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Vor einiger Zeit erhielt ich eine Postkarte, auf welcher geschrieben stand: Wenn Tolstoi am alten Ideal zugrunde ging, warum brach Nietzsche am neuen zusammen? Die Postkarte enthielt keine Namensunterschrift und es war mir deshalb einen Augenblick zweifelhaft, ob sie wirklich, wie angegeben war, von einem Monisten herrührte oder nicht vielmehr von irgendeinem theologischen oder sonstigen Gegner des Monismus, der dem Monistenprediger durch jene Frage eine kleine Falle stellen wollte, zumal sie den Poststempel Regensburg trug. Wenn dies die Absicht war, so ist sie jedenfalls nicht erreicht worden, obwohl die Frage verfänglich genug gestellt war, um einige Verlegenheit hervorzubringen. Sie ist nämlich insofern irrtümlich, als Nietzsche durchaus nicht am neuen Ideal zugrunde gegangen ist. Vielmehr, wenn von einem Zugrundegehen die Rede sein kann, so ist er daran zugrunde gegangen, daß er das neue Ideal nicht zu finden vermochte, sondern sich auf dem Wege dahin verirrte.
Die Ursache davon ist zunächst darin zu suchen, daß Nietzsche kein Naturforscher gewesen ist; er hat bekanntlich seine wissenschaftliche Ausbildung als klassischer Philologe begonnen, hat auch seine ersten schöpferischen Gedankenarbeiten durchaus auf dem von der klassischen Philologie abgesteckten Gebiete gemacht und ist schließlich erst durch persönliche Beziehungen (hauptsächlich eine Freundschaft mit Dr. Rée) in den Gedankenkreis der evolutionistischen und insbesondere der darwinistischen Ideen eingeführt worden. Er hat dann von dem Gedankenkreise der Naturforschung und dem ganzen Habitus des naturwissenschaftlichen Denkens einen höchst überraschenden, ja einigermaßen ungeheuerlichen Eindruck erhalten, der eben mit der Art und Weise zusammenhängt, wie er in diesen Ideenkreis hineingelangt ist. Vielleicht wird ein Bild die hier vorhandenen Verhältnisse schneller und anschaulicher deutlich machen, als es eine lange theoretische Auseinandersetzung könnte.
Wenn man sich von der sächsischen Seite, also von Norden nach Süden wandernd, dem Kamm des Erzgebirges nähert, so merkt man eigentlich gar nicht, daß man auf eine Gebirgshöhe kommt. Nur die zunehmende Aermlichkeit der Vegetation und die entsprechende Rückständigkeit im Frühling oder Frühzeitigkeit der Winterzeichen im Herbst erinnert daran. Man erreicht endlich den Kamm und dann geht es nach der böhmischen Seite äußerst steil abwärts. Man muß sich auf dieser durch steiles und wildes Gebirg unter Schwierigkeiten den Weg suchen. Nun, die Naturforscher sind bis auf den Kamm des Gebirges, d. h. auf die Gesamtheit der naturwissenschaftlichen Weltanschauung auf dem langsamen sächsischen Wege des stetigen Fortschrittes gekommen. Ein Stück nach dem andern von der geistigen Höhe, welche die Gesamtheit der Naturwissenschaft darstellt, ist von ihnen in regelmäßiger Tagesarbeit gewonnen worden. Sie haben sich während der zwei oder drei Jahrhunderte, die dieser langsame Aufstieg dauerte, mehr und mehr an die verdünnte Luft und die stürmischen und harten Verhältnisse dieser Höhe gewöhnt, so daß sie ihnen weiter nicht fremd oder wunderlich vorkommen; sie haben ihre Tagesarbeit auch unter diesen Bedingungen ruhig und regelmäßig zu machen gelernt.
Anders der Philolog Nietzsche. Aufgewachsen in einem Gedankenkreise, der vor mehr als 2000 Jahren geschaffen worden ist, der also ein ziemlich frühes Entwicklungsprodukt der denkenden Menschheit darstellt, hatte er sich durchaus in den blütenreichen Niederungen dieses Gedankenkreises zu bewegen gelernt. Nun brachte ihn das Schicksal und sein Freund Rée plötzlich auf diese Gebirgshöhe der Wissenschaft. Er hat den Luftwechsel von der Tiefe zur Höhe außerordentlich stark empfunden, denn er ist gleichsam von der böhmischen Seite aufgestiegen. Nicht in ruhigem, regelmäßigem Fortschritte, sondern auf steilen Bergpfaden, häufig außer Atem geratend. Er hatte meist die Uebersicht verloren und fand sich schließlich auf der luftverdünnten Höhe in dem unheimlich kahlen, nüchternen und kalten Gebiete, tief erschrocken von der Kühnheit des eigenen Wagnisses.
Dieses Verhältnis ist dann für Nietzsches Beziehung zur Naturwissenschaft dauernd bestehen geblieben. Er hat sich immer als machtlos gegenüber einer gewaltigen und unheimlichen Natur gefühlt, denn er hat sich niemals als Arbeiter an diesem großen Gebilde mit ihm vertraut machen dürfen, weil er niemals auch nur am kleinsten Teil naturwissenschaftlicher Einzelarbeit seine Hand erprobt und die Macht des menschlichen Geistes auch der Natur gegenüber selbst gefühlt hat. Wiederholt hat er es ausgesprochen, daß er eigentlich vernünftig täte, sich dem Studium der Naturwissenschaft mit allem Nachdruck hinzugeben. Es war natürlich viel zu spät, solches zu tun, nachdem die Art und Weise, wie er wissenschaftlich und schöpferisch zu denken gewohnt war, durch die frühzeitig aufgenommenen Eindrücke der klassischen Philologie für alle Zukunft bestimmt, ja, man muß wohl sagen, benachteiligt war.
So ist denn auch sein ganzes späteres wissenschaftliches Leben ein unaufhörlicher Kampf zwischen einer großen ursprünglichen Begabung und einer in der Entwicklung von vornherein gestörten geistigen Beschaffenheit gewesen. Das allerwichtigste, die empirisch-kritische Schulung, ist ihm in dem Gebiet der Naturwissenschaften, also grade an entscheidender Stelle, abgegangen. Er hat deshalb niemals die Fähigkeit der Kritik gegenüber den allgemeinen naturwissenschaftlichen Ergebnissen besessen. Nun vergegenwärtige man sich, wie bei dieser allgemeinen Sachlage die Idee vom Kampf ums Dasein auf einen originalen, durchaus revolutionär gesinnten Denker wirken mußte. Die Wissenschaft hatte eben erst sich dieses Denkmittels bemächtigt und hatte seine außerordentlich ausgedehnte Anwendbarkeit zu begreifen begonnen. Anwendungen aller Art beleuchteten den Kampf ums Dasein unter allen möglichen Verhältnissen und in allen möglichen Gebieten. Man schilderte den Kampf ums Dasein am Himmel und unter den Molekülen, den Kampf ums Dasein der Teile im Organismus und der Nationen im Völkerleben. Es kommt nicht darauf an, ob Nietzsche alle diese Gedanken einzeln gekannt hat; es ist sogar unwahrscheinlich, daß das der Fall gewesen ist. Wesentlich aber ist, daß er in diese gesamte wissenschaftliche Denkweise hineingekommen ist, daß er den Eindruck gewonnen hat, der Begriff des Kampfes ums Dasein sei ein Schlüssel, durch den die Gesamtheit der naturwissenschaftlichen Probleme in allgemeinster Art gelöst werden könne.
Gegenwärtig haben wir gelernt bedeutend kühler über diesen Gedanken zu denken und ihn namentlich sorgfältig von dem der Entwicklung zu sondern. Der Kampf ums Dasein ist ein Mittel zur Entwicklung, aber durchaus nicht, wie Nietzsche es damals annahm, das einzige. Betrachten wir nämlich das Geltungsgebiet des Prinzips des Kampfes ums Dasein im weitesten Sinne, so werden wir folgendes sagen. Es wird im Anorganischen unbedingt gültig sein, denn in der anorganischen Welt wird selbstverständlich nur das dauern, was in irgendeiner Weise am dauerhaftesten beschaffen ist. Auch im Gebiet der niedern Organismen, die nur auf ganz wenige Lebensbedürfnisse mit zweckentsprechender Betätigung reagieren können, aber ungewöhnlicheren Verhältnissen gegenüber vollkommen wehrlos sind, ist der Kampf ums Dasein maßgebend für die Existenzmöglichkeit des Individuums und der Art, sowie für das geringe Maß Entwicklung, das wir im Laufe geologischer Perioden an solchen Organismen beobachten können. Es ist ja bekannt, daß das einzige Mittel solcher niederster Lebewesen, im Kampf ums Dasein zu bestehen, die Produktion von ungeheuren Mengen Nachkommenschaft ist. Hier wird durch die enormen Leistungen in der Erzeugung der Nachkommen der enorme Verlust an Leben durch die wenig geeignete Beschaffenheit des einzelnen Individuums soweit kompensiert, daß schließlich die Existenz der Art einigermaßen gesichert ist. Aber je höher wir hinauf kommen, um so weniger finden wir den Kampf ums Dasein am Werke, um so deutlicher tritt uns die ungeheure Unzweckmäßigkeit gerade dieses Mittels für Erhaltung des Individuums und der Art entgegen. Friedrich Lange hat unter dem Eindruck dieses tatsächlichen Verhältnisses die Art und Weise, wie die Natur ihre Zwecke erreicht, verglichen mit der Unternehmung, etwa einen Hasen zu schießen, derart, daß man auf einem Felde, wo möglicherweise ein Hase ist, tausende von Gewehren nach allen möglichen Richtungen abfeuert, bis endlich durch Zufall ein Hase getroffen ist.
Aber wir sehen bereits bei etwas höheren Organismen, daß die Zahl der Nachkommen immer kleiner und kleiner wird, daß also dieses primitivste aller Mittel durch die bloße Massenhaftigkeit der Zahl die Erhaltung der Species und der Art zu sichern, durch ein anderes ersetzt zu werden beginnt.
Welches ist nun dieses neue Mittel? Es ist die Voraussicht der künftigen möglichen Ereignisse und die entsprechende Anpassung des Individuums an eine bedeutend größere Mannigfaltigkeit solcher Ereignisse, derart, daß diese ihm nicht mehr zum Schaden, sondern womöglich zum Nutzen gereichen. Durch diese zunehmende Anpassung an die künftigen Existenzbedingungen wird erreicht, daß immer mehr und mehr von den Nachkommen überlebend bleibt und daß infolgedessen die Zahl der Nachkommen außerordentlich stark eingeschränkt werden kann. Wir wissen, daß bei den höheren Säugetieren diese Einschränkung der Nachkommenschaft bisweilen so weit geht, daß sie mit der beim Menschen vergleichbar wird.
Wie steht es nun beim Menschen? Auch beim primitiven Menschen ist zweifellos der Kampf die Regel gewesen. Krieg war die Art und Weise, durch welche sich verschiedene Individuen, die in derselben Zeit und annähernd auf demselben Raum nebeneinander lebten, gegenseitig auseinandersetzten. Aber betrachten wir in unserer Zeit die eigensüchtigsten und rücksichtslosesten Individuen der Spezies Mensch. Sie arbeiten nicht mehr mit den Mitteln des Kampfes gegen alle anderen, um das zu erreichen, was sie anstreben, sondern der höchst entwickelte Typus des modernen Eroberers bildet den Trust, d. h. einen Zusammenschluß einer größeren Anzahl ähnlich begabter Männer zu dem Zweck, gemeinsam sich der erwünschten Güter zu bemächtigen.
Es hat also mit andern Worten das Vergesellschaftungsprinzip den Kampf ums Dasein ersetzt und je weiter die Menschheit sich zum sozialen Wesen entwickelt, je weniger es dem einzelnen fernerhin möglich bleibt, ohne die Hülfe seiner Mitmenschen zu existieren, um so mehr muß jene primitive Form des Kampfes aller gegen alle ersetzt werden durch die höhere, soziale Form der Vereinigung aller zu gemeinsamen Zwecken. Daß dieser Ersatz notwendig ist, wird alsbald klar aus dem allgemeinsten Grundsatz, den wir für die Ordnung aller Dinge auf unserer Erde kennen gelernt haben, aus dem Grundsatz der möglichsten Ersparnis an freier Energie. Da erkennen wir alsbald, daß der Kampf aller gegen alle von allen denkbaren Mitteln, das gemeinsame Leben der Menschen in Zeit und Raum zu ermöglichen, das roheste und unzweckmäßigste ist, daß jeder energetische Fortschritt, (der gleichzeitig ein kultureller ist), diesen Kampf eindämmt und durch eine geordnete Zusammenarbeit ersetzt. Die Arbeitsteilung und die Arbeitsvereinigung, diese modernste Form der menschlichen Betätigung, ist weiter nichts als das Mittel, um mit möglichst geringem Energieaufwand ein möglichst großes Resultat zu erzielen.
Wir haben wiederholt in dieser Auseinandersetzung das Wort zweckmäßig anwenden müssen. Woher rührt der Begriff Zweck, was drückt er bei der allgemeinsten Auffassung aus? Die Antwort ist: Ein Zweck ist überall nur dort möglich, wo eine Voraussicht möglich ist. Warum lehnen wir Monisten zum Beispiel ab einen Zweck der ganzen Welt zu statuieren? Weil wir kein mit Voraussicht begabtes Wesen kennen, welches fähig gewesen wäre, der Welt, wie wir sie kennen, die vorhandene Form zu geben. Wir kennen nur beim Menschen Zwecke, und wir wissen, daß seine Fähigkeit die Gestaltung der Welt zu beeinflussen auf die Oberfläche der Erde beschränkt bleibt und auch dort nur einen äußerst geringen Umfang hat. Aber, daß wir Zwecke haben und daß wir sie verfolgen und verwirklichen, beruht ganz und gar auf unserer Möglichkeit die Zukunft vorauszusehen und unser Verhalten der erwünschten Zukunft gemäß zu bestimmen. Hier tritt wiederum die Wissenschaft als die höchste Leistung des menschlichen Geistes hervor. Denn wir wissen bereits aus vielfältigen Betrachtungen, daß das Voraussehen ganz und gar eine Sache der Wissenschaft ist, so daß wir die Wissenschaft kurzweg als die Kunst des richtigen Voraussehens definiert haben.
Also können wir zusammenfassend sagen, daß wirklich der Kampf ums Dasein von allen denkbaren Möglichkeiten, das Nebeneinanderleben der Wesen zu ermöglichen, die allerprimitivste und kulturärmste Form ist. Wie sehr eine Gesamtauffassung der menschlichen Kultur in die Irre geführt werden muß durch die Annahme, diese primitive Form sei überhaupt die einzig mögliche und denkbare, läßt sich alsbald erkennen und wir begreifen, in welchem Maße ein so konsequenter und vor keiner logischen Folgerung zurückschreckender Geist wie Nietzsche durch diese von Grund aus falsche Orientierung in die Irre geführt werden mußte. Nietzsche hat sich nicht die Frage gestellt, ob denn wirklich der Kampf ums Dasein das einzige Entwicklungsprinzip auch der höheren Lebewesen ist, sondern hat diese Auffassung als das Resultat der Wissenschaft ohne weiteres angenommen. Der Vorwurf, der darin liegt, wiegt ja nicht allzu schwer, was das Persönliche anlangt. Denn diese Gedanken waren damals zu neu, als daß man sie noch nach allen Richtungen zu durchforschen Zeit gefunden hätte. Ist doch die Ansicht, daß der Kampf ums Dasein nicht einmal der Hauptfaktor im Verhalten der Menschen ist, sondern daß die bewußte gegenseitige Ordnung menschlicher Beziehungen ihn längst stufenweise ersetzt, erst in jüngster Zeit klar und bestimmt ausgesprochen, nämlich durch Rudolf Goldscheid in Wien. Die tägliche Literatur in der Soziologie läßt erkennen, wie wenig in das Bewußtsein auch der gegenwärtigen Denker diese fundamentale Einsicht eingedrungen ist. Wenn also auch der persönliche Tadel, der hier gegen Nietzsche zu erheben wäre, gering ist, so sind doch die Folgen für ihn und seine Anhänger außerordentlich groß und schwer geworden.
Denn aus der Idee, daß der Kampf ums Dasein das Maßgebende für die menschliche Entwicklung sei, ist ja Nietzsches Ideal der »blonden Bestie« entstanden, als desjenigen menschlichen Wesens, das im Kampfe ums Dasein alle anderen zu überwinden vermag. Diese logische Konsequenz des Grundgedankens ist noch durch den Umstand aufs schärfste gesteigert worden, daß Nietzsche ein kranker Mann war und durch eine natürliche Gegenwirkung der physischen Gesundheit und Kraft eine ungebührlich hohe Bedeutung beilegte.
Hinzu kommt dann noch die durch Nietzsches Jugenderziehung außerordentlich verstärkte Abneigung gegen die große Menge, die sich bis zu Verachtung und Haß steigert. Es handelt sich hier um eine pathologisch gewordene Form des gewöhnlichen Philologenhochmuts, der damals bei den Vertretern dieser Wissenschaft noch in Blüte stand, während er in unseren Tagen deutlich gebrochen und einer ängstlichen Besinnung auf die Frage gewichen ist, ob denn die frühere Stellung überhaupt zu halten und zu retten sei.
So hat dieser fundamentale Gedankenirrtum Nietzsches dazu geführt, daß ihm das wichtigste Element des modernen Ideals, das soziale Denken vollständig abging. Sein System ist vielmehr ein ausgeprägter Gegensatz gegen das soziale Denken. Seine Verachtung der Masse steht im engsten Zusammenhang mit der Denkweise des Altertums und infolgedessen konnte er dieses sein System mit der Welt, wie er sie vor sich fand, auf keine Weise in Uebereinstimmung bringen. Daß er den Fehler, der solchergestalt in seiner philosophischen Rechnung entstand, nicht sich selbst und der Unrichtigkeit seiner Voraussetzungen zuschrieb, sondern der Elendigkeit ebendieser Welt, in der er sich selbst fand, ist eine so normale Philosopheneigenschaft, daß es uns auf das Höchste wundern würde, wenn sie in diesem Falle, wo sie zudem noch durch die philologische Grundlegung seines Wissens und Denkens verstärkt wurde, nicht zur Geltung gekommen wäre. So türmte Nietzsche auf diesem unsichern, ja durchaus unhaltbaren Grunde ein ungeheures Denkgebäude auf und je stärker er die Unmöglichkeit fühlte, seine Konstruktion mit dem Denken seiner Zeitgenossen in Zusammenhang zu setzen, um so kräftiger brach sein Widerspruch, ja sein Haß und seine Verachtung gegen die Zeitgenossen hervor, um so tiefer untergrub er aber auch sein eignes Leben. Denn, wie groß die theoretischen Fehler sein mögen, die ein Philosoph am Ende des XIX. Jahrhunderts begehen mag, die Tatsache, daß der Mensch ein soziales Wesen ist, daß er der übrigen Menschen zu seiner Existenz bedarf und zu Grunde gehen muß ohne diese übrigen Menschen, diese rein erfahrungsmäßige Tatsache kann ein solcher Mann nicht aus der Welt bringen und sie übt deshalb einen entscheidenden Einfluß auf das Verhältnis seiner Philosophie zur Welt aus, indem sie sie eben in dieser Welt unmöglich macht.
Es wäre eine reizvolle Aufgabe, weiterhin zu verfolgen, wie derselbe fundamentale Fehler in Nietzsches geistiger Konstitution, nämlich das Bedürfnis, naturwissenschaftlich zu denken, ohne daß er im Besitz eines genügenden Betrages von erfahrungsmäßigen Kenntnissen von dem Gebiet war, in dem er sein Denken vorwiegend betätigen wollte, auf die Beschaffenheit dieses Denkens selbst ausgeübt hat. Ich will nur flüchtig darauf hindeuten, daß auch die verzweifelte Idee der ewigen Wiederkehr, die Idee, daß alles, was geschieht, schon unzählige Male geschehen ist und in absolut derselben Weise künftig unzählige Male von neuem geschehen wird, aus einer ganz ähnlichen Quelle herrührt, nämlich aus der unhaltbaren und von ihm ganz übernommenen mechanistischen Naturauffassung. Hält man die ganze Welt für ein mechanisches Gebäude ohne Reibung, etwa wie das Planetensystem der Sonne, dann würde eine solche Konsequenz freilich einigermaßen haltbar sein. Aber wir wissen ja bereits, daß im zweiten Hauptsatz ein ganz allgemeines naturwissenschaftliches Faktum vorliegt, das durchaus ein einsinniges Geschehen in der Welt bedingt und dessen Vorhandensein daher die ganze Nietzsche-Idee von der ewigen Wiederkehr als wissenschaftlich nicht haltbar zu Falle bringt.
Zusammenfassend werden wir also sagen: Nietzsche ist nicht an dem neuen Ideal zusammengebrochen, sondern Nietzsche ist zusammengebrochen, weil er das neue wissenschaftliche Ideal verfehlt hat.