. Er selbst verstand sich am meisten auf Edelsteine und ihren Wert.
Mazarin liebte von Jugend auf das Spiel; er wußte wieviel er bei allem Verdienst dem Glück verdanke; noch schien er nicht an seinem höchsten Ziele angekommen zu sein. Man hat versichert, er habe daran gedacht, bei der nächsten Vakanz den päpstlichen Stuhl zu besteigen, und allerdings wäre dies das wahre Mittel gewesen, mit höchster Ehre dem Könige die Verwaltung seines Reiches zurückzugeben und so von Frankreich zu scheiden. Eine recht authentische Spur dieses Planes findet sich nicht; was man von einer darauf zielender Abkunft zwischen Don Luis de HaroSpanischer Minister, mit welchem Mazarin 1659 den pyrenäischen Frieden schloß. und dem Kardinal erzählt, muß ohne Zweifel verworfen werden. Und wenigstens fürs erste meinte jedermann, daß Frankreich zur vollkommenen Befestigung der Ruhe seiner Anwesenheit noch nicht entbehren könne. Welch eine Aussicht aber, mag er sie nun selbst oder mögen sie andere gefaßt haben, daß er zuerst die begonnene Einrichtung von Frankreich vollenden und alsdann die päpstliche Autorität, mit deren Inhabern er so oft gekämpft hatte, selber erwerben und in Einklang mit dem von ihm erzogenen König verwalten sollte.
Das war ihm jedoch nicht beschieden. Schon auf der Rückreise von der Insel der KonferenzBeim Pyrenäenfrieden 1659, in dem Grenzflusse Bidassoa. erfuhr er überaus schmerzhafte Gichtanfälle, und darauf schwanden seine Kräfte sichtlich. Am 9. März 1661 starb Mazarin; bei Hofe ward, was außer aller Gewohnheit ist, Trauer für ihn angelegt. Darin, daß er in vollem Genuß von Würde, Macht, Reichtum und Ansehen hinging, sahen die Menschen eine Fortsetzung desselben Glückes, das sein Tun und Lassen von Anfang an begleitet hatte.