Leopold von Ranke
Geschichtsbilder aus Leopold v. Rankes Werken
Leopold von Ranke

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50. Hardenberg, Stein und Scharnhorst

Hardenberg und die Geschichte des preußischen Staates III, Werke Bd. 48 S. 53 ff, 355 ff.

Unendlich wichtig sind jene Tage in Bartenstein, in denen auf eine allgemeine Restauration der großen politischen Verhältnisse Bedacht genommen, zugleich aber, ohne daß man viel davon gesprochen hätte, ein erster MinisterIm Gegensatz zu der bisherigen Kabinettsregierung. aufgestellt wurde. In den Besitz der höchsten Autorität unmittelbar unter dem Könige trat der Mann ein, der für die inneren Zustände keinesweges eine Restauration, sondern eine durchgreifende Umbildung im Sinne hatte. Der König war vollkommen davon unterrichtet. Indem Hardenberg, wie erwähnt, im Anfang des März auf die Verbindung der auf den Krieg bezüglichen Tätigkeiten mit dem auswärtigen Ministerium antrug, hat er noch weiter ausgreifende Ideen geäußert und empfohlen. Vor allem, die öffentliche Meinung müsse mehr als bisher berücksichtigt werden; man müsse diejenigen, die sich hervorgetan, belohnen und auszeichnen, die Pflichtvergessenen strafen, Klagende und Kleinmütige entfernen. Er dringt auf eine Radikalkur der Mängel der Geschäftsführung und spricht bereits das Wort aus »Regeneration der Verfassung«; jetzt komme es auf Mittel der Rettung, künftig auf eine gänzliche Wiedergeburt an. Er verschweigt nicht, daß ohne eine Reorganisation der Armee schlechterdings kein Ansehen in Europa erlangt werden könne; als Hauptgrundsatz dabei empfiehlt er Aufhebung aller Befreiungen bei der Gestellung und Avancement allein nach Verdienst.

Nach der Rückkehr von Bartenstein nach Memel blieben die gesamten Geschäfte in Hardenbergs Hand vereinigt. Zur Verwaltung derselben berief er für die innern Angelegenheiten Altenstein, Schön, Niebuhr, Stägemann in seine Nähe. Welch ein Ereignis für das gesamte Staatswesen war es nun, daß Napoleon bei dem Frieden zu Tilsit die Entfernung Hardenbergs von dem auswärtigen Ministerium zu einer unerläßlichen Bedingung machte! Man hielt anfangs noch für möglich, daß er das Departement des Innern behalten könne; ein ähnlicher Vorschlag war schon früher erwogen worden. Hardenberg dagegen war überzeugt, daß sein längeres Verweilen, in welcher Eigenschaft auch immer, dem König und dem Staate nachteilig sein werde. Er faßte auf der Stelle die Meinung, daß alles geschehen müsse, um Stein für die innern Angelegenheiten zurückzurufen. Um aber für den Fall, den man voraussetzte, daß Stein den Ruf annähme, die Fortführung der Geschäfte in dem einmal eingeleiteten Sinne aufrechtzuerhalten, schlug Hardenberg vor, seine vier Mitarbeiter, die seine Ansichten teilten, zu einer Immediatkommison zu vereinigen. Der König trug kein Bedenken, Hardenbergs Vorschläge zu genehmigen.

Es war in Riga, fern von der unmittelbaren Einwirkung der Tagesereignisse und Tagesbeschäftigungen, wo die Ideen, die bei der letzten administrativen Tätigkeit bereits vorgeschwebt hatten, von dem Minister Hardenberg, der sich dahin flüchtete, seiner dem Könige gegebnen Zusage gemäß, und dem Geheimen Finanzrat Freiherrn von Altenstein, damals seinem intimen Freunde und Ratgeber, überlegt und in zwei verschiednen Gutachten, die doch miteinander aufs genauste in Verbindung stehen, zusammengefaßt wurden. Beide sind durch Altenstein, der von Riga nach Memel zurückging, noch im September dem Könige überliefert worden.Die sehr bedeutende Denkschrift Hardenbergs »Über die Reorganisation des preußischen Staates« ist als Anhang in Rankes Werk (Sämtliche Werke Bd. 48) abgedruckt, nebst dem Briefe, mit welchem er sie dem König übersandte. Freiherr Karl v. Stein zum Altenstein, geboren 1770 zu Ansbach, wurde im November 1808, nach der Entlassung seines berühmten Namensverwandten, preußischer Minister bis zum März 1810, dann wieder 1817, indem er das neuerrichtete Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten übernahm. Dieses verwaltete er bis zu seinem Tode 1840. Am 30. September traf Stein in Memel ein, am 5. Oktober trat er sein Amt an, am 9. Oktober wurde das schon in der Immediatkommission revidierte Edikt über die Aufhebung der Erbuntertänigkeit publiziert. Stein trat in die von Hardenberg vorbereitete Stellung, jedoch mit dem Unterschiede, daß bei diesem das auswärtige Ministerium, dem nur andre Angelegenheiten angeschlossen worden, zugrunde lag, bei Stein dagegen die Richtung auf das Innere allem andern voranging.

Stein gehörte einem reichsfreiherrlichen Geschlecht an, das seit unvordenklichen Zeiten die Burg zu Nassau besaß; er wuchs auf im Gefühl der zwiefachen Pflicht, seine Standesehre zu wahren und in der Welt etwas Nützliches zu leisten. Wie Hardenberg war auch Stein ursprünglich dazu bestimmt, in den Reichsbehörden zu arbeiten, und einen Augenblick hat er sich zu diplomatischen Geschäften angeschickt; doch stand er bald von dem einen und von dem andern ab und widmete sich unter Leitung desselben Mannes, dem auch Hardenberg viel verdankte, des Ministers v. Heinitz, dem inneren Dienst von Preußen. Wenn der Ruhm Friedrichs des Großen in Hardenberg früh eine Hinneigung zu Preußen hervorrief, so war das bei Stein in noch höherm Grade der Fall. Die Haltung Friedrichs in dem bayrischen Erbfolgekriege, die als Verteidigung alter deutscher Rechte erschien, bestimmte ihn, in die preußische Verwaltung einzutreten, in der er von unten auf diente, aber dann noch in frischen Jahren zu den höchsten Stellen zur Seite Hardenbergs emporstiegt.Hardenberg, 1750 geboren, sieben Jahre älter als Stein, war 1791 preußischer Minister geworden; Stein, 1796 Oberpräsident in Westfalen, wurde 1804 Minister.

Persönlich waren sie doch sehr verschieden. Von Stein behauptet man, Napoleon selbst habe ihn zum Nachfolger Hardenbergs bestimmt und ihn als einen Mann von Geist bezeichnet; er kannte nicht die Identität der Prinzipen, die zwischen beiden obwaltete, nur daß Hardenberg allezeit mehr von den europäischen Kombinationen, in denen er sich bewegte, Stein dagegen von den Bedürfnissen der inneren Reform, denen er schon bisher in seinem Kreise alle Kräfte gewidmet hatte, ausging.

Hardenberg war keineswegs korrekt in seinem Privatleben; an Stein hätte niemand auch nur den geringsten Tadel in dieser Beziehung entdecken können. Er lebte in dem von seinen Altvordern überkommnen sittlichen und religiösen Begriff. Er mochte nicht alles das besitzen, was man zur Bildung des Jahrhunderts rechnete; er war eben ein eigentümlicher Geist, aus tiefen Wurzeln hervorgewachsen, und das altväterische Deutsch, das er schreibt, wie wird es unter seiner Feder so markig, edel und großartig! Seiner Geschäfte war er vollkommen Meister und wollte es sein. Ich möchte nicht wiederholen, daß er seine Gedanken niemals verändert habe, aber wie er sie in jedem Augenblicke faßte, so sprach er sie nachdrücklich und fortreißend aus. In der Diskussion erschien er unwiderstehlich, durchgreifend, schlagend und witzig. Durch und durch praktisch, zeigte er sich zugleich immer von Idealen erfüllt. Auch Hardenberg verlor nie die germanische Gesamtheit aus den Augen; in Stein schlug noch mehr ein deutsches Herz. Die sittliche Macht des deutschen Gedankens wohnte in seiner Seele.

Wenn nun die Zivilverwaltung in die Hände eines Manns von dieser Sinnesweise gelangte, so war es von doppeltem Werte, daß auch in der Militärverwaltung ein Mann von sittlichem Adel und unendlichem Talent einen entscheidenden Einfluß gewann; es ist Scharnhorst. Er war nicht ein Schloßgesessener des alten Adels; seine ersten Jahre hat er in einem von seinem Vater gepachteten Vorwerk zugebracht, die Elemente alles Wissens in einer armseligen Dorfschule erlernt; den übrigen Tag hindurch hat er wohl die Schafe seines Vaters gehütet oder sich mit den kleinen Dienstleistungen des Landlebens beschäftigt und dann zur Erholung in einem nahen See geangelt. Unmittelbar von da hinweg war er in die Militärschule des Grafen Wilhelm von Lippe-Bückeburg auf Wilhelmstein versetzt worden, in welcher ernstes Studium der militärischen Wissenschaften mit praktischen Übungen verbunden war. In dem Feldzuge von 1794, den er in der hannoverschen Armee mitmachte, lernte er die neue Kriegsart der Franzosen kennen und durchdrang sich mit der Notwendigkeit einer entsprechenden Reform in dem diesseitigen Heerwesen. Von dem Herzog von Braunschweig, der ihn schätzte und liebte, wurde er in den preußischen Dienst gezogen. Er verband mehr als irgendein andrer Theorie und Praxis. In Berlin erwarb er sich besonders durch militärischen Unterricht nach den neuen Ansichten, die in ihm erwachten, einen nicht geringen Einfluß auf die Ausbildung der Offiziere; er wurde hauptsächlich als gelehrter Militär geschätzt. Denn die Äußerlichkeiten, auf welche man bei dem Soldaten am meisten zu sehen pflegt, stramme Haltung zu Pferde und zu Fuß, in Worten und Gebärden, waren ihm nicht eigen. Sein Gang war indolent, er senkte gern seinen Kopf auf die Brust; sein Ausdruck war mehr nachgiebig als gebieterisch. Aber im Reiche der militärischen Gedanken war er unabhängig, sowohl von dem Hergebrachten als von den alle Tage sich ausbildenden charlatanartigen Theorien. Sein Vortrag litt an einer gewissen Unbehilflichkeit; aber wenn man ihm nur folgte, so gelangte man zu präzisen Vorstellungen, welche überzeugten. Denn nicht zu glänzen war sein Sinn, sondern zu unterrichten. Er vermied selbst den Anschein der Genialität und suchte immer an das Gewohnte und historisch Anerkannte anzuknüpfen. Sein tapferes Verhalten im Felde, mit einsichtsvollen Ratschlägen gepaart, denen Blücher die guten Erfolge zuschrieb, die er noch im Jahre 1806 errang, verschaffte ihm Kredit als Soldat. Es verdroß ihn, daß er es in der Armee doch nicht zu einer von fremdem Befehl unabhängigen Stellung brachte, nicht einen Tag lang, wie er klagte, zu einem anerkannten Kommando gelangte. Dagegen ward ihm das Glück zuteil, zum engsten Einverständnis mit dem König zu gelangen. Das bescheidne und gediegne Wesen Scharnhorsts, seine mit Vorsicht gepaarte Entschlossenheit erwarben ihm dessen volles Vertrauen; zwischen dem sonst einsilbigen König und dem wissenschaftlichen Offizier, der offne Augen hatte, bildete sich ein das ganze Militärwesen umfassendes Einverständnis. Er wurde zum Vorsitzenden einer zur Reorganisation der Armee niedergesetzten Kommission ernannt.Im Juli 1807, gleich nach dem Frieden zu Tilsit. Seitdem war er tatsächlich Kriegsminister bis zu seinem frühen Tode 1813.

Die kräftigsten Anregungen zu einer Volkserhebung gegen Napoleon rühren von Stein her. Hardenberg war ihnen nicht entgegen, aber er suchte sie zu mäßigen, um das für den Staat noch unbedingt erforderliche gute Verhältnis zu Frankreich zu wahren; er wußte zu erreichen, daß Napoleon dem gegen ihn gefaßten Widerwillen entsagte und seinen Wiedereintritt in die ministerielle Tätigkeit (1810) guthieß. Dagegen warf sich Stein in den heftigsten Antagonismus gegen Napoleon und hat in dem großen Kampfe gegen ihn eine entscheidende Wirksamkeit ausgeübt. Wir möchten nicht so viel Wert darauf legen, daß er den russischen Kaiser in dem System des Widerstandes bis aufs äußerste bestärkt hat, denn dazu wurde Alexander durch seinen eingebornen Sinn schon von selber bestimmt; aber unzweifelhaft hat Stein in ihm den Gedanken erweckt, seinen Kampf mit Hilfe der deutschen Nation fortzusetzen. Er hat dann mehr als irgend ein andrer Mensch dazu beigetragen, daß die Deutschen in diesen Bund eintraten; er hat die erste Vereinigung einer deutschen Population mit dem Europa umfassenden Unternehmen Alexanders herbeigeführt, ohne der Selbständigkeit der ersteren Eintrag zu tun. Hauptsächlich von Stein ist die Allianz zwischen Rußland und Preußen zum Zweck einer unmittelbaren Waffenerhebung angebahnt und durchgesetzt worden; daraus entsprang folgerichtig der Entschluß, dem französischen Imperium von Grund aus ein Ende zu machen und Napoleon zu stürzen. Eine großartigere Wirksamkeit läßt sich kaum denken; aber ohne Hardenberg wäre sie doch nicht zum Ziele gelangt.

Die ganze Geschicklichkeit eines geübten Diplomaten gehörte dazu, um dem preußischen Staate für seine Wiedererhebung Raum zu verschaffen und dabei doch die Feindseligkeit des übermächtigen Gegners nicht vorzeitig zu erwecken. Wenn in Kalisch der preußische GesandteKarl Friedrich v. Knesebeck, Generaladjutant des Königs; s. Ranke S. 279 ff. und Stein verschiedene Richtungen vertraten, so hat sich der Staatskanzler, durch fortgeschrittne eigne Erwägungen bestimmt, für Stein entschieden; mit eigner Hand hat er dem ursprünglichen Entwurf die von den russischen Bevollmächtigten nachträglich eingebrachten Verbesserungen, die dessen Annahme erst möglich machten, beigeschrieben. Durch sein ebenso umsichtiges wie entschiednes Verhalten wurde es möglich, daß unter den Augen des Feindes die populäre Bewaffnung ins Werk gesetzt wurde, die bereits im Stillen vorbereitet war. Unverhohlen trat er erst hervor, als die Dinge so weit gekommen waren, daß die ganze Nation sich wie ein Mann für das neue System erklärte. Wenn in den Augen der Nachwelt Stein als der größre erscheint, so rührt das daher, daß er sich weniger auf den gewohnten Bahnen bewegte und einen moralischen Schwung besaß, welcher Ehrfurcht erweckte; es war etwas in ihm, was den großen Mann charakterisiert. Von Hardenberg läßt sich das nicht sagen; aber er hatte den Schwung des politischen Gedankens und alle die unbeugsame Zähigkeit und Unverdrossenheit, die dazu gehörten einen solchen zu realisieren.

Von alledem, was ihm gelang, möchte das Vornehmste sein, daß er die Idee einer Koalition gegen die Übermacht Napoleons, mit der er sich von jeher getragen hatte, im rechten Moment wieder aufnahm und durchzuführen wußte. Davon aber hing die Wiederherstellung Preußens ab. Um Preußen, als Staat betrachtet, hat Hardenberg sich ein nicht hoch genug anzuschlagendes Verdienst erworben.

Steins Reformen, Bd. 48 S. 80f.; Hardenbergs Reformen, S. 165-176. Napoleons Zug nach Rußland, S. 228-243.


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