Leopold von Ranke
Geschichtsbilder aus Leopold v. Rankes Werken
Leopold von Ranke

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19. Elisabeth, Königin von England.

Englische Geschichte I, Werke Bd. 14, 2. 324 ff.

Elisabeth gehörte zu den Fürsten, die sich im voraus über die Pflichten der Regierung einen Begriff gemacht haben. Vier Eigenschaften, sagt sie einmal, seien ihr dazu notwendig erschienen: Gerechtigkeit und Mäßigung, Großmut und Urteil; der beiden ersten dürfe sie sich rühmen, nie habe sie bei gleichem Recht einen vor dem andern begünstigt, nie habe sie einem ersten Berichte geglaubt, sondern bis zu voller Kenntnis an sich gehalten; die beiden andern wolle sie sich nicht anmaßen, denn es seien Tugenden der Männer. Eben diese aber schrieb ihr die Welt in hohem Grade zu. Ihr feines Urteil erblickte man in der Wahl ihrer Diener und der Verwendung derselben zu solchen Diensten, zu denen sie eben am geschicktesten seien. Ihre Hochherzigkeit sah man in der Verachtung kleiner Vorteile und ihrem unerschütterlichen Gleichmut in der Gefahr. Während des aus Spanien daherziehenden Ungewitters habe man keine Wolke auf ihrer Stirn gesehen; durch ihre Haltung habe sie Adel und Volk belebt, ihre Räte beseelt. Man rühmte an ihr beides, eifrige Teilnahme an der Beratung und Sorgfalt, daß das Beschlossene ins Werk gesetzt werde.

Das Ideal einer Herrscherin dürfte man auch in Königin Elisabeth nicht suchen. Niemand könne die Härten in Abrede stellen, die unter ihrer Regierung selbst mit ihrem Vorwissen begangen worden sind. Jene systematische Heuchelei, die man ihr schuld gibt, mag als eine Erfindung, ihrer Feinde oder der nicht von Grund aus unterrichteten Historiker erscheinen; sie selbst erklärt Wahrhaftigkeit für eine dem Fürsten unentbehrliche Eigenschaft. Aber auch bei ihrer Staatsverwaltung kommen, wie bei den meisten andern, Argumentationen vor, welche die Wahrheit mehr verhüllen als ausdrücken. Bei jedem ihrer Worte und Schritte nimmt man die Berechnung dessen, was zu ihrem Vorteil dient, wahr; sie zeigt treffende Voraussicht und selbst eine natürliche Verschlagenheit. Elisabeth war sehr zugänglich für Schmeichelei und durch ein angenehmes Äußere ebenso leicht bestochen wie durch zufällige kleine Mängel zurückgestoßen; sie konnte bei einem Wort auffahren, das sie an die Vergänglichkeit der menschlichen Dinge oder an ihre eigene Hinfälligkeit mahnte; Eitelkeit begleitete sie von Jugend an bis in ihre hohen Jahre, die sie nicht bemerken noch bemerkt wissen wollte. Gute Erfolge liebte sie sich selbst anzurechnen; Mißlingen schrieb sie ihren Ministern zu. Den Haß für unliebsame oder ihr zweifelhafte Maßregeln sollten diese auf sich nehmen, und wenn sie das einmal nicht ganz im Einklang mit ihrer Stimmung taten, hatten sie ihren Tadel, ihre Ungnade zu befürchten.

Sie war nicht frei von den Unzuverlässigkeiten ihres Geschlechts, aber dagegen entfaltete sie auch wieder die liebenswürdige Aufmerksamkeit einer weiblichen Gebieterin: wie wenn sie einst bei einer Rede, die sie in der Gelehrtensprache vor den Gelehrten von Oxford hielt, als sie den LordschatzmeisterBurleigh, ihr treuer Minister. mit seinem lahmen Fuße da stehen sah, plötzlich abbrach, ihm einen Stuhl bringen ließ und dann fortfuhr; man sagte freilich, sie habe zugleich bemerken lassen wollen, daß kein Zufall sie aus der Fassung bringen könne. Wie Harrington,Englischer Dichter, geboren 1561, starb 1612, verfaßte Epigramme und eine Übersetzung von Ariosts »Rasendem Roland«. der sie aus persönlichem Umgang kannte, sich ausdrückt: ihr Geist war zuweilen der Sommermorgenluft zu vergleichen, wohltuend und erfrischend, sie gewann dann aller Herzen durch liebliche und bescheidene Rede. Aber in demselben Grade abstoßend wurde sie in aufgeregten Zuständen, wenn sie in ihrem Zimmer auf und abschritt, Zorn in jeder Miene, Wegwerfung in jedem Worte; man eilte, von ihr wegzukommen.

Unter anderm lernt man sie aus dem Briefwechsel mit König Jakob von SchottlandIhr Nachfolger, Sohn der Maria Stuart, mit dem sie schon 1586 ein Schutz- und Trutzbündnis schloß; Englische Geschichte 2, 9. kennen; wie spricht da jeder Satz eine mit der politischen vereinigte geistige und moralische Überlegenheit aus! Da ist kein überflüssiges Wort, alles ist Mark und Substanz; von Fürsorge und eingehendem Ratschlag geht sie zu herbem Tadel und ernsthafter Warnung über; sie ist gütig und scharf, wohlmeinend und rauh, aber fast noch mehr wegwerfend und rücksichtslos als milde. Nie hatte ein Fürst von seiner Würde eine höhere Idee; von der Unabhängigkeit, die derselben nach menschlichen und göttlichen Gesetzen gebühre; von der Pflicht des Gehorsams, welche jeden Untertan binde. Sie rühmt sich wohl, daß auf ihre Entschlüsse keinerlei äußere Rücksicht einwirke, am wenigsten Drohung oder Furcht; wenn sie sich einmal nach dem Frieden sehnt, so besteht sie darauf, daß es nicht aus Besorgnis vor dem Feinde geschehe, sondern bloß aus Abscheu vor dem Blutvergießen. Die Tätigkeit des Lebens entwickelt nicht allein die intellektuellen Kräfte; zwischen Gelingen und Mißlingen, in Streit, Anstrengung und Sieg bildet sich der Charakter und nimmt seine vorherrschende Stimmung an. Das Ungeheure, das ihr gelungen ist, erfüllt sie mit einem unendlichen Selbstgefühl, welches zugleich von Zuversicht auf den unfehlbaren Schutz der Vorsehung getragen wird. Daß sie, vom Papste gebannt, den Angriffen einer halben Welt gegenüber sich behauptet, gibt ihrem ganzen Tun und Wesen den verdoppelten Ausdruck persönlicher Energie. Sie liebt nicht, von ihrem Vater oder ihrer Mutter zu sprechen; von einem Nachfolger will sie nicht reden hören. Das Gefühl des unbedingten Besitzes beherrscht die Erscheinung. Merkwürdig, wie sie an festlichen Tagen in ihrem Palast einherschreitet; voran Magnaten und Ritter in ihrer Ordenstracht, mit entblößtem Haupt, dann die Träger der Insignien der Herrschaft, des Zepters, des Schwertes und des großen Siegels; sie selbst in ihrem mit Perlen und Edelsteinen übersäten Gewand, hinter ihr ihre Damen, die durch Schönheit und reichen Schmuck glänzen. Einem oder dem andern, der ihr vorgestellt wird, reicht sie im Vorbeigehen ihre Hand zum Kuß zum Zeichen ihrer Gnade, bis sie bei ihrer Kapelle ankommt, wo ihr die versammelte Menge ein » God save the Queen« zuruft; sie erwidert Worte herablassenden Dankes. Elisabeth genoß noch einmal ungebrochen die ganze Verehrung, welche man der höchsten Gewalt widmete. Mit Kniebeugung wurden die Speisen, von denen sie essen sollte, auf die Tafel gesetzt, auch wenn sie nicht zugegen war; die Knie beugend ward man ihr vorgestellt.

Zwischen einer Fürstin, wie diese war, und ihrem Parlament konnte es an mannigfaltigen Streitigkeiten nicht fehlen. Die Gemeinen nahmen das Privilegium unbedingter Redefreiheit in Anspruch und bestritten in wiederholtem Anlauf die Mißbräuche, die noch in der bischöflichen Kirche übriggeblieben seien, die lästigen Monopolien, welche einzelnen Begünstigten zugute kamen. Die Königin ließ Mitglieder des Unterhauses wegen mißliebiger Äußerungen verhaften; sie warnte dieselben, sich nicht in die Sachen der Kirche, selbst nicht in die des Staates zu mischen, und erklärte es für ihre Prärogative, nach ihrem Belieben das Parlament zu berufen und zu entlassen, dessen Beschlüsse zu genehmigen oder zu verwerfen. Dabei hat sie aber doch wieder nicht verhehlt, sie müsse auch in bezug auf die wichtigsten Staatsangelegenheiten auf die Stimmung der beiden Häuser Rücksicht nehmen; so sehr man sie lieben möge, so seien doch die Gemüter leicht beweglich und nicht durchaus zuverlässig. In den Formen befleißigte sich das Parlament des Ausdruckes der Hingebung, welche die Königin als Fürstin und Frau verlangte; diese suchte Handlungen wieder gutzumachen, durch welche die Versammlung einmal beleidigt worden war. Für Beschwerden, z. B. über die Monopolien, hat sie als für heilsame Erinnerungen sogar gedankt.

Ein französischer Gesandter bemerkt im Jahre 1596, das Parlament habe vor alters eine große Autorität gehabt, jetzt tue es alles was die Königin wünsche. Ein anderer, der 1597 anlangte, ist nicht allein erstaunt über das imponierende Äußere, sondern auch über den Umfang der Rechte des Parlaments. Hier, sagt er, werden die großen Angelegenheiten verhandelt: Krieg und Friede, Gesetze, die allgemeinen Bedürfnisse und ihre Erledigung. Das eine ist vielleicht so wahr wie das andre. Die Erklärung des Widerspruchs liegt darin, daß Königin und Parlament in den allgemeinen Verhältnissen des Landes und der Welt Verbündete waren. Die Königin hatte, es ist an sich einleuchtend, ohne das Parlament nicht regieren können; von Anfang ihrer Regierung an hat sie sich in den wichtigsten Angelegenheiten auf dasselbe gestützt; aber eine einfache Betrachtung lehrt, wie viel hinwieder das Parlament eben seiner Herbeiziehung zu den großen Fragen, welche die Königin für ratsam hielt, verdankte. Untersuchung der gegenseitigen Rechte und ihrer Grenzen vermied man noch und konnte man vermeiden. Und überdies hütete sich Elisabeth, ihrem Parlamente mit Geldforderungen beschwerlich zu fallen. Sie ist oft wegen ihrer Sparsamkeit, die zuweilen in den Geschäften unangenehm wurde, getadelt worden. Wie in den meisten Fällen, Natur und Politik wirkten auch hier zusammen. Daß sie sich immer bei Gelde hielt und wohl einmal imstande war, eine angebotene Bewilligung abzulehnen, gab ihrer Verwaltung eine Unabhängigkeit von den momentanen Stimmungen des Parlaments, die zu ihrem ganzen Wesen gehörte und ohne dies leicht hätte verloren gehen können.Hier folgt bei Ranke die Charakteristik der Staatsmänner jener Zeit: Burleigh, Leicester u. a.

Wie tritt das persönliche Moment in dieser Staatsverwaltung noch einmal so überwiegend hervor! Wie die eigene Sache der Königin die allgemeine ist, so sind die, welche ihrer Familie angehören oder ihre Gnade erworben, ihr wesentliche Dienste geleistet haben, die Häupter des Staates und des Krieges. Das königliche Patronat breitete diesen Einfluß über die Kirche und die Universitäten aus. Wir finden ihn aber auch in allen andern Zweigen. Der Agent der Geldgeschäfte der Königin war der Stifter der Börse von London, der sie bei einem Besuch den Namen des königlichen Wechselhauses gab. Auch in der Literatur nimmt man die Spuren ihres Geschmacks und ihrer Einwirkung wahr. Es gehörte zum Ton der guten Gesellschaft, daß die Klassiker ein allgemeines Studium bildeten; darauf war die höhere Bildung gerichtet, wie ja die Königin selbst darin Erholung und Geistesnahrung fand. Man übersetzte viel und erneuerte die Formen der alten Dichter oder ahmte sie nach. Die Italiener und Spanier, die mit ähnlichen Versuchen vorangegangen waren, erweckten wieder den Wetteifer der Engländer. Bei Edmund Spenser, in dem wohl der Sinn der Zeit am lebendigsten zutage gekommen ist, stößt man überall auf Nachahmung lateinischer oder italienischer Poeten, die hier und da an umschreibende Übersetzung streift und in Feinheit der Zeichnung hinter den Originalen, selbst den modernen, zurückbleiben mag, da er sich eben ihre gelungensten Stellen dazu auswählte; aber wie atmen seine Werke im großen und ganzen doch einen so durchaus andern Geist! Was bei den Italienern ein Spiel der Phantasie ist, wird bei ihm tiefer moralischer Ernst. Die englische Nation hat einen unschätzbaren Besitz in diesen Werken von sittlich-religiösem Adel und naiver Naturanschauung, die sich durch den glücklichen Ausdruck einzelner Stanzen dem Gedächtnis eines jedes einprägen. Spenser hat der Form der Allegorie mehr Spielraum gegeben, als ihr vielleicht zukommt, und immer verwebt sich die eine in die andre; die Helden, die er aus den alten Romanen entnimmt, werden ihm Repräsentanten der verschiedenen Tugenden; aber er besitzt eine so eigentümliche Kraft der Vergegenwärtigung, daß er dem Leser auch in dieser Form Teilnahme abgewinnt. Was ist es aber, was er hauptsächlich feiert? Es ist eben der große Kampfesgang, in welchem seine Nation gegen das Papsttum und die Spanier begriffen ist. Faery Queen ist seine Königin, deren Gestalt in mannigfaltiger Symbolisierung der Eigenschaften, die sie besaß, oder die man ihr zuschrieb, darin immer aufs neue hervortritt. Mit wunderbarer Macht vereinigte Elisabeth alle strebenden Geister und Kräfte der Nation um sich her.

Nicht wenige Produktionen der Zeit haben einen so starken Beigeschmack von Verehrung der Königin, daß sie ein Lächeln abnötigen, aber wahr ist es doch, daß an diesem Hofe die Sprache sich bildete und alle großen Bestrebungen ihren Mittelpunkt fanden. Die Staatsmänner Elisabeths, die mit einem Parlament verhandeln mußten, das nicht durch bloße Autorität geleitet werden konnte, studierten die Regeln der Beredsamkeit an den Mustern des Altertums und machten sich ihre Lehren zu eigen; auf ihrem Arbeitstischen fand man Quintilian neben den juridischen Akten. Die Königin, welche das Theater liebte und durch eine Verordnung zu einem nationalen Institut machte, hat die Möglichkeit der Entwicklung Shakespeares gegeben. Er wurzelt in dieser Epoche, er stellt ihre Sitte und Lebensweise dar, aber er reicht doch weit über sie hinaus.

Es widerspräche der Natur menschlicher Dinge, wenn man erwarten wollte, daß der allgemeine Gesichtspunkt, welcher das Staatswesen beherrschte, nun auch alle und jede, die an demselben teilnahmen, vermocht hätte, auf einem Wege nach dem gemeinschaftlichen Ziele vorzuschreiten. Von den Großen des Hofes gaben vielmehr manche den Puritanern Rückhalt, wie ja der Vater der Puritaner, Cartwright, seine Stellung in Warwick der Protektion Leicesters verdankte; andre neigten sich zum Schutz der Katholiken. Die Strenge, zu der sich die Bischöfe verpflichtet hielten, fand bei den vornehmsten Staatsmännern Widerstand, und diesen opponierten sich wieder die Kriegsleute. Es war eine lebensvolle, überaus begabte Gesellschaft, aber eben darum in steter Gärung und innerem Widerstand.

Maria Stuart 1, 250 ff.; Prozeß und Hinrichtung 293-308


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