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Zweiundzwanzigste Predigt.
Die sterbende Sonne.


Wir erinnern uns aus den frühern Besprechungen der Lehre von der freien und der gebundenen Energie. Während nämlich der erste Hauptsatz oder das Gesetz von der Erhaltung der Energie uns lehrt, daß niemals eine irgendwo vorhandene Energiemenge verschwindet, da alles, was ihr geschehen kann, sich darauf beschränkt, daß sie in andere Formen übergeführt wird, besagt der zweite Hauptsatz, daß diese Formen in bezug auf ihre weitern Umwandlungen von verschiedenartiger Beschaffenheit sind. Es gibt einen Teil der auf Erden und im Weltall vorhandenen Energie, welcher zu weitern Umwandlungen bereit ist, wir nennen ihn die freie Energie, während es einen andern Teil gibt, welcher weitere Umwandlungen nicht mehr von sich aus erfahren kann, sondern zur dauernden Ruhe gelangt ist, wir nennen diesen Teil die gebundene Energie.

Von diesen beiden Hauptarten der Energie wissen wir nun, daß zunächst die freie Energie beständig abnimmt. Die gebundene Energie muß vermöge des ersten Hauptsatzes aus diesem Grunde ebenso beständig und regelmäßig zunehmen. Daraus ergibt sich eine ganz bestimmte und im höchsten Grade wichtige Einseitigkeit alles Geschehens. Wir erkennen das am deutlichsten an dem Begriff der Zeit. In der theoretischen Mechanik kann man die Zeit positiv und negativ setzen und ihre Gleichungen bleiben immer richtig, d. h. man kann die Zeit entweder in dem einen Sinne oder in dem entgegengesetzten Sinne, kann sie vorwärts ebenso wie rückwärts ablaufend denken und es vollziehen sich immer im Laufe dieser Zeit bestimmte gesetzmäßige Geschehnisse von räumlichen Stellungen und Geschwindigkeiten der betrachteten Körper, welche durchaus denselben Charakter haben, in welchem Sinne man die Zeit auch rechnen möge. Die tatsächlichen Geschehnisse auf der Erde, die wir kennen, widersprechen in ihrem Verhalten indessen durchaus diesen Folgerungen aus den Gleichungen der reinen Mechanik. Während nach diesen Gleichungen das Wasser ebensogut hinauf wie hinunter laufen könnte, wissen wir es ganz genau, daß es in Wirklichkeit immer nur bergab läuft, niemals bergauf. Während nach den Gleichungen der reinen Mechanik, vorausgesetzt, daß sie ausreichte, um den Verlauf irgendeines einzelnen Lebens zu kennzeichnen (wozu sie tatsächlich nicht ausreicht), ein Baum sich ebensowohl rückwärts in das Samenkorn verwandeln könnte, aus dem er entstanden ist, wie er sich vorwärts aus dem Samenkorn gebildet hat, wissen wir doch, daß in Wirklichkeit nur der zweite von diesen beiden Vorgängen stattfindet oder möglich ist, daß aber die umgekehrte Entwicklung irgendeines Lebewesens zum Keim zurück durchaus niemals eintreten kann. Und wenn wir auch sagen, daß wir die geheimnisvollen Erscheinungen des Lebens nicht durchschauen und sie daher nicht zu Schlüssen benutzen können: im Anorganischen sind die Sachen ebenso. Dort wissen wir ganz sicher, daß auch die unbelebten Berge durch die natürlichen Wirkungen des Wassers und der Sonne immer nur niedriger, niemals aber höher werden können, daß alles Gestein mit dem Wasser zutal geführt wird, niemals aber von dem Tal wieder zuberge ansteigen kann, daß also, um diesen besondern Fall möglichst kurz auszudrücken, die Erde durch die beschriebenen regelmäßigen Einflüsse der atmosphärischen Verwitterung immer nur flacher, niemals aber gebirgiger, steiler, pittoresker werden kann. Und um von diesen großen Erscheinungen auf ganz kleine zurückzugehen, so erinnere ich mich, wie ich bereits als Knabe, als ich meine ersten chemischen Kenntnisse durch die Herstellung von Feuerwerkskörpern erwarb, mich darüber wunderte, daß beim Mischen der Bestandteile, aus denen die Feuerwerkssätze zusammengesetzt werden, des Salpeters, des Schwefels, der Kohle, der Eisenfeile und was sonst noch dazu gehört, das Gemenge dieser Stoffe immer nur gleichförmiger, niemals aber ungleichförmiger wurde. Ich dachte mir, es müßte doch ebensogut möglich sein, daß unter dem fortdauernden Hin- und Herschaufeln einmal wieder der Salpeter an eine besondere Stelle und der Schwefel an eine andere Stelle kommen könnte, so daß sie voneinander getrennt würden. Statt dessen machte ich übereinstimmend mit all dem, was allgemein bekannt ist, nur die Beobachtung, daß, je länger ich das Mischen fortsetzte, um so gleichförmiger das Gemisch wurde. Also selbst dieser rein mechanische Vorgang verläuft durchaus einsinnig oder einseitig und niemals werden Tatsachen beobachtet, die ein entgegengesetztes Verlaufen der Erscheinungen auch nur andeutungsweise vermuten lassen.

Hier haben wir eine sehr bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen dem, was wir als spezifisch dem Leben angehörig vorher festgestellt hatten, und dem, was wir nun als eine allgemeine Folge des zweiten Hauptsatzes, als Ausdruck des großen Gesetzes von der Verminderung der freien Energie beobachten. Wir erinnern uns nämlich, daß sich die Erscheinungen des Lebens jedes einzelnen Individuums dahin kennzeichnen lassen, daß das Leben mit einem Höchstwerte von Lebenspotential beginnt, welches im Moment der Zeugung geschaffen zu werden scheint. Das ganze Leben besteht dann in einer schnellern oder langsamern Ausgabe dieses Lebenspotentials, vermittels dessen anfangs die zur Verfügung stehenden Nahrungsstoffe auf das ausgiebigste und reichlichste assimiliert und zum Aufbau des Körpers verwendet werden, vermöge dessen später im Höhepunkt der individuellen Entwicklung für die Fortsetzung der Art das Erforderliche geschieht und welches dann im Lauf des spätern Lebens bald schneller, bald langsamer sich derart vermindert, daß auch unter Festhaltung der normalen Lebensbedingungen eine Fortsetzung des Lebens nicht mehr möglich ist. Dann ist eben dieser ursprüngliche Schatz an Lebenspotential erschöpft.

Ebenso wird man sagen können, daß in irgendeinem abgeschlossenen Gebilde, in welches man eine bestimmte Menge freier Energie neben den dort etwa vorhandenen beliebigen Mengen von gebundener Energie hineingebracht hat, zunächst ein lebhaftes Geschehen irgendwelcher Art, welches von der Natur dieser freien Energie abhängig ist, sich betätigen wird, daß dieses Geschehen aber wegen der damit notwendig verbundenen teilweisen Zerstreuung der freien Energie immer schwächer und geringer wird und daß es schließlich dadurch enden wird, daß die ganze freie Energie in gebundene übergegangen ist. Dann herrscht Todesruhe in diesem Gebilde, und es kann aus eignem niemals wieder zu irgendwelchem neuen Leben oder Geschehen erstehen.

Man darf aus dieser Ähnlichkeit nicht etwa schließen wollen, daß die freie Energie und das Lebenspotential dasselbe ist. Das Lebenspotential ist etwas wesentlich anderes; es ist gewissermaßen eine freie Energie höherer Ordnung, denn auch das normale Leben kann auch bei hohem Potential nicht bestehen, wenn nicht der Organismus unaufhörlich neue Mengen freier Energie von außen aufnimmt (nicht etwa aus dem Innern produziert, was er gar nicht kann) und sie in seinem Körper für die besondern Lebenszwecke umformt, die gerade im Augenblick zu erfüllen erforderlich sind. Wohl aber darf man die Tatsache nachdenklich und im höchsten Grade beachtenswert finden, daß der Ablauf des individuellen Lebens vermöge dieses allmählichen Verbrauches des Lebenspotentials die größte Ähnlichkeit hat mit dem Ablauf irgendeiner unbelebten energetischen Erscheinung, soweit diese isoliert, d. h. von dem Zutritt andrer Energien unabhängig gemacht wird. Die Wissenschaft ist gegenwärtig noch nicht so weit entwickelt, um die Ursache dieser Ähnlichkeit bei dem unzweifelhaften Vorhandensein wesentlicher Verschiedenheiten klar zu legen, wohl aber ist es für uns und die anzustellenden Betrachtungen von der größten Wichtigkeit, daß wir uns über diese Ähnlichkeit ebensowohl im klaren sind wie auch über die neben ihr vorhandenen Unterschiede, welche es bedingen, daß alle Lebewesen nach vielen Beziehungen besondere Eigentümlichkeiten und Verhältnisse gegenüber irgendwelchen anorganischen Gebilden besitzen.

Wir wenden uns nun zur Frage von der allmählichen selbsttätigen Verminderung der freien Energie zurück und betrachten diese Erscheinungen in ihren Beziehungen zu dem gesamten Weltall, soweit wir durch Ausdehnung unserer irdischen Kenntnisse derartige Schlüsse begründen können.

Wir sagen uns in dieser Beziehung folgendes. Soweit unsre Kenntnis himmlischer und irdischer Vorgänge geht, haben wir niemals einen Fall konstatieren können, wo die freie Energie zu- und die gebundene Energie abgenommen hätte. Wir sind somit berechtigt, soweit wissenschaftliche Kenntnisse überhaupt ein Recht gewähren können, zu behaupten, daß derartige Vorgänge naturwidrig sind, daß die ganze Welt durchaus auf die Vorgänge der erstbeschriebenen Art beschränkt ist, bei denen die freie Energie sich beständig vermindert.

Hieraus folgt für die Zukunft der Welt der Schluß, daß ihre Gesamtvorräte an freier Energie immer kleiner werden müssen. Da von diesen alles Geschehen abhängt und das Geschehen umso kraftvoller erfolgt, je größer die Menge der freien Energie in dem betrachteten Raume ist, so folgt, daß das Geschehen in der Welt allmählich immer langsamer, schwächer, unbedeutender werden wird, bis es schließlich mit einem vollständigen Ruhezustand abschließt. Diesen Vorgang der allmählichen Verminderung der freien und der Vermehrung der gebundenen Energie nannte William Thomson, der zum ersten Male diese Konsequenzen für das Weltall gezogen hatte, die Zerstreuung oder Dissipation der Energie. Die Dissipation der Energie ist das unabwendbare Schicksal, dem unsre gesamte bekannte Welt entgegen geht. Der Wärmetod des Weltalls ist die Perspektive, welche die Wissenschaft uns eröffnet.

Sachlich übereinstimmend mit diesem Ergebnis ist das auf anderem Wege gefundene und dementsprechend formulierte Gesetz von der allmählichen Zunahme der Entropie zu einem Maximum. Dieses Gesetz ist von Robert Clausius etwas später aufgestellt worden und bezieht sich auf den andern Teil der Gesamtenergie, nämlich die gebundene Energie. Zwar ist der Begriff der Entropie nicht identisch mit dem der gebundenen Energie, er steht aber in engster Beziehung zu ihm. Da nun die Gesamtmenge der Energie in der Welt unverändert bleibt, die Menge der freien Energie abnimmt, so muß natürlich die Menge der gebundenen Energie einem Maximalwerte zustreben, bei welchem die gesamte Energie nur als gebundene existiert.

Um diese abstrakten Betrachtungen in eine konkrete Form zu bringen, werden wir beispielsweise folgern müssen, daß die Sonne, welche ja bekanntlich so gut wie den gesamten Betrag freier Energie ingestalt von Licht und Strahlung auf die Erde gelangen läßt, langsam im Laufe der Jahrmillionen ihren Schein vermindern und schließlich verlieren wird und daß dementsprechend das organische Leben, das unter dem Einflusse ihrer freien Energie bisher auf der Erde geblüht hat, schwächer und schwächer werden wird, um schließlich ganz zu verschwinden. Und zwar muß dies eintreten, lange bevor der Vorgang des Erlöschens zu Ende gelangt ist; denn wenn der Strahlungsbetrag unter einem bestimmten endlichen Wert gesunken ist, so kann kein organisches Leben mehr bestehen, wie wir ja in den Polargegenden der Erde schon jetzt beobachten können. Diese Betrachtung nimmt uns auch den Trost, daß wegen der mit der Abnahme der Menge der freien Energie eintretenden Verlangsamung der Zerstreuungsvorgang schließlich doch unendlich lang dauern wird. Bereits innerhalb des endlichen Gebietes muß ja der Zerstreuungsvorgang zu einem Zustande führen, der das Leben unmöglich macht. Und darauf kommt es uns an, nicht darauf, ob noch die letzten verglimmenden Funken der freien Energie über die Existenzmöglichkeit des Lebens hinaus ein beliebig langes Dasein fristen.

In jüngster Zeit hat man sich gegen diesen Schluß dadurch zu helfen gesucht, daß man annahm, die Sonne enthalte Radium oder ähnliche Stoffe in größerer Menge. Das Radium ist eine Energiequelle von ungeheuer viel größerer Fruchtbarkeit, als die bisher bekannt gewesenen, und daher hatte man sich gedacht, daß dadurch die Sonne gegen das Verlöschen geschützt sein könnte. In den radioaktiven Stoffen sind nämlich Quellen von ungeheuren Energiemengen erkannt worden, die unvergleichlich viel reicher oder dichter sind, als alle bisher bekannten Energieansammlungen in der Welt. Ein Gramm Radium enthält ungefähr eine Million mal mehr Energie, als ein Gramm Knallgas, welches man bisher als eine der konzentriertesten Energieformen, die wir kennen, angesehen hatte. Nimmt man nun an, daß die Sonne vorwiegend aus radioaktiven Stoffen, etwa aus Radium oder verwandten Elementen besteht, so kann man sich eine Vorstellung davon machen, wie es möglich gewesen ist, daß die Sonne durch einige Millionen Jahre mit wesentlich unverminderter Stärke geschienen hat, d. h. daß die durchschnittliche Abgabe freier Energie seitens der Sonne an den Weltenraum während dieser langen Zeit keine wesentliche Änderung erfahren hat. Es wird dadurch indessen nur der zeitliche Maßstab für das endliche Verlöschen der Sonne in dem Verhältnis von eins zu einer Million verlängert. Aber die Gesamtkonsequenz bleibt dieselbe: auch das Radium ist keine ewigwährende Energiequelle, sondern während es seine Strahlungen aussendet, zersetzt es sich selbsttätig und im Laufe der Zeit ist dann trotz der ungeheuren Mengen Energie, die in einem Gramm Radium aufgehäuft sind, auch dieser so sehr konzentrierte Betrag zerstreut und dem Schicksal aller andern freien Energien anheimgefallen.

Unabhängig von diesem Ausweg über die radioaktiven Stoffe ist ein anderer Gedankengang, den der berühmte kosmische Physiker Arrhenius vor einigen Jahren der Welt zu ihrer Beruhigung mitgeteilt hat. Man kann sich nämlich in dem Weltall gewisse Vorgänge denken; durch welche der Zerstreuungslauf der Energie, der sonst für alle diejenigen Vorgänge gültig ist, die wir auf der Erdoberfläche hervorbringen oder beobachten können, doch eine Umkehrung erfährt. Durch eine eigentümliche Kombination von chemischer und strahlender Energie glaubt Arrhenius den Nachweis erbracht zu haben, daß auch Vorgänge möglich sind, wo im Weltall eine zerstreute Energie wieder gesammelt werden, wo eine gebundene Energie sich wieder in freie Energie umsetzen kann. Es soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden, wie weit diese Vorstellungen wissenschaftlich durchführbar sind oder ob sie nicht doch an irgendeiner Stelle auf einem Mißverständnis der tatsächlichen Verhältnisse beruhen. Selbst wenn wir annehmen, daß die Betrachtungen von Arrhenius ganz richtig sind, so gewinnen wir für die »Ewigkeit« des Menschengeschlechtes auf diesem Wege keine bessern Perspektiven, als wir sie auf den bisher versuchten Wegen gefunden hatten. Denn jene Vorgänge, durch welche in einem ruhenden Gebiet zerstreuter Energie wiederum neues Geschehen beginnen, die zerstreute Energie sich in freie Energie wieder verwandeln kann, bedingen eine so überaus weitgehende Überführung aller Substanzen in den Zustand äußerster Zerteilung, daß durch diesen Vorgang alles menschliche Leben, alle Produkte menschlicher Kultur, kurz und gut alles das, was die Menschheit als Gesamtorganismus im Lauf von Jahrtausenden und Jahrhunderttausenden geschaffen hat und auf dessen Erhaltung es uns allein ankommt, ohne irgendwelchen geformten und benutzbaren Rest in die allerfeinsten Atome zerstäubt sein wird. Wenn also auch durch diese Betrachtungen eine Art Ewigkeit der Stoffe, aus denen das Weltall besteht, und ein ewiger Kreislauf der Energien von dem Zustande der freien Energie bis zu dem Zustande der gebundenen oder zerstreuten und von diesem wieder zu dem ursprünglichen Zustande zurück gesichert sein sollte, so bleibt nichtsdestoweniger das Auftreten der Menschheit innerhalb dieser großen Wogen des Daseins eine ganz verschwindend kleine Blase, die eine kurze Zeit auf der Oberfläche schwimmt und dann platzen muß, weil sie diesen enormen Bewegungen nicht ohne Zerstörung zu folgen vermag.

Wir müssen also ganz allgemein feststellen, daß die Wissenschaft auf all den Wegen, die sie bisher gegangen ist, für die Menschheit doch nichts anderes gefunden hat, als ihre zeitliche Begrenztheit. Wir müssen uns mit dem Gedanken vertraut machen, daß das Auftreten der Menschheit nur eine verschwindend kleine und kurze Episode innerhalb der großen Geschehnisse der Welten bedeutet und daß insbesondere alle die Schätze der Wissenschaft und Kunst, der Bildung und Kultur, welche die Menschheit gelernt hat, für ihre Glieder auch über die Lebensdauer jedes einzelnen Individuums hinaus anzuhäufen und brauchbar zu erhalten, ebenfalls nur eine zeitliche Dauer besitzen und durch den schweren Schritt der Geschehnisse im Weltall ebenso zertreten werden müssen, wie der Mensch auf seinem Wege eine Pflanze oder ein kleines Tier zertritt.

Es gibt eine Menge Menschen, welche dies Ergebnis der Wissenschaft für trostlos, für entwürdigend halten, da es die Menschheit von der ihr zukommenden Höhe herabschleudert. Sie bezeichnen daher die Wissenschaft als eine Zerstörerin der Ideale. Nun lehrt, uns aber die Geschichte, daß solche Zerstörungen sogenannter Ideale mehrfach im Lauf der Kulturentwicklung stattgefunden haben und daß jeder derartige Vorgang nicht etwa nachteilig, sondern im höchsten Maße fördernd und erhebend auf die Menschheit eingewirkt hat.

Der erste große derartige Schritt geschah durch die Entdeckung von Kopernikus, derzufolge die Erde von ihrer zentralen Stelle im Weltall, wo sich die Sonne und die anderen Planeten sowie der gesamte Sternenhimmel um sie bewegen sollte, herabgesetzt und zu einem der mehreren Planeten gemacht wurde, die um die Sonne kreisen, welche ihrerseits nur ein Fixstern unter Millionen ist. War mit diesem großen Fortschritt in der astronomischen Erkenntnis ein Heruntersinken der Menschheit von einer vorher eingenommenen Höhe verbunden? Nein, umgekehrt; es trat der Beginn jenes enormen Anstieges der Menschheit ein, nämlich die Wendung zur Naturwissenschaft, deren immer größere und erfolgreichere Schritte wir in der wissenschaftlichen Entwicklung unsrer Tage sehen, durch die das menschliche Leben verlängert, die Gefahr von Krankheit und andern elementaren Angriffen auf unser Wohl stark vermindert, Sicherheit und Glück auf der Erde in allerhöchstem Maße gesteigert worden ist.

Ein zweiter fundamentaler Schritt gleicher Art wurde dann durch Darwins Betrachtungen über die Entwicklung aller Lebewesen auf der Erde getan, wobei der Mensch wiederum von seiner geglaubten Sonderstellung in der belebten Natur abgesetzt wurde. Als es klar wurde, daß nicht etwa die ganze übrige Masse der Lebewesen zum Nutzen des Menschen, in seinem Interesse oder in Beziehung auf ihn geschaffen sei, sondern daß der Mensch nur ein Lebewesen unter vielen ist, das nur durch eine besondre Entwicklung jene auffallende Stellung hat erwerben können, die es unter seinen Vettern schließlich auf der Erde eingenommen, hat auch diese anscheinende Degradation der Menschheit ihr nicht zum Nachteile, sondern zum höchsten Vorteile gereicht; denn durch diese Erkenntnis ist eine große Menge von religiösem Aberglauben beseitigt worden, welche bis dahin lastend auf den Entwicklungsmöglichkeiten der Menschheit geruht hat. Wir haben ja gesehen, wie der Entwicklungsgedanke den religiösen Pessimismus in den wissenschaftlichen Optimismus verwandelt hat.

Heute stehen wir nun vor einem dritten Ereignis derselben Art, einem Ereignis, welches der Menschheit die bis dahin beanspruchte Ewigkeit nimmt. Seine Bedeutung ist so groß, daß wir ihm eine gesonderte Betrachtung widmen müssen.


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