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Zur Venetianischen Geschichte, Werke Bd. 42 S. 11-30.
Unüberwindlich scheinen im Orient die Osmanen; der ganze Occident glaubt sich von der Übermacht der Spanier bedroht. In der Mitte zwischen beiden haben sich die Nobili von Venedig eine Macht verschafft, die einen Rang unter den Mächten der Welt behauptet.
Wo ihre Schiffe nach dem Orient fahren, bald zur rechten bald zur linken, bis an die Küste von Asien hin gebieten sie über eine Menge Uferplätze und Eilande. Die reichen Ebenen im Westen um die Flüsse her, die in ihre Lagunen münden, bis hinan an das Joch der Alpen haben sie in den zweifelhaftesten und gefährlichsten Kriegen zu behaupten gewußt. Aber dort sieht der Osmane ihre Flagge nur mit Unwillen in den Gewässern, die er als sein Eigentum betrachtet; hier ist bald von dem Inhaber des Herzogtums, zu dem einst ein guter Teil der venetianischen Besitzungen gehörte,Die Venetianer hatten 1402-1441 glückliche Kriege gegen die Herzoge von Mailand aus dem Hause Visconti geführt. dem König von Spanien,Karl V. gab Mailand 1556 seinem Sohne Philipp II. bald von dem Kaiser, der das übrige in Anspruch nimmt, immer von dem Hause Habsburg Gefahr zu befürchten. Nach beiden Seiten hin sind die Venetianer zu einer starken bewaffneten Aufstellung genötigt.
Über das Meer wacht ihnen ein Provveditore, den sie mit sechs Galeeren nach Korfu, der Mitte ihrer Besitzungen, senden. Alle Schiffe salutieren, wo sie die zwei viereckigen Flaggen seines Hauptschiffes sehen; alle Plätze an den Ufern erkennen ihn als ihren Obern; die Anführer der übrigen Geschwader sind ihm unterworfen, appellieren sogar an ihn. Zunächst vor ihm liegt ein Governator bei Kandia. Nur des Winters ist er daselbst: mit dem Frühjahr kommt er nach Korfu zurück, wenn es Krieg gibt mit zehn, im Frieden mit vier Galeeren, die er immer in Kandia bewaffnet; wahrend des Sommers wartet er der Befehle des Provveditors in Korfu. Noch weiter nach Osten liegt ein Kapitän mit vier Galeeren bei Cypern; sein vornehmstes Geschäft ist die Seeräuber zu verfolgen, welche den Handelsschiffen bei Damiette oder an der syrischen Küste auflauern; er läßt sie in seiner Insel kein Wasser einnehmen; die, welche in seine Gewalt fallen, läßt er ersäufen. Diesen zwei Geschwadern zwischen Korfu und der syrischen Küste entsprechen zwei andere, zwischen Korfu und Venedig. Das eine liegt im Hafen von Lesina, den man mit einem Molo befestigt und mit einem kleinen Arsenal versehen hat, wo alle Schiffe anlegen, die zwischen Venedig und Apulien, zwischen Venedig und der Levante fahren. Es besteht aus Galeeren unter dem Kapitän des Golfes; alle fremden Schiffe, selbst wenn ein Ragusaner nur nach Ancona überfährt, müssen ihn als den Herrn des Golfes erkennen. Das zweite besteht aus fünf Fusten und fünf langen Barken; mit diesen kreuzt der Kapitän der Fusten gegen die Uskochen,Ein Seeräubervolk in Dalmatien. welche die äußersten Winkel des Golfes lebhaft beunruhigen. Alle diese fünf Geschwader gehören zusammen; sie bilden ein stehendes Heer zur See; sie sollen die Gewässer von Venedig und Tripoli und Alexandrien frei von dem Feinde und frei von Seeraub halten.
Zu diesen Galeeren nahm man Ruderer und Soldaten aus den Zünften der Stadt, aus den Gondolieren der Lagunen, von den Dalmatinern und Kandioten, die geborene Seeleute sind. Vornehmlich trug man Sorge, das Rudern gut einzuüben. Die Galeeren waren mehr zum Rudern als zum Segeln eingerichtet; sie hatten mehr Bänke und kleinere Segel als etwa die florentinischen; 26 Bänke bis heran an das Tau der Segelstange und den Mastbaum so nahe am Vorderteil, daß die Segel nur klein sein durften. Eben daher mochte kommen, daß sie nur langsam fuhren, jeden Sturmwind fürchteten und sich abends bei guter Zeit in den Häfen einzufinden pflegten. Vorzüglich gut waren sie mit Geschütz versehen. Die schweren und leichten Galeeren verglich man mit schwerer und leichter Reiterei, eine Linie aus beiden hielt man für unüberwindlich. Um 1560 waren immer 35 - 40 unter den Waffen; doch sah man im Arsenal wohl 200 andere, und dies war so gut eingerichtet, daß einer unserer Berichterstatter binnen zehn Tagen ihrer dreißig völlig ausrüsten sah. So oft sich die Osmanen regten, eilten die Venetianer zu rüsten; dann sandten sie einen General der Flotte mit völliger Gewalt über Leben und Tod und so unbeschränkter Macht aus, daß sie dieselbe nur ungern gaben. Doch geschah es zuweilen; sie überredeten sich, schon sein Name erschreckte den Feind.
Wie zur See, hielten sie sich auch auf dem Festland in steter Bewaffnung. Auch nachdem jene Stürme vorüber waren, welche die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts erfüllten, besoldeten sie 600 Huomini d'arme, jeden mit drei Pferden, und 1000 Stradioten; sie hielten eine Landmiliz unter Waffen, die auf 25 000 Mann berechnet wird; ihre Festungen waren wohlbesetzt. Wie indes die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts sich immer friedlicher entwickelte, ließen sie von einer für jene Zeit so großen Anstrengung ein wenig nach. Die Huomini d'arme behielten nur zwei Pferde; in Istrien finden wir 50 Helme, jeder Reiter mit einem Streitroß und einem geringeren Tier; sie stehen unter einem eigenen Hauptmann, und man sorgt dafür, daß sich die einheimischen Behörden in kein Verhältnis zu ihnen setzen. Da die Stradioten leicht zu haben und immer gleich brauchbar waren, schien bald auch eine geringere Anzahl derselben genügend. Nur die Festungen suchte man gegen jeden unerwarteten Angriff stark zu halten. Fast alle waren mit festen Mauern, tiefen und breiten Gräben, wohlangelegten Bollwerken versehen. Einige, wie Padua, schien überdies ihr großer Umfang vor eigentlicher Belagerung, andere, wie Brescia, eine Citadelle selbst auf den Fall zu schützen, daß die Stadt überrascht würde; dritte, wie Trevigi, trotzten darauf, daß keine Kunst der Welt sie des Wassers berauben könne. Wenn die Venetianer zuweilen sich mit den Römern vergleichen, so glauben sie den Wasserleitungen und Heerstraßen derselben ihre Festungsbaue an die Seite stellen zu können.
Die Gebiete nun aber, welche sie so nach beiden Seiten verteidigen, waren doch weit entfernt in voller Untertänigkeit zu ihnen zu stehen. Nicht durch Erbe, wie unter anderen Fürsten, beinahe nie durch eigentliche Eroberung, sondern fast immer durch freie Überlieferung in bedrängten Augenblicken sind die venetianischen Städte und Staaten unter der Fahne von San Marco vereinigt worden. Es versteht sich aber, daß diejenigen, welche zu einem Äußersten griffen, um ihren Zustand, ihre Verfassung vor irgend einer vorhandenen Gefahr sicher zu stellen, diese nicht ihren Beschützern werden geopfert haben. Den Venetianern stand allenthalben nur ein beschränktes Recht zu; vornehmlich hatten sie fast überall einen nicht unmächtigen Adel zur Mitherrschaft aufgenommen.
In Dalmatien bestand ihnen zur Seite ein Rat aus den Edlen der Städte und der Inseln. In Cattaro waren hundert stolze Adlige, die die Reichtümer der Stadt besaßen und ihren albanesischen Handel trieben. In Lesina nahm sich der Adel das Recht, wenn der Rettore und einige Beamte besoldet, wenn vielleicht noch die dringendsten Ausgaben bestritten waren, den Rest der Einkünfte für sich zu behalten. Allenthalben hatte dieser Adel einen Anteil an der Gerichtsbarkeit. Oft war freilich das Volk mit ihm in um so heftigere Streitigkeiten verwickelt, da es immer einige Rechte behauptete. »Die Gemeinen von Zara«, sagt Giustiniani, »sind Venedig vollkommen ergeben; zwischen ihnen und ihrem Adel aber herrscht alle die erregte Feindschaft, die wir in ganz Dalmatien wahrgenommen.« In Antivari gerieten die Parteien sogar zuweilen am Charfreitag, bei den feierlichen Prozessionen dieses Festes so hart an einander, daß es ohne die Dazwischenkunft der Venetianer zu Blut und Mord kam.
Nur eine einzige Gemeinde war ohne Adel, die Gemeinde Pastrovichi: zwölfhundert waffenfähige Männer, die unter selbstgewählten Richtern über Gut und Blut in ihren Bergen in so ungeschminkter Einfalt dahinlebten, daß man sie aufgesucht hat, um die Sitten des homerischen Zeitalters an ihnen zu studieren; mit Venedig mehr durch Privilegien verknüpft, die man ihnen für freiwillige Dienste gewährte, als durch erzwungenen Gehorsam; von unbescholtener Treue, zum Dienst des Matrosen so geschickt wie zu den Waffen.
Wie in Dalmatien finden wir überall auf den Inseln der Levante einen Adel mit gewissen besonderen Berechtigungen, mit einigem Anteil an der Verwaltung, allenthalben ein ungern herabgedrücktes Volk. Am schärfsten aber ist dieser Gegensatz dort, wo zwei von einander ursprünglich verschiedene Nationen nebeneinander wohnen, die eine herrschend, die andere dienend, in Kandia und Cypern.Kandia besaßen die Venetianer seit 1204, Cypern seit 1489 (Katharina Cornaro).
Wie die Inseln und Küsten, so waren auch die Kommunen der Terra ferma weit entfernt davon, den Venetianern unbedingt unterworfen zu sein. Auch finden wir fast allenthalben ein Consiglio von Edelleuten, welches einen nicht geringen Anteil an der öffentlichen Verwaltung nimmt. So hatten die Vicentiner dem venetianischen Rettore eine Consolaria aus ihren Optimaten zur Seite gestellt, ohne welche jener kein Kriminalurteil fällen konnte. Von Natur heftig, trotzig auf ihren Reichtum, hielten sie immer eine eigensinnige Opposition gegen Venedig. Palladio baute ihnen die schönsten Paläste, Stadthäuser, Theater, die Italien in neuerer Zeit entstehen sah. Die Veronesen waren nicht so reich, aber sie wollten ihren Nachbarn weder an Glanz noch an Selbständigkeit nachstehen; man hat bemerkt, daß sie sich oft den Venetianern widersetzten und auf ihre eigene Weise zu leben suchten. Obgleich Bergamo nur arm war, hielt es sich in so gutem Ansehen, daß man es nie zu drücken wagte. Vornehmlich mächtig aber war Brescia. Es hatte sich zwei bedeutende Rechte erhalten, das eine bedeutend für die vornehmen Geschlechter: in die umliegenden Kastelle und Täler, die oft bis 50 000 Untertanen zählten, selbst wenn sie mit venetianischen Truppen besetzt waren, aus ihrer Mitte Podestas mit dem Recht über Leben und Tod zu Kriminal- und Zivilgericht zu senden; das andere bedeutend für die Kommunen, daß keine Alienation ihrer Güter stattfinden, daß sich kein auswärtiger, auch kein Venetianer in diesem Gebiet ankaufen durfte. Da blieben die vornehmen Geschlechter immer in einem großen Glanz; die Martinengi, Cesareschi hatten ein Einkommen von 30 000 Dukaten. Die Brescianer hielten sich in einer eigentümlichen Existenz; die großartigen Baue, den reichen Schmuck der Zimmer ihrer Oberherren ahmten sie nicht nach, sie gefielen sich vielmehr in rasch vorübergehender Pracht, in kostbaren Kleidern, schönem Waffenschmuck, bei guter Tafel, mit glänzenden Karossen und zahlreicher Dienerschaft. Oft genoß man die Lust musikalischer Feste; die prächtigsten Waffenspiele wurden hier gegeben, die Chronik sucht die Namen der ausgezeichnetsten Kavaliere zu verewigen. Neben ihnen hält sich die Kommune, eng verbunden, von überwiegendem Einfluß Venedigs frei; die Stadt, sagt jene Chronik, wuchs an Gebäuden und an Gewerbe; in der Zahl ihres Volkes, der Menge ihrer Waren konnte sie sich mit jeder anderen Stadt von Italien messen. Wie nun in den lombardischen Städten ein Consiglio, so gab es in Friuli ein Parlament mit noch nicht erloschenen Rechten. Mit den dalmatinischen Pastrovichi ließen sich in den Gebirgen über Vicenza die Deutschen der sieben Gemeinden vergleichen: ebenso einfach, tapfer, treu, durch Privilegien von unvordenklicher Zeit geschirmt, sichere Hüter der Klausen.Die Engen des Etschtales südlich von Roveredo.
Es ist hier noch ein großes Feld statistisch-historischer Untersuchungen übrig darüber, wie sich Venedig zu allen diesen provinziellen Besonderheiten verhielt. Gedenken wir nur der Handhabung der öffentlichen Ordnung gegen das Treiben der Banditen und Räuber, die noch im Anfang des 17. Jahrhunderts die Straßen unsicher machten, so daß selbst der kaufmännische Verkehr darunter litt. Die mit der Hauptstadt in der Rechtspflege konkurrierenden Kommunen bildeten hier eine fast unüberwindliche Schwierigkeit. Die Venetianer hielten darüber, daß die Bedingungen, unter denen sie die Herrschaft erworben, beobachtet wurden. Unter der Aristokratie der Hauptstadt erhielten sich auch die Aristokratien aller unterworfenen Gemeinden; sie hätten nicht gebrochen werden dürfen, ohne daß man Empörung und Abfall zu fürchten gehabt hätte.
Oft hat man Venedig getadelt, daß es nach glücklichen Unternehmungen zur See sich hat gelüsten lassen, eine Landmacht zu werden. Jene findet man naturgemäß und heißt sie gut; dies zu tadeln ist fast ein Herkommen geworden; man leitet davon eine Menge Unglücksfälle, selbst den Zerfall der Seemacht her. Im 16. Jahrhundert tritt indes besonders in finanzieller Hinsicht ein sehr merkwürdiges Verhältnis zwischen beiden Gebieten hervor. Wir sind nicht imstande, den Staatshaushalt der Venetianer in allen seinen Teilen genügend zu überschauen und uns vorzustellen; das aber zeigt sich deutlich, daß die Länder am Meere nicht durch die Einkünfte, die sie unmittelbar abwarfen, erhalten werden konnten. Von Kandia, Zante, Kefalonia wird uns ausdrücklich versichert, daß sie mehr kosteten als einbrachten. Wie arm war die dalmatinische Küste! Diese Inseln, zwar in den Tälern mit einiger Viehzucht, mit einigem Weinbau, die aber so wenig Getreide trugen, daß sie oft nur vier Monate, wie Curzola, oft gar nur zwei, wie Brazza, damit ausreichten; diese Städte hart unter dem hohen Gebirg, deren kleines Gebiet, wie bei Spalato nur auf fünf, wie bei Cattaro nur auf sechs Monate Getreide hervorbrachte und überdies von den Türken beunruhigt wurde. Die Sebenzanen hätten Hungers sterben müssen, wären nicht die Morlachen gewesen, die ihnen für ihr Salz Getreide und Käse brachten. Wie sollten diese Ortschaften ihre Kastelle instand halten, die Besatzungen, die Stradioten besolden! Gar oft muß ihnen Venedig zu Hilfe kommen. Den Sebenzanen mußte es im Kriege von 1571 für 3500 Dukaten Getreide geben, ohne auf Erstattung rechnen zu dürfen. Aber auch im Frieden sandte es regelmäßig bedeutende Summen dahin, 600 Dukaten nach Budua, 2000 nach Antivari, 3000 nach Spalato, 3900 nach Cattaro, 4000 nach Sebenigo, nach Zara 8000. Wie wenig fähig waren Städte und Inseln, die Seemacht imstand zu halten, welche sie beschützte.Alles aus den Relationen Morosinis und Giustinianis (um 1570-76). R.
Woher aber schöpfte man diese Summen? Die Einrichtung der venetianischen Kassen zeigt uns, wenn ich nicht irre, die Quelle derselben und das wahre Verhältnis an. Nicht alle Einkünfte nämlich flossen unmittelbar zusammen, so daß alle Ausgaben aus einem allgemeinem Schatz hätten bestritten werden können, sondern den Mangel irgend einer bestimmten Kasse deckte man immer mit dem Überschuß einer anderen. Da man fand, daß Kandia und Korfu die Truppen nicht besolden konnten, von denen sie beschützt wurden, so bestimmte man zu diesem Solde die Einkünfte der Kammern Crema und Verona. Es war nur allzu deutlich, daß die Flotte zu ihrer Ausrüstung und Bemannung ganz anderer Hilfsquellen bedurfte, als die, welche die maritimen Besitzungen gewährten. Die Einkünfte von vier Kammern des festen Landes, von Padova, Trevigi, Bergamo, Rovigo, wurden dafür angewiesen.
Wenn man im Osten die Festungen instand zu setzen, herzustellen, auszubessern hatte, wandte man sich an die Kasse der Festungen, zu der vornehmlich die Kammer von Udine steuerte. Unter den Einkünften des Arsenals, auf denen die ganze Seemacht basiert ist, finden wir den Ertrag von Cologna oben an. Die eigentliche Bestimmung der Zehnten des lombardischen Klerus war, zur Erhaltung der Flotte und des Arsenals beizutragen. Trevigi gewährte die Eichen zum Schiffbau. Wenn es sich auch so verhält, daß die Gelder, welche man nach den Städten der Levante und Dalmatiens schickte, vom Ertrag der Zölle und des Salzes genommen werden konnten, so wurden doch die übrigen Bedürfnisse damit nicht gedeckt. Genug, nur durch die Reichtümer des festen Landes geschieht es, daß man die Flotten bauen kann, die die östlichen Meere durchschiffen, daß man die Truppen besolden kann, welche Inseln und Städte der Levante und Dalmatiens beschützen.
Und so stellt sich uns die Gesamtheit des venetianischen Staates, die Verknüpfung der zweifachen Art seiner Landschaften in eigentümlicher Gestalt vor Augen. Wenn Venedig Bedeutung für die Welt, allgemeineres Ansehen hauptsächlich den ausgebreiteten Besitzungen am Meere verdankte, so lag doch der Nerv seiner Macht, seine wahre Kraft in den Erwerbungen, die ihm auf dem festen Lande gelangen. Mit seinem oberherrlichem Recht über jene hatte es Verpflichtung sie zu verteidigen, mit seiner Herrschaft über diese die Fähigkeit das zu tun erworben. Ist es nun ein Verdienst gewesen, die Reste des christlichen Namens und einige lateinische Besitzungen jahrhundertelang vor den Osmanen geschützt zu haben, so kann man jene Eroberungen nicht verdammen, durch welche dies allein möglich ward. Die Kräfte eines doch nur sehr geringen Teiles okzidentaler Landschaften dienen dazu, auf den Rückhalt von Europa gelehnt, den Fortschritten der drohenden Barbaren im Okzident Einhalt zu tun.
Daran wäre doch niemals zu denken gewesen, hätte sich Venedig nicht als eine der ersten Handels metropole der Welt behauptet. Man hat es als eine weise Maßregel betrachtet, daß die Republik auch die untertänigen Kommunen an den Handelsvorrechten venetianischer Bürger teilnehmen ließ. Darüber aber hielt sie allezeit aufs strengste, daß der Handel der Kommunen, des festen Landes und der Inseln in Venedig konzentriert blieb. Bei ihrem Eide sind die Rettoren von Bergamo und Brescia verpflichtet darüber zu halten, daß weder Wolle noch Baumwolle noch auch Spezereien in ihre Bezirke eingeführt werden, ausgenommen die, welche von Venedig kamen. Cremona und Gheradadda sind kaum gewonnen, so stellt man die Waren, die nur von Venedig aus daselbst eingeführt werden dürfen, in einem langen Verzeichnis zusammen. So wurden auch alle die Handelsbeschränkungen, durch welche Kolonien an ihre Mutterstadt gewiesen zu werden pflegen, von den Venetianern über die Küsten und Inseln der Levante ausgebreitet. Das gesamte Gebiet wurde gleichsam zu einer einzigen merkantilen Genossenschaft, die ihren Sitz in der Hauptstadt hatte, vereinigt.
Der auswärtige Handel war noch in großer Blüte. Der Rialto war einer der bedeutendsten Handelsplätze der Welt und verschaffte dem Staate, indem er ihm eine eigentümliche Weltstellung gab, die weiteren Mittel seiner Existenz. Dabei kamen die drei Mächte in Betracht, welche die Politik beherrschten, und zwar schon für die nächsten Lebensbedürfnisse. Aus den österreichischen Gebieten zieht Venedig sein Schlachtvieh; höchst empfindlich ist ihm ein Aufschlag der Abgabe, welche die kaiserliche Regierung auf die Ausfuhr des Hornviehes erhob, sowie eine Störung des Verkehrs mit der Türkei, von wo ihm das Getreide, dessen es nicht entbehren kann, zugeführt wird. Für die Manufakturen bedarf man der Wolle aus Spanien. Ungleich wichtiger ist, daß Venedig den Verkehr zwischen Okzident und Orient, den es während der mittleren Jahrhunderte besessen hatte, auch im 16. Jahrhundert behauptete. Durch die Gewaltsamkeiten der orientalischen Machthaber, das Emporkommen der Barbaresken, die zuweilen bis in den Golf vordrangen, den Seeräuberkrieg, der das ganze Mittelmeer erfüllte, war der Handel geschädigt und erschwert, aber noch nicht unterbrochen.
Wir finden, daß die venetianische Manufaktur, die noch in großer Blüte erhalten war, ihren besten Absatz in dem osmanischem Reich hatte. Eine unserer Relationen berichtet, Venedig habe jährlich 25000 Stück Tuch nach der Türkei versendet, von denen ein jedes 200 Dukaten gekostet; es seien hauptsächlich scharlache, violette, karmesine Tuche gewesen, wie sie der Orient liebt; dies gebe dann einen ungemeinen Vorteil und nähre eine große Zahl Menschen. Daß das nun nicht übertrieben ist, bezeugt die Reisebeschreibung Texeiras nach dem Orient.Pedro Texeira, Relacion del camino que hize dende la India hasta Italia; ein Buch, welches ich zuerst aus Schlossers Weltgeschichte (3, 1, 111) kennen lernte. R. Texeira versichert, daß Venedig jährlich 5-6000 Stück Tuch nach Aleppo bringe; er fügt hinzu, ebensoviel Stücke führe es dahin in Brokat und Seide, sein Verkehr belaufe sich daselbst auf anderthalb Millionen Dukaten. Oft ließ der Schah von Persien für seine Armee Tuch von Aleppo holen. Nicht minder bedeutend war gewiß der eigentliche konstantinopolitanische Verkehr. Was forderte allein die Pracht des Harems! Man erinnerte sich noch lange der kunstreichen Juweliere Leuriere und Carolini, die für Soliman einen langen Helm mit vier Kronen, reich mit Edelsteinen besetzt, einen Federbusch, ein Pferdegezäum von außerordentlicher Pracht und Schönheit gearbeitet. Alle andern Erzeugnisse venetianischen Kunstfleißes nahmen ihren Weg nicht minder dahin. Die vornehmste Station der Venetianer im Orient war jedoch Aleppo; da befanden sie sich noch im Jahre 1605 in einer stattlichen Lage. Es waren daselbst außer dem Konsul, der immer ein Edelmann, zwölf große Häuser, jedes mit zwei Vorstehern, damit, wenn der eine fehle, doch die Geschäfte keinen Stillstand litten. Sie hatten ihre Franziskaner, die ihnen in einem Khan Messe und Predigt verwalteten, und deren Guardian vom Papste mit außerordentlicher Vollmacht zu absolvieren versehen war. Über ihre gemeinschaftlichen Angelegenheiten pflegten sie nach der Sitte ihres Vaterlandes mit Kugeln zu stimmen. Sie hatten die schönsten Ordnungen, sie lebten auf eine prächtige und glänzende Weise, sie nahmen die Fremden gastlich und gütig auf. Vor ihnen, noch weiter nach Osten, waren auch manche Venetianer tätig; in Bassora finden wir sie ansässig, zwischen Ormuzd und Aleppo ziehen sie hin und her. Aber vornehmlich in der ganzen asiatischen Türkei hatten sie ihre Faktoren, ihre Agenten.
Im Vorbeigehen sei bemerkt, daß die merkantilen Geschäfte bei der Teilnahme Venedigs an der allgemeinen Kultur des Abendlandes nicht ohne Beziehung auf Gelehrsamkeit und Altertum geblieben sind. Die Häuser Bembo und Contarini waren mit Antiquitäten reich ausgestattet. Broccardo untersuchte die ägyptischen Monumente; nach Marco Grimanis Zeichnungen sind die ägyptischen Denkmäler von Sebastian Serlio 1584 herausgegeben. Und indem man die Stätten und Wege der alten Kultur aufsuchte, begleitete man doch auch die neuen Entdeckungen mit großer Aufmerksamkeit. Die erste bedeutende Sammlung von Reisebeschreibungen nach den beiden Indien stammt von dem Venetianer Ramusio; sie wird noch heute gebraucht.
Entfernen mir uns aber nicht von unserem Gegenstande. Man behauptete in der Mitte des 16. Jahrhunderts, in der ganzen Türkei sei kein irgend bedeutender Ort, wo die Venetianer nicht ihre Leute hätten; von denen werde ihnen gemeldet, welche Waren da angekommen, so daß sie berechnen können, wie sie auf das vorteilhafteste zu verkaufen sein würden. Wo FlorianiDescrittione dell' imperio Turchesco fatta del capitan Pompeo Floriani (a nostro Sign. Clemente VIII). R. die Erzeugnisse des türkischen Reiches nacheinander aufzählt, Seide, Kaviar, Korn, Getreide, fügt er hinzu, daß das Mark davon nach Venedig komme. Doch dies war es nicht allein. Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß der indische Handel nach Umschiffung des Kaps lediglich auf portugiesischen Schiffen von Lissabon aus getrieben worden sei; noch immer blieben die uralten Wege dieses Handels im Gange. Ein Hauptplatz für denselben wurden die Niederlagen von Aleppo. Da empfingen die Venetianer für ihre Einfuhr nicht allein rohe Seide und Baumwolle, sondern auch Zimt, die indischen Gewürze, Perlen und Edelsteine.
Die erste Frage ist, wie dies alles dahin kam. Einmal durch die Araber. NavageroRelatione di Constantinopoli 1558, Mskr. R. unterrichtet uns, daß man noch immer von Arabien aus durch das Germasir nach Ormuzd dahin zog; daß man von da Ingwer und Gewürznelken, Muskatnüsse und Muskatblüte, allerlei Spezereien und Perlen herbeiführte, daß die Araber der Wüste, wohlversehen mit Kamelen und Saumtieren, die Reichtümer von Indien bis unmittelbar nach Aleppo brachten. Überdies auch durch Persien. Der Verkehr der Venetianer mit Persien war so rege, das ein Krieg, den sie mit den Türken hatten, den Preis der Seide auf die Hälfte herabdrückte und die Verkäufer der Spezereien, da der Verkehr von Aleppo eine Zeitlang gestört war, die sonderbarsten Auswege zu suchen nötigte. Die Kaufleute begaben sich nach Konstantinopel, sie nahmen von da ihren Weg durch die Wallachei nach Polen. Man begegnete wohl den nämlichen Armeniern, die man in Tauris gesehen, wiederum in Lemberg. Von hier zogen sie nach Danzig, welches damals die größte Handelsmetropole des Ostens und Nordens war; hier aber traf man auf jenen Verkehr des Atlantischen Ozeans, und die Kosten des Landweges waren so ungemein groß, daß der Vorteil die Mühe nicht bezahlte.Relatione di Persia di Mons. Vincenze degli Alessandri 1583, Mskr. R. Alles das war jedoch eine Ausnahme; in gewöhnlichen Zeiten blieb Aleppo der größte Stapelplatz des Orients.
Die zweite Frage ist, wie man von da, wie man vom Orient überhaupt nach Venedig gelangte. Keineswegs nämlich geschah dies immer zur See; der Karawanenhandel ward in Europa selbst fortgesetzt. Wir wissen, daß im Jahre 1534 eine venetianische Karawane, hundert Pferde stark, die von Konstantinopel nach der venetianischen Küste zog, in der Türkei von Räubern angefallen und geplündert worden ist. Allmählich aber wurde diese Straße sicherer, und die orientalischen Kaufleute nahmen sie selbst. Spalato ward der Hauptplatz für diesen Verkehr; besonders gegen Ende des 16. Jahrhunderts gelangte derselbe zu großer Aufnahme. Dahin sammelten sich nicht allein die Nachbarn vom Adriatischen Meer bis zur Dona und von Konstantinopel bis an die Grenze, sondern vor allem kamen die Seide, die Baumwolle, die Gewürze, die Hervorbringungen des fernen Orients dahin. Da sah man indische und persische Kaufleute; hier nahmen sie die kunstreichen Zeuge, die Gewebe von Gold- und Silberstoff, welche Venedig darbot, in Empfang. Der Orient kam dem Okzident auch einmal wieder selbsttätig nahe und suchte ihn auf. Die Venetianer sandten regelmäßig ihre bewaffneten Galeeren aus, doch nur 200 Miglien weit nach einer eigenen Stadt, wo sie selber Quarantäneanstalten, Lazarette und große Niederlaghäuser gegründet hatten.
So reicht ein großartiger Landverkehr des fernsten Ostens mit unseren Ländern in alter Weise bis nahe zu unseren Zeiten heran. Er berührte Deutschland unmittelbar. Wenn die Waren jene kurze Überfahrt über das Adriatische Meer gemacht, wurden sie, wie nach anderen Gegenden, so nach Deutschland geführt. Wir finden im 16. Jahrhundert noch immer venetianische und portugiesische Spezereien nebeneinander in den deutschen Städten; der deutsche Barchent ward fast durchaus von Baumwolle, die aus Venedig kam, verfertigt. Wo Paolo ParutaHist. Veneziana. 2, 558. R. des deutsch-venetianischen Verkehrs, der zu seiner Zeit, im Anfang des 17. Jahrhunderts vorzüglich blühte, gedenkt, erwähnt er vornehmlich der Baumwolle und der Spezereien, durch die derselbe bestehe. Eine Menge Waren, Erzeugnisse der Natur oder des Fleißes, gab dafür Deutschland, vornehmlich Eisen und Stahl. Die Alpen hinauf und herab ward dieser Handel getrieben. Oft begegnete man auf den Alpenstraßen den Kaufleuten mit ihren Warenballen, Arbeiter mit Hacke und Schaufel vor sich her; sie geboten den kommenden Fremden von fern, auszuweichen. Die oberdeutschen Städter, deren Handelsleute sich auf der Messe zu Bozen mit venetianischen Untertanen zusammenfanden, sandten ihre Waren meist durch den Paß von Primolano bis nach Mestre. Durch den Kanal des Eisens, über das halb italienische, halb deutsche Pontieba, langten die Güter österreichischer Provinzen von Steiermark bis Schlesien, an. Das Holz flößte man, nicht ohne Vorteil für die kaiserlichen Zölle, die Etsch hinunter. In dem Fondaco der DeutschenEin geräumiges Kaufhaus, ähnlich den Kaufhäusern der deutschen Hanse in London und Antwerpen, noch im 18. Jahrhundert bedeutend. zu Venedig traf dieser gesamte Verkehr zusammen. In den Bibliotheken finden sich genaue Notizen über die Zölle, welche man bei der Einfuhr und Ausfuhr zu zahlen hat. Man hat damals auch nicht versäumt, in Widerspruch mit den Gesetzen des Reiches Silber in großen Massen nach Venedig auszuführen, wo es bei weitem höher im Preise stand als in Deutschland. Erst im 16. Jahrhundert hielt man es der Mühe wert, das deutsche Haus neu und prächtig auszubauen; Tizian und Giorgione haben ihre kunstreichen Hände daran versucht. Das Gewölbe der Fugger war eine Sammlung okzidentaler und orientalischer Reichtümer.
Indem Venedig diese Verhältnisse zwischen Deutschland und dem Osten vermittelte, ließ es seinen Seehandel nach dem Westen nicht untergehen. Den Barbaresken zum Trotz schiffte man noch nach Spanien, häufig die Meerenge hinaus. In Portugal erwarben die Venetianer 1522 die Bestätigung wichtiger Privilegien. Unter Heinrich VIII. waren sie in England sehr begünstigt. Noch 1560 brachten sie ihre Gewürze nach Antwerpen. Diese entfernten Unternehmungen hörten auf, seitdem England selbständig unter die Handelsmächte eintrat; das Wichtigste aber der Verkehr mit Spanien, erhielt sich auch dann. Spanien lieferte den Venetianern die Wolle zu dem Tuch, das sie nach dem Orient führten. Man findet, daß levantinische und italienische Wolle für dies Tuch nicht fein genug, französische und englische nicht wohlfeil genug gewesen; notwendig habe man sich der spanischen bedienen müssen. Dafür gewährte dann Spanien für die Produkte der venetianischen Manufaktur, ihr Glas, ihr Wachs, ihre Brokat- und Seidenzeuge, vornehmlich für ihre Waffen einen sicheren Markt. Fassen wir nun, daß diese Waren größtenteils nach WestindienD. h. in die spanischen Kolonien. gingen, wie man denn behauptet hat, daß Venedig, wenngleich es die Entdeckungen des Kolumbus anfangs zurückgewiesen, doch den Vorteil von ihnen eine Zeitlang genossen habe, so tritt uns die Weltstellung dieser Stadt nach allen Seiten glänzend und großartig vor Augen.
Die Venetianische Verfassung, Bd. 42 S. 31–36. Die Seeschlacht bei Lepanto. Bd. 35/36 S. 363–366. Die Venetianer in Morea (1687–1715), Bd. 42 S. 279 ff,