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Sechste Predigt.
Wie kann die Wissenschaft so große Dinge tun?


Von der Wissenschaft erwarten und beanspruchen wir nicht weniger, als daß sie alle Dinge ohne Ausnahme, die für unser Leben in Betracht kommen, ihrer Herrschaft unterwirft. Allerdings nicht, um sie zu vergewaltigen, wie etwa ein orientalischer Tyrann, indem sie nach Willkür mit ihnen schaltet und waltet, sondern um sie alle zum besten zu führen, etwa wie eine symbolisch denkende Vergangenheit dies von der günstigen Gottheit (freilich immer vergeblich) erwartete. Das ist ein großes, ein ungeheures Vertrauen in die Wissenschaft, die ja doch »nur« Menschenwerk ist. Wir wissen aber bereits, daß auch alles Gute und Edle, soviel davon auf unserer unvollkommenen Erde vorhanden ist, gleichfalls nichts anderes als Menschenwerk und nur Menschenwerk ist, und so werden wir wenigstens geneigt sein, die Möglichkeit ins Auge zu fassen, daß die Dinge sich wirklich so verhalten können.

Und daß sie sich vielfach so verhalten, beweist uns ein Blick in unser Leben. Wenn früher eine verheerende Pest über die Länder fuhr und große Teile der Bevölkerung niedermähte, während der Rest einer schrecklichen Verwilderung anheim fiel, so hat jetzt die Wissenschaft solchen »Heimsuchungen« den größten Teil ihres Schreckens genommen. Wir wissen in vielen Fällen bereits sehr genau, von welchen Faktoren das Auftreten solcher Volkskrankheiten abhängig ist und haben sehr beträchtliche Anteile der künftigen Geschehnisse soweit in unserer Gewalt, daß wir imstande sind, die Ereignisse zum guten zu leiten und das, was früher als »Strafe des Himmels« ohne Widerstand entgegengenommen wurde, etwa als eine parasitäre Infektion zu erkennen und durch angemessene Maßnahmen die Übertragung der Parasiten zu verhindern. Viele von uns haben noch das plötzlich und erschreckende Auftreten der Cholera in Hamburg 1892 im Gedächtnis; ich meinerseits muß bekennen, daß einen unvergleichlich viel größeren Eindruck, als das Auftreten dieser Epidemie (obwohl ich zufällig gerade am Tage des Ausbruches auf der Durchreise in Hamburg gewesen war) auf mich die exakte Beschränkung und Austilgung der Krankheit gemacht hat. Seit diesem praktischen Beispiel der Herrschaft der Wissenschaft, die wir den aufopfernden Forschungen Pettenkofers und Kochs verdanken, über das »Schicksal«, d. h. den früher unbeherrscht gebliebenen Anteil der Geschehnisse, hat der gebildete Teil der Menschheit ein schnell wachsendes Vertrauen gewonnen, daß es nur sachgemäßer wissenschaftlicher Arbeit bedarf, um einen Feind der Menschheit nach dem anderen zu besiegen und ihm seine Angriffe unmöglich zu machen. Von den beiden anderen völkermordenden Krankheiten, Tuberkulose und Syphilis, ist die zweite in unseren Tagen gleichfalls in Fesseln geschlagen worden, wenn sich auch zurzeit noch nicht ganz übersehen läßt, welches Maß von Bewegungs- und Schadenfreiheit sie noch übrig behalten hat, und wir haben alle das Vertrauen, daß auch die erste in absehbarer Zeit überwunden sein wird.

Ebenso, wie durch die unwiderstehlichen Mittel der Wissenschaft die Feinde der Menschheit ausgerottet werden, werden durch die gleichen Mittel ihre alten und neuen Wünsche und Bestrebungen erfüllt. So ist es gleichfalls unserer Zeit beschieden gewesen, den alten Traum zu verwirklichen, dem Faust so wundervoll Ausdruck gegeben hat:

Doch ist es jedem eingeboren,
Daß sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt,
Wenn über uns, im blauen Raum verloren,
Ihr schmetternd Lied die Lerche singt,
Wenn über schroffen Fichtenhöhen,
Der Adler ausgebreitet schwebt,
Und über Flächen, über Seen
Der Kranich nach der Heimat strebt.

Und wenn es in unseren Tagen auch nur wenigen vergönnt ist, die ersten Stufen in der Eroberung der dritten Dimension mit eigenen Kräften beschreiten zu helfen, so haben wir doch alle das Gefühl der Sicherheit, daß es wieder nur eine Frage der Zeit und Arbeit ist, wann der gesamten Menschheit des Reich der Lüfte zugänglich gemacht werden wird. Und auch hier beruht unser Vertrauen nicht auf einem mystischen Glauben an das Eingreifen einer Gottheit, die uns etwa auf feurigen Armen zum Himmel emporheben wird, sondern ausschließlich auf dem Glauben an die Wirkung der Wissenschaft, der wir auch die Lösung dieses Problems anvertrauen.

Angesichts solcher ungeheuren Dinge muß man sich allerdings fragen, wie denn die Wissenschaft dazu kommt, alle diese Aufgaben zu lösen und alle diese Gaben uns zu gewähren. Die Antwort ist in der Hauptsache schon früher gegeben worden; es ist aber nötig, an dem kurzen Wort den ganzen, riesigen Umfang seiner Bedeutung und Wirkung aufzuweisen.

Wissenschaft ist das geordnete Wissen der Menschheit; das Wissen aber, das diesen Namen verdient, ist ein Wissen der Zukunft. Das Wissen um die Vergangenheit kann uns unmittelbar nichts für unser Leben leisten, da dieses ja ganz und gar in der Zukunft liegt. Wie gelangen wir also zu solchem Wissen von der Zukunft?

Die Antwort ist allen bekannt. Die Wissenschaft verfügt über eine große Anzahl von Naturgesetzen, d. h. von Kenntnissen über den gegenseitigen Zusammenhang der Geschehnisse. Wissen wir, daß jedesmal, wenn wir das Geschehnis A erleben, alsbald das andere Geschehnis B darauf folgt, so haben wir dadurch zweierlei gewonnen. Tritt nämlich A ohne unser Zutun ein, so können wir voraussagen, daß B kommen wird, und je nach der Bedeutung von B für unser Leben uns so einrichten, daß das bevorstehende Ereignis so nützlich oder so wenig schädlich wie möglich für uns ausfällt. Können wir andererseits bewirken, daß A vermöge unseres Zutuns eintritt, so werden wir A vermeiden, wenn B schädlich ist, oder wir werden A bewirken, wenn B nützlich ist.

Dies ergibt also zwei Wirkungsweisen der Wissenschaft: wir können mit ihrer Hilfe uns für die Zukunft einrichten, und wir können mit ihrer Hilfe die Zukunft für uns einrichten.

Beide Arten der Wissenschaft sind nicht auf den Menschen beschränkt. Eine primitive Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen, oder wenigstens entsprechend der Zukunft zu handeln, besitzen alle Lebewesen in höherem oder geringerem Grade, und wir werden uns ganz allgemein veranlaßt fühlen, ein Lebewesen für um so höher stehend oder um so weiter entwickelt anzusehen, je weiter und mannigfaltiger diese Voraussicht der Zukunft ist. Und sogar die höhere Form der Wissenschaft, derzufolge wir die Zukunft nach unseren Bedürfnissen gestalten, ist bei den anderen Lebewesen vorhanden, wie wir sehen, wenn z. B. gewisse Wespen neben jedes Ei, das sie in einem Erdloch verbergen, ein frischgetötetes Insekt legen, damit die ausschlüpfende Larve die erforderliche Nahrung findet. Solche Voraussichten sind insbesondere dort entwickelt, wo es sich um die Erhaltung der Art durch Fortpflanzung, d. h. um die Entwicklung neuer Individuen handelt, und wir werden in den Ansammlungen von Nährstoffen um die Keime in den Früchten, den Knollen oder anderen Organen ebenso einen Ausdruck solcher Voraussicht erkennen müssen, wie etwa in der Anlage der Ersparnisse in Gestalt von Staatspapieren, die der sorgliche Familienvater im Hinblick auf seine Kinder macht.

Allerdings werden wir diese primitiven Formen der auf die Zukunft gerichteten Handlungen überall dort noch nicht Wissenschaft nennen, wo es sich nicht um die bewußte Betätigung solcher Vornahmen handelt. Es ist nur nötig gewesen, den engen Zusammenhang der Wissenschaft mit diesen fundamentalen Instinkthandlungen, auf denen die ganze Existenz des Lebens begründet liegt, zunächst mit aller Deutlichkeit aufzuweisen, da dies der sicherste Weg zum Verständnis für die vitale Bedeutung der Wissenschaft für den Menschen ist. Der Unterschied kommt nämlich darauf hinaus, daß der niedere Organismus nur wenigeTeile der Zukunft derart zweckmäßig zu ordnen vermag. Denn zahllose Eier und Keime gehen trotz der vorhandenen Zukunftssicherungen zugrunde, weil diese nur auf die Beschaffung von Nahrung und die Vermeidung der allerhäufigsten Feinde eingerichtet zu sein pflegen, dagegen einigermaßen seltenere mögliche Ereignisse widerstandlos geschehen lassen müssen. Je mehr dies der Fall ist, um so mehr treffen wir eine Produktion von riesigen Mengen von Eiern und Keimen an, da ohne dieses zusätzliche Hilfsmittel die betreffende Art längst ausgestorben wäre. Umgekehrt bedingt das Vorhandensein der Wissenschaft beim Menschen, daß dieser sich auch auf seltene und ungewöhnliche Ereignisse vorbereiten und so seine und der Seinigen Existenz auf eine viel breitere Grundlage stellen kann. Wir brauchen uns etwa nur des vorher erwähnten Beispieles der großen Volkskrankheiten zu erinnern. Auch bei Tieren und Pflanzen brechen solche Epidemien aus; jene haben aber nicht die Mittel, sich gegen sie zu schützen und sind ihnen ebenso widerstandlos preisgegeben, wie es die antike und mittelalterliche Menschheit gewesen war.

Was wir Naturgesetze nennen, sind somit Kenntnisse zeitlicher und räumlicher Zusammenhänge zwischen verschiedenen Geschehnissen. Ursprünglich für die gesamte Menschheit und noch gegenwärtig für Kinder und Wilde erweist sich die Welt unserer Erlebnisse zunächst als ein Chaos, in welchem ein Ereignis auf das andere folgt, ohne daß zwischen ihnen ein Zusammenhang gekannt wird. Dann werden gewisse, häufig wiederkehrende Geschehnisse mit dem Gefühl des Bekanntseins behaftet und von dem übrigen Chaos unterschieden. Das Entzücken der jungen Mutter, wenn das Baby sie zum ersten Male erkennt, ist ein instinktives Zeugnis für die Empfindung jenes großen Moments des Eintritts des Kindes in die allesbringende Wissenschaft. Schnell vermehren sich die Kenntnisse solcher Einzelheiten aus dem Strom des Geschehens; man nennt den Vorgang im allgemeinsten Sinne die Bildung der Begriffe. Es ist hier nicht der Ort, auf die Grundbedingungen dieses fundamentalen Vorganges näher einzugehen; es muß die Andeutung genügen, daß es sich hier, um eine Betätigung jener Eigenschaft handelt, die Ewald Hering als die Grundeigenschaft aller Lebewesen erkannt hat, nämlich der Erinnerung. Jede Wiederholung eines Vorganges erfolgt in einem Lebewesen leichter, als das erste Mal; während der leblose elektrische Leitungsdraht beim tausendsten Stromdurchgange genau die gleiche Erwärmung durch den gleichen Strom erfährt wie beim ersten Male, führen die Lebewesen schon nach wenigen Wiederholungen einen neuen Vorgang mit viel größerer Leichtigkeit, Schnelligkeit oder Sicherheit aus, als das erste Mal. Alles Üben und Lernen bei Menschen und Tier beruht darauf; nicht weniger aber auch so grundlegende Erscheinungen, wie etwa die Erhaltung der Art durch die Ausbildung ähnlicher Organismen aus den Keimen älterer.

Nun bestehen solche Erlebnisse, die wir wieder erkennen, im allgemeinen aus mehreren Teilen, die zunächst nicht getrennt empfunden werden, bei genauerer Bekanntschaft aber sich sondern. Beginnt daher der Vorgang mit seinen bereits bekannten ersten Teilen, so werden die gleichfalls bekannten späteren erwartet oder vorausgenommen. Hier haben wir die einfachste Urform des Prophezeiens, den Anfang aller Wissenschaft. Man übersieht alsbald, wie einerseits die Kenntnis der Einzelteile eines Gesamterlebnisses mit zunehmender Bekanntschaft immer genauer und mannigfaltiger wird, und wie andererseits weiter auseinanderliegende Stücke unseres Erlebens als zu einem solchen Gesamterlebnis gehörig empfunden und erkannt werden. Das ist der Weg, wie die Wissenschaft fortschreitet. Man nennt solche Zusammenhänge zwischen den Teilen eines Gesamterlebnisses wohl auch »kausale« Beziehungen zwischen ihnen. Es soll uns auf das Wort nicht ankommen, denn das Wort ist ja nur ein Zeichen zur Erkennung und Wiederholung des Begriffes, ebenso wie die Garderobennummer ein Zeichen für den Besitz der zugehörigen Kleidungsstücke ist. Das Wesentliche ist, daß wir den anderen Teil des als Gesamterlebnis aufgefaßten Komplexes erwarten, wenn wir den ersten Teil erlebt haben.

Bei dieser Arbeit der Zusammenfassung verschiedener Erlebnisbestandteile oder Teilerlebnisse wird keineswegs zunächst immer ein richtiger Zusammenhang erfaßt. Vielmehr bringt gerade jene fundamentale Tatsache des Erinnerns oder Gewöhnens es mit sich, daß wir neuen Ereignissen gegenüber durchaus die Neigung haben, die Zusammenhänge ebenso aufzufassen, wie wir bekannteren Erlebnissen gegenüber uns gewöhnt haben. Nun ist das erste, was wir genauer in seinen Zusammenhängen kennen lernen, der Mensch. Seine Mutter, seine Wärterin kennt ein jedes Kind früher in ihren Mannigfaltigkeiten, als irgendein anderes Objekt seines kleinen Erlebens. Daher kann ein jedes Kind nicht umhin, die anderen Dinge, die es kennen lernt, durchaus als ähnlich jenen ersten Komplexen aufzufassen und alle anderen Begriffe, die es bildet, sind nach Analogie jenes ersten, weil wichtigsten und häufigsten Begriffes gebildet. Darum sind also dem Kinde während seiner ersten Kindheit, und dem primitiven Menschen während seines ganzen Lebens alle Dinge durchaus Lebewesen, wie seine Mutter. Nicht daß es das Leben in die Dinge hineinphantasierte, sondern es hat den Begriff von Dingen, die etwa nicht die Lebenseigenschaften seiner Mutter hätten, überhaupt noch nicht gebildet. Erst eine wiederholte und sehr bestimmte Erfahrung beseitigt allmählich jenes erste Vorurteil beim Kulturkinde; sie beseitigt es nie beim primitiven Menschen, weil er noch nicht vermocht hat, die Unrichtigkeit, d. h. Unzweckmäßigkeit seines Vorurteils zu erkennen. Das bischen Voraussicht, das er für sein Leben braucht, gewinnt er auch auf dem einfacheren Wege jener primitiven Auffassung und nur mit zunehmender Verwicklung seines Lebensinhaltes kommt er dazu, Stück für Stück des anthropomorphen Vorurteils abzustreifen. Das ist aber ein so langsamer Vorgang, daß beispielsweise noch heute innerhalb der Kulturwelt die Vorstellung eines persönlichen Gottes von der Tiefgründigkeit Zeugnis ablegt, mit welcher jene Urform der primitiven Wissenschaftsbildung sich im Geiste des Menschen festgelegt und durch Vererbung auch in ein Kulturgebiet übertragen hat, wo der größte Teil jenes Urirrtums der Menschheit bereits überwunden ist. Es ist natürlich, daß sich die Reste davon zunehmend an solche Punkte zurückziehen, wo eine Verbesserung durch die Erfahrung aus irgendwelchen Gründen am schwierigsten hindringt.

So sehen wir denn auf einmal, wie die Wunder der Wissenschaft uns insofern keine Wunder mehr sind, als wir begreifen, wie ihre Leistungen zustande kommen. Alle Wissenschaft tut nichts anderes, als verschiedenartige Stücke aus dem Chaos des Geschehens als Teile von Gesamterscheinungen zu erkennen, die sich in übereinstimmender Weise immer wieder wiederholen, und bei denen man daher aus dem Erleben eines Teils das Erleben des anderen Teil voraussagen kann. Dadurch, daß man ein solches Voraussagen immer wieder übt, gewinnt man immer neue Prüfungen darauf, ob der angenommene Zusammenhang wirklich besteht oder nicht. Niemals hat sich der erste Versuch einer solchen Aufstellung gleich als allseitig richtig, d. h. ausnahmelos zutreffende Voraussagungen ermöglichend erwiesen; immer sind hernach infolge verfehlter Prophezeiungen Abänderungen, Verbesserungen, Umgestaltungen nötig gewesen. Aber gleichzeitig hat sich erwiesen, daß bei solchen Umgestaltungen des ersten Versuches stets ein richtiger Kern aus der ersten Form nachgeblieben ist, von dem nur einerseits die zufälligen Anhängsel, die nicht dauernd in den Zusammenhang hineingehören, entfernt werden und zu dem andererseits immer wieder noch andere Zusammenhänge gefügt werden müssen, welche jener erste Entdecker übersehen hatte. So geht die Entwicklung der Wissenschaft vor sich: » nie geschlossen, oft geründet«.

Da erhebt sich nun eine große Grundfrage: stehen alle Dinge, alle Erlebnisse in einem solchen Zusammenhange, daß man ein jedes aus anderen voraussagen kann?

Die Erfahrung kann uns hierauf keine Antwort mit ja oder nein geben. Sie kann nicht ja sagen, denn wir haben noch nicht alle Dinge erlebt und werden es nie, denn immer steht uns noch ein weiteres Erlebnis bevor. Und wären wir wirklich vor dem allerletzten Erlebnis, dann hätte ja das Voraussagen eines folgenden keinen Sinn mehr, weil keines folgt.

Und ebensowenig kann die Erfahrung nein sagen. Sie hat uns nämlich schon tausendfältig gezeigt, daß dort, wo unsere Vorfahren vergeblich nach Zusammenhängen gesucht hatten, spätere, glücklichere oder klügere Forscher Zusammenhänge gefunden haben. Daß wir also gegenwärtig irgendein wissenschaftliches Problem noch nicht lösen können, ist in keiner Weise ein Beweis dafür, daß wir es nie werden lösen können. Vielmehr spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, daß wirklich ein solcher großer und allgemeiner Zusammenhang aller Dinge besteht, der etwa ähnlich zu denken ist, wie die Fäden eines Netzes oder die Gesamtheit eines Volkes. Einzelnes steht in sehr nahem und bestimmtem Zusammenhange; diese Beziehungen sind von der gegenwärtigen Wissenschaft bereits ziemlich vollständig erfaßt worden. Anderes ist weiter von einander entfernt, noch anderes so weit, daß wir den Faden von dem einen zum anderen auf keine Weise mehr verfolgen können. Aber wie schließlich das Schicksal eines jeden einzelnen Landesgenossen in irgendeinem Sinne, wenn auch vielleicht nur als momentane Gefühlsbeeinflussung beim Lesen einer Zeitungsnotiz oder bei einer flüchtigen Begegnung im Eisenbahnwagen auf das jedes anderen einwirkt oder einwirken kann, so kann man sich der Vorstellung erfreuen, daß kein Blatt zur Erde fallen kann, ohne daß das Weltall davon erschüttert wird, wenn auch nur überaus wenig.

Somit dürfen wir allerdings der Hoffnung leben, daß insbesondere solche Dinge, die in irgendeiner Weise stark auf uns einwirken, schließlich immer mit anderen in Zusammenhang gebracht werden können, wohl auch mit solchen, deren Beeinflussung uns möglich ist. Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß die Wissenschaft im modernen Sinne nur erst ein paar Jahrhunderte alt ist, so müssen wir uns sagen, daß heute auch die ausschweifendste Phantasie uns nicht annähernd eine Vorstellung davon geben kann, was die Wissenschaft nach weiteren hundert Jahren erreicht haben wird.

Und so bewährt sich wieder einmal der theoretische Optimismus, zu dem uns die Erkenntnis der menschlichen Entwicklung zwingt, auch als ein praktischer Optimismus, der uns mit heller Freude in die Zukunft schauen läßt.


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