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Zweite Predigt.
Wie kam das Böse in die Welt?


Jedem von uns ist aus seiner Kindheit die Geschichte vom Sündenfall geläufig, durch welche die Bibel die rätselvolle Frage zu beantworten versucht, wie denn das Böse in eine von einem guten Gotte geschaffene Welt überhaupt hat hineingelangen können. Nach dieser Darstellung war die Erde zunächst vollkommen, und ebenso alles, was auf ihr lebte. Dann schuf Gott das Weib, damit es dem Manne eine Gehilfin sei und bezeichnete außerdem einen besonderen Baum im Paradiese, von dem zu essen er verbot, während alle anderen Bäume beliebig in Gebrauch genommen werden konnten. Durch die Schlange verführt, aß das Weib vom Baume der Erkenntnis und verführte seinerseits den Mann dazu. Dieses persönliche Vergehen der Stammeltern des Menschengeschlechtes hat sich dann durch Vererbung auf alle Nachkommen übertragen, so daß nicht allein das Urelternpaar als todeswürdige Verbrecher wegen dieses Ungehorsams vor Gott dastanden, sondern auch alle Nachkommen an der gleichen Schuld und Strafe teilhaben.

Ich will auf alle die zahllosen Fragen, welche durch diese Darstellung hervorgerufen werden, hier nicht eingehen und nicht die großen Inkonsequenzen beleuchten, welche gerade die moralische Seite dieser Geschichte so überaus bedenklich machen. Ich will nur hervorheben, daß hier bereits das Vorhandensein des Bösen (als Sache und als Person) vorausgesetzt ist, denn die Darstellung läßt vermuten, daß der Sündenfall ohne die Verführung durch die Schlange nicht eingetreten wäre. Also muß wieder die Frage aufgeworfen werden, wie der und das Böse in Gestalt der Schlange in die Welt gekommen ist.

Hierüber gibt die Bibel keine bestimmte Auskunft; es bleibt bei der gelegentlichen Andeutung von der Existenz gefallener Engel, die sich gegen den Herrn aufgelehnt hatten. Auch hier spielt also das Motiv des Ungehorsams eine entscheidende Rolle, gemäß dem natürlichen Bestreben jeder Priesterschaft wie überhaupt jeder herrschenden Klasse, die Abweichung von den ihrerseits gegebenen Vorschriften und den Versuch eines davon unabhängigen, selbständigen Verhaltens als die allergrößte Sünde (nämlich die gegen ihre eigene Vorherrschaft) mit möglichst kräftigen Abschreckungsmitteln zu umgeben. Die Frage, warum denn nicht auch die Engel so geschaffen worden waren, daß ein Ungehorsam ihnen unmöglich war, bleibt auch hier unbeantwortet und unbeantwortbar.

Die charakteristische Grundlage der Mythe vom Sündenfall ist die Annahme von dem Vorhandensein des Paradieses und eines schuldlos-glücklichen Lebens darin, das dann durch einen besonderen Umstand, nämlich die Einführung der Sünde gestört worden ist Die gleiche Ansicht, daß der Beginn der Menschheit durch ein goldenes Zeitalter gekennzeichnet sei, findet sich weit verbreitet auch außerhalb des Juden- und Christentums, und ein mir persönlich gut bekannter Gelehrter, der vergleichende Religionsgeschichte zum Gegenstand seines besonderen Studiums gemacht hat, teilte mir auf meine ausdrückliche Frage mit, daß tatsächlich die gleiche Vorstellung vom Beginn der Menschheit mit einem goldenen Zeitalter ganz allgemein verbreitet sei und die Grundlage der Religionsanschauungen sogut wie aller Völker bilde. Die Erscheinung ist so regelmäßig und tritt so unabhängig von möglichen Übertragungen auf, daß eine unabhängige mehr- oder vielfache Entstehung der gleichen Grundanschauung angenommen werden darf, ja vielleicht muß.

Nun hat die Wissenschaft uns bekanntlich ein ganz anderes Bild von den Uranfängen der Menschheit gegeben. Wenn wir alle hypothetischen Annahmen über die weiter zurückliegenden Vorfahren, die etwa noch nicht menschliche Eigenschaften (im anatomischen Sinne) gehabt haben mögen, bei Seite lassen, so dürfen wir doch mit aller Bestimmtheit aussprechen, daß je weiter wir in die Urgeschichte der Menschheit zurückgehen, um so weiter wir uns auch sicherlich vom paradiesischen Zustande entfernen. Wildheit, Grausamkeit, Blutgier, Mord und Kannibalismus sind sicherlich um so häufiger, je mehr wir uns dem Urmenschen nähern oder, genauer gesagt, je weiter wir geschichtlich rückwärts vom heutigen Kulturmenschen gelangen. Es kann ja nicht anders sein, wenn wir überhaupt dem Menschen die Fähigkeit zuerkennen, sich seinem Willen gemäß langsam zu ändern. Denn dann hat er sich jedenfalls so geändert, wie er es wünschte, und nicht umgekehrt. Und daß er diese Fähigkeit besitzt, davon geben uns die zahllosen Kenntnisse und Fertigkeiten ein unwidersprechliches Zeugnis, über welche z. B. der heutige Mensch im Gegensatz zu dem vor nur fünfzig Jahren verfügt.

Also die Wissenschaft verlegt das goldene Zeitalter, oder was einem solchen unter menschlichen Verhältnissen ähnlich werden könnte, jedenfalls nicht in die ferne Vergangenheit, sondern in die (leider gleichfalls noch recht ferne) Zukunft. Jeder geschichtliche Blick, der nur über ein Jahrhundert oder einige reicht, gibt uns zweifellos zu erkennen, daß die Menschheit auf dem Wege fortschreitet, den sie in ihrer Mehrzahl zu gehen wünscht, d. h. daß sie in ihrem Sinne jedenfalls besser wird.

Wie hat es denn kommen können, daß die gegenteilige Ansicht mit dieser großen, fast ausnahmelosen Allgemeinheit hat entstehen müssen? Es liegt hier offenbar eine naturgesetzlich bedingte Notwendigkeit vor, die unabhängig von Rasse, Lebensweise und sonstigen Mannigfaltigkeiten beim Menschengeschlecht ist und auf Gründen beruhen muß, welche bei allen Menschen übereinstimmend vorhanden sind.

Ein solcher Grund gibt sich zu erkennen, wenn man alte Leute mit der Frage anredet, ob die Welt nach ihrer Ansicht besser geworden sei. Sie werden sie meist verneinen und im allgemeinen um so bestimmter, je älter sie geworden sind, und werden einstimmig erklären, daß »zu ihrer Zeit« alle Dinge unvergleichlich viel besser gewesen seien. Da solche Erklärungen auch über Dinge abgegeben werden, die zweifellos unverändert geblieben sind, wie z. B. die Wärme des Sommers, der Wohlgeschmack der Früchte usw., so liegt nach den Regeln der Logik die Ursache dieses Urteils nicht bei den Dingen, sondern bei den alten Leuten.

Es ist nun tatsächlich nicht schwierig, zu erkennen, daß das abschätzige Urteil über die Gegenwart bei alten Leuten daher rührt, daß sie selbst den größten Teil der Lebensfreude und des Lebensgenusses verloren haben. Die Muskeln sind schwach und steif geworden. Verdauung und Wärmeproduktion sind mangelhaft und aktive wie passive Genüsse nicht oder kaum mehr vorhanden. Dazu kommen Krankheiten oder wenigstens kleinere Leiden und Lasten aller Art, so daß tatsächlich der alte Mensch nicht allzuviel Grund hat, sich des Lebens zu freuen. Im Gegensatz hierzu glänzen die Erlebnisse der Jugendjahre, in denen alle diese üblen Dinge fehlten oder in ihr erfreuliches Gegenteil verkehrt waren, mit der Erinnerung an vergangene Freude herüber, und da der Mensch allgemein von seinem gegenwärtigen Zustande und Standpunkte aus zu urteilen gewohnt ist, so liegt jene Verwechselung von objektiven und subjektiven Vorzügen der früheren Zeit dem alten Menschen überaus nahe.

Nun sind sicherlich die ersten Versuche zur Gestaltung einer zusammenhängenden Weltanschauung gleichfalls von alten Leuten gemacht worden. Die Jugend hat viel zu viel mit sich selbst und ihren persönlichen Angelegenheiten zu tun, als daß sie sich solchen Spekulationen aus eigenem und unmittelbarem Antriebe hingeben sollte, während umgekehrt das Alter durch das Fortfallen der Dinge, welche die Jugend so leidenschaftlich beschäftigten, Zeit und Stimmung für solche Untersuchungen hat. Ebenso konnte sich zu einer Zeit, wo die Zusammenfassung der täglichen Erlebnisse zu regelmäßigen Erfahrungen nur erst in den kleinsten Anfängen vorhanden war, die höchste Entwicklung dieses allgemeinen Denkens nur bei alten Leuten mit reichlichen Erlebnissen einstellen. Alle diese Umstände, denen sich noch einige weitere, in gleichem Sinne wirkende anreihen ließen, haben dahin geführt, daß jene ältesten Versuche der gesetzmäßigen Naturauffassung, die wir als Mythen kennen, ganz und gar von dieser allgemeinen Stimmung des Greisenalters durchsetzt sein müssen. War schon für jeden von diesen Greisen die Zeit, die er in seiner Jugend noch erlebt hatte, so unvergleichlich viel besser, als die gegenwärtige, so mußte eine Zeit, die noch um ein Erhebliches vor dieser Jugendzeit zurück lag, entsprechend noch viel herrlicher gewesen sein, und damit ist der allgemeine Grund gegeben, das goldene Zeitalter in der Vergangenheit zu suchen.

Es handelt sich also um einen Ausdruck des unmittelbaren, naiven Urteils, das sich mit größter Selbstverständlichkeit jedem einzelnen aufdrängt, und das daher auf seine weitere Berechtigung überhaupt nicht geprüft zu werden pflegt. Wir haben eine ganz ähnliche Erscheinung in der Auffassung von Himmel und Erde. Der erste erscheint jedermann wie eine flache, durchsichtige, blaue Schale, die auf der ebenen Erde liegt, und längs der die Sonne alltäglich ihren Weg von Osten nach Westen macht. Auch diese »selbstverständliche« Annahme stieß auf ein schwieriges Problem, nämlich wie denn die Sonne immer wieder nach Osten gelangt, und da man hierüber nichts sehen konnte, entstanden die mannigfaltigsten Versuche, hypothetische Antwort auf die unmittelbar nicht zu beantwortende Frage zu finden.

Ebenso aber, wie jene naive astronomische Anschauung auf die allergrößten Schwierigkeiten, ja Unmöglichkeiten führt, sobald man sie zur Zusammenfassung und Erklärung einer größeren Summe von Tatsachen, namentlich von genaueren und messenden Beobachtungen anwenden will, ebenso führt jenes durch die Greisenperspektive von Grund aus verfälschte Menschheitsbild zu den größten wissenschaftlichen und namentlich ethischen Widersprüchen, die ebenso wie die astronomischen nur durch eine Kopernikanische Tat beseitigt werden können. Die bei der biblischen Erzählung vom Sündenfalle auftretenden derartigen Widersprüche sind ein Beispiel dafür. Aber ähnliche Widersprüche finden sich in allen anderen religiösen Mythen, die von dem gleichen greisenhaften Gesichtspunkte ausgehen; und das kann nicht anders sein, weil es im Wesen der Sache liegt, dass ein fundamentaler Fehler im Ausgangspunkt eine jede Anwendung von Grund aus verderben muß.

So ist es denn auch bemerkenswert, dass einzig diejenigen Philosophen des Altertums, deren Denkweise der der modernen Naturwissenschaft am nächsten stand, nämlich Demokrit und die durch ihn bestimmten späteren Denker, auch den richtigen Standpunkt für die Beurteilung der ethischen Entwicklung fanden. Demokrit betonte ausdrücklich, dass die Vorfahren der Menschen wilde und böse Bestien gewesen seien, wofür er ja bei seinen ausgedehnten Reisen noch zahlreiche überlebende Beispiele beobachtet haben mag, und dass die Menschheit als Ganzes in einer allmählichen Besserung aus diesen tiefen und schlimmen Anfängen begriffen ist. Man darf wohl die Vermutung hegen, daß der Standpunkt des ethischen Optimismus oder vielmehr Meliorismus, den er auf Grund dieser Erkenntnis folgerichtig einnahm und einnehmen musste, sich auch in seinem Charakter und seiner Lebensführung geltend machte, und dass daher der Name des lachenden Philosophen stammt, der ihm als populäres Aushängeschild im Bildersaal der Weltgeschichte angeheftet worden ist. Wir, die wir uns auf den gleichen Denkwegen befinden, wie dieser größte aller griechischen Philosophen (denn seine Gedanken haben sich als die dauerhaftesten und daher richtigsten bewährt), wir wollen uns dieses populäre Urteil gesagt sein lassen und auch unsererseits den Namen der lachenden Philosophen zu verdienen suchen. Denn eine heitere Lebensstimmung ist nicht nur die ausgiebigste Quelle persönlichen Glückes, sondern auch das beste, was wir unserer täglichen Umgebung erweisen können. Jeder, der zufolge seiner Lebensverhältnisse heiter sein könnte und es nicht ist, macht sich einer groben Sünde schuldig und handelt gegen den energetischen Imperativ, von dem später einmal die Rede sein soll.

Wir stehen hier in der Tat vor einem fundamentalen Wendepunkte unserer ethischen Weltanschauung, der für die Beurteilung unseres Lebens und für die Bestimmung unseres Handelns nicht weniger Bedeutung hat, als die Kopernikanische Wendung für die Auffassung des physischen Weltbildes. Statt die goldene Zeit und damit das Glück als in der Vergangenheitanzunehmen, wo beide für uns alle und ebenso für unsere Kinder und Kindeskinder absolut unerreichbar sind, können und müssen wir dieses Ideal in die Zukunft verlegen, und nicht nur wir selbst können etwas davon verwirklichen und erleben, sondern auch unseren Kindern können wir es in gesteigerter Form hinterlassen. Wir dürfen das Vertrauen hegen, daß sie der goldenen Zeit noch um einen weiteren Schritt sich nähern werden. Allerdings geht auch der ethische Weg der Menschheit nicht stetig aufwärts, sondern wie über ein Gebirge bald aufwärts und bald abwärts. Aber auch das lehrt uns die Geschichte erkennen, wie die Theorie es uns erwarten lässt: dass nämlich diese Schwankungen immer geringer werden und der Weg zum Ziele immer ebener und erfolgreicher wird. Das ist das große Gesetz von der Wellenbewegung in aller Entwicklung, das schon von vielen erkannt worden ist. Es muß durch das weitere Gesetz vom Schwächerwerden der Wellen ergänzt werden, dessen allgemeine Quelle und Ursache später einmal den Gegenstand besonderer Betrachtung bilden wird.

So macht sich denn alsbald dieser grundsätzliche Unterschied der Mythe und der Wissenschaft in der ethischen Weltanschauung als grundsätzlicher Gegensatz der ganzen Lebensstimmung geltend. Die Religionen, welche das Paradies oder das goldene Zeitalter in die Vergangenheit verlegen, sind ihrer innersten Natur nach pessimistisch, denn die Vergangenheit kann niemals zurückgerufen werden. Dieser Pessimismus erweist sich als ein überaus kräftiges Hilfsmittel, um unter seinem Druck die Menschheit gefesselt und der Priesterschaft sowie den von ihr Gestützten gehorsam zu erhalten. Denn wenn der Mensch von Anfang an verdammt ist, immer tiefer und tiefer dem Übel zu verfallen, da er sich ja immer weiter und weiter von dem Paradieszustande entfernt, so bleibt nur die Priesterschaft als einziger Vermittler übrig, um auf geheimnisvolle, dem Laien nicht zugängliche Weise den Untergehenden zu retten und ihn dem sonst unaufhaltsamen Unglück zu entziehen. In der Aufrechterhaltung dieses grundsätzlichen Pessimismus und der dem Geweihten allein zugänglichen Vermittlerrolle liegt noch heute die größte Gewalt des Priestertums aller Religionen.

Diesem grundsätzlichen Pessimismus der Religionen, insbesondere auch der christlichen, steht nun der grundsätzliche Optimismus der wissenschaftlichen Weltanschauung gegenüber. Der Anblick irgendeines Überrestes aus alter Zeit, und zwar um so mehr, je weiter ein solches Erinnerungsmerkmal zurückreicht, muss uns mit tiefer Freude darüber erfüllen, wieviel von dem ursprünglichen Bösen, das dem Menschen anhaftete, wir schon überwunden haben. Jeder Rückblick auf den zurückgelegten Weg gibt uns die Überzeugung, daß wir auch das Viele, das uns noch zu überwinden oder zu erlangen bevorsteht, seinerzeit gleichfalls werden erringen können. Denn auch das gehört zu den Verkehrtheiten, mit denen ein grundsätzlich falsch orientiertes Denken unsere gewöhnlichen und alltäglichen Anschauungen erfüllt hat, dass die »Natur« etwas besonders Gutes, Reines, Herrliches sei, und dass sie überall dort nur verdorben werde, wo sie durch den Menschen beeinflusst wird. Wenn Schiller klagt: die Welt ist vollkommen überall, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual, so spricht er, wie auch sonst nicht selten, gerade das Gegenteil der Wahrheit aus. Die Natur ist ganz und gar erfüllt von Grausamkeit, Rohheit, Rücksichtslosigkeit: sie ist der Tummelplatz des wildesten Egoismus, und nur durch gegenseitiges Vernichten und Auffressen erhält sich das Gleichgewicht der Lebewesen, welche die Erde bevölkern. Für die Natur gilt ganz und gar nur der Kampf ums Dasein, den Darwin so eindringlich geschildert hat. Der Mensch ist das einzige Naturwesen, das sich vom Kampf ums Dasein mehr und mehr frei macht und ihn durch die friedliche Arbeit ums Dasein ersetzt.

Wirklich, es ist nicht anders. Wir haben nicht zu fragen: wie ist das Böse in die Welt gekommen, denn es ist überall vorhanden und nur die tägliche Gewohnheit verhindert uns, diesen Zustand in seiner ganzen Schrecklichkeit beständig zu empfinden. Aber vergegenwärtigen wir uns, wie z. B. das Vöglein, das munter von Zweig zu Zweig hüpft und dabei sein anmutiges Lied erschallen läßt, sich damit beschäftigt, zahllose andere, Lebewesen zu vernichten, um sein eigenes Leben zu erhalten, so gewinnen wir einen Einblick in den wahren Betrieb der Natur, der auf gegenseitige Vernichtung gerichtet ist. Allein der Mensch bricht grundsätzlich und gründlich mit diesem natürlichen Verfahren. Allein der Mensch bringt Gerechtigkeit und Güte in die Welt; er allein versucht Krankheiten zu heilen und dem Schwachen zu helfen. Insofern widersetzt er sich der sonst allgemein vorhandenen Tendenz der Natur und verwandelt ihre rücksichtslose Grausamkeit in Güte und Liebe.

Und um unser Glück über diese selige Erkenntnis noch zu steigern, werden wir gewahr, daß das Gute, was jeder einzelne von uns tut, nicht auf den Geber und den Empfänger beschränkt bleibt, sondern als ein unverlierbares Erbe auf alle kommenden Geschlechter überzugehen bestimmt ist. Denn auch das lehrt uns die Erfahrung überall, daß dort, wo sich ein Lebewesen neuen Daseinsbedingungen anzupassen vermocht hat, diese Anpassung zunehmend leichter und stärker auf die Nachkommen übergeht. Dies ist eine Folge des allgemeinen Gesetzes, daß jedes organische Wesen den wiederholten Vorgang leichter und sicherer ausführt, als den neuen, und daß solche erworbene Anpassungen vererbt werden. Je mehr ein jeder von uns sich bemüht, im wissenschaftlichen Sinne ein wahrer Mensch zu sein, das heißt, Liebe und Güte in der Welt des Egoismus zu üben und zur Geltung zu bringen, um so leichter macht er es seinen Kindern und Kindeskindern, auf dem gleichen Wege fortzufahren. Durch eigenes Gutsein vererbt er auf alle seine Nachkommen den höchsten Schatz, der selbsttätig immer reichere und reichere Zinsen trägt, die tätige Menschenliebe.


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