Leopold von Ranke
Geschichtsbilder aus Leopold v. Rankes Werken
Leopold von Ranke

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47. Der Rückzug aus Frankreich 1792.

Ursprung und Beginn der Revolutionskriege, Werke Bd. 45 S, 232-247.

Der Gedanke des vielgewandten Dumouriez war dahin gegangen: indem die Verbündeten französische Gebiete besetzten, sich auf die österreichischen Niederlande zu werfen. Er zweifelte nicht, daß diese infolge der mannigfachen Verbindungen, die er daselbst unterhielt, in seine Hände fallen würden. Durch seinen Einfall dachte er die Streitkräfte der Verbündeten zu trennen und zu paralysieren; durch eine auswärtige Eroberung glaubte er Frankreich am besten zu verteidigen, denn hiezu seien die eben zusammengerafften Truppen, nicht aber zu einem Verteidigungskriege fähig. Er hatte so viel Ansehen bei seinen Generalen, daß sie diesem Entwurf in einem großen Kriegsrat beistimmten, aber der Kriegsminister, dem derselbe erst vorgelegt werden mußte, setzte seine Autorität dagegen ein. Servan meinte, in den Argonnen besitze Frankreich ein unüberwindliches Bollwerk; da würden die französischen Kriegsscharen den deutschen Streitkräften Widerstand leisten, wie einst die amerikanischen den englischen bei Saratoga; die Kraft eines freien Volkes werde erwachen. Auf Servans Anweisung, wohl auch durch eigene Überlegung bewogen, stellte sich Dumouriez in dem Passe von Grandpré, den er einmal für die Thermopylen Frankreichs erklärt hat, den verbündeten Armeen entgegen.

Aber noch war die preußische Strategie der französischen überlegen. Der Herzog von Braunschweig gab den Kommandeurs der Truppen seinem wohldurchdachten Plane entsprechende Instruktionen; alle seine Anweisungen wurden ausgeführt. Das Glück wollte den Verbündeten so wohl, daß sie die Position bei St. Croix au bois, welche die Franzosen nicht gehörig gewürdigt hatten, ohne Mühe nahmen und dann gegen einen Anlauf derselben glücklich verteidigten. Hauptsächlich dadurch sah sich Dumouriez veranlaßt, seine Stellung bei Grandpré eiligst zu verlassen. Man hat vielleicht nicht ohne Grund gesagt, daß es dem Herzog möglich gewesen wäre, die davonziehenden Franzosen einzuholen und zu zerstreuen. Aber auch die deutschen Truppen waren durch den langen angestrengten Marsch auf grundlosen Wegen erschöpft, und schon machte sich ein Mangel an Lebensmitteln bemerklich. Nur die leichte Kavallerie erreichte, durch eine Furt setzend, die Feinde; 12 000 Franzosen flohen vor 1200 preußischen Husaren, ein Sieg ward nicht erfochten. Dumouriez nahm eine feste Stellung zu St. Ménehould, in der er die Preußen erwarten zu können glaubte, und soeben kam von Metz her eine ansehnliche Truppenschar unter Kellermann, um ihn zu unterstützen. Gerade diese sollte den ersten Stoß erfahren. Denn noch lebte in der preußischen Armee der wiederholt angefachte Wunsch, es zu einer Schlacht zu bringen. Man meinte wohl, die ungeschulten Feinde würden bei einem ernstlichen Angriff nach Paris oder Chalons zu entrinnen suchen, worauf dann ein Unternehmen gegen die Hauptstadt ausgeführt werden könne.

So bald als möglich, abermals in einem angestrengten Marsche, rückte nun die preußische Armee auf die Gegend an, in der sich die feindlichen Streitkräfte vereinigen sollten. Die vornehmste Position bildeten die Höhen von Valmy, wo Kellermann sein Geschütz aufgefahren hatte. Er begrüßte die Ankunft der Preußen mit Kanonenschüssen; aber sie rückten in der besten Ordnung vor, wie die Anwesenden sagten: als vollzögen sie nur ein Manöver bei Tempelhof oder Potsdam. Niemand zweifelte, daß man den Feind aus dem Felde schlagen werde, wenn man nur mutig auf ihn losgehe. Der Herzog von Braunschweig war jedoch nicht dieser Ansicht, da die Franzosen eine unerwartet gute Haltung zeigten, wie denn eine preußische Brigade, die dem Feinde zu nahe gekommen, sich bereits zurückgezogen hatte. Er meinte die Stellung des Feindes erst erschüttern zu müssen, ehe er zu wirklichem Angriff schreite; er hat dem Prinzen von Nassau-Siegen die Stelle bezeichnet, an der er das ins Werk zu setzen gedachte. Auch er gebot über treffliches Geschütz, das an einer von den Franzosen früher besetzten Stelle, La Lune, aufgefahren war; es brachte jedoch nicht die erwartete Wirkung hervor. Der Herzog scheint mehr von der Aufstellung einer andern Batterie erwartet zu haben, die nicht zustande kam; er hat immer angegeben, es habe ihm an Munition gefehlt. Unter solchen Umständen glaubte er – vielleicht mit Recht – die Franzosen in der vorteilhaften Stellung, die sie eingenommen hatten und behaupteten, nicht angreifen zu können. Er rechnete darauf, daß sie des folgenden Tags sich doch zurückziehen würden. Dem Könige, der einen unmittelbaren Angriff am liebsten gesehen hatte, gab er die Antwort, man müsse einen solchen verschieben.

So verlief die berühmte Kanonade von Valmy, die, bald nach Mittag begonnen, bis gegen fünf Uhr dauerte, am 20. September 1792. Die beiden feindlichen Heere, welche die Gegensätze der Weltelemente repräsentierten, waren daselbst zusammengetroffen, jedoch ohne eigentlich zu schlagen. Noch glaubte niemand, daß darin eine Entscheidung liege. Den folgenden Tag verließen die Franzosen ihre Stellung auch deshalb, um sich die Verbindung mit Chalons zu erhalten, indem ihnen der Gebrauch der Chaussee von St. Ménehould nach Chalons durch ein preußisches Manöver verwehrt wurde; sie zogen sich in ein andres Lager zusammen. Vor ihren Augen, und ohne von ihnen gestört zu werden, nahm hierauf der Herzog die von ihnen vorher besetzte Position ein. Die Stellung der preußischen Armee erschien den Anwesenden, unter andern auch dem österreichischen Gesandten Fürsten Reuß,Ranke hat seine von Vivenot aus dem Wiener Archive mitgeteilten Berichte benutzt. Vgl. v. Sybel, Geschichte der Revolutionszeit 1, 562 ff. in dem Lichte eines errungnen Vorteils. Als bei Valmy geschlagen können die Preußen nicht betrachtet werden; sie standen mit einer ansehnlichen und selbst furchtbaren Macht im Feindeslande. Aber sie waren weit davon entfernt geblieben, den Sieg zu erfechten. In der Erwartung gekommen, daß die feindlichen Truppen sich bei ihrem Anblick zerstreuen würden, stießen sie auf eine schlagfertige, von geschickten Generalen geleitete Armee.

In dieser Lage und der gegenseitigen Schonung bedürftig begann man eine Unterhandlung bei Gelegenheit oder unter dem Vorwande der Auslieferung von Gefangenen. Dumouriez war unendlich entgegenkommend, gleichsam anbietend, wie der Fürst Reuß sagt, der erst gefragt worden war, ehe man sich in Verhandlungen einließ. Im preußischen Lager faßte man die Hoffnung, mit Hilfe des kommandierenden Generals der Feinde noch zu einem erträglichen Abkommen zu gelangen. Noch hielt die preußische Politik daran fest, Ludwig XVI. zu befreien und ihm eine nicht unwürdige Stellung zu verschaffen; dagegen war sie geneigt die Sache des Klerus und des Adels fallen zu lassen; die Emigranten sollten entschädigt werden, aber außerhalb Frankreichs leben. Daß Dumouriez, wie er nachher selbst einmal ausgesprochen hat, es wirklich nur darauf abgesehen hatte, Zeit zu gewinnen, läßt sich doch nicht ohne weiteres annehmen; eine unter seiner Vermittlung durchgeführte Abkunft würde ihm eine der größten Positionen in der Welt verschafft haben. Und die Vorschläge, die er machte, wären an sich der Idee der Girondisten nicht ungemäß gewesen. Aber schon war diese Partei durch ein neues Ereignis in Paris aller Autorität entkleidet. Hätte sie bei den Wahlen die Oberhand behalten, so würde man bei der bisherigen Verfassung möglichst stehen geblieben sein; man würde das Königtum beibehalten haben, nur in vollkommner Abhängigkeit von der Nationalversammlung. Der Konvent aber warf den Gedanken, daß der König selbst Repräsentant der Nation sein könne, weit von sich; er faßte die souveräne Nation nur im Gegensatz gegen das Königtum und dekretierte dessen Abschaffung in Frankreich, denn an das Bestehen der königlichen Würde knüpften sich alle reaktionären Tendenzen, alle Elemente die gegen die Nationalsouveränität anstrebten, und die Absichten der verbündeten Höfe. Mit dem republikanischen Gedanken verschmolz sich der nationale; das revolutionäre Gemeinwesen trat in Gegensatz zu dem übrigen Europa. Wie ganz anders wurde dadurch die Lage der Verbündeten und ihrer Armeen! Auch alle jene Möglichkeiten, die bei den ersten Verhandlungen mit Dumouriez ins Auge gefaßt waren, erschienen jetzt als Unmöglichkeiten.

Man erwartete noch seine definitive Antwort,Die folgende Erzählung zeigt sehr deutlich die gewandte und zudringliche Art der französischen Unterhandlungen, wie sie später auch Napoleon zu führen gewohnt war; sie waren auf die Charakterschwäche der Gegner berechnet. als man erfuhr, daß das Königtum in Frankreich abgeschafft sei. Am 26. September setzte der General in seiner amtlichen Eigenschaft die Verbündeten von dem großen Ereignis in Kenntnis. Diese Meldung trug jedoch keinen feindseligen Charakter; sie war mit einer Wendung der Politik verbunden, welche eine unerwartete neue Aussicht darbot. Gerade in diesem Augenblicke faßte Dumouriez den Gedanken einer besonderen Abkunft mit Preußen, eigentlich eines Bündnisses. Man begreift das, wenn man sich erinnert, daß der Widerwille gegen die Allianz von 1756 allezeit in Frankreich eine gewisse Hinneigung zu dem preußischen Staate im Gefolge gehabt hatte. Friedrich Wilhelm II. sollte auf den Vertrag von Pillnitz verzichten, den man als eine Verbindung Österreichs mit Preußen gegen Frankreich betrachtete; er sollte überhaupt an dem Kriege gegen Frankreich keinen Teil mehr nehmen, Verdun und Longwy zurückgeben und das französische Gebiet räumen, endlich sich auf eine einfache Interzession für Ludwig XVI. beschränken, ohne bestimmte Forderungen zu stellen, und vor allem die französische Republik anerkennen. Es war in dieser Gesinnung, daß der französische General dem Könige Weißbrot, Zucker und Kaffee, woran es im Lager fehlte, zugesandt hat.

Er ließ Friedrich Wilhelm II. aufs neue versichern, daß er in Frankreich hochgeachtet und geliebt sei, und daß man nichts mehr bedaure, als durch eine fremde Einwirkung mit ihm in Krieg geraten zu sein. In demselben Sinne sprach sich der Adjutant, den er nach dem preußischen Hauptquartier schickte, Thouvenot, gegen den Herzog von Braunschweig aus. Die nächste Frage, in der sich die Veränderung des Systems kundgab, betraf die Einschließung der Emigranten in das über die Auswechslung der Gefangenen gemachte Kartell. Thouvenot erklärte sie deshalb für unzulässig, weil die Emigranten Rebellen seien, denen gegenüber kein eigentliches Kriegsrecht bestehe. Dann kam man auf weiterreichende Fragen. Thouvenot bemerkte, daß die Abschaffung des Königtums von der Armee mit einem Lebehoch auf die Nation aufgenommen worden sei. Der Herzog von Braunschweig hat dem Berichte Thouvenots zufolge gesagt, man wisse in Preußen sehr gut, daß man einer freien Nation keine Gesetze für ihre innere Verfassung vorschreiben könne; das einzige, worauf man Gewicht lege, sei das Schicksal des Königs von Frankreich. Wenn man demselben unter irgendeinem Namen ein ehrenvolles und erträgliches Los bereite, so werde der König von Preußen seine Truppen zurückführen und mit Frankreich Freundschaft schließen; zwischen der einen und der andern Nation sei an sich kein Widerstreit. Es traf den Mittelpunkt der Frage, wenn Thouvenot nun die Forderung wiederholte, daß vor allem der Nationalkonvent von Preußen anerkannt werden müsse: er repräsentiere die Nation. Auf die Frage Lucchesinis,Damals preußischer Gesandter beim König von Polen, von Friedrich Wilhelm II. als Ratgeber geschätzt, später 1800–1806 Gesandter in Paris. der indessen eingetreten war, ob man nicht mit der Armee unterhandeln könne, antwortete Thouvenot verneinend. Er machte zugleich auf die Gefahr eines Kampfes zwischen den beiden Armeen aufmerksam: würden die Preußen siegen, so würde darüber die ganze Schwungkraft der französischen Nation erwachen; sollten sie selbst nach Paris dringen, so würde die Hauptstadt außerhalb Paris zu suchen sein; welch ein Schicksal aber erwarte die Preußen, wenn sie geschlagen würden! Sollten die Armeen sich das Gleichgewicht halten, so würden die Preußen durch die vervielfältigten kleinen Gefechte, Desertionen und Krankheiten unendlich geschwächt und in die unangenehmsten finanziellen Schwierigkeiten verwickelt werden.

Dumouriez hatte nicht versäumt, seine politischen Gedanken in einer Denkschrift zusammenzustellen, die er im preußischen Hauptquartier überreichen ließ. Er geht davon aus, daß es nicht mehr die legislative Versammlung sei, von bestrittenen, vielleicht usurpatorischen Rechten, die in Frankreich herrsche; sie habe jetzt einer Konvention Platz gemacht, durch welche die souveräne Nation repräsentiert werde. Durch diese sei die königliche Würde abgeschafft; Frankreich sei fortan eine Republik, man müsse sie anerkennen oder bekämpfen. Der König von Preußen, dem man es als leicht vorgestellt habe, die Franzosen zu besiegen, werde jetzt seines Irrtums inne; die Vorteile, die er davongetragen, seien nur von geringer Bedeutung; er finde eine große und mächtige Nation sich gegenüber. Er müsse überzeugt sein, daß die Eroberung von Frankreich unmöglich, daß das Volk und die Armee, die ihm widerstehe, nicht als ein Haufe von Rebellen zu betrachten sei. Rebellen seien vielmehr jene Edelleute, die, nachdem sie die Monarchie selbst erschüttert, jetzt die Waffen gegen ihr Vaterland ergriffen hätten, und diese sehe man doch an der Seite der preußischen Armee einherziehen, verbunden mit den barbarischen Kriegsvölkern von Österreich. Dieser Macht sei seit dem unglücklichen Vertrag von 1756 die üble Lage Frankreichs, das Unglück Ludwigs XVI. selbst zuzuschreiben; ihre ränkevolle Politik habe den Franzosen den Krieg mit einer Macht, welche sie lieben und von der sie geliebt werden, zugezogen; ein so unerträgliches Verhältnis könne nicht bestehen. Wenn der König dagegen gewillt sei mit den Franzosen zu unterhandeln, bei denen nicht mehr der Zufall und persönliche Rücksicht vorherrsche, so werde er an ihnen sichere und zuverlässige Verbündete finden. Eine Fortsetzung des Krieges könne das Schicksal Ludwigs XVI. nur verschlimmern, nicht verbessern.

Friedrich Wilhelm II. befand sich in der Gesellschaft des Herzogs von Braunschweig, des österreichischen Gesandten und des Marquis Lucchesini, als dieses Schreiben anlangte, erbrochen und gelesen wurde. Fürst Reuß fand es empörend und abscheulich; er versichert, daß auch der Unwille des Königs, des Herzogs und des Marquis bei jedem Worte gestiegen sei. Im Hauptquartier war bereits eine Proklamation vereinbart worden, die man nicht zögerte dem französischen General zuzusenden. Darin wird die Abschaffung des Königtums, also auch die von der Nationalkonvention eingerichtete Regierung, mit der zu unterhandeln man dem Könige von Preußen zumutete, in den stärksten Ausdrücken gemißbilligt; man wiederholt für den Fall, daß Ludwig dem XVI. weitere Beleidigungen zugefügt werden, die Androhung der Rache. Bei alledem ist jedoch eine wesentliche Modifikation wahrzunehmen. Wenn in dem ersten Manifest des Herzogs von Braunschweig im Juli nicht allein die Freiheit und Sicherheit des Königs gefordert war, sondern auch eine solche Stellung desselben, daß er seine legitime Autorität über seine Untertanen zu ihrem Glücke ausüben könne, so blieb man jetzt nur bei seiner Freiheit und Sicherheit stehen, ohne daß man seiner Autorität hätte gedenken mögen. Man forderte die Wiederherstellung seiner Würde, aber nicht seiner Gewalt. So bedeutend diese Modifikation an und für sich ist, so war sie doch nicht dazu angetan, auf die Franzosen Eindruck zu machen.

Dumouriez sah in der Proklamation eine neue Verwerfung seiner Vorschläge, die er nach alledem, was mit seinem Adjutanten Thouvenot besprochen morden war, nicht eigentlich erwartet hatte. Er hielt sich für verpflichtet alle Unterhandlungen abzubrechen, denn ein freies Volk könne Drohungen wie diese nicht ruhig hinnehmen, nicht sich Gesetze vorschreiben lassen; es könne nur darauf denken, diejenigen, welche ihm seine Freiheit entreißen wollen, zum Rückzug zu nötigen. Man hätte erwarten sollen, daß nun der Kampf sofort wieder ausbrechen würde; in der Tat war noch immer von einem Angriff der Preußen auf die französischen Stellungen die Rede. Noch am 29. September schreibt der Fürst von Reuß, daß die Sache nicht entschieden sei; aber in diesem Augenblicke wurde sie entschieden. Im preußischen Hauptquartier zog man in Betracht, daß es viele Leute kosten werde, wenn man, was doch notwendig, die französische Position forcieren wolle, und selbst wenn dies gelänge, so wäre es damit nicht entschieden, denn von allen Seiten sehe man neue Scharen zur Verteidigung von Paris heranziehen; wenn es aber mißlinge, so werde man verloren sein, zumal da sich ringsum keine Fourage mehr finde und der Brottransport die größte Schwierigkeit habe. Reuß hatte seiner Meldung eine Nachschrift hinzuzufügen, daß der Rückzug den andern Tag angetreten werden solle.

Es ist immer aufgefallen, daß den Verbündeten der Rückzug nicht mehr erschwert wurde, als wirklich geschah. Aber man muß sich erinnern, daß die Franzosen erst in der Organisation ihrer Armee begriffen waren. Die neueingetretenen Freiwilligen zeigten sich meistens unbotmäßig und in jedem Falle hauptsächlich auf ihre Rettung bedacht. Weg und Wetter waren für alle schlecht; ein Waffengang konnte auch für die Franzosen die empfindlichsten Nachteile herbeiführen. Und über allem schwebte noch die politische Kombination. Die Franzosen hatten die Absicht, Preußen von Österreich zu trennen, keineswegs aufgegeben; sie trugen sich sogar mit dem Gedanken, dem König von Preußen zu gestatten, die polnischen Gebiete, die er in Anspruch nahm, sich anzueignen, um ihn von Rußland zu trennen. Dagegen erfahren wir, daß noch beim Rückzuge die Emigranten, als sie in Vouziers waren, 1. Oktober, Kunde von Instruktionen des Wiener Hofes bekamen, die auf eine Schmälerung des alten französischen Gebiets hinausliefen. Sie wurden auch im preußischen Hauptquartier mitgeteilt; Lucchesini ließ keinen Zweifel darüber, daß das preußische Kabinett weit entfernt war, auf Entwürfe dieser Art einzugehen.

Eine sehr außerordentliche Gestaltung erhielten in diesem Moment die öffentlichen Angelegenheiten überhaupt. Als die revolutionäre Bewegung, mit den Ideen der Nationalität durchdrungen, in Europa erschien, und zwar bereits kriegsgewaltig, begann die Bundesgenossenschaft, welche zur Wiederherstellung des königlichen Thrones die Waffen ergriffen hatte, ihrerseits sich aufzulösen. Der Rückzug wurde, so gut es unter diesen Umständen ging, vollzogen.

Als das preußische Heer nach Verdun gelangte, wurde der alte Gedanke wieder aufgenommen, einen methodischen Krieg zu beginnen. Der König dachte den ihm nachrückenden Franzosen eine Schlacht zu liefern und alsdann die Winterquartiere längs der Maas zu nehmen. Aber man stellte ihm vor, das werde sich selbst in dem Falle, daß man den Sieg erfechte, nicht ausführen lassen, da man dazu Sedans bedürfe, dessen Einnahme jetzt bei dem Mangel an Vorbereitungen unmöglich sei. Dazu kamen allerlei militärische Differenzen mit Österreich. Der Fürst von Hohenlohe-Kirchberg verließ eigenmächtig einen Posten, durch welchen die rechte Flanke der preußischen Armee gedeckt werden sollte, denn er sei gekommen zu schlagen, nicht aber seine Truppen vor Hunger sterben zu lassen. Der König geriet darüber in sehr begründete Besorgnis. Eine Stellung an der Maas zu nehmen oder auch Verdun und Longwy zu behaupten erschien in der Tat untunlich; der Rückzug mußte vielmehr so rasch fortgesetzt werden wie möglich. Es ist dabei mehr als einmal zu Verhandlungen mit den französischen Generalen gekommen. Deren Forderung war allezeit, daß Preußen den Nationalkonvent anerkennen und sich fortan um das Schicksal Ludwigs XVI. und der Emigranten nicht bekümmern solle. Darauf mochte jedoch Friedrich Wilhelm II. nicht eingehen. Man erzählt, er habe, an dem Verhalten Österreichs irre geworden, eines Tages dem alten Vertrauten BischoffwerderPreußischer General, Adjutant des Königs. Vorwürfe gemacht, daß er das Bündnis mit Österreich eingeleitet und zustande gebracht habe; aber sich von dieser Macht zu trennen war der König doch nicht gemeint. Der kaiserliche Gesandte versichert, Friedrich Wilhelm halte an der Allianz unerschütterlich fest.

In diesen Tagen war Graf HaugwitzPreußischer Gesandter in Wien. von Wien angelangt; er fand den König niedergeschlagen und mißvergnügt. Man sah, daß es ihn schmerzte, die großen Intentionen, mit denen er ausgezogen war, so vollkommen verfehlt zu haben. Dem Grafen Haugwitz diente es zur Empfehlung, daß er vor dem Beginn des Kampfes den schlechten Ausgang desselben vorausgesagt hatte. Er war immer ein entschiedener Gegner SchulenburgsDer preußische Minister, welcher das Bündnis mit Österreich zu gemeinsamem Kampfe gegen Frankreich zum Abschluß gebracht hatte; s. Ranke S. 116, 120. gewesen, welcher schon, als er abreiste, das Vertrauen des Königs nicht mehr besaß. So erklärt sich, daß Haugwitz unmittelbar als Kabinettsminister eintreten konnte; er fing sogleich an, mit dem Könige zu arbeiten. Auch seine Meinung ging nun dahin, daß Preußen sich so wenig von Österreich als von Rußland trennen dürfe.

Friedrich Wilhelm sprach bereits von einem zweiten Feldzuge, bei dem er dann den Herzog von Braunschweig beiseite lassen und die Armee selbst anführen wolle. Der Fürst von Nassau versetzte, wäre das schon jetzt geschehen, so würde alles besser gegangen sein. Indem sich der König über die Österreicher beklagte, sagte er doch, er werde sie nicht verlassen, aber den Krieg wolle er nicht allein führen. Nassau machte ihn aufmerksam, daß die erlittenen Unfälle sich wieder würden gutmachen lassen, unter der Bedingung jedoch, daß die Verbindung der großen Mächte noch enger geschlossen werde. Der König stimmte dem bei; es war das Moment, von welchem alle ferneren Entscheidungen abhingen. Der Kampf gegen Frankreich konnte ohne Einverständnis der drei Mächte nicht zu Ende gebracht werden; einem solchen aber stand die noch unentschiedne Lage des östlichen EuropaDie drei Mächte hatten sich über das Schicksal Polens noch nicht geeinigt. im Wege.

Im westlichen Europa hatte der Krieg nun schon die größten Dimensionen angenommen: Dumouriez war in die Niederlande eingefallen, Custine in den mittelrheinischen Gebieten vorgedrungen; bereits am 21. Oktober hatte er sich einer der Hauptstädte Deutschlands, des als ein unüberwindliches Bollwerk betrachteten Mainz, mit leichter Mühe bemächtigt. In den Franzosen erwachte die Hoffnung, durch ihre Prinzipien und den Anlauf ihrer Truppen in Europa Meister zu werden. Alles beruhte fortan darauf, inwiefern die alten Staaten fähig sein würden, sich gegen sie zu verteidigen oder nicht. Der große Kampf der Mächte begann, welcher Europa seitdem erfüllte.


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