Ludwig Preller
Griechische Mythologie II - Heroen
Ludwig Preller

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3. Der thebanische Cyclus.

Hier treffen wir zum erstenmal auf ein größeres Ganze von epischen Dichtungen, welche sich um einen alten Sagenkern allmälich gesammelt und wie nach bestimmten Gesetzen des organischen Wachsthums, da sich dasselbe in den trojanischen Sagen wiederholt, von einer gegebenen Mitte nach entgegengesetzten Richtungen entwickelt haben. Diese Mitte war hier das alte Gedicht der sogenannten Thebais, dessen Inhalt der Krieg der Sieben gegen Theben bildete. Dazu ist später eine Oedipodee über die Geschichte des Oedipus, also über die früheren 342 Vorgänge dieses Sagenkreises, und ein Gedicht über die Epigonen und die Schicksale des Alkmaeon, also über dessen spätere Vorgänge hinzugedichtet wordenWelcker ep. Cycl. 1, 198 ff.; 2, 313–405. Auch die älteren Keime der Sage vom Kadmos und vom Amphion und Zethos werden durch die Thebais gegeben gewesen sein.. Wir sind über den Inhalt dieser Gedichte zu mangelhaft unterrichtet um mit Sicherheit urtheilen zu können. Aber wahrscheinlich fanden sich alle Hauptthatsachen in dem ältesten Centralgedichte, wie die des trojanischen Sagenkreises in der Ilias und Odyssee schon angedeutet, so daß die jüngeren Gedichte aus demselben gleichsam hervorwuchsen, indem sie theils diese Andeutungen theils die Ueberlieferungen der noch nicht aufgezeichneten und der örtlichen Sage und zwar im Geiste ihres jüngeren Zeitalters selbständig ausführten.

Wie sehr diese Sagen und Lieder den griechischen Heldengesang in seiner besten Zeit beschäftigt haben, sieht man auch aus den zahlreichen Beziehungen darauf in der Ilias und Odyssee. Und in der That war es ein gewaltiger Conflict und ein eben so gewaltiges Verhängniß, welches hier die Dichtung in Anspruch nahm. Jener ist der zwischen den beiden mächtigsten Staaten der griechischen Vorzeit, Argos und Theben, dieses das der furchtbaren Schicksale und Verwicklungen im Hause der Labdakiden, welches auch die Helden von Argos und von Kalydon in seine dämonischen Kreise mit hineinzieht und zuletzt mit blutiger Schlacht und dem entsetzlichen Untergange der Sieben und der beiden feindlichen Brüder endigt. Die Gestalten dieser Helden, des aetolischen Tydeus, des argivischen Amphiaraos und des Kapaneus, des Parthenopaeos sind mit grosser Lebendigkeit empfunden und gezeichnet, die epische Anlage der Verwicklung und des allmälichen Fortschritts der Handlung bewährt sich auch in solchen Trümmern der Ueberlieferung als eine sehr wohl geordnete. Einzelne Züge der Charakteristik und der Conception sind von einer so wilden Kühnheit, daß sie einen Eindruck von höherem Alterthum als selbst die Bilder der Ilias machen.

Nachmals haben vorzüglich die attischen Tragiker in diesen Sagen geschwelgt und ihnen dabei freilich viel von ihrer alterthümlichen Färbung genommen und neue Ideenverbindungen und Thatsachen hineingetragen. Aeschylos mit seinem tiefen Ernste, der hier reiche Nahrung für seine Anschauungen von 343 der Unerbittlichkeit des Schicksals und von der Hinfälligkeit alles menschlichen Schimmers fand, Sophokles in seinen unvergleichlichen Dichtungen vom Oedipus in seiner Höhe und in seiner Niedrigkeit und von der aufopfernden Liebe der Antigone für Vater und Bruder, Euripides in den Phoenissen und in anderen Tragödien, in denen er wieder sehr willkürlich mit den mythischen Stoffen verfuhr.

Auch die Kunst hat diesem Kreise manches schöne und bedeutende Bildwerk abgewonnen, obgleich das Interesse des trojanischen Sagenkreises doch auch in dieser Hinsicht unvergleichlich viel mehr angeregt hatMüller Handb. § 412, 3,.1. Overbeck Gallerie heroischer Bildwerke der alten Kunst 1, 3–163 t. 1–6..


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