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d. Der Befreiungszug nach Kreta.
Wie dieses der bekannteste Theil der Theseussage ist, so scheint er auch der älteste zu sein. Schon die Odyssee 11, 321 erwähnt der Ariadne und ihrer Entführung durch Theseus, hernach dichteten die Kyprien, Sappho und Simonides, Sophokles und Euripides von ihrer Liebe und von ihren Schicksalen. Dazu die vielen darauf bezüglichen Cultustraditionen in Athen und Delos, namentlich im Gottesdienste des attisch-ionischen Apollo mit seinen auf Schifffahrt und Sühnung gerichteten Gebräuchen. Endlich sind auch unter den Vasenbildern die den Tod des Minotauros betreffenden bei weitem die alterthümlichsten und die neuerdings bekannt gewordene Vase des Ergotimos und Klitias, welche mit höherem Alterthum einen großen Reichthum an mythologischen Bildern vereinigt, einen kleinen Cyclus beliebter Geschichten aus der Götter- und Heroenwelt, hat in diesen auch eine Darstellung des ersten Jubels über den Tod des Minotauros aufgenommenMon. dell' Inst. 4, 54–57, Gerhard D. u. F. d. Arch. Ztg. 1850 n. 25. 26, vgl. O. Jahn Einl. in die Vasenk. CLII–CLVII. Die Bilder sind die der Hochzeit des Peleus und der Thetis, der Rückkehr des Hephaestos auf den Olymp, die kalydonische Eberjagd, der Tod des Troilos durch Achill, die Leichenspiele des Patroklus, die Feier über den Tod des Minotauros, der Kampf zwischen Lapithen und Kentauren, abgesehen von einigen kleineren Gruppen. Zu den b. Stephani (oben S. 286, [Anmerkung 1040]) angeführten alterthümlichen Vasenbildern, die den Tod des Minotauros darstellen, ist hinzuzufügen Bullet. Nap. N. S. (1856) 4, 13 und Mon. d. I. 6, 15..
294 Als Veranlassung der Rache des Minos und der Sendungen von sieben Knaben und sieben Mädchen nach Kreta und in das Labyrinth des Minotauros wird immer angegeben der durch Verrath herbeigeführte Tod des Androgeos, eines Sohnes des Minos, und eine in Folge davon verhängte schwere LandesplageCatull 64, 76 ff.. Von Androgeos erzählte die attische Sage und die der Insel Paros. In Athen feierte man ihm im Kerameikos Leichenspiele unter dem Namen Εὐρυγύης d. h. des Kämpfers von breiten und kräftigen GliedmaaßenHesych ἐπ' Εὐρυγύη ἀγών, wo auf den alten Atthidenschreiber Melesagoras verwiesen und ein Vers aus Hesiod citirt wird: Εὐρυγύης δ' ἔτι κοῦρος Ἀϑηνάων ἱεράων, wahrscheinlich zu lesen δ' ἐπίκουρος, so daß er nach erfolgter Sühne seines Todes als schützender Dämon, namentlich wie es scheint zur See verehrt worden wäre. und erzählte dabei die Geschichte seines Todes auf verschiedene Weise. Bald zieht er sich durch seine außerordentliche Stärke und Tapferkeit, mit welcher er bei der Panathenaeenfeier Alle besiegt, den Haß der Kämpfer aus Athen und Megara in solchem Grade zu, daß sie ihm auf dem Wege nach Theben zu den Leichenspielen des Laios einen Hinterhalt legen und ihn erschlagen, bald macht er sich dem Aegeus verdächtig, der ihn auf dieselbe Weise oder dadurch daß er ihn gegen den Marathonischen Stier sendet auf die Seite räumtApollod. 3, 15, 7, Diod. 4, 60, Schol. Plat. Min. 213, Serv. V. A. 6, 14.. In der Hafenstadt Phaleron hatte er einen Altar unter dem Namen des Heros oder des Heros vom Schiffsende, denn dort pflegten die attischen Schiffer sein Bild aufzustellenPaus. 1, 1, 4, Clem. Al. Protr. p. 35 P. mit den Scholien v. 4 p. 109 ed. Klotz, welche sich auf Kallimachos ἐν δ' τῶν αἰτίων berufen.. Immer ist Minos, gerade auf Paros mit einem Opfer der Chariten beschäftigt, über seinen Tod aufs tiefste ergrimmt, so daß er alsbald eine Flotte rüstet und zuerst Megara bestraft, wo die Liebe der Skylla den eignen Vater Nisos opfertBd. 1, 485. Weil Minos bei jenem Opfer auf Paros von der Todesbotschaft überrascht den Kranz vom Kopfe warf und der Flöte Schweigen gebot, wurde das Opfer an die Chariten auch später ohne Kranz und Flöte begangen.. Dann zog er gegen Athen und wußte, als der Krieg sich in die Länge zog, es bei seinem Vater Zeus zu erwirken daß Athen mit Hungersnoth und Pestilenz heimgesucht wurde. Umsonst versuchte man es in dieser Noth mit dem Opfer der fünf Hyakinthiden, der Töchter des Hyakinthos aus Lakedaemon, welche auf dem Grabe des Kyklopen Geraestos 295 ihr jungfräuliches Leben dahingabenApollod. 3, 15, 8, Harpokr. Ὑακινϑίδες, Hygin f. 238. Ihre Namen waren nach Apollodor Ἀνϑηίς, Αἰγληίς, Ἠνϑηνίς, Λουσία (Steph. B. v.), Ὀρϑαία. Sie waren nach Demosth. Epitaph, p. 1397 identisch mit den Erechthiden (S. 154), weil diese sich ἐν τῷ Ὑακίνϑῳ καλουμένῳ πάγῳ ὑπὲρ τῶν Σφενδονίων geopfert haben sollen, Suid. v. παρϑένοι. Vgl. Diod. 17, 15 δεῖν τοὺς ἐξαιτουμένους μιμήσασϑαι τὰς Λεὼ κόρας καὶ τὰς Ὑακινϑίδας καὶ τὸν ϑάνατον ἐκουσίως ὑπομεῖναι ἕνεκα τοῦ μηδὲν ἀνήκεστον παϑεῖν τὴν πατρίδα.. Athen mußte nachgeben und auf Befehl des Orakels das thun was Minos forderte, daß alle neun Jahre sieben Knaben und eben so viele Mädchen nach Kreta geschickt und in das von Daedalos gebaute Labyrinth gethan würden, dem Minotauros zum Fraß, wie sich die gewöhnliche Erzählung in Attika ausdrücktePlut. Thes. 15. 16.. Denn das Pathos der Tragödie hatte auch in dieser Hinsicht den Sieg über die Wahrheit der Thatsache hinweggetragen, da diese Sendungen mit dem ennaeterischen Cyclus offenbar eigentlich mit gewissen Sühnungsgebräuchen zusammenhängen und jene Knaben und Mädchen keineswegs geopfert, sondern nur Hierodulen des Cultus wurden, dessen Symbol Minotauros. war. (S. 124). Doch bleibt die Abhängigkeit von Kreta und die attisch-ionische Bevölkerung der Inseln und Halbinseln mochte sich erst nach schweren Kämpfen von dieser befreit haben.
Zum drittenmal sollte die traurige Sendung nach Kreta abgehen, die Dichter und Künstler haben sogar die Namen der Knaben und der Mädchen bewahrtServ. V. A. 6, 21, O. Jahn Einl. in die Vasenk. CXVIII., da bestieg auch der Heldensohn des Aegeus das Schiff mit den schwarzen Segeln, nachdem er mit dem Vater verabredet, bei glücklicher Rückkehr weiße Segel aufzusetzenEin alter Zug der Dichtung, vgl. Eurip. Hippol. 752 ὦ λευκόπτερε Κρησία πορϑμίς u. s. w. Simonides hatte gedichtet daß Aegeus seinem Sohne ein feuerrothes Segel mitgegeben habe, die noch brennendere Farbe des Lichtes und der Freude.. Ehe er abfuhr, es war am sechsten Munychion, am Tage der Delphinien, legte er den Zweig der flehenden Bitte ins Heiligthum des Apollo Delphinios, des Helfers zur See, daher ein ähnlicher Gebrauch an den Delphinien fort und fort beobachtet wurde. Das delphische Orakel soll ihm gerathen haben Aphrodite zu seiner Führerin über See zu machen; da er ihr am Gestade eine Ziege opferte, ward diese zum Bock und darüber Aphrodite Epitragia genanntBd. 1, 268, [767]; 290, [843]. Auch weiterhin erscheint Theseus als ein eifriger Verehrer der Aphrodite, deren Cult bei den Ionen und in Attika sehr früh Aufnahme gefunden hatte.. Es ist die Göttin des beruhigten 296 Meeres, aber auch die der Liebe, deren Macht Ariadne, die reizende Tochter des grimmen Minos empfinden sollte. Dieser Liebe zu Gefallen giebt Daedalos, der Baumeister des Labyrinths, den Knäuel, dessen Faden den schönen Jüngling von Athen durch alle die verworrenen Gänge bis zum Minotauros und nachdem er diesen getödtet eben so glücklich wieder heraus führt. Mit den befreiten Knaben und Mädchen tritt dann der Held hervor, wie dieses ein schönes Gemälde aus Herculanum veranschaulicht, und nun ist großer Jubel der Befreiten und ihrer Befreier. Unter Gesang und Klängen der Laute und bekränzt mit den Kränzen der Liebe tanzen Theseus und Ariadne mit den Knaben und Mädchen zum Andenken an die verschlungenen Windungen des Labyrinths den Geranostanz, wie er auf Kreta und Delos fort und fort getanzt wurdeDaß er auch auf Kreta getanzt wurde folgt aus Schol. Il. 18, 590, wahrscheinlich nach Pherekydes, vgl. Schol. Od. 11, 321. Mithin sind die Darstellungen dieses Actes auf der erwähnten Vase und die Gruppe auf dem Kypseloskasten bei Paus. 5, 19, 1 auf den ersten Jubel auf Kreta zu beziehn, vgl. b. Gerhard D. u. F. 1855 S. 77. Ueber den Geranostanz auf Delos Kallim. Del. 312, Plut. Thes. 21, Hesych γερανουλκός u. Δηλιακὸς βωμός. Ueber den ganzen Cyclus der Theseus und Ariadne betreffenden Bildwerke s. O. Jahn Archäol. Beitr. 1, 251–299, Welcker zu Müller Handb. § 412, 1. Unter den Dichtern bes. Catull 64, 76–264.. Darauf erfolgte die Rückkehr. Auf Naxos verläßt Theseus die schlafende Ariadne, Einige sagten aus Liebe zur Aegle von PanopeusAthen. 13, 4. Einen darauf bezüglichen Vers des Hesiod soll Pisistratos gestrichen haben, Plut. Thes. 20. 29., aber eigentlich war dieser Wechsel im Cultus des Dionysos und der Ariadne begründetBd. 1, 533. Auf dem schönen Vasenbilde b. Gerhard etr. u. campan. Vasenb. t. 6 verläßt Theseus die Ariadne auf Antrieb der Athena und in demselben Augenblicke, wo sich Dionysos liebend naht.. Darauf landet er in Delos, wo man ein altes Daedalosbild der Aphrodite und jenen Tanz von ihm ableitete und wo Theseus auch für den Urheber des Wettkampfs der Delien und des Preises der heiligen Palme galtPlut. 21, Kallim. Del. 306 ff., Paus. 8, 48, 2; 9, 40, 2. Nach Pherekydes b. Macrob. S. 1, 17, 21 that Theseus auf der Fahrt nach Kreta dem Apollo Ulios und der Artemis Ulia ein Gelübde. Selbst die bei den Thargelien, welche um dieselbe Zeit wie die Delien gefeiert wurden, dargebrachten Sühn- u. Menschenopfer erklärten Einige durch den Tod des Androgeos, Hellad. b. Phot. bibl. 534 a 9., wie für den der jährlichen Theorie von Athen nach Delos mit allen darauf bezüglichen Gebräuchen; ja das heilige Schiff, dessen man sich zu diesen Sendungen bediente, 297 galt für dasselbe worauf Theseus nach Kreta gefahren warPlato Phaed. 58 A, Plut. Thes. 23, Boeckh Urk. üb. d. Seewesen d. Att. St. 76.. Endlich kehrt er zurück, vergißt aber in seiner Freude das verabredete Segel aufzuziehen und wird dadurch die Ursache vom Tode seines VatersEs ist zu vermuthen daß Sophokles in seinem Aegeus die Geschichte des alten Königs bis zu dieser letzten Katastrophe behandelt hatte. Auf die gewöhnliche Ueberlieferung von dem Zuge nach Kreta und die vielen Bildwerke, welche die Leidenschaft der Ariadne und die Schönheit und Tapferkeit des Theseus in den Vordergrund stellen, hatte dagegen der Theseus des Euripides bestimmend eingewirkt.. Bei der Landung opfert er zuerst im Phaleron die bei der Ausfahrt gelobten Dankopfer und zieht darauf mit den Geretteten und den Begrüßenden hinauf nach Athen, in einer aus Jubel über solchen Ausgang und Trauer über den Tod des Aegeus gemischten Stimmung, welche in den Gebräuchen der damals gestifteten Oschophorien einen entsprechenden Ausdruck fandPlut. 22. 23 vgl. Bd. 1, 165. Jene im Phaleron und zwar am Meeresstrande dargebrachten Opfer werden der Athena Skiras (1, 162), dem Apollo Delphinios und der Aphrodite Epitragia gegolten haben. Man verehrte in jenem alten Hafen von Athen, lange dem einzigen, verschiedene Heroen der Schifffahrt mit Erinnerungen an die Fahrt des Theseus und feierte ihnen ein eigenes Fest τὰ Κυβερνήσια, Plut. 17.. Darauf begrub er den Vater und feierte am siebenten Pyanepsion, dem Tage der Rückkehr, dem Apollo das Fest der Pyanepsien, welches wie jene Oschophorien zugleich ein Dankfest für den Segen des Jahres und für die Rettung durch Theseus und die glückliche Rückkehr warPlut. 22, Bd. 1, 203., daher sich seit Kimons Zeiten diesem Feste des Apollo das der Theseen am achten Pyanepsion anschloß. Obwohl Theseus schon damals, so erzählten die dankbaren Athenienser wenigstens in späterer Zeit, wie Bellerophon in Lykien mit auserlesenem Besitze beschenkt und unter der Aufsicht der Phytaliden mit einem Opfer verehrt worden sein soll.