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Wir haben uns davon überzeugt, daß die gewöhnliche Stellung des durchschnittlichen Kulturmenschen zu der Frage des Todes eine von Grund aus verfehlte ist. Statt diese Erscheinung als einen normalen Abschluß anzusehen, welcher durch die biologischen Bedingungen des Lebens selbst gegeben ist, und dessen Berücksichtigung daher ebenso in eine gesunde Lebensanschauung und Lebensordnung hinein gehört, wie die Berücksichtigung irgendwelcher anderen vitalen Funktionen, hat man sich aus dem Tode ein Schreckbild gemacht, das durch diese schauderhafte Eigenschaft gegen genauere Untersuchung geschützt und daher ein Tummelplatz jeder Art des Aberglaubens, der Gefühlsverfälschung und des Mystizismus geworden ist.
Sehen wir uns nach den Gründen um, welche diese unsachgemäße Stellung bedingt haben, so finden wir deren zwei, von denen einer ausschließlich der Vergangenheit angehört, während der andre aus der Vergangenheit bis in unsere Gegenwart hinüberwirkt. Der erste ist der Umstand, daß während der frühern gewaltsamen und tierischen Periode der Menschenexistenz die Tatsache des gewaltsamen Todes, sowie des langen Leidens auf Grund von Schädigungen und Verwundungen durch den Kampf eine überaus häufige war. Der Tod erschien deshalb nicht als das gern erwartete Ende eines langen, reichen, aber schließlich doch ermüdenden Lebens, sondern als die Zerstörung eines tatkräftigen Daseins, auf die man sich zwar immer durch die Umstände gefaßt machen mußte, die aber, wenn sie einmal eintrat, Unglück und Kummer aller Art auf die mit dem Sterbenden verbundenen Familienmitglieder herabbrachte. So entwickelte sich vollkommen naturgemäß und notwendig ein Schrecken vor dem Tode, der aber nicht ein Schrecken vor dem Tode an sich, sondern nur vor dem gewaltsamen, unzeitgemäßen, unnatürlichen Tode war. Gegenwärtig sind die Ursachen zu einem solchen Schrecken zum allergrößten Teil verschwunden. Gibt es allerdings leider noch eine große Anzahl von Familien, für welche der Tod des Ernährers ein mehr oder weniger schlimmes Elend bedeutet, so hat doch der Hauptsache nach mancher Schrecken des Todes aufgehört. Vor allen Dingen ist der gewaltsame Tod längst so selten geworden, daß er auf die Entwicklung einer wirklichen begründeten Stimmung dem Tode gegenüber keinen Einfluß mehr ausüben kann.
Haben wir bei dieser Art von Todesfurcht mit Rückständen einer alten Vergangenheit zu tun, welche nach Art des bereits geschilderten Urgrauens namentlich in solchen Augenblicken zutage tritt, wo die Selbstbeherrschung des einzelnen vermöge momentaner starker Beeinflussungen zurücktritt oder verschwindet, so haben wir es bei der andern Quelle der gegenwärtigen Todesfurcht mit einer ganz andersartigen Erscheinung zu tun, auf die wir sorgfältig eingehen müssen, weil sie gegenwärtig das größte Hindernis für die Erwerbung einer normalen Stellung dem Tode gegenüber darstellt. Es ist dies der Gebrauch, welchen die Religionen, namentlich die christlichen Konfessionen von dem Gedanken eines Lebens nach dem Tode machen. Dieser Gebrauch geht dahin, den Augenblick des Todes als einen besonders kritischen darzustellen, welcher über das bevorstehende ewige Leben bis in undenkbare Zeitfernen hinaus entscheidet. Man braucht nur die brennende Sorge eines gläubigen Katholiken um den rechtzeitigen Empfang der heiligen Wegzehrung beobachtet zu haben, um die außerordentlich starke psychologische Wirkung zu erkennen, welche diese Konfession an die Tatsache des Todes und die damit verknüpfen religiösen Vorstellungen eines Lebens nach dem Tode und einer Strafe oder Belohnung bez. Verzeihung begangener Sünden in diesem künftigen Dasein zu knüpfen gewußt hat. Diese Verwertung der Unsterblichkeitsvorstellungen für religiöse Zwecke gehört vorwiegend der neueren Zeit an, denn von ihr finden sich im alten wie im neuen Testamente kaum Spuren. Seitdem aber durch die Entwicklung der naturwissenschaftlichen Forschung die früher von den Religionen behauptete unmittelbare Herrschaft eines persönlichen Gottes über das Geschehen der Natur und den Ablauf der menschlichen Schicksale immer mehr und mehr an Glaubhaftigkeit auch in wenig kritischen Kreisen verloren hat, da eben vielfach die täglichen Beobachtungen der Wirklichkeit immer wieder dagegen sprechen, so war es umso notwendiger geworden, in dem unkontrollierbaren Gebiete eines künftigen Lebens die Machtfaktoren zu verankern, deren die gegenwärtige Kirche nicht entraten kann, wenn sie nicht ihre Herrschaft über die Geister aufgeben will. Da ein Verkehr mit dem Jenseits bisher dem einzelnen nicht möglich gewesen ist, da keinerlei andre Nachricht von jenem Gebiet in unsre Welt hineinkommt, als durch die Vermittelung der Priesterschaft, so hat diese, so lange die Menschheit an ein solches Jenseits glaubt, das allerdringendste und bestimmteste Interesse daran, diesen Glauben aufrecht zu erhalten und ihn so wirksam zu gestalten, als es die geistigen Bedingungen der Zeit nur irgend zulassen. So werden in der Darstellung der Priesterschaften die beiden größten »Sünden« des Menschen, Ungehorsam und Unglauben, im Jenseits durch die Erleidung ewiger Höllenstrafen gerächt, wobei sich die Vorstellung vorwiegend an die Anwendung hoher Temperaturen zur Erzeugung von dauernden Schmerzen durch das Höllenfeuer geklammert hat. Allerdings gestatten gegenwärtig nur kulturell recht niedrig stehende Menschen eine derartige Beeinflussung. Die Idee eines ewigen Höllenfeuers, abgesehen davon, daß sie physiologisch nicht durchführbar ist, weil sie notwendig zur Zerstörung und damit zum Aufhören der Schmerzempfindung führen muß, widerspricht so sehr der Vorstellung eines allgütigen Gottes, daß sie bei den geistig höher stehenden Angehörigen der christlichen Religion keine erhebliche Rolle mehr spielt. Insbesondere die höher entwickelten Gruppen der christlichen Konfessionen, die lutherische und die kalvinisch-reformierte machen sich mehr und mehr von diesen groben Vorstellungen frei. Sie geben freilich damit auch den Grundgedanken entweder vollständig auf oder nehmen ihm den größten Teil seiner Kraft und Wirksamkeit.
Man muß es deshalb als eine Art Atavismus in der Entwicklung der christlichen Religion ansehen, wenn auch von den höher stehenden Vertretern dieser Weltanschauung auf die Idee der Unsterblichkeit nach dem Tode ein so erhebliches Gewicht gelegt wird. Kaum gegen irgendwelche andre Kritik sind die Vertreter auch der fortgeschrittenen Christgläubigkeit empfindlicher, als gegen die Kritik des Unsterblichkeitsgedankens, und damit steht im Zusammenhang ihr außerordentlich heftiges Auftreten gegen die selbständige Verfügung des einzelnen über sein persönliches Leben und gegen die Frage, ob er ein Recht habe, diesem persönlichen Leben selbst ein Ende zu machen, wenn er es nicht lebenswert findet oder sich selbst nicht mehr lebensfähig fühlt.
Dieser auffällige Zorn, ja Haß gegen den freiwilligen Tod, den man durch den uneigentlichen und häßlichen Ausdruck Selbstmord auch im Gefühl von vornherein zu diskreditieren sich bemüht hat, ist eine sehr auffallende Erscheinung. Im Altertum wurde bekanntlich der freiwillige Tod zur Befreiung von Leiden aller Art, von schwerer [Wort fehlt im Buch] falls Edles und Heldenmütiges angesehen und es gibt auch noch gegenwärtig gewisse Fälle des freiwilligen Todes, namentlich solche, wo er im allgemeinen Interesse gewagt wird, die wir gelten lassen. Nur der freiwillige Tod zur Befreiung von Leiden aller Art, von schwerer Krankheit oder von Verhältnissen, die man nicht mehr ertragen mag, wird gegenwärtig auf das äußerste befeindet und getadelt und mit dem ebenso unbedachten wie rohen Wort, er beruhe auf Feigheit, gebrandmarkt. Woher rührt dieser eigentümliche Widerspruch gegen die früheren ethischen Anschauungen und auch gegen das unbeeinflußte gegenwärtige Gefühl? Denn dieses läßt uns eine ganze Anzahl von Fällen erkennen, wo der freiwillige Tod durchaus zu loben ist und nichts weniger als die eben charakterisierte Schmähung verdient.
Um auch hier nicht blos theoretisch zu reden, sondern aus eigner Erfahrung, will ich den Fall Pettenkofer erwähnen. Dieser große Gelehrte besaß ein stark religiös gestimmtes Gemüt, für welches Gedichte aus seinen jungen Jahren nicht nur, sondern auch Äußerungen aus seiner späteren Männerzeit ein deutliches Zeugnis ablegen. Er hatte zur Prüfung einer bestimmten Anschauung über die Ursache der Verbreitung der Cholera das kühne Experiment gemacht, seine eigne Theorie durch die Aufnahme von Cholerabakterien in seinen Körper zu prüfen. Die Hamburger Bakterien, die er sich hatte kommen lassen, und deren Giftigkeit durch die dortige Epidemie auf das allerdeutlichste bewiesen worden war, haben in seinem Körper keine besondern Störungen hervorgebracht, wohl aber leichte Affektionen, deren Einzelheiten er in seinem Bericht genau angegeben hat. Einleitend bemerkt er, daß er ganz wohl diesen Versuch an sich selbst hätte anstellen dürfen, da sein Körper ohnedies nicht mehr allzuviel getaugt habe; daher sei sowohl ein besonders empfindliches Experiment möglich gewesen, wie auch ein Verlust nicht bedenklich erschienen. Ich erinnere mich wohl, daß Pettenkofer damals wegen dieses großartig kühnen Vertrauens in die Richtigkeit seiner Theorie auf das heftigste angegriffen worden ist, ich erinnere mich auch des sehr tiefen Eindrucks, welchen diese wahrhaft heroische Tat damals auf mich und, ich zweifle nicht, auch auf eine große Anzahl andrer Menschen gemacht hat. Dann hatte ich das Glück, Pettenkofer einigemale in seinem letzten Lebensjahre zu sehen; auch erfuhr ich einiges über seine Lebensweise und die Beschaffenheit seines Geistes. Pettenkofer war zu hohem Alter gelangt und fürchtete nun, nachdem er den allmählichen Verfall seiner Kräfte, der körperlichen wie der geistigen, beobachtet hatte, daß ihm noch lange tatenlose und zwecklose Jahre bevorstünden, in denen er nach keiner Richtung mehr etwas Erhebliches leisten, dagegen seiner Umgebung in unerwünschtester Weise zur Last fallen würde. So bewährte er die schon einmal bewiesene Unbefangenheit in der Beurteilung der Frage von Leben und Tod von neuem und machte seinem nach eigener Überzeugung inhaltlos gewordenen Leben durch einen Pistolenschuß ein Ende.
Wer wird es wagen, diesem herrlichen Manne, der einer der größten und edelsten Vertreter der Wissenschaft war und zwar nicht der abstrakten, sondern der angewandten, unmittelbar auf das Wohl der Menschheit gerichteten Wissenschaft der Hygiene, Feigheit oder sonst irgendein unedles Motiv vorzuwerfen? Wir haben im Gegenteil die allerlebhafteste Empfindung, daß er durchaus das Recht besaß, wir werden vielleicht sogar sagen: sich erworben hatte, aus eignem Urteil über Leben und Tod zu entscheiden. Und wenn auch unsre Dankbarkeit und unsre Pietät es lieber gesehen hätten, daß er nicht zu dieser harten Maßregel gegen sich selbst griff, so wird doch ein tiefres Hineinfühlen in sein Leben und Denken uns davon überzeugen, daß er wohl berechtigt war, die Frage mit ja oder nein zu entscheiden. Mit Schmerz zwar, aber doch mit gesteigerter Hochachtung müssen wir dieses bewußte Ende eines langen, ausschließlich in den Dienst der Menschheit gestellten Lebens anerkennen.
Statt vieler theoretischer Überlegungen wird dieser praktische Fall vollkommen ausreichen, um zu beweisen, daß es wirklich Bedingungen und Zustände gibt, in welchen die freie Verfügung jedes einzelnen Menschen über die Frage, ob er fortleben oder seinem Leben ein Ende machen will, ihm durchaus zusteht und in keiner Weise irgendeinen Tadel oder Einwand verdient. So setzt sich denn tatsächlich das entwickelte ethische Empfinden durchaus in Widerspruch gegen die harte Verurteilung des freiwilligen Lebensabschlusses seitens der christlichen Religionen.
Wir kommen zu der Frage zurück, woher dieser außerordentlich ausgeprägte und starke Widerstand gegen das freiwillige Scheiden aus dem Leben bei den Vertretern der Religionen rührt, und finden alsbald die Antwort darin, daß durch eine derartige Handlung der einzelne sich in allerunwiderruflichster Weise dem Gehorsam und der Unterwerfung unter das widersetzt, was die Priesterschaft und durch ihren Mund die vorausgesetzte Gottheit dem Menschen befohlen und auferlegt hat. Dadurch, daß in diesem kritischen und entscheidenden Augenblick der Mensch die Führung seines Schicksals in die eigne Hand nimmt und über Leben und Tod sich selbst gegenüber endgültig bestimmt, beweist er die wirksamste und nachdrücklichste Freiheit von einem ihm von außen auferlegten Willen, beweist er die Machtlosigkeit der »höchsten Macht«. Also Mangel am Gehorsam, jene schwerste aller Sünden jeder bestimmten Religion gegenüber, wird auf das allerwirksamste und unwiderleglichste durch eine solche freiwillige Beendigung des eignen Lebens offenbart und daher rührt dieser grundsätzliche und leidenschaftliche Widerstand der Priesterschaft gegen eine derartige Betätigung des persönlichen Willens.
Dieser Umstand erklärt auch den Widerspruch, der darin liegt, daß ja der Selbstmörder nach dem Wort der Priesterschaft durch seine Tat unmittelbar in die Hände des strafenden Gottes hineingerät, der mit ihm nach Recht verfahren und die Verfehlung nicht schenken, sondern an ihm unmittelbar rächen wird. Wenn also die Sicherheit der Strafe für die Sünde so ganz unmittelbar vorhanden ist, so ist um so weniger zu verstehen, weshalb ein derartig heftiger und leidenschaftlicher Kampf der Priesterschaft gerade gegen dieses Verhalten entbrannt ist. Es ist tatsächlich nur das Gefühl, daß derjenige, der sich selbst zum Herrn über sein eigenes Leben und seinen eigenen Tod macht, durch diesen einen Schritt sich in erfolgreichster und nachdrücklichster Weise von jeder Bevormundung seines innern und äußern Lebens durch außerhalb seiner selbst liegende Kräfte frei macht, welches diesen starken Widerstand der Priesterschaft gegen derartige Entschlüsse und ihre Ausführung hervorgerufen hat.
Was nun endlich die Frage nach dem ewigen Leben anlangt, so haben wir hier es auch mit einer ziemlich typisch christlichen Anschauung zu tun, die in vielen andern Religionen fehlt und die vermutlich ihre starke Entwicklung im Christentum der unmittelbaren Erwartung des jüngsten Tages verdankt, welcher nach der Meinung der ersten Christen m kürzester Frist eintreten und dieser sündigen Erde durch ein allgemeines Weltgericht ein Ende machen sollte. Im Alten Testamente spielt der Glaube an die Unsterblichkeit überhaupt keine irgendwie erhebliche Rolle, im Neuen Testamente tritt er an einzelnen Stellen ein, deren historische Datierung der Bibelforschung überlassen bleiben mag. Im Homer findet man gleichfalls einige Schilderungen, welche auf ein Überleben nach dem Tode hinweisen; hier aber spielen die armen Wesen, die die schöne leuchtende Erde haben verlassen müssen, um im düstern Schattenreich ein unerfreuliches Dasein zu führen, eine durchaus nicht wünschenswerte und angenehme Rolle. Die Frage, womit denn das ewige Leben ausgefüllt werden wird, findet in all den einzelnen Darlegungen, welche die christliche Anschauung bisher ausgearbeitet hat, keine genügende Antwort. Am bequemsten, theoretisch gesprochen, wird man mit den Sündern fertig, da die Mannigfaltigkeit der denkbaren Höllenstrafen eine viel größere ist, als die der himmlischen Freuden. Durch den Überblick über die zahlreichen Möglichkeiten der ersteren wird eine Art von allgemeinem Ewigkeitseindruck erreicht, der zwar nicht sachlich begründet ist, aber für wenig nachdenkliche Gemüter ausreichen mag. Um so unvollkommner und unzulänglicher sind dagegen die Vorstellungen von der Ausfüllung der Ewigkeit beim Überleben für solche, denen die Sünden vergeben und die des ewigen Heils gewürdigt sind. Ich habe in dieser Beziehung fast nichts mehr finden können, als die Vorstellungen, daß diese seligen Geister unaufhörlich Gott anschauen und ihn loben werden. Ich möchte es durchaus vermeiden, diese Vorstellungen, an welche vermutlich zahlreiche Menschen Gefühle knüpfen, die von ihnen als hoch und groß angesehen werden, in das Lächerliche zu ziehen. Zwischen dem mannigfaltig tätigen Leben, das jedermann gegenwärtig auf Erden führt, und einer derartigen Eintönigkeit in der Ausfüllung der ganzen unbegrenzten Ewigkeit besteht aber ein so außerordentlich großer Kontrast, daß jeder ernsthafte Versuch, sich ein derartiges ewiges Leben als selig vorzustellen, durchaus scheitern muß.
Gerade die unwiderstehliche Wendung, die die christliche Religion auf die wirklichen Verhältnisse des tätigen Lebens im Diesseits hatte nehmen müssen, hat die Ewigkeitsvorstellungen immer mehr und mehr verblassen lassen. Wenn ich gegenwärtig gesprächsweise bei den mir zugänglichen Christgläubigen eine Anschauung darüber zu gewinnen suche, weshalb sie denn den Glauben einer ewigen Existenz nach dem Tode festhalten, so bekomme ich fast immer die Antwort, es sei doch so schön, sich zu denken, mit den lieben Menschen, die man auf Erden gekannt hat und von denen man durch den Tod getrennt worden ist, hernach in der Ewigkeit wieder zusammen sein zu können. Hier handelt es sich also durchaus nicht mehr um eine Existenz in Gott oder in unmittelbarer Beziehung zu Gott, sondern, wenn man den Gedanken ehrlich in seine letzten Elemente auflöst, um den Wunsch, das Erfreuliche, was der einzelne Mensch hier in seiner irdischen Existenz erlebt hat, fortsetzen zu können, ohne an ein Ende denken zu müssen oder durch ein Ende in seiner Behaglichkeit gestört zu werden. Nun brauchen wir uns aber nur die irdischen Verhältnisse zu vergegenwärtigen, um zu erkennen, daß auch die vorher angegebenen erfreulichen Beziehungen persönlicher Art durchaus nur auf Zeit angelegt sind. Es gibt kein persönliches Verhältnis, welches dem Einfluß der Zeit unbedingt und ohne jede Veränderung widerstehen könnte. Daß gerade die stärkste Empfindung, die Liebe zwischen den beiden Geschlechtern, gleichzeitig zu den vergänglichsten Gefühlen dieser Art gehört, gestehen uns unsre Dichter und auch gewisse Moralisten nicht zu, aber eine unbefangene Beobachtung der Tatsachen läßt diesen Umstand unwiderleglich hervortreten. Auch wenn ich mein bereits ziemlich langes eigenes Leben überblicke, in welchem eine große Fülle höchst erfreulicher persönlicher Beziehungen aller Art sich haben betätigen können, so muß ich feststellen, daß alle diese Beziehungen ihren Anfang, ihren Höhepunkt und in gewissem Sinne ihr Ende gehabt haben. Am reichsten habe ich persönliche Beziehungen durch meine Lehrtätigkeit gewonnen, während deren eine große Anzahl von Schülern mit unbegrenzter persönlicher Hingabe sich meiner Führung anvertraut und mich dann durch die schönen Resultate, die sie unter dieser Führung gewannen, beglückt hatten. Aber bei jedem meiner Schüler ist auch dieses Auf und Nieder zur Geltung gekommen; waren die Arbeiten fertig, so war der junge Mann, je mehr er wert war und je mehr er mir Freude gemacht hatte, auch um soviel selbständiger geworden, so daß er meiner Führung nicht mehr bedurfte. Andre noch mehr persönliche Verhältnisse will ich nicht schildern, sondern will jeden auf seine eigenen Erfahrungen in diesem Gebiete verweisen. Selbst dankbar geliebte Eltern werden oft bei einer bestimmten Stufe der Lebensentwicklung mehr hinderlich als förderlich, was ja in allgemeinen Verhältnissen liegt und nicht etwa als Unrecht, sondern als eine natürliche Erscheinung angesehen werden muß, aus der man das Beste machen muß, was aus solchen Dingen zu machen ist.
Ziehen wir den Schluß aus all diesen Betrachtungen, so erkennen wir, daß der Gedanke eines ewigen Lebens keine mögliche Basis in unsern irdischen Erfahrungen findet, daß hingegen im Gegenteil alles, was unser Leben ausfüllt, seinen Charakter gerade durch seine Veränderlichkeit hat. Da das Leben in einer beständigen Umwandlung der freien Energie, also in einem beständigen Geschehen besteht, so kann naturgemäß kein dauernder oder unveränderlicher Zustand einen wahren Inhalt des Lebens bilden, sondern muß als Tod empfunden werden. Daher erkennen wir, daß das ewige Leben, wie es uns die Kirche lehrt, nichts ist als der Tod.