Leopold von Ranke
Geschichtsbilder aus Leopold v. Rankes Werken
Leopold von Ranke

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26. Kardinal Richelieu.

Französische Geschichte II, Werke Bd. 9 S. 406-410.

Richelieu war wie ein zweiter König im Lande. Schon beim Jahre 1629 schildert man ihn, wie die sollizitierende und dienstfertige Menge sein Haus erfüllt, die Türen seiner Gemächer, wie sie ihn, wenn er etwa in seiner Sänfte herausgetragen wird, mit Ehrfurcht begrüßen, der eine niederkniet, der andre eine Bittschrift überreicht, ein dritter sein Kleid zu küssen sucht; jeder preist sich glücklich, der sich eines gnädigen Blickes von ihm rühmen kann. Denn die Summe der Geschäfte lag schon damals in seinen Händen; er bekleidete die höchsten Würden, deren ein Untertan fähig ist; aber noch höher stellte es ihn, daß er damit den Purpur der Kardinäle verband; der vornehmste Prinz von Geblüt, Condé, ließ ihm den Vorrang.

Seitdem war er nun noch um vieles mächtiger und vor allem furchtbarer geworden. In tiefer Zurückgezogenheit lebte er in Ruel, in einem vor dem Nordwind einigermaßen geschützten Park, wo man mitten in dem revolutionären Ruin doch einige Spuren kunstfertiger Menschenhände noch bemerkt, einige Reste der Wasserkünste, die aus Italien zuerst hierher verpflanzt worden sein sollen. Wenig zugänglich – die fremden Gesandten mußten etwas Wesentliches vorzutragen haben, wenn sie ihn sprechen wollten, – war er der eigentliche Mittelpunkt der Staatsgeschäfte. Der König kam oft von St. Germain zum Staatsrat herüber. Kam er selber hinüber, so war er von einer Leibwache umgeben, welche auf seinen Namen verpflichtet und von ihm besoldet war, denn auch im Hause des Königs wollte er nichts von seinen Feinden zu fürchten haben. Eine ganze Anzahl junger Edelleute aus den vornehmen Häusern, die sich ihm angeschlossen hatten, versah den persönlichen Dienst bei ihm; er hat eine Schule für sie errichtet. Er hielt einen vollständiger besetzten Marstall, glänzendere Dienerschaft, eine kostbarer besorgte Tafel als der König; er wohnte besser. In Paris besaß er den kleinen Luxemburg und baute sich Palais royal, das damals in großen Schriftzügen die Aufschrift « Palais Cardinal« trug, auch das Hotel Richelieu. Er hatte da jene goldene Kapelle, deren Kirchengerätschaften sämtlich von den kostbarsten Metallen und Edelsteinen zusammengesetzt waren, ferner eine herrliche Sammlung ausgesuchter Kunstwerke, eine Bibliothek und sein eigenes Theater. Eine berühmte italienische Sängerin, Signora Leonora, ließ er nach seinem Landhaus kommen. Für das aufkommende französische Schauspiel hegte er eine Art von Leidenschaft; wer ihm da Vergnügen machte, wie die kleine Jacqueline Pascal, dem stand eine Bitte an ihn frei; seinen Freunden selbst hat es wohl geschienen, als widme er der Durchsicht der Stücke, die er geben ließ, allzuviel anstrengende Aufmerksamkeit. Unentbehrlich war ihm das Gespräch mit geistvollen und angenehmen Freunden; der Umgang mit einem von ihnen ist ihm von den Ärzten förmlich als Heilmittel vorgeschrieben worden.

So war ihm auch eine natürliche Vorliebe und Hinneigung zur Literatur eigen. Wir werden noch berühren, welche mächtigen produktiven Geister ihn umgaben; mit der Monarchie selbst entsprangen auch die literarischen Tendenzen, welche sie verherrlichen sollten. Die Absicht Richelieus war zunächst auf Reinigung der Sprache gerichtet. In seinen zur Bekanntmachung bestimmten Aufsätzen zeigt sich noch das Übertriebene der bisherigen Schreibweise; der Stil seiner Briefe dagegen ist rein und richtig, die Worte sind wohlgewählt und treffend, in dem Wurf der Sätze prägt sich der Wechsel seiner Stimmungen aus. Bei der Gründung der französischen Akademie war sein vornehmster Gedanke, die französische Sprache von allen Verunstaltungen, die sie durch willkürlichen und regellosen Gebrauch erlitten habe, zu reinigen, sie aus der Reihe der barbarischen Sprachen für immer zu erheben; sie sollte den Rang einnehmen wie einst die griechische, dann die lateinische; sie sollte in dieser Reihe die dritte sein. Der Begriff des Modern-Klassischen, den er mit Bewußtsein förderte, hat zugleich eine politische Beziehung, sowie die Zeitung, die er zuerst regelmäßig erscheinen ließ, ein monarchisches Institut war. Wie Richelieu die Literatur mit dem momentanen Leben in Verbindung brachte, so schwebte ihm auch die Nachwelt und ihr Urteil unaufhörlich vor Augen. Auf seine Veranlassung hat man mancherlei Zusammenstellungen aus den offiziellen Papieren versucht, von denen die wichtigste, an eine von ihm selbst unternommene Arbeit anschließend, als eine Geschichte der Zeit erscheint; sie enthält, wiewohl noch formlos, doch schon mancherlei Spuren seiner Durchsicht. Da finden sich auch von allen Produktionen, die von ihm herrühren, ohne Zweifel die merkwürdigsten: zahlreiche Gutachten, die er dem König in wichtigen Momenten vorlegte.Näheres darüber s. im 5. Bande der »Französischen Geschichte«, S. 137 ff. namentlich S. 180. Man mag sie an Schärfe den Arbeiten Machiavellis, an Umsicht und ausführlicher Erörterung den motivierten Ratschlägen des spanischen Staatsrats vergleichen; an Kühnheit, Größe der Gesichtspunkte, offener Darlegung des Zweckes und dann auch an welthistorischem Erfolg haben sie ihresgleichen nicht. Sie sind ohne Zweifel einseitig; Richelieu erkennt kein Recht neben dem seinen, er verfolgt die Gegner von Frankreich mit derselben Gehässigkeit wie seine eigenen; von einem freien, auf die obersten Ziele des menschlichen Daseins gerichteten Schwunge der Seele geben sie keinen Beweis, sie sind ganz von dem Horizont des Staates umfangen, aber sie zeugen von einem Scharfblick, der die zu erwartenden Folgen bis in die weiteste Ferne wahrnimmt, der unter dem Möglichen das Ausführbare, unter mancherlei Gutem das Bessere und Beste zu unterscheiden und festzustellen weiß. Der Ehrgeiz Richelieus war, daß der König ihm folge durch eigene Überzeugung, nicht durch Autorität. In ausführlicher Darlegung und strenger Schlußfolge sucht er ihn bei dem Rate zu fixieren, den er ihm erteilt. Alle diese Gutachten sind von einem einzigen Gedanken erfüllt, der sich in immer größerer Ausdehnung des Gesichtskreises und der Zwecke entwickelt: Erhebung der Monarchie über jeden besonderen Willen, Ausbreitung der Autorität von Frankreich über Europa. Niemals hat sich eine Politik durch glänzendere Erfolge bewährt; er war aller Feinde Meister geworden.

Noch dachte er jedoch nicht am Ziele zu sein, weder persönlich noch in bezug auf die Angelegenheiten der Welt oder Frankreichs, noch lenkte er das Ruder des Schiffes mit weithinaus spähendem Blicke und gewohnter Sicherheit, als er im Dezember 1642 einem erneuten Anfall seiner Krankheit erlag. Er hat sterbend erklärt, er habe nie einen Feind gehabt, der nicht Feind des Staates gewesen sei. Die Identifizierung seiner persönlichen Interessen mit denen des Staates, die seine Stärke im Leben ausgemacht, begleitete ihn in den Tod. »Da ist,« sagte Ludwig XIII. bei der Nachricht von seinem Tode, »ein großer Politiker gestorben;« persönliches Bedauern hörte man ihn nicht aussprechen. In dem Worte liegt die Erklärung oder Entschuldigung seiner ganzen Haltung im Leben.

Was denn nun auch Mitwelt und Nachwelt über Richelieu geurteilt haben, zwischen Bewunderung und Haß, Abscheu und Verehrung geteilt: er war ein Mann, der das Gepräge seines Geistes dem Jahrhundert auf die Stirn drückte. Der bourbonischen Monarchie hatte er ihre Weltstellung gegeben. Die Epoche von Spanien war vorüber, die Epoche von Frankreich war heraufgeführt.


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