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Deutsche Geschichte III, Werke Bd. 3 S. 133 ff.
Wie die Beschlüsse, so waren auch die Erfolge der beiden Reichstage von 1526 und 1529 einander durchaus entgegengesetzt. Der erste führte die evangelischen unter Gewährleistung des Reiches zu ihren großen Gründungen, der zweite entzog ihnen diese Gewähr und zersetzte sie zugleich untereinander. Der Zwiespalt, der seit jenen Regensburger SatzungenBeschlüsse des Konvents katholischer Fürsten zu Regensburg im Juni 1524. Deutsche Geschichte 2, 108-112. begonnen, war nun zu vollem Ausbruch gediehen. Ich denke nicht, daß wir zu weit gehen, wenn wir auch in Hinsicht der auswärtigen Angelegenheiten einen ähnlichen Gegensatz zwischen den Folgen der beiden Reichstage zu bemerken glauben. Denn fast allezeit ist mit einer entsprechenden, den Genius einer Nation befriedigenden inneren Entwicklung auch eine glückliche Tendenz nach außen verbunden.
Das Haus Österreich, das damals den Fortgang der Evangelischen guthieß, war dafür mit Hilfe der deutschen Nation zur Herrschaft in Italien und in Ungarn erhoben worden.Eroberung Roms durch das kaiserliche Heer am 6. Mai 1527; Krönung Ferdinands als Königs von Ungarn am 3. November; 2, 279. 303. Es ließ sich nicht erwarten, daß, nachdem dieses Haus eine so ganz andere Richtung eingeschlagen, die Neigung der Nation ihm wieder zugute kommen werde. »Ich habe gehört,« schrieb Daniel Mieg, der von dem Reichsregiment ausgeschlossen worden,Das Reichsregiment war 1521 durch Beschluß des Reichstages zu Worms als höchste Behörde für die Zeit der Abwesenheit des Kaisers eingesetzt worden; es bestand aus 22 Mitgliedern unter dem Vorsitz eines kaiserlichen Statthalters, des Erzherzogs Ferdinand, und hatte seinen Sitz zuerst in Nürnberg, dann in Eßlingen. Es hörte auf, als Karl V. 1530 wieder nach Deutschland kam. Deutsche Geschichte 1, 316 f.; 2, 114. 132. 169. an den Altarmeister zu Straßburg, »die Königliche Majestät habe um Pulver angesucht; mein Rat wäre, es ihr nicht zu bewilligen, da uns solch eine Schmach geschehen ist. Es wird gut sein, daß wir unser Geld und unser Pulver selbst behalten, wir werden es selber brauchen.« Schon machte das Verfahren, das Umsichgreifen des Hauses Österreich eine allgemeine Besorgnis rege, und man hatte keine Lust, es ernstlich zu unterstützen. Ein Beisitzer des Reichsregiment, Abgeordneter des sonst so gut kaiserlich gesinnten Frankfurt, Hammann von Holzhusen, bemerkt doch, daß viele Stände, mögen sie nun lutherisch sein oder nicht, nicht wissen, was sie von Österreich zu erwarten haben; sie besorgen, die Hilfe, welche sie leisten, möge am Ende dem Reiche und der Nation zum Schaden gereichen. Bald darauf finden wir in Ungarn Briefe umlaufen, in denen aus den Glaubensstreitigkeiten, in welche Ferdinand mit den Großen in Deutschland geraten, die Unmöglichkeit hergeleitet wird, daß er Ungarn verteidige. Und indem nun diese Stimmung herrschend wurde, erschien der mächtigste Feind, den das Reich seit vielen Jahrhunderten gehabt, der Repräsentant einer andern, der christlichen entgegengesetzten Welt, an den Pforten desselben.
Noch zu einer Zeit, wo in Europa kein Friede geschlossen war,Der Friede zwischen Kaiser und Papst wurde am 29. Juni 1529 zu Barcelona geschlossen, der Friede zwischen dem Kaiser und Frankreich am 5. August zu Cambrai. Deutsche Geschichte 3, 85. 90. wo er erwarten konnte, die ganze Opposition, gegen Karl V. in voller Tätigkeit zu finden, am 4. Mai 1529, erhob sich Suleiman mit einem Heere, das man auf dritthalbhunderttausend Mann berechnet hat, zum heiligen Kriege. Vor ihm her brach der Hospodar der Moldau in Siebenbürgen ein und trieb die Anhänger Ferdinands auseinander; dann stieg Johann Zapolya mit der kleinen Truppe, die sich um ihn gesammelt, von den Karpathen herunter. Er hatte das Glück, auf die ferdinandeischen Ungarn zu treffen, ehe sie sich mit den Deutschen vereinigten, um sie zu schlagen. Auf dem Schlachtfelde von Mohacz kam er mit dem Sultan zusammen. Suleiman fragte ihn, wodurch er sich bewogen fühle, zu ihm zu kommen, der Verschiedenheit ihres Glaubens ungeachtet. »Der Padischah,« antwortete Johann, »ist die Zuflucht der Welt, und seine Diener sind unzählig, sowohl Moslems als Ungläubige.« Von dem Papst und der Christenheit ausgestoßen, floh Zapolya unter den Schutz des Sultans. Eben dieses Bedürfnis momentanen Schutzes war es von jeher gewesen, was das osmanische Reich groß gemacht hatte.
In Ungarn fand Suleiman diesmal so gut wie gar keinen Widerstand. Die österreichische Regierung wagte nicht die leichte Reiterei aufzubieten; bei der ungünstigen Stimmung des Landes fürchtete sie einen Aufruhr zu veranlassen. Aber ebensowenig hatte sie eigene Kräfte, um das Land zu verteidigen. Dem Befehlshaber der Flotte, welcher seinen Leuten 40 000 Gulden zahlen sollte, konnten nach langer Mühe nicht mehr als 800 übersandt werden; man hatte die Mittel nicht, um die Festungen ordentlich zu besetzen. Der Wesir Suleimans lachte über die abendländischen Fürsten, welche, wenn sie einen Krieg zu führen hätten, das nötige Geld erst von armen Bauern erpressen müßten; er zeigte auf die sieben Türme, wo seines Herrn Gold und Silber in Fülle liege, während sein Wort hinreiche, ein unermeßliches Heer ins Feld zu stellen. Man darf sich wohl so sehr nicht verwundern, wenn unter diesen Umständen die starke Partei, die sich zu Zapolya hielt, das volle Übergewicht bekam. Wetteifernd eilten die Magnaten, die ungarischen Begs, wie Suleimans TagebuchMitgeteilt im dritten Bande von Hammers »Geschichte des osmanischen Reiches«, die Ranke öfters zitiert. sie nennt, in dessen Lager, um ihm die Hand zu küssen. Peter Pereny wollte wenigstens die heilige Krone für Österreich retten, aber unterwegs überfiel ihn ein Verwandter Zapolyas, der Bischhof von Fünfkirchen, nahm ihn mit allen seinen Kleinodien gefangen und brachte sie ins osmanische Lager. Wer kennt nicht die ungemeine Verehrung, welche die Ungarn ihrer Krone widmen, die sie einer unmittelbar göttlichen Sendung zuschreiben, bei deren Anblick einmal wohl die zur Schlacht erhobenen Schwerter in die Scheide zurückgekehrt waren. Und dies Palladium nun, in welchem die Ungarn ein göttliches Symbol ihrer Nationalität und ihres Reiches sahen, befand sich jetzt im Lager Suleimans, ward auf dessen Zuge mitgeführt.
Bei diesem allgemeinen Abfall konnte man nicht darauf rechnen, daß die deutschen Besatzungen, die es in einigen festen Plätzen gab, dieselben zu behaupten vermögen würden. In Ofen standen ungefähr 700 vor kurzem angeworbene Landsknechte unter dem Oberst Besserer. Sie hielten einige Stürme aus; als aber die Stadt genommen und die Burg von St. Gerhardsberg her, der sie beherrschte, fast in Grund geschossen war, verzweifelten sie, mit ihren langen Lanzen das Feuer des Feindes bestehen zu können, und hielten sich berechtigt, auf ihre Rettung zu denken. Sie nötigten ihren Anführer zu kapitulieren; sie wußten jedoch nicht, mit wem sie es zu tun hatten. Ibrahim Pascha versprach ihnen auf das feierlichste freien Abzug; noch in den Toren von Ofen wurden sie sämtlich niedergehauen.
Und von da an wälzte sich nun ohne weiteren Widerstand das barbarische Heer nach den deutschen Grenzen, nach einem Lande, sagen die osmanischen Geschichtschreiber, das noch nie von den Hufen moslemischer Rosse geschlagen worden. Da traf die orientalische Weltmacht, die über zertrümmerten, in den unentwickelten Anfängen oder dem schon wieder halb barbarisierten Absterben der Kultur begriffenen Reichen errichtet worden, zuerst mit den Kernlanden des occidentalischen Lebens, in denen die ununterbrochene Kontinuation des Fortschrittes des allgemeinen Geistes ihren Sitz genommen und in vollen Trieben war, zusammen. Die Osmanen empfanden doch einen Unterschied, als sie unser Vaterland berührten. Sie bezeichnen es auch als ein Land der Kafern, denn ihnen gilt alles, was ihren Propheten nicht bekennt, als derselbe Unglaube; als ein waldiges Reich, schwer zu durchziehen. Aber sie bemerken doch, daß es von den Fackeln des Unglaubens ganz besonders erleuchtet, von einem streitbaren Volke bewohnt, allenthalben von Burgen, Städten, ummauerten Kirchen beschützt sei, es macht auf sie Eindruck, daß sie, sowie sie die Grenze überschritten haben, alles im Überfluß finden dessen das tägliche Leben bedarf. Sie nehmen wahr, daß sie ein von den Elementen der Kultur durchdrungenes, in seinen Wohnsitzen gut eingerichtetes, tapferes, religiöses Volk vor sich haben.
Am 26. September langte Suleiman vor Wien an und schlug daselbst sein Lager auf. Vom Stephansturm aus sah man ein paar Meilen über Berg und Tal nichts als Zelte, und auf dem Flusse die Segel der türkischen Donauflotte. Man zeigt noch den Platz, bei Sömmering, wo das Hauptgezelt Suleimans stand, dessen innere Pracht die goldenen Knäufe verrieten, mit denen es auswendig geschmückt war. Er lagerte, wie er gezogen war. Ihn zunächst umgaben die Truppen der Pforte; hinter ihm bis nach Schwechat dehnte sich das anatolische Heer unter seinem Beglerbeg aus; vor ihm hielt der Seraskier Ibrahim mit den europäischen Sipahi, den Rumelioten und Bosniaken, den Sandschaks von Mostar und Belgrad. Denn wie der Staat nur das Kriegsheer ist, so repräsentiert das Lager in seiner Anordnung das Reich. Schon hatten die Ungarn, welche noch immer wetteiferten »sich mit dem Halsband der Untertänigkeit zu schmücken«, in diesem großen Verein ihre Stelle gefunden. Es war das westliche Asien und das östliche Europa, wie sie unter dem Einfluß des erobernden Islam sich gestaltet hatten und gestalteten; jetzt machten sie einen ersten Versuch auf das Herz des christlichen Europa. Die leichten Truppen suchten höher an der Donau hinauf die fabelhafte Brücke des zweigehörnten Alexander auf, die Grenze der phantastischen Welt der orientalischen Mythe.Fabelhafte Erzählungen von Alexanders des Großen Kriegszügen waren im Mittelalter in der arabischen Literatur ebenso verbreitet wie in der französischen und deutschen (Pfaffe Lamprecht), daher den Türken bekannt. Das Lasttier der arabischen Wüste ward mit Mundvorrat und Munition an die Mauern einer deutschen Stadt herangetrieben; man zählte in dem Lager bei 22 000 Kamele. Einen heiligen Krieg »gegen die staubgleichen Ungläubigen« glaubte man zu führen. Im Angesicht der vornehmsten Burg der letzten deutschen Kaiser erscholl jetzt die Doktrin der hohen Pforte, daß es nur Einen Herrn auf Erden geben müsse, wie nur Ein Gott im Himmel sei, und Suleiman ließ sich vernehmen, der Herr wolle er sein, er werde sein Haupt nicht zur Ruhe legen, bis er die Christenheit mit seinem Säbel bezwungen. Man erzählte sich, er rechne auf eine an drei Jahre lange Abwesenheit von Konstantinopel, um diesen Plan auszuführen.
So stumpf war nun wohl Europa nicht, um nicht die Größe dieser Gefahr zu fühlen. Es erlebte einen ähnlichen Moment wie damals, als die Araber das Mittelmeer eingenommen, Spanien erobert hatten, nach Frankreich vordrangen,Schlacht bei Tours und Poitiers 732. oder damals, als die mongolische Weltmacht, nachdem sie den Nordosten und Südosten von Europa überflutet, zugleich an der Donau und an der Oder das christliche Germanien angriff.Schlacht bei Liegnitz 1241. In die Augen sprang, daß Europa jetzt bei weitem stärker war; es wußte sehr gut, daß es die Kraft besaß, »diese Teufel,« wie man sich ausdrückte, »aus Griechenland zu verjagen«. Aber es konnte sich nicht dazu vereinigen. Wir haben ein Schreiben des Königs Franz aus diesen Tagen, worin er erklärt, die Absicht, die er immer gehegt, seine Kräfte und seine Person gegen die Türken zu verwenden, wolle er jetzt ins Werk setzen; er hoffe auch seinen Bruder, den König von England, dazu zu bewegen, er denke dann 60 000 Mann ins Feld zu stellen, eine Macht, die wahrhaftig nicht zu verachten sei. Er drückt sich so lebhaft aus, als wäre es ihm wahrer Ernst damit; doch fügt er eine Bedingung hinzu, die alles wieder vernichtet. Er meint, der Kaiser müsse ihm dafür von den beiden Millionen, die er ihm kraft des Vertrages zu bezahlen habe, die eine erlassen.Im Frieden von Cambrai, 5. August 1529, war eine Zahlung von 2 Millionen Skudi ausbedungen für den Verzicht Karls auf das Herzogtum Burgund; Deutsche Geschichte 3, 86. 264. Wie wäre das jemals zu erwarten gewesen? Auch auf der kaiserlichen Seite, wo man noch dringenderen Anlaß dazu hatte und es unerträglich fand, daß alles Land dem Sultan zufalle, das er nur durchziehen wolle, dachte man auf Mittel, um die gesamte Christenheit in die Waffen zu bringen. Und sehr merkwürdig ist, worauf man hier verfiel. Der leitende Minister in den Niederlanden, Hoogstraten, eröffnete sich einst darüber dem französischen Gesandten. Er meinte, der wahre Weg den Türken zu widerstehen, sei, daß man den Papst zu einer allgemeinen Säkularisation bewege. Ein Drittel der geistlichen Güter, an den Meistbietenden verkauft, werde hinreichen, um ein Heer ins Feld zu bringen, das die Türken zu verjagen und Griechenland wiederzuerobern vermöge. Man braucht nur diese Vorschläge ins Auge zu fassen, um einzusehen, wie unmöglich es war sie auszuführen, eine Unternehmung zu bewerkstelligen, die an Bedingungen so weitaussehender Art geknüpft wurde.
Wollte Deutschland sich verteidigen, so war es lediglich auf seine eigenen Kräfte angewiesen. Und standen die Dinge nicht auch hier sehr zweifelhaft? Gab es nicht in der Tat Leute, welche das Mißvergnügen mit der bestehenden Ordnung der Dinge dazu trieb, sich eine türkische Herrschaft zu wünschen? Hatte nicht Luther einst selbst gesagt, es stehe dem Christen nicht zu, sich den Türken zu widersetzen, die er vielmehr als eine Rute Gottes ansehen müsse? Es ist das einer jener Sätze, welche die päpstliche BulleDie Bulle von 1520, welche Luther samt den Dekretalen öffentlich verbrannt hatte. verurteilt. Der Reichstag von Speier hatte soeben eine Wendung genommen, durch die sich alle Anhänger der kirchlichen Umwandlung bedroht und gefährdet fühlten; es war ihnen sehr bedenklich, daß sie dem Oberhaupt jener Majorität, welche sie von sich stieß, dem König Ferdinand Hilfe leisten sollten.
Was nun Luther anbetrifft, so ist ganz wahr, daß er jene Meinung geäußert hat; allein er redet da nur von den Christen als solchen, von dem religiösen Prinzip an und für sich, wie es in einigen Stellen des Evangeliums erscheint. Jenes frommtuende Geschrei, welches um der christlichen Religion willen zu einem Kriege gegen die Türken anreizte, während man die Beiträge der Gläubigen zu fremdartigen Zwecken verwandte, hatte seinen Widerwillen erweckt. Er sagte sich überhaupt los von dem kriegerischen Christentum; er wollte die religiöse Gesinnung nicht so unmittelbar mit dem Schwerte in Verbindung bringen. War aber nunmehr von einer wirklichen Gefahr und von den Anstrengungen der weltlichen Gewalt dagegen die Rede, so erklärte er desto entschiedener, daß man sich mit allem Ernst den Türken entgegenstellen müsse.Schrift vom Krieg wider den Türken, erschienen gegen Ostern 1529. R. Dazu sei das Reich dem Kaiser anvertraut, er und die Fürsten würden sonst schuldig sein an dem Blute ihrer Untertanen, das Gott von ihnen fordern werde. Es kommt ihm sonderbar vor, daß man sich in Speier wieder soviel darum gekümmert hat, ob jemand in den Fasten Fleisch esse, ob eine Nonne sich verheirate, und indes den Türken vorrücken, Länder und Städte soviel er wolle erobern läßt. Er fordert die Fürsten auf, das Panier des Kaisers nicht mehr für ein bloßes seidenes Tuch anzusehen, sondern demselben pflichtgemäß ins Feld zu folgen. Er nimmt sich die Mühe, zur Bekehrung derjenigen, welche die Regierung der Türken wünschen möchten, die Greuel aufzuzählen, die der Koran enthalte. Die übrigen ermahnt er in des Kaisers Namen getrost auszuziehen; wer in diesem Gehorsam sterbe, dessen Tod werde Gott wohlgefällig sein.
Es ist wohl erlaubt, in dieser großen Gefahr der deutschen Nation auch den Mann reden zu lassen, welcher damals in derselben am meisten gehört ward. Die Schrift vom Türkenkrieg zeigt wieder einmal den Geist, der die kirchlichen und die weltlichen Elemente zu scheiden unternahm, in aller seiner durchgreifenden Schärfe. Und soviel wenigstens bewirkte er, daß die Protestierenden, obwohl sie die Furcht hegten, von der Majorität mit Krieg überzogen zu werden, und in den Reichsschluß nicht gewilligt hatten, doch so gut wie die anderen ihre Hilfe ausrüsteten. Auch Kurfürst Johann stellte ein paar tausend Mann unter Anführung seines Sohnes ins Feld. Von allen Seiten zog die eilende Hilfe dem Feldhauptmann des Reiches, Pfalzgraf Friedrich, zu, der indes zu Linz bei König Ferdinand angelangt war. Daran fehlte jedoch noch viel, daß diese Mannschaften stark genug gewesen wären, namentlich in dem ersten Schrecken, um das Feldlager der Osmanen vor Wien anzugreifen. Auch der Kaiser, der anfangs in Genua Nachricht erhalten hatte, daß Suleiman nicht kommen werde, fand sich nicht imstande, wie er einst hatte hoffen lassen, mit seinen Spaniern herbeizueilen. Zunächst kam alles darauf an, ob die Besatzung von Wien dem Heere der Barbaren Widerstand leisten würde.
Man dürfte nicht glauben, daß Wien sehr fest gewesen wäre. Es war mit einer runden baufälligen Ringmauer umgeben, noch ohne alle Vorkehrungen der neueren Befestigungskunst, selbst ohne Basteien, auf denen man Geschütze hätte auffahren können; die Gräben waren ohne Wasser. Die Feldhauptmannschaft von Niederösterreich hatte anfangs gezweifelt, ob sie »den weitschichtigen, unverbauten Flecken« werde behaupten können; sie hatte einen Augenblick den Gedanken gehegt, den Feind lieber im offenen Felde zu erwarten, um sich im Notfall auf die frischen Truppen zurückziehen zu können, welche der Pfalzgraf und der König zusammenzubringen beschäftigt waren; am Ende aber hatte sie doch gefunden, daß sie ihre alte Hauptstadt nicht aufgeben dürfe, und sich entschlossen, die Vorstädte zu verbrennen, die innere Stadt zu halten. Waren nun die Befestigungen untüchtig, so kam dagegen die Liebhaberei Maximilians für das Geschützwesen jetzt nach seinem Tode seiner Hauptstadt zugute. Auf allen Türmen an den Toren, auf den Häusern an den Mauern, von denen man die Schindeln abgerissen, unter den Dächern, ja in den Schlafhäusern der Klöster, in der Burg, wie sich versteht, und hinter den Schießlöchern, die man in die Mauern gebrochen, erwarteten Falkonette, Halbschlangen, Karthaunen, Mörser, Singerinnen den Anlauf des Feindes.
Die Besatzung bestand aus fünf Regimentern: vier deutschen, von denen zwei auf Kosten des Reiches, zwei von Ferdinand selbst angeworben waren, und einem böhmischen. Die Reichstruppen unter Pfalzgraf Philipp, dem Stellvertreter Friedrichs, besetzten die Mauer vom roten Turm bis gegen das Kärnthnertor, von da dehnten sich die königlichen Haufen unter Eck von Reischach und Leonhard von Fels gegen das Schottentor hin aus. Es waren Leute von allen deutschen Landesarten, viele namhafte Österreicher, aber auch Brabanter, Rheinländer, Meißner, Hamburger, besonders Franken und Schwaben. Vom Schottentor bis zum roten Turm standen die Böhmen; auf den Plätzen im Innern war einige Reiterei verteilt. Es mochten 16-17000 Mann sein; ob diese Mannschaft dem an Zahl so unendlich überlegenen Feinde zu widerstehen vermögen würde, war doch sehr zweifelhaft.
Suleiman ließ der Besatzung ankündigen, wolle sie ihm die Stadt übergeben, so verspreche er weder selbst hineinzukommen noch sein Volk hineinzulassen, sondern er werde dann weiter vorrücken und den König suchen; wo nicht, so wisse er doch, daß er am dritten Tage sein Mittagsmahl in Wien halten werde, dann wolle er das Kind im Mutterleibe nicht verschonen. In Liedern und Erzählungen finden wir, die Antwort sei gewesen, er möge nur zum Mahle kommen, man werde ihm mit Karthaunen und Hallbarden anrichten. Doch ist das nicht so ganz wahr; man hatte nicht Unbenommenheit des Geistes genug, um eine so kecke Antwort zu geben. Die Antwort, sagt ein authentischer Bericht der Befehlshaber, ist uns in der Feder stecken geblieben. Man rüstete sich alles Ernstes zur Gegenwehr, aber keineswegs etwa in der Überzeugung, daß man siegen werde; man sah die ganze Gefahr ein, in der man sich befand; aber man war entschlossen sie zu bestehen. Und so mußte sich denn Suleiman anschicken, die Stadt mit Gewalt zu erobern.
Zuerst stellten sich die Janitscharen mit ihren Halbhaken und Handrohren hinter dem Gemäuer der eben zerstörten Vorstädte auf. Sie schossen noch vortrefflich; eine Anzahl geübter Bogenschützen gesellte sich ihnen zu; es hätte sich niemand an den Zinnen, auf den Mauern dürfen blicken lassen. Sie beherrschten den ganzen Umkreis derselben; die Giebel der benachbarten Häuser waren mit Pfeilen wie bepflanzt. Unter dem Dunst und Hall dieses Schießens bereiteten nun die Osmanen noch einen ganz anderen Angriff vor. Welches auch die Meister gewesen sein mögen, von denen sie ursprünglich darin unterwiesen sind, Armenier oder andere, eine Hauptstärke ihrer damaligen Belagerungskunst bestand in dem Untergraben der Mauern, dem Anlegen von Minen. Die Abendländer erstaunten, wenn sie derselben später einmal ansichtig wurden, mit Eingängen eng wie eine Tür, dann weiter, recht eigentlich mit einem Bergwerk zu vergleichen, glatte, wohlabgemessene, weite Höhlungen, zugleich darauf berechnet, daß das stürzende Gemäuer nach innen, nicht nach außen fallen mußte. Diese Kunst, denn eigentliches Belagerungsgeschütz führten sie nur sehr wenig bei sich, wendeten sie nun auch bei Wien an. Hier aber trafen sie auf ein Volk, das sich ebenfalls auf unterirdische Arbeiten verstand. Gar bald bemerkte man in der Stadt das Vorhaben des Feindes. Wasserbecken und Trommeln wurden aufgestellt, um die geringste Erschütterung des Erdbodens daran wahrzunehmen; man lauschte in allen Kellern und unterirdischen Gemächern – es sind noch abenteuerliche Sagen davon im Gange – und grub ihnen dann entgegen; es begann gleichsam ein Krieg unter der Erde. Schon am 2. Oktober ward eine halbvollendete Mine des Feindes gefunden und zerstört; bald darauf ward eine andere gerade noch im rechten Moment entdeckt, als man schon anfing sie mit Pulver zu füllen. Die Minierer kamen einander zuweilen so nahe, daß eine Partei die andere arbeiten hörte; dann wichen die Türken in einer anderen Richtung beiseite.
Um den Kärnthner Turm auf alle Fälle zu sichern, hielten die Deutschen für notwendig, ihn mit einem Graben von hinreichender Tiefe zu umgeben; natürlich aber war das nicht allenthalben möglich. Am 9. Oktober gelang es den Türken wirklich, einen nicht unbedeutenden Teil der Mauer zwischen dem Kärnthnertor und der Burg zu sprengen; in demselben Moment traten sie unter wildem Schlachtruf den Sturm an. Allein schon war man auch hierauf vorbereitet. Eck von Reischach, der bei der Verteidigung von Pavia gelernt, wie man stürmenden Feinden begegnen müsse, hatte die Leute unterwiesen, mit welchem Geschrei und Anlauf der Sturm geschehe und wie man ihm zu begegnen habe. Diese jungen Landsknechte, von denen uns ein Bericht versichert, daß Reischachs Anweisung ihnen »ein tapfer männlich Herz« gemacht, standen in der Tat vortrefflich. Mit einem furchtbaren »Her!« erwiderten sie das osmanische Schlachtgeschrei. Hallbarden, Handrohre und Kanonen unterstützten einander mit dem glücklichsten Erfolge. »Die Kugeln der Karthaunen und Flinten,« sagt Dschelalsade, »flogen wie die Schwärme kleiner Vögel durch die Luft; es war eine Festgelage, bei dem die Genien des Todes die Gläser kredenzten.« Die deutschen Berichte rühmen besonders die Tapferkeit, die der alte Salm,Graf Nikolaus v. Salm, der sich in der Schlacht bei Pavia, 24. Febr. 1525, ausgezeichnet hatte; Deutsche Geschichte 2, 217, 222. Verwalter der niederösterreichischen Feldhauptmannschaft, in dieser heißen Stunde bewies. Die Türken erlitten so mörderische Verluste, daß sie sich zurückziehen mußten. Die niedergeworfene Mauer ward auf der Stelle so gut wie möglich hergestellt.
Was hier nicht gelungen, versuchte der Feind darauf an der andern Seite des Kärnthner Turms. Nach manchem falschem Lärm sprengte er am 11. Oktober einen guten Teil der Mauer gegen das Stubentor hin und erneuerte unverzüglich seinen Sturm. Diesmal waren die Kolonnen dichter formiert; zu den Asafen und Janitscharen hatten sich Sipahi von Janina und Awlona, albanesischer Herkunft, gesellt; mit ihren krummen Schwertern und kleinen Schilden drangen sie dem Haufen voran über die gefallenen Mauern daher. Allein hier stellte sich ihnen Eck von Reischach mit vier Fähnlein mutiger Landsknechte selber in den Weg. Zur Seite hatte er, wie einst in Pavia, geübte spanische Schützen; auch der Feldmarschall Wilhelm v. Rogendorf war zugegen. Diesmal kam es zum ernstlichen Handgemenge. Man sah die langen Schlachtschwerter der Deutschen, die sie mit beiden Händen führten, sich messen mit dem Türkensäbel; ein türkischer Geschichtschreiber redet von ihrer feuererregenden Wirkung. Dreimal erneuerten die Osmanen ihren Anlauf. Jovius,Paolo Giovio, ein Humanist in Rom, angesehen am Hofe Leos X. und, seiner Nachfolger, schrieb ein Geschichtswerk in klassischem Latein; Historiarum sui temporis libri , die Zeit von 1494-1547 umfassend; s. »Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber«, Werke Bd. 33 u. 34 S. 70 ff. der so viele Schlachten beschrieben hat, bemerkt doch, daß man in diesem Jahrhundert kaum ernstlicher aneinander geraten sei. Aber alle Anstrengungen der Osmanen waren vergebens, sie erlitten noch bei weitem stärkere Verluste als das erste Mal.
Und damit war eigentlich ihr guter Mut erschöpft. Am 12. Oktober ward abermals ein Teil der Mauer gefällt, aber als sie dahinter die Deutschen und Spanier mit aufgereckten Fähnlein erblickten, wagten sie sich nicht ernstlich heran. Schon regte sich bei ihnen die Meinung, in Gottes des Allmächtigen Ratschluß sei für diesmal die Eroberung von Wien dem Islam nicht bestimmt. Die Nächte wurden bereits ungewöhnlich kalt, am Morgen sah man die Berge mit Reif bedeckt. Mit Besorgnis dachte jedermann an die Länge und Gefahr des Rückweges, denn zu jener dreijährigen Abwesenheit war doch in der Tat nichts vorbereitet. Dazu kam, daß sich Nachrichten von einem nahen Entsatz vernehmen ließen. Ein erbländisches Heer sammelte sich in Mähren; in den Bezirken des schwäbischen Bundes ward eifrig gerüstet, wie denn Schärtlin von BurtenbachSpäter bekannt als Feldhauptmann von Augsburg; s. Bd. 4 S. 308 ff. berichtet, was für treffliche Leute er in Württemberg zusammengebracht. Pfalzgraf Friedrich, der ganz in der Nähe geblieben, nahm eine drohende Haltung an. Schon lernten die Bauern den streifenden Reitern Widerstand leisten. Suleiman entging es nicht, in welche gefährliche Lage er kommen könne, wenn er hier, mitten im feindlichen Lande, ohne feste Plätze, in der schlechten Jahreszeit von einem Feinde angegriffen würde, dessen Tapferkeit er soeben kennen gelernt. Er beschloß noch einen letzten Versuch auf Wien zu machen und, wenn derselbe mißlinge, sofort aufzubrechen.
Er wählte dazu einen Tag, den er für glücklich hielt, den Moment wo die Sonne in das Zeichen des Skorpions tritt, 14. Oktober. Eben in der Mittagsstunde versammelte sich ein guter Teil des Heeres im Angesicht der Mauern; TschauscheDiener des Sultans. riefen Belohnungen aus, Minen sprangen, Breschen öffneten sich und das Zeichen zum Sturm ward gegeben. Allein die Leute hatten kein Vertrauen mehr, sie mußten fast mit Gewalt herbeigetrieben werden, wo sie dann unter das Feuer des Geschützes gerieten und ganze Haufen erlagen, ehe sie nur den Feind erblickt hatten. Gegen Abend sah man eine Schar aus den Weingärten hervorkommen, aber sich auf der Stelle wieder zurückziehen.
Und hierauf begann nun der volle Abzug. Die Anatolier hatten jetzt die Vorhut; noch in der Nacht brach der Sultan selbst auf. Auch die Janitscharen zündeten ihr Lager in den Vorstädten an und eilten ihren Herrn zu begleiten. Nach einigen Tagen folgte ihm Ibrahim mit dem Rest der europäischen Truppen nach. Es war das erste Mal, daß dem siegreichen Sultan ein Unternehmen so ganz gescheitert war. Er konnte inne werden, daß er nicht so geradezu, wie seine Dichter rühmten, das Gold im Schachte der Welt, die Seele im Weltenleibe sei, daß es außer ihm gewaltige und unbezwingliche Kräfte gab, die ihm noch zu schaffen machen sollten. Zunächst aber hatte er Grund sich zu trösten; er hatte Ungarn den Deutschen entwunden. Aus den Händen osmanischer Beamter empfing Johann Zapolya die heilige Krone;Die Stephanskrone kam nachher doch wieder in die Hände der Anhänger Österreichs; als die Türken 1541 Ofen eroberten, wurde sie nach Preßburg gerettet, wo sie noch jetzt bewahrt wird. obwohl er König hieß, war er doch in der Tat nichts anderes als ein Verweser des Sultans.
Karls V. Feldzug gegen die Türken 1532, Deutsche Geschichte 3, 304-309. Zug nach Tunis 4, 8-15. Erneuter Türkenkrieg 1541-42, ebd. 167-175.