Leopold von Ranke
Geschichtsbilder aus Leopold v. Rankes Werken
Leopold von Ranke

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12. Deutschland nach dem Augsburger Religionsfrieden.

Zur deutschen Geschichte, Werke Bd. 7, S. 25-47.

Ich finde nicht anders, als daß die gereinigte Lehre um die Jahre 1560, 1570 eine entschiedene Übermacht in Deutschland erlangt hatte. Man weiß, wie sie Obersachsen und Niedersachsen sozusagen vollkommen beherrschte, in Franken an den Bistümern einen wahrhaft schwachen Widerstand fand und sich ihnen zum Trotz in ihrem Gebiete festsetzte, wie sie von Adel und Städten in Schwaben von Anfang an willkommen geheißen und angenommen ward. Allein auch in Bayern und Österreich, am Rhein und in Westfalen hatte sie die größten Fortschritte gemacht. In Bayern mußte ihr Herzog Albrecht V. bedeutende Verwilligungen zugestehen: es ist merkwürdig, daß er selber, der späterhin so gut katholisch war, im Jahre 1561 den Predigten des evangelischen Pfarrers Pfauser zu Neuburg freiwillig mit seinem ganzen Hofe beigewohnt hat. Noch um 1570 war, wie der Herzog selbst dem Papst meldete, ein großer Teil des Adels der neuen Meinung so willig zugetan, daß er lieber ohne Sakrament und Gottesdienst leben als zum alten Ritus zurückkehren wollte. In Salzburg forderten 1563 vier GerichteD.h. die Einwohner der Gerichtsbezirke. auf einmal die Erlaubnis des Kelches; der Erzbischof erklärte dem Konzil, keine menschliche Macht würde sie vermögen davon abzustehen. Wie lange erhielten sich hier lutherische Gemeinden im Verborgenen! In Österreich hatte man das Luthertum mit besonderem Eifer ergriffen. Der Adel besuchte die protestantischen Universitäten; in Wittenberg finden wir in kurzer Zeit drei junge Leute aus dem österreichischen Herrenstande nach damaliger Sitte zu dem Rektorat erwählt. Die ersten Jesuitenschulen wurden wieder aufgehoben, weil kein Einheimischer dahin zu bringen war, ihren Unterricht zu benutzen. Von dem Adel eingeführt, von der Regierung geduldet, wenn nicht begünstigt, erfüllten lutherische Prediger beide Österreich und die steiermärkischen Landschaften.

SchwendiSiehe oben S.69. versichert um 1570, der Adel im Reiche sei fast durchgehend sowohl unter katholischer als unter lutherischer Obrigkeit, der geänderten Religion zugetan, wenn ja irgendwo nicht öffentlich, doch gewiß insgeheim. Die Domherren, fügt er hinzu, seien entweder des nämlichen Glaubens oder kalt und gleichgültig; man erhalte kein Kloster länger, man stifte keine Messe mehr. Jener Bericht des Herzogs von Bayern kann den Zustand der Geistlichkeit nicht verfallen genug schildern. Wer hätte da das Volk etwa wider seinen Willen bei dem alten Glauben zurückzuhalten vermocht! Der gemeine Mann wollte von diesen Zeremonien nichts mehr wissen; er verließ die Kirche, sobald die Predigt aus war; konnte er diese nicht nach seiner Neigung haben, so las er zu Hause evangelische Predigten oder hörte deren von seinesgleichen an. Eben darum fand man keine Leute mehr für die Klöster. Lehren wie vom Fegefeuer konnte man nicht mehr durchbringen, Funktionen wie die Wallfahrten nicht länger in Übung erhalten. Und selbst unter den Gewalthabern, die noch katholisch geblieben, war die Ehrfurcht vor Rom vollkommen verfallen. Wie oft spottete selbst König Ferdinand über die Kurie und ihre vergeblichen Reformen!

Auf diesem entschiedenen Übergewicht der Unkatholischen beruhte der damalige Zustand von Deutschland, seine politische Haltung und sein innerer Friede. Keineswegs war es so geradehin, so durchaus wie nachher, in ein katholisches und ein protestantisches zerfallen; beide Teile wohnten untereinander, durcheinander. Von dem wilden Sektenhaß, welcher späterhin entbrannte, war man damals weit entfernt. Selbst die geistlichen Fürsten dachten nicht daran, ihre Untertanen um der Religion willen zu bedrängen; die entschiedensten Evangelischen haben die friedliebenden und wohlmeinenden Erklärungen derselben von 1562 nur zu rühmen gewußt. Ihr Verfahren war lange Zeit diesen Erklärungen gemäß. Natürlich, unter ihren Räten und Kanzlern war vielleicht ein einziger katholisch, die übrigen waren Protestanten und zuweilen sogar heftige Protestanten.Relation von Commendone, der (als päpstlicher Nuntius in Wien) 1561 auf dem protestantischen Fürstentage zu Naumburg erschien. R. Wie im Reiche überhaupt, so führte sich allenthalben, wo nicht der Protestantismus gesetzlich geworden war, in Landschaften, Städten und Häusern eine ungebotene, naturgemäße praktische Duldung ein.

Und hier darf ich mir wohl erlauben, noch einige andere Punkte zu berühren.

Es ist eine verbreitete Meinung, die geistige Entwicklung der Deutschen in Literatur und Poesie sei durch die Reformation aufgehalten worden. Allein, war es nicht die kirchliche Bewegung, welche dem Meistergesange, dessen etwas langweilige Formen schon lange an die Stelle der alten Poesie getreten waren, erst seinen Inhalt gab? Der begeisterte Ausdruck des religiösen Gefühls und Tiefsinnes unserer Nation in dem protestantischen Kirchenliede, wäre er für nichts zu achten? Sinnesweise und Weltansicht des deutschen Bürgerstandes spricht Meister Hans Sachs ehrlich und anmutig, künstlich und belehrend aus; niemals hatte er wieder seinesgleichen, er gilt in seiner Art für alle Zeiten. Die Poesie der Rollenhagen und Fischart hat die ganze Kraft, Einfachheit, Wärme und Wahrheit des deutschen Geistes. Man verkenne nicht das Verdienst der Chroniken des 16.Jahrhunderts; sie haben Studium, Vaterlandsliebe und den Ausdruck einer treuherzigen, mannhaften Biederkeit, wie sie in Leben und Lehre so erwünscht und förderlich ist.

Es lebte noch ungeirrt der alte, in seinem Grunde schaffende, ewig hervorbringende Geist der Nation. Jene tiefsinnigen Fabeln, von Faust oder dem ewigen Juden, und wieder wie viele schöne und zartgedachte Volkslieder verdanken ohne Zweifel ihre Entstehung keinem andern als diesem Jahrhundert. Sollte auch der Genius der Nation, der aus eigenem Antriebe, mit großem und allgemeinem Schwunge, reinere und tiefere Religion wieder erweckt hatte, damit sich selber entgegengetreten sein? Die Werte dieser Zeit ermangeln allerdings der Schönheit der Form, die nur aus selbstbewußter Beschränkung der eigenen Fülle hervorgeht; sie sind mehr künstlich, tiefsinnig und mannigfaltig als eigentlich wohlgestaltet. Welche andere unserer Epochen aber hätte so großes Recht, jene darüber zu tadeln? Oder hätten wir es? Der Vorzüge sinnreicher Vertraulichkeit wenigstens ermangeln wir überdies.

Der lebendige Geist des damaligen Deutschland, gesund und noch sein eigen, schien nur den Augenblick zu erwarten, wo die theologischen Streitigkeiten sich beruhigen würden, um seine Kräfte auf allen großen Bahnen zu versuchen, die dem Menschen ehrenvoll und rühmlich sind. Auch hat man wohl behauptet, mit dem Handel und Wohlstand der deutschen Städte sei es gegen die Mitte des 16.Jahrhunderts schon durch die Einwirkung neuentdeckter Handelswege ziemlich am Ende gewesen. Ich kann dies so im ganzen nicht finden. Wenigstens venetianische Gesandte sehen so gut nach wie vor dem schmalkaldischen Kriege eine Hauptstärke von Deutschland in den Städten. BadoerGesandter Venedigs bei Karl V. 1356; s. Ranke S.11 Anm. u. S.28. findet sie an wohlgelegenen Stellen erbaut, mit schönen Stadthäusern und Palästen, mit vielen und großen Kirchen ausgestattet, denen selbst der Vorzug vor den italienischen gebühre, reinlich gehalten, bewohnt von wohlhabenden Privatleuten und den geschicktesten Handwerkern der Welt, gut bewaffnet und eifersüchtig auf ihre Freiheit.

Ihm zufolge waren die Seestädte noch keineswegs in Verfall. Den Städten Hamburg, Lübeck, Rostock, Danzig, Riga schreibt er einer jeden 100-150 eigene Schiffe zu. Danzig war vielleicht der zweite oder dritte Handelsplatz der Welt; hier trafen beide Wege zum Orient, der alte russische Landweg und der Seeweg der Portugiesen, wieder zusammen; der europäische Osten und Westen hatten hier ihren großen Austausch, häufig sah man 4-500 Schiffe auf der Reede.Bericht des venetianischen Gesandten am polnischen Hofe, Lippomanie, 1575.R. Noch war der Verkehr im Norden nicht verloren. In dem dänischen Reiche bestätigte der odenseeische Vertrag noch 1560 die Hanse in ihren althergebrachten Freiheiten als die meistbegünstigten Fremden; sie blieben die Herren des Handels auf Schonen, sie hatten den Heringsfang an der norwegischen Küste, der so viel eintrug. In Schweden hatten sie zwar ihre großen Freiheiten, doch lange noch nicht Zutritt und Handelschaft verloren. Dem König zum Trotz eröffneten sie die Fahrt nach Narwa, um mit Rußland unvermittelt in Verbindung zu bleiben.

Ihre wichtigste Station war jedoch noch immer London. Das Privilegium, dessen sie genossen, war so wirksam, daß sie im Jahre 1551 44000 Stück Tuch aus England ausgeführt haben, während die Engländer auf eigenen Schiffen nur 1100 verluden. Die Verbindung Karls V. mit England und die Geschicklichkeit seines Gesandten Hans von WerdenBürgermeister von Danzig, 1553 Mitglied der Hansischen Gesandtschaft, die zugleich im Auftrage des Kaisers nach England ging; s. Inventare Hansischer Archive, herausgegeben von Höhlbaum, Bd.1 (1896), S.56, 64, 362, 367. erhielt sie trotz aller Widersprüche bei ihren hergebrachten Rechten; 1554 verluden sie wieder 30 000 Stück Tuch, wobei sie, wie leicht zu erachten, einen außerordentlichen Vorteil hatten. Aber freilich machte solches Übergewicht, zumal da man nicht immer streng bei den Gesetzen blieb. eine Rückwirkung von England her unvermeidlich, und es kam alles darauf an, einer solchen mit Vernunft und Nachdruck zu begegnen.

Der Zwischenhandel zwischen England und den Niederlanden war noch großenteils in den Händen der Hansen. Die Privilegien der brabantischen Herzoge bestätigte ihnen 1561 Philipp II.; in Antwerpen, dem vornehmsten Sitze des damaligen Welthandels, bauten sie ein neues, prächtiges Residenzhaus. In Frankreich wuchs ihr Gewerbe dergestalt an, daß sie erst damals sich entschlossen, einen beständigen Residenten daselbst zu halten. In großen Gesellschaften unternahmen sie die Fahrt nach Lissabon. Hier sowie in Flandern, in Frankreich und in dem gesamten Westen trafen sie mit den oberdeutschen Landstädten zusammen, die nicht minder in großer Blüte standen.

Rhein und Main waren durch den Verkehr Nürnbergs mit Antwerpen belebt. Die Weltstellung Nürnbergs ist, daß es sozusagen an die Stelle der so oft in Vorschlag gebrachten Wasserverbindung zwischen Rhein und Donau trat. Man hat berechnet, daß die Waren vom Ausfluß des Rheins bis zum Ausfluß der Donau über Nürnberg nur vierzig Stunden Weges zu Lande zu machen hätten. Doch begnügte man sich hier nicht etwa mit reinem Zwischenhandel; schlesische Leinwand, italienische Seide, englische Tuche bearbeitete man erst, ehe sie weiter vertrieben wurden. Man kennt die Mannigfaltigkeit des der Kunst nahe verwandten Handwerks, das von allen Seiten der Welt sich hierher zog und seine Erzeugnisse von hier in alle Welt aussandte. Im Jahre 1544 befand sich einer von unsern Venetianern hier; dieser einsichtige Republikaner kann den Nürnbergern seine Bewunderung nicht versagen. Er rühmt, wie sparsam sie in ihren Häusern leben, wie sie sich nicht allzu prächtig in Seide und kostbares Pelzwerk kleiden, ihre Feste mit Mäßigkeit begehen; wie sie dann, da sie in der Fremde und zu Hause immerfort gewinnen, täglich reicher werden. In demselben Sinne werde die Stadt verwaltet: man könne rechnen, daß sie jährlich bei drei Viertel ihrer Einkünfte erspare; sie müsse einen Schatz von fünfzehn Millionen Gulden haben. Wenn Nürnberg die Tochter von Venedig sei, so habe es die Mutter hierin weit übertroffen. Dabei spare man nicht bei dem Notwendigen; ohne Rücksicht auf die Kosten befestige man die Stadt und rüste sie aus; er habe daselbst bei dreihundert Stück Geschütz, in den Kornhäusern für mehr als zwei Jahre Getreide gefunden; das Volk sei den herrschenden Geschlechtern mehr als irgendwo anders gehorsam. Freilich hatten sich auch diese noch nicht als Adel abgesondert; sie trieben den Handel wie ihre Väter und Mitbürger. Ihr einheimischer Poet findet daß ihnen Weisheit, Gerechtigkeit und Gewalt zur Seite stehe.

Nicht minder blühte Augsburg. Die Kosten des schmalkaldischen Krieges hat man auf drei Millionen Gulden berechnet, doch ist es wohl ein Irrtum, daß die Stadt seitdem sich nie wieder habe erholen können. Im Jahre 1557 rechnet es Badoer unter die blühendsten Städte. Es habe die reichsten Wechsler der Welt, die Fugger, Welser, Baumgartner, deren Geschäft sich auf viele Hunderttausende auf einmal belaufe. Im Jahre 1560 findet es Guicciardini die reichste und mächtigste deutsche Stadt. Wie prächtig, mit wie reichen Geschenken empfing man 1566 Kaiser Maximilian und seine Gemahlin. Erst 1567 versah sich der Rat mit kostbarem Silbergeschirr, prächtigen Schüsseln und Pokalen, worin damals vor allem der deutsche Luxus bestand, um hohe Gäste würdig zu empfangen. Mit großem Behagen verweilt unser Kosmograph MünsterSebastian Münster, geboren 1489 zu Ingelheim, 1536 Professor in Basel, gestorben 1552, gab 1544 seine Kosmographie, eine umfassende Erdbeschreibung, heraus. bei Augsburg. Er weiß nicht genug zu sagen, mit welcher Billigkeit die Obrigkeit der Gemeine vorstehe, wie glückhaft und tugendlich die Bürger sowohl untereinander leben als ihren Handel in die Fremde treiben »bis in die weitesten Länder, gegen den vier Winden der Welt gelegen«, wie ehrlich sie ihre Kinder auferziehen, wie ein jeder in Schmuck und Zierat seines Hauses mit den andern wetteifere, wie prächtig, kostbar und wohleingerichtet ihre Lebensart und Sitte sei. Der Lustgarten der FuggerRaimund und Anton Fugger, beide 1530 von Karl V. in den Reichsgrafenstand erhoben. übertraf den Park zu Blois, in dem Herwartischen Garten blühte 1559 die erste Tulpe des Occidents.

Diese oberländischen Städte hatten im Auslande ähnliche Privilegien wie die Hanse. In Frankreich erneute sie ihnen Franz I. und Heinrich II.; sie wurden, ganz wie die Schweizer, die mit Frankreich in so engem Bunde standen, nur zu den alten gewohnten Auflagen verpflichtet und von allen neuen freigesprochen. Für die Messe von Lyon erhielten sie besondere Gerechtigkeiten. Die Parlamente zu Paris und Rouen, in der Bourgogne und der Dauphiné; haben die Freibriefe registriert; Karl IX. hat sie noch 1566 bestätigt. Für diesen Verkehr war Lindau von allen westlichen Plätzen, soviel ich weiß, der wichtigste. Der Warenzug zwischen Danzig und Genua, zwischen Nürnberg und Lyon ging über Lindau: unser Kosmograph nennt es das deutsche Venedig. In Wien hatten Italien, das Wein und Seidenwaren, und Ungarn, welches Vieh und Häute sendete, ihren Verkehr mit den deutschen Donauländern, mit Polen und Böhmen; die Straße von Wien nach Lyon ging über Lindau. Die Frankfurter Messe kam empor; Italiener und Ungarn, Engländer und Franzosen, Polen und Russen fanden sich daselbst ein; da erkennt, sagt Scaliger,Joseph Justus Scaliger, aus der italienischen Familie della Scala, 1540 in Frankreich geboren, 1593 Professor in Leiden, gestorben 1609. Occident und Orient seine Landesprodukte wieder, auch sammelt man ewigdauernde Schätze für den Geist.

Diese großen Plätze hatten eine bedeutende Wirkung auf das ganze innere Deutschland. Wie sehr blühte z.B. die Altmark: Stendal, das allein 7-800 Tuchmacher zählte, das kleine Gardelegen, das im Jahre 1547 700 Soldaten werben konnte; man führte den Hopfen in viel tausend Wispeln aus; der Durchgang des Herings brachte einen sehr bedeutenden Vorteil; man war, ein seltener Fall, reich zu Berlin. Das Salz, das von Lüneburg, das Korn, das von Magdeburg verschifft ward, erhielt diese Städte in großer Aufnahme. Magdeburg war reich genug, Kaiser Karl gegenüber eine Besatzung zu halten, welche bei vier Millionen Gulden gekostet hat. Man machte Saale und Spree schiffbar.

In Schwaben betrieb man das Gewerbe bereits nicht ohne Kalkül und in Kompagnieen. Männer und Frauen beschäftigte das Spinnen und Weben der Leinwand; in Ulm verkaufte man jährlich 100 000 Stück Golsch und Barchent. Die Italiener berechnen, daß zu diesem Barchent doch auch Baumwolle gebraucht werde, die man von ihnen hole, so daß der Vorteil nicht ganz auf deutscher Seite sei. Wenn es sich ja so verhielt, selbst wenn, wie sie behaupten, die Bilanz im ganzen zum Nachteil der Deutschen ausfiel, so war dies damals eher zu ertragen. Vielleicht sind die deutschen Erzgruben niemals ergiebiger gewesen.

Man kennt jene Sage, die sich an so mancher Stelle wiederholt, von dem Alten, der da tief drinnen in den Bergen hinter eisernen Türen reiche Schätze hüte. Ihre Bedeutung, leicht ist sie zu erraten, hatte damals an vielen Orten eine glänzendere Erfüllung als man jemals hätte erwarten können, vor allem im Erzgebirge. Zwar wollen wir nicht die ungeheuren und unglaublichen Angaben der Chronika CarionisVon dem Astronomen Joh. Carion (†1537) unter Mitwirkung Melanchthons als Leitfaden der Weltgeschichte verfaßt, von Melanchthon in erweiterter lateinischer Bearbeitung 1558 herausgegeben. über die Schneeberger Ausbeute wiederholen, so viel Mühe sich auch der gute AibinusVerfasser einer Meißnischen Bergchronik. gegeben, sie wahrscheinlich zu machen; allein außerordentlich war sie doch, wie schon ihr Ruf bezeugt. Die Register, obwohl unvollständig, ergeben in den ersten 79 Jahren, bis 1550, bei zwei Millionen Güldengroschen, das ist gegen drei Millionen Taler, die unter die Gewerke verteilt worden. In Annaberg hat man zwischen 1500 und 1600 über vierthalb Millionen Güldengroschen, das ist über fünf Millionen Taler, in Freiberg jährlich lange Zeit 50-60 000 Güldengroschen, zusammen in 71 Jahren über vier Millionen Taler, in Marienberg endlich – wir haben von allen diesen Orten die genauen VerzeichnisseRanke zitiert Gmelin, Beiträge zur Gesch. des deutschen Bergbaues. Halle 1783. – zwischen 1520 und 1564 über zwei Millionen Güldengroschen ausgeteilt. Die stärkste Ausbeute, Trinitatis 1540, ward durch ein Lied gefeiert, welches uns erhalten ist. Nun sind dies nur die bedeutendsten Werke, neben denen noch andere blühten; von jener Summe sind alle Berg- und Hüttenkosten bereits abgezogen; der Zehnte und Schlagschatz des Landesherrn, der sehr bedeutend, ist dabei nicht gerechnet; viele Zechen baute man frei. Gewiß ist der Ertrag der sächsischen Bergwerke in diesem Jahrhundert auf 30-40 Millionen Taler gestiegen. Unser Venetianer behauptet, man habe in Dresden täglich 3000 Taler geschlagen, was dann im Jahr eine Million betragen haben würde.

Nicht minder reich waren einige österreichische Landschaften. Auch was JoachimsthalIm böhmischen Teil des Erzgebirges. eingebracht, ist von Bergmeister zu Bergmeister genau verzeichnet. Zwischen 1516 und 1560 hat man daselbst über vier Millionen Taler reinen Überschuß ausgeteilt; der Fundgrübner Martin Heidler hat ganz allein mit seiner Frau 100 000 Gulden Ausbeute gehoben. Erst im Jahre 1525 hat man im Lebertale zu bauen angefangen; es waren bereits über 30 Silbergruben im Gange, welche das Jahr niemals unter 6500 Mark Silber geliefert haben, als man zu Bachofen und S. Wilhelm überdies auf gediegene Silberstufen stieß. Unerschöpflich zeigte sich Schwatz;In Tirol. »da haut und schmilzt man,« sagt Münster, »ein unsäglich Gut für und für, Tag und Nacht«. Die Einkünfte Ferdinands aus diesem Bergwerk werden jährlich auf 250 000 Gulden, angeschlagen; in der Tat hat es zwischen 1526 und 1564 über zwei Millionen Mark Brandsilber, das ist über zwanzig Millionen Gulden, ertragen.Nach Gmelin. Indessen aber gingen auch die alten Gruben nicht ein. An dem Rammelsberge ließ schon Herzog Heinrich der Jüngere,Von Braunschweig-Wolfenbüttel; vgl. Deutsche Geschichte 5, 80. 199 ff. ein guter Bergmann, fleißig arbeiten. Wo er aufgehört, an dem Goslarischen Stollen, setzte es Herzog Julius mit noch größerem Eifer fort; er brachte seinen jährlichen Überschuß auf 20 000 Taler höher als sein Vater.

Faßt man dieses alles zusammen, erinnert man sich, wie vieler anderer Silbergruben Matthesius nur allein in Böhmen erwähnt, daß z.B. bei Budweis in sieben Jahren über 23 000 Mark brachen, daß RöhrbüchelIn Oberösterreich. im Jahre 1552 über 22 000 Mark lieferte, daß RaurisIm Salzburger Gebiet, gleichwie Gastein. und Gastein »mit Gewalt Gott schütteten«, und unzählige andere Werke im Gange waren, so möchte man sagen dürfen, daß Deutschland die Masse der im Weltverkehr befindlichen edlen Metalle in diesem Jahrhundert um nicht viel minder vermehrt habe als Amerika, dessen Ertrag, wie wir wissen, sich anfangs lange nicht so hoch belief als man hat glauben wollen, in den ersten fünfzig Jahren nach der Entdeckung.

Allein es war nicht bloß um das Silber. An die bergmännischen Beschäftigungen, die in ihrer abgeschiedenen, besonderen Freiheit und Art auch an und für sich etwas bedeuten, knüpfte sich das mannigfaltige Handwerk an. Wie jener Herzog Julius, »ein rechter Vater aller Handwerksleute«, das Eisenwerk zu Gittelde, die Messinghütten zu Buntheim ihnen zum Nutzen in gutem Stande zu erhalten wußte. Die Waffenschmieden von Suhl versorgten bereits Deutschland und Welschland, Ungarn und Polen. Wie reich an neuen Erfindungen oder Erweiterungen der alten ist diese Periode; von der feinen Handarbeit des SpitzenklöppelnsBarbara Uttmann in Annaberg, gestorben 1553. auf der einen Seite bis zu den gewaltigen Maschinen des Bergbaues auf der andern, oder den künstlichen Uhrwerken, den sinnreich erdachten Himmelskugeln, jenen Kompassen, die unser Georg HartmannUm 1543 in Nürnberg; s.o.;S.81. mit soviel Beobachtung verfertigte, daß er dabei die Deklination der Magnetnadel entdeckte. Unmittelbar befinden wir uns wieder bei den großen geistigen Interessen.

Es war eine allgemeine, nach dem Neuen suchende, das Element bezwingende kunstfertige Regsamkeit, welche mit dem geistigen Übergewicht, das man überhaupt in der Welt noch hatte, zusammenhing. Da hatte sich denn, wie man auch in Münsters Beschreibung wahrnimmt, über den ganzen Boden hin Behagen und Wohlhabenheit ausgebreitet. Wir sehen bei ihm, wie sich der Landertrag nach den Städten hin sammelte, etwa der Kornhandel nach Schweinfurt oder Überlingen, wie 200 Städte, Flecken und Dörfer zu Markte nach Worms gingen, wie man das Getreide des Elsaß in alle Länder umher und auch durch Churwalen hinauf in die italienischen Grenzen führte, wie die Kastanien durch Thüringer Fuhrleute nach dem Norden oder flußabwärts nach England gebracht wurden, auch der Wein von Weißenburg in Brabant und Niederland seinen Markt fand. Mit Vergnügen folgen wir dieser Beschreibung. Von dem Gebirge herab, dessen heilende Kräuter sie namhaft macht, führt sie uns die Flüsse entlang durch die Landschaften von unzähligen Dörfern und wohlgelegenen Schlössern erfüllt, mit Buchen und Eichen umzäunt, nach den Bergen, wo der Wein kocht, nach der Ebene, wo die Kornähren so hoch wachsen, daß sie dem Reiter auf den Kopf reichen, zu den gesunden Brunnen, den heißen Quellen; sie eröffnet uns Deutschland wie eine Sommerlandschaft mit den bunten Streifen ihrer Feldfrüchte, über und über von geschäftigen Händen angebaut und, was mehr ist, von einem treuherzigen, in seinen Sitten und dem Ruhme alter Tugend verharrenden tapferen Volke bewohnt.

*

Soviel ist einleuchtend, daß, um an die Möglichkeit einer Erhaltung der Einheit Deutschlands in diesem Zeitraum denken zu können, nicht gerade notwendig ist, eine andere Entwicklung der Reformation vorauszusetzen. Nach alle den Stürmen, welche dieselbe begleitet haben, sehen wir doch die Nation gewerbtätig und mächtig, blühend und groß, von ihren Fürsten in Eintracht zusammengehalten, gegen auswärtigen Einfluß eifersüchtig und abgeschlossen. Sie in diesem Zustand zu erhalten, zu befestigen, darauf kam alles an. In jeder Gesundheit liegt eine Möglichkeit der Krankheit, die Möglichkeit des Verfalles in jeder Größe und allem Bestehen, in jeder Vereinigung die Möglichkeit der Trennung. Dadurch unterscheidet sich der vorausdenkende Staatsmann von dem schwatzenden Pöbel oder der Leidenschaft der Partei, daß er die Elemente der Gefahr von ferne erkennt und ihnen vorzubauen versucht. Leugnen wir nicht, daß diese Elemente in dem damaligen Zustand der deutschen Nation besonders stark waren. Durch das glückliche Zusammentreffen von Umständen, die ihnen eine andere Richtung gaben, nur eben noch gehindert uns ganz zu verderben, waren sie nicht einmal völlig beschwichtigt worden, geschweige denn eigentlich beruhigt.

Man mußte in den Jahren des inneren Friedens sorgfältig Bedacht nehmen, ihrem Ausbruche vorzubeugen. Die größte Gefahr war unfehlbar da, wo die geistlichen und weltlichen Interessen einander berührten, in den Verhältnissen der deutschen Kirche. Sie war von dem Protestantismus wenigstens in einem Teile ihrer Grundlagen angegriffen und während der Unruhen, als die Gewalt nicht selten statt des Rechtes galt, beleidigt und beeinträchtigt worden. Und doch beruhte die Verfassung des Reiches, in dessen beiden vornehmsten Räten, dem kurfürstlichen und dem fürstlichen, so viele geistliche Mitglieder saßen, wesentlich auf der Kirche. Die geistlichen Amtshandlungen der deutschen Bischöfe und Erzbischöfe wollten wenig sagen; mit der Seelsorge hatten sie soviel wie nichts zu tun, auch an der Regierung der allgemeinen Kirche nahmen sie geringen Anteil; sie waren deutsche Fürsten mit derselben Autonomie wie die andern, und wenigstens während des 14. und 15. Jahrhunderts haben sie sich vielleicht von allem am meisten um die allgemeinen Reichsangelegenheiten bekümmert; in diesen werden sie genannt, damit waren sie beschäftigt. Freilich gab es da oft seltsame Widersprüche zwischen dem geistlichen Titel und der weltlichen Amtsführung; aber was half es, darüber nun immer wieder einen leicht zu findenden Spott zu ergießen? Es war nun einmal so. Dazu kam noch ein andrer bedeutender Umstand. Wie oft haben protestantische Grafen und Herren wiederholt, daß Stifte und Erzstifte vornehmlich zwar zur Ehre Gottes, dann aber auch zur Erhaltung fürstlicher, gräflicher und adliger Häuser gegründet und von Kaisern, Königen, Fürsten und Herren milder Gedächtnis reichlich begabt seien; wie oft haben sie ausgeführt, das Fortbestehen ihrer Geschlechter knüpfe sich hieran. Es läßt sich schwerlich leugnen, daß diese Rücksicht bei der Stiftung mitgewirkt habe; zuletzt war sie überwiegend geworden. Die Stifter waren das Erbteil der jüngeren Söhne aus fürstlichen und adligen Häusern; sie kamen ihnen zugute, insofern sie darauf verzichten wollten, selber eine Familie zu gründen. Den erblichen Fürstentümern der ältesten setzten sich diese Wahlfürstentümer der jüngeren Söhne zur Seite. Weltliche Austeilung und weltliche Bestimmung hielten einander die Wage.

Wie konnte man nun wissen, daß man da, wo der Protestantismus nicht mehr insgeheim – denn das war, wie wir sahen, ziemlich allenthalben der Fall – sondern öffentlich die Oberhand behauptet hatte, um jenes »geistlichen Vorbehaltes« willen seinen Anteil an den geistlichen Benefizien und die Wirksamkeit in Reichsgeschäften, die damit verbunden war, ruhig aufgeben würde? Trotz den Bestimmungen des Religionsfriedens finden wir gar bald im ganzen nördlichen Deutschland protestantische geistliche Fürsten, welche ihre Reichsstandschaft keineswegs aufgaben, in Magdeburg, Bremen, Lübeck, Minden, Halberstadt; der Äbtissin von Quedlinburg, die eben auch evangelisch war, kostete es weniger Mühe, von dem Legaten des Papstes bestätigt zu werden als von Kursachsen. Den Religionsfrieden glaubte man nicht zu verletzen. Man behauptete, er verbiete nur, daß ein schon eingesetzter Prälat von der katholischen Kirche zur protestantischen übergehe; die Absicht sei nur gewesen, den Zwiespalt, der etwa zwischen einem altgläubigen Kapitel und einem zur neuen Lehre übergetretenen Bischöfe entstehen müsse, zu verhüten; allein mit nichten verbiete er einem bereits evangelischen Kapitel sich auch einen evangelischen Bischof zu wählen.Der Wortlaut des geistlichen Vorbehalts ist in der Deutschen Geschichte 5, 276 angeführt: »Wo der Geistlichen einer von der alten Religion abtreten würde, soll derselbig sein Erzbisthum, Bisthum u.s.w. alsobald verlassen, ... auch den Capituln ... eine Person der alten Religion zu wählen und zu ordnen zugelassen sein«. Es scheint, als seien die Kaiser dieser Meinung gewesen; sie erkannten die Landeshoheit evangelischer Bischöfe oder Administratoren an und duldeten ihre Reichsstandschaft. Hätte die Bestätigung der Bischöfe allein bei dem Kaiser gestanden, so wäre alles getan gewesen, aber nach dem Gesetz stand sie auch dem Papste zu: in diesem Verhältnisse lag die Schwierigkeit. Man hatte das Glück, einen alten Gebrauch in Übung zu finden, dessen man sich unter den neuen Umständen mit Vorteil bedienen konnte; ich meine die kaiserlichen Indulte. Unter dem Vorwande, man habe das Geld, das für die römischen Gebühren erfordert werde, nicht sogleich zur Hand, bat man um vorläufige Verleihung der Regalien auf ein paar Jahre. Indessen leisteten die Untertanen den Eid, man setzte sich fest, man suchte die Bestätigung in Rom. Erlangte man sie auch nicht, so blieb man im Amte und wußte sich eine Verlängerung des Indults zu verschaffen. Auf diese Weise verletzte man das Gesetz nicht, aber man umging es.

Eben darum sind die Gesetze ein menschliches, nicht ein göttliches Institut, damit sie, sobald es notwendig geworden, sobald das Leben einen andern Gang genommen hat, demgemäß verändert werden können. Wenn man die Sache so gehen ließ, so war auf der einen Seite das Umsichgreifen ungesetzlicher Zustände nicht zu vermeiden, auf der anderen mußte die katholische Gegenpartei sich immerfort für beleidigt und gefährdet halten, der Friede konnte niemals völlig sicher sein. Vielleicht scheint es verwegen, wenn man, nachdem Jahrhunderte vorübergegangen sind, nachdem die lebendigen Kräfte in gewaltigem Widerstreit sich auseinandergesetzt haben, noch immer Möglichkeiten berechnen will. Allein wie wir verschiedene Wege vor uns haben, so auch jene Zeitgenossen. Wenn man das Verderben kommen sieht, welches gekommen ist, so kann man sich, nicht als hätte man die Anmaßung, etwas besser zu wissen, sondern aus jener Vaterlandsliebe, welche Gegenwart und Vergangenheit umfaßt, schwerlich enthalten zu fragen, wie dem Übel vielleicht zuvorzukommen war.

Sollte es bei der Opposition, in welcher das Reich zu dem Papste stand, so schwer gewesen sein, die deutsche Kirche von dem Einflusse der Kurie völliger abzulösen? War man verbunden, die Beschlüsse des tridentinischen Konziliums, durch welche Eide und Verpflichtungen der Prälaten gegen den Papst so sehr geschärft wurden, in Deutschland anzunehmen? Oder gab es eine Möglichkeit, eine deutsche Kirche zu erhalten, in der das weltliche Element, wie es wesentlich überwog, auch der Form nach das bedeutendere geworden wäre? Konnte man nicht den Besitz dieser Wahlfürstentümer, die so wenig geistliche Pflichten hatten, von dem Bekenntnis gewisser Formeln unabhängig machen? Es ist dies die große Frage der Freistellung, welche Deutschland vom Religionsfrieden bis zum dreißigjährigen Kriege fortwährend in Bewegung gehalten hat. Nicht als hätte man hiermit den Protestantismus schlechthin zur herrschenden Religion machen wollen. Man wollte nur den Besitz der Wahlfürstentümer von dem Bekenntnis, die Reichsstandschaft, die mit ihnen verknüpft war, von dem Verhältnis zur Kurie absondern. Es wäre darum nicht notwendig gewesen, die Güter der Kirche geradehin für Pfründen zu erklären oder ihrer geistlichen Bestimmung völlig zu entfremden. Jene Grafen und Herren, welche so oft geltend machten, daß diese Güter auch zur Erhaltung ihrer Familien gestiftet seien, gingen nicht bis zu einem solchen Anspruch fort. Einmal drangen sie, vernehmlich seit dem tridentinischen Konzil, nur auf eine Milderung der Statuten, auf Nachlaß der neugeschärften Eide und Pflichten; dieser erledigt, versprachen sie sogar eine strengere Disziplin einzuführen. Aber die Hauptsache war, daß man der geistlichen Bestimmung der Kirchengüter nur eine andere Richtung zu geben dachte. Man erbot sich, sie ritterlich wider die Türken zu verdienen, wie die Güter der alten Ritterorden ihnen zum Kampfe gegen die Ungläubigen gewährt worden, wie diesen Rittern in Spanien sogar die Ehe gestattet worden sei. Auf mehr als einer Versammlung, auf mehr als einem Reichstage sind hierauf die bestimmtesten Anträge gemacht, es sind einige dahin zielende Einleitungen getroffen worden.Verhandlungen der Reichstage von 1576, 1582, 1594, 1597; Werke Bd. 7 S. 90, 112 ff., 134, 143.

In diesem Punkte trafen die beiden großen Aufgaben der Nation zusammen. Noch lebte Suleiman, der Eroberer von Ungarn, der schon einmal in Deutschland eingebrochen und, wider alle Wahrscheinlichkeit, durch die schwachen Bollwerke von Wien abgehalten worden war. Noch öfter sollte er seine Hunderttausende heranwälzen, immer wieder in der Absicht, die deutschen Landschaften und den ganzen Westen dem Hufschlag osmanischer Rosse zu unterwerfen. Geziemte es einer großen Nation, diese ununterbrochene, auf ihre Vernichtung berechnete Feindseligkeit so hinzunehmen, immer zu warten, bis man sie anfiele, niemals auch ihrerseits freiwillig zum Schwerte zu greifen? Wenn die Deutschen sich verstanden, so begnügten sie sich, das Christentum, von Menschensatzung gereinigt, das unvermittelte Verhältnis, in welchem der Mensch zu der Gottheit und ihren ewigen Gedanken steht, aus der Verdunklung so vieler Jahrhunderte wieder zur Anschauung gebracht zu haben. Es war nicht vonnöten, daß sie sich wieder in dialektische Formeln verloren, um das kaum entdeckte Gold wieder zu verbauen. Allein unerläßlich war es, die Entzweiungen vollends beizulegen, in die man hierbei verfallen war, der Verfassung eine Gestalt zu geben, bei der man für den Augenblick bestehen konnte, und das Leben Freiheit hatte sich zu entwickeln; dann zu dem großen Unternehmen zu greifen und den Feind, der an der Pforte des Landes lag, mit gesamter Hand abzuwehren.

Welch eine Aussicht! Man bemerke wohl, daß das türkische Reich, welches ebensogut eine religiöse als politische Institution ist, damals allerdings mächtiger, größer, drohender nach außen war als jemals, aber seine Untertanen noch lange nicht in dem Maße zum Muhamedanismus bekehrt hatte, wie das später geschehen ist. Es bedurfte eines glücklichen großen Schlages, und Bosnien so gut wie Ungarn, Albanien so gut wie Griechenland war dem Christentum zurückgegeben. Dann hätte Deutschland, dessen Kaiser Ungarn beherrschte und auf alle alten Pertinenzien desselben Anspruch oder Recht hatte, das vorwaltende Ansehen im östlichen Europa auf immer erwerben und diese Länder mit dem Überfluß seiner Bewohner erfüllen können. Betrachtet man, wie schwach die folgenden Großherren, wie reißend schnell eine Zeitlang der Verfall der inneren Institutionen ihres Staates,Siehe »Fürsten und Völker von Südeuropa«, Werke Bd. 35 S. 22 ff. wie gewaltig dagegen die Kriegsmacht von Deutschland war, so sollte es scheinen, als wäre dies nicht unausführbar gewesen. Allein man mußte es wollen. Man mußte die Interessen der wichtigsten Reichsfürsten dahin richten, den Adel dazu vereinigen, die ganze Nation dazu anstrengen. Es mußte als ein allgemeines nationales Werk alle Kräfte aufrufen. Dann würde die Spaltung, es ist kein Zweifel, schon an sich unmerklicher und unschädlicher geworden sein.

Man glaube nicht, eine Nation sei damit in Frieden zu setzen, daß man ihr Ruhe predigt, daß man die Elemente der Bewegung ableugnet oder gewaltsam niederhält. Man muß sie vielmehr in die rechte Bahn zu leiten suchen. Nicht zur Ruhe allein, nicht zu trägem Verdumpfen ist eine Nation bestimmt; erst in der Tätigkeit wachsen die menschlichen Kräfte, freier Regsamkeit bedürfen sie. Will man nicht, daß die Bewegung eine verderbliche Richtung einschlage, daß die Nation in sich selber zerfalle und sich zerfleische, so muß man ihre wahren Bedürfnisse ins Auge fassen und zu befriedigen suchen; man muß ihr das Selbstgefühl gesetzlicher Ordnung geben und eine große Zukunft eröffnen.


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