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Monist zu sein und zu heißen, bringt heutzutage weder gesellschaftliche Auszeichnung, noch wirtschaftlichen Vorteil. Wenn sich also jemand zu diesem Namen bekennt, so tut er es, weil es sich für ihn dabei um Güter handelt, die ihm höher stehen, als jene Dinge, die doch für die meisten Menschen das Ziel ihres Strebens und den Inhalt ihrer Arbeit bilden. Welches sind diese Güter?
Diese Güter sind: die innere Ehrlichkeit und das aus ihr entspringende innere Glück.
Der moderne Mensch (der aber in unseren Tagen bereits der von gestern zu sein anfängt) lächelt zu solcher Erklärung und sagt: was soll ich mit der inneren Ehrlichkeit, wo doch nach dem bekannten Ausspruch eines, der dabei gewesen ist, eine Million nicht verdient wird, ohne daß man mit dem Ärmel das Zuchthaus streift. Darauf ist zu sagen, daß auch heute Reichtümer durch wirkliche Arbeit sicherer erworben werden, als durch jenes Verfahren, dessen Ausüber sich um die verdiente Verachtung mit der Behauptung herumlügen wollte, alle machten es so. Aber das Geld ist ja nur ein Mittel; ein Mittel zu welchem Zweck? Um seinen Besitzer glücklich zu machen. Um diesen Punkt kommen wir also nicht herum: das Glück ist ein Gefühl, kein äußerer Gegenstand, und alle äußeren Dinge können bestenfalls bewirken, daß dieses Gefühl in uns entsteht.
Nun brauchen wir nur einen solchen Gelderwerber, auch von der besseren Art, die mit Ehrlichkeit arbeitet, bei seiner Tätigkeit zu beobachten, um uns zu sagen: er bereitet alles für sein künftiges Glück vor, und wenn es so weit ist, hat er meist die Fähigkeit verloren, Glücksgefühle in sich zu erzeugen. Nicht alle, aber die meisten. Immerhin gibt es schon heute einige wenige, die wahrhaft modernen Menschen aus dieser Gruppe, welche rechtzeitig mit der Erwerbung der Mittel Schluß machten und nun die großen in ihre Gewalt gelangten Energiemengen dazu benutzen, um sich das dauerhafte Glück zu schaffen, das einem Menschen in vorgerücktem Lebensalter blühen kann, nämlich möglichst viel Glück um sich zu verbreiten. Wenn sie auch auf das höchste Glück hierbei verzichten müssen, dies durch die Erzeugung schöpferischer Gedanken zu tun, durch welche der Menschheit ein Teil ihrer Lasten abgenommen und die vorhandene Glücksmöglichkeit erhöht wird, so können doch auf ihre Weise vorhandene Widerstände, die sich der Entwicklung und Durchführung solcher Gedanken in den Weg stellen, an vielen Stellen beseitigt und so deren Wirkungsmöglichkeiten bedeutend gesteigert werden.
Die unmittelbar glückbringenden schöpferischen Gedanken liefert uns nun die Wissenschaft in erster Linie. Sie beseitigt zunächst Unglück und Krankheit, die den Menschen vermöge seiner Bindung an allgemeine biologische Verhältnisse plagen oder bedrohen. Was keine von den vielen Religionen vermocht hat, die sich nach- und nebeneinander der Menschheit für diesen Zweck angeboten haben, nämlich dem Menschen Hilfe in seinem Leiden und Verbesserung seines Lebens zu bringen, das hat die Wissenschaft in immer steigendem Maße ausgeführt. Die einfache Tatsache, daß die durchschnittliche Dauer des menschlichen Lebens in den letzten Jahrzehnten um eine ganze Anzahl von Jahren zugenommen hat, redet in dieser Beziehung eine unzweideutige Sprache; denn dieser wunderbare Erfolg ist durch die Fortschritte der Heilwissenschaft bewirkt worden, die uns gelehrt hat, nicht nur auf die Heilung vorhandener Krankheiten bedacht zu sein, sondern deren Entstehung und Ausbreitung durch wirksame Mittel zu verhindern. Wie unendlich viel reicher nicht nur unser äußeres, sondern auch unser inneres Leben durch die Fortschritte der Technik geworden ist, die ja ihrerseits ganz und gar auf dem der Wissenschaft beruht, geht schon daraus hervor, daß heute jedermann sich für wenige Pfennige die Werke unserer großen Denker und Dichter, getreue Wiederholungen der größten Kunstwerke und andere Mittel geistigen Genusses zum Eigentum erwerben kann, wenn er nicht vorzieht, die Bücher unentgeltlich aus einer der vielen Volksbüchereien zu entleihen oder die Kunstwerke an freien Tagen im Museum anzusehen. So fließt ein befruchtender Strom allseitiger Bildungsmöglichkeiten in die breitesten Schichten unseres Volkes hinaus, bereit, auch dem Leben des Armen einen Inhalt an Glück und Schönheit zu geben, den er seinen persönlichen Bedürfnissen gemäß gestalten kann.
Aber noch viel tiefer greift die Wissenschaft in das innere Leben der heutigen Menschheit ein. Ich habe an erster Stelle als das Gut, das allem inneren Glück zugrunde liegt, die innere Ehrlichkeit genannt. Ich meine damit die Freiheit von allem Widerspruch zwischen Denken und Handeln, zwischen Wollen und Müssen. Keine Religion kann uns dieses höchste Gut des Menschen geben, diese Harmonie der Persönlichkeit, welche allen Schwankungen des Lebens gegenüber standhalten kann und muß. Denn eine jede Religion muß die Denkweise ihres Stifters festlegen und zur dauernden Norm für alle ihre Anhänger machen. Und so hoch dieser Stifter in seinem Denken und Fühlen über seine Zeitgenossen sich erhoben haben mag -- anders wäre er ja nicht zu dem Einflusse gelangt, der ihm die Stiftung einer Religion ermöglicht hat -- so hat er diese doch auf die Grundlagen stützen müssen, die ihm seine Zeit entgegenbrachte und ohne welche er überhaupt keinen Einfluß auf die Menschheit hätte gewinnen können. Nun aber verdanken wir wiederum der Wissenschaft die grundlegende Erkenntnis von der Entwicklung des Menschengeschlechtes, von seinem Fortschreiten zu immer höherem ethischen Empfinden und Denken. Wir müssen daraus allgemein schließen und sehen es auch in einem jeden einzelnen Falle bestätigt, daß jede Religion, je älter sie ist, um so mehr sich mit dem Denken und Empfinden der gegenwärtigen Zeit in Widerspruch setzt. Von den verschiedenen Formen der christlichen Religion ist die griechisch-katholische die älteste, und es gibt in Westeuropa kein einziges Volk mehr, welches sich mit ihr würde begnügen wollen. Weniger alt ist die römisch-katholische Form, aber bereits vor mehreren Jahrzehnten, als noch nicht von den gegenwärtigen Verfolgungen der Modernisten die Rede war, hat Alphonse de Candolledurch eine nüchterne Statistik unwiderleglich nachgewiesen, daß die katholischen Länder in der Förderung der Wissenschaft erheblich hinter den protestantischen zurückstehen. Der Protestantismus seinerseits aber ist nichts, als ein vor vierhundert Jahren durchgeführter Versuch, den Inhalt der christlichen Religion dem Denken und Fühlen jener Zeit besser anzupassen, als dies innerhalb der römischen Kirche möglich war. Demgemäß genügte diese Religionsform auch für einige Jahrhunderte den Bedürfnissen der breiteren Volksschichten, wenn auch die geistig Höchsten insbesondere des deutschen Volkes ihre Unzulänglichkeit nicht nur empfunden, sondern auf das deutlichste ausgesprochen haben. Aber auch hier erwies sich jenes Gesetz des Veraltens, dessen Notwendigkeit für eine jede Religion besteht, als unwiderstehlich wirksam, und heute leidet nicht nur das Gewissen der höheren geistigen Schichten Not unter diesem Zustande, sondern in die weitesten Kreise des Volkes ist das Gefühl des Widerspruches gedrungen und das Gewissen ist erwacht, das einen solchen Widerspruch als unehrlich um keinen Preis dulden will und kann.
Diesem notwendigen und unvermeidlichen Veralten aller Religionen steht nun die Wissenschaft in grundsätzlich anderer Beschaffenheit als ewig jung gegenüber. Da in ihr niemals irgendein Zustand, irgendeine Erkenntnis als endgültig und unveränderlich anerkannt, sondern alles und jedes einer unaufhörlichen gewissenhaften Kritik unterworfen wird, so können zwar Irrtümer auftreten, sie können sich aber nicht in ihr dauernd festsetzen. Sie erhebt niemals, wie die Religionen, den Anspruch darauf, fertig und unveränderlich zu sein, sondern organisiert sich in ihrem eigenen Leben durchaus nach dem Grundsatz der beständigen Steigerung und Entwicklung. Die innere Ehrlichkeit, der unerschütterliche Entschluß, keinen Widerspruch zu dulden, ist ihr eigentliches Lebenselement und die Bedingung ihrer Existenz. Daher muß sie sich als gegen ihren Tod gegen jeden Anspruch wehren, das Recht der Kritik, d. h. der wissenschaftlichen Untersuchung unter der Bedingung rücksichtslosester Ehrlichkeit irgendwelchen Dingen gegenüber aufgeben zu sollen. Eben dieses tiefste Bedürfnis des ethischen Menschen, die innere Harmonie, die einzig aus jener Ehrlichkeit folgt, kann überhaupt auf keine andere Weise befriedigt werden, als durch jenen obersten Grundsatz, alles wissenschaftlichen Denkens und Arbeitens, daß kein Ding so hoch oder so tief steht, daß es sich nicht der allgemeinen Forderung der Kritik zu unterwerfen hätte.
Wer wollte leugnen, daß nicht immer die Wissenschaft in diesem hohen und allgemein menschlichen Sinne aufgefaßt worden ist, daß auch in ihr Schwächen sich geltend gemacht haben, die ja immer vorhanden sind, wenn wir auch unsere Entwicklung beständig auf ihre Verminderung und Beseitigung richten. Es ist ja mit den Religionen nicht anders, ja noch viel schlimmer gewesen, denn sie haben nicht das Prinzip der Selbstverbesserung enthalten, welches die Wissenschaft in dem allgemeinen Grundsatz der Kritik besitzt. Aber eben dieser Grundsatz ermöglicht es der Wissenschaft, mit bewußtem Wollen die Unzulänglichkeit ihrer Vertreter zu überwinden und das gesamte Denken und Fühlen der Menschheit zu immer höherer Vollkommenheit hinaufzusteigern.
Und hierbei braucht auch derjenige nicht hungernd und sehnsüchtig zur Seite zu stehen, dem das Schicksal nicht vergönnt hat, unmittelbar an den höchsten Arbeitsgebieten der Wissenschaft tätig teilzunehmen. Denn die Wissenschaft, wie wir Monisten sie erfassen, ist nicht etwa auf die Hochschulen beschränkt, sondern sie durchdringt unser ganzes Leben, denn sie ist Lebenskunde als Grundlage der Lebenskunst. Deshalb schätzen wir Monisten eine jede wissenschaftliche Betätigung nach ihrer Bedeutung für das gesamte Leben ein und halten die für die wichtigste, welche den größten Anteil an der inneren wie äußeren Verbesserung unseres Lebens hat. Die reinen oder abstrakten Wissenschaften sind demgemäß nur Grundlagen und Vorbedingungen für die angewandten, und unser Ziel ist, dieses Verhältnis so reich und fruchtbringend wie möglich zu gestalten. Bedenken wir nur das eine Beispiel der Entwicklungslehre aller Lebewesen, die ursprünglich anscheinend einen ganz theoretischen Charakter hatte, und deren Ergebnisse sich jetzt als grundlegend für unsere ganze Weltanschauung und somit für all unser Denken und Handeln erweisen, so haben wir ein Beispiel dieses lebendigen Zusammenhanges vor uns. Es gibt eine Anzahl Männer selbst unter den verdienten Förderern der Wissenschaft, welche die ganze Tragweite dieses Verhältnisses nicht begriffen haben und welche eine strenge Trennung zwischen reiner und angewandter Wissenschaft, zwischen Gelehrsamkeit und Leben fordern. Das Leben selbst geht über sie hinweg und stößt sie als nicht mehr recht lebensfähige Formen einer tieferen Entwicklungsstufe ab. Und innerlich müssen diese Menschen durch ihr ganzes Leben an dem Zwiespalt leiden, daß sie hier für wahr und richtig halten, was sie dort nicht anwenden und betätigen können. Das sind dann die Leute, welche der Zeit, in der sie leben, allerlei Vorwürfe über ihre Beschaffenheit machen. Das Verhältnis des einzelnen zur Gesamtheit ist aber stets ein so außerordentlich kleiner Bruch, daß derartige Vorwürfe von selbst ins Lächerliche fallen. Das einzige Mittel, seine Zeit zu verbessern, hat der einzelne Mensch nur in der Erzeugung schöpferischer Gedanken, und gerade dieses Mittel pflegt jenen misanthropischen Tadlern ganz und gar versagt zu sein.
So zeigt sich die wahre Wissenschaft darin, daß sie jedes Stück unseres täglichen Tuns durchdringt, um es erfolgreicher und besser, und um uns selbst dadurch glücklicher zu machen. Von den vielen eindringlichen Worten, welche Friedrich Nietzsche geschaffen hat, ist keines wahrer und darum besser, als das von der fröhlichen Wissenschaft. Denn da die Wissenschaft uns in dem Entwicklungsgedanken die Gewißheit gegeben hat, daß die Welt und die Menschen immer besser werden, so hat sie dadurch ein optimistisches oder glückbringendes Lebenselement in unsere ganze Weltauffassung hineingebracht, welches sie in einen ganz bestimmten Gegensatz zu allen Religionen stellt. Denn diese sind ihrer Natur nach pessimistisch, da sie zu Zeiten entstanden sind, in denen sich der Mensch seiner Umgebung gegenüber in einem Zustande befand, wie etwa der Sklave gegenüber einem wilden und grausamen Herrn. So müssen sie das goldene Zeitalter oder Paradies in die Vergangenheit verlegen, statt es in der beständigen Vervollkommnung der Zukunft zu suchen, und statt die Beseitigung der Unvollkommenheiten des gegenwärtigen Lebens zum klar erfaßten Ziel der ganzen Menschheit zu machen, pflegen sie das Entgelt für die Leiden und Schmerzen dieses Lebens in die versprochenen Freuden eines künftigen zu verlegen, dessen Glauben sie mit allen Mitteln zu befestigen sich bemühen. Auch gegenwärtig wissen ihre Vertreter kein wirksameres Argument geltend zu machen, als die Furcht vor einer »Vergeltung« etwaiger Ungläubigkeit nach dem Tode. Die Wissenschaft, d. h. die kritische Zusammenfassung aller Erfahrungen der gesamten Menschheit hat bisher nicht den geringsten Anhaltspunkt für die Existenz eines solchen Lebens nach dem Tode gefunden. Somit erfordert es die Ehrlichkeit, die wir uns alle zum obersten Grundsatz gemacht haben, diese trügerische Vorstellung zu verabschieden und unser Leben so einzurichten, als wäre es mit dem Tode völlig abgeschlossen.
Ich habe absichtlich die bedingte Form des letzten Satzes gewählt, weil ich die Bedingtheit alles unseres Wissens nochmals zum deutlichsten Ausdruck bringen wollte. Wir können und wollen nicht behaupten, daß auch in aller Zukunft niemals etwas wie ein Fortleben nach dem Tode wird nachgewiesen werden können, ebenso wie wir nicht behaupten können und wollen, daß das Gesetz von der Erhaltung der Energie absolut und unter allen Verhältnissen gültig sein müsse. Wir wissen wohl, daß jedes Ergebnis der Wissenschaft ohne jede Ausnahme der Kritik unterliegt und auf Grund späterer Erfahrungen sachgemäß verbessert werden kann. Aber wir sagen uns andererseits, daß wir mit der Annahme der allgemeinen Gültigkeit des Gesetzes von der Erhaltung der Energie alle bisherigen Erkenntnisse der Menschheit auf diesem Gebiete in Harmonie und Zusammenhang haben bringen können, und daß die künftige Verbesserung des Gesetzes daher höchstens darin bestehen wird, daß wir es irgendeinem noch allgemeineren Gesetz werden unterordnen können, das uns deutlicher als bisher seine Bedeutung und etwaigen Grenzen zeigen wird. Ebenso gesichert ist durch die wissenschaftliche Erfahrung jenen Satz vom Aufhören des, Individuums mit dem Tode, und tatsächlich richten wir unser ganzes praktisches Leben durchaus nach jenem Erfahrungsergebnis ein und haben beispielsweise alles Mitgeben von Nahrungsmitteln, Geräten usw. ins Grab als abergläubisch aufgegeben. Und auch auf den »Geist«, der nach den gebräuchlichen religiösen Anschauungen überleben soll, nimmt tatsächlich niemand die geringste Rücksicht in seinem wirklichen Leben, zum Zeichen, daß er an seine Existenz tatsächlich nicht glaubt, auch wenn er die Unsterblichkeit im kirchlichen Sinne öffentlich nicht in Abrede zu stellen wagt.
So sind alle die Vielen, die sich entweder in der Furcht vor äußeren Nachteilen nicht zu uns bekennen wollen, oder auch ohne ernstliche innere Prüfung an den überkommenen Ansichten festhalten, in ihrem praktischen Leben doch insofern alle Monisten, als sie die Wissenschaft als die einzige zuverlässige Führerin in allen Dingen sachlich, wenn auch nicht ausdrücklich anerkennen. Wir aber lehnen ab, sie als die Unseren anzusehen, denn es fehlt ihnen das entscheidende Kennzeichen, welches uns von den anderen trennt. Es ist dies eben das Bedürfnis nach innerer Ehrlichkeit und Reinlichkeit, das im Gebiet der Welt- und Lebensanschauung keine Kompromisse kennt. Wir sagen jedem: besteht bei dir noch ein Rest von Offenbarungsglauben, für den du das Recht der Kritik nicht gelten läßt, so bist du kein Monist. Denn Monismus bedeutet grundsätzliche Einheitlichkeit des gesamten Denkens und Handelns und ist daher der Gegensatz aller doppelten Buchführung, sei es im Denken, sei es im Handeln. Im übrigen wissen wir, daß der Inhalt unserer Weltanschauung zeitlich bedingt durch das ist, was die Wissenschaft bisher errungen hat, und insofern immer unvollkommen bleibt, aber doch notwendig stets vollkommener, als der irgendeiner Religion, weil er eben nicht auf längst überwundenen, sondern auf den höchsten bisher erreichten Ergebnissen menschlichen Denkens beruht. Die Einheitlichkeit aber, welche dem Monismus den Namen gegeben hat, ist nicht etwa eine Einheit a priori, bei der etwa die ganze Welt gedanklich aus einem Punkt oder Prinzip hervorgesponnen würde, sondern jene Einheitlichkeit, welche stufenweise durch unaufhörliche Anwendung jenes Grundsatzes der Ehrlichkeit erreicht wird. Die Welt tritt uns als ein Chaos entgegen, und der Zusammenhang, den wir allmählich in ihr erkennen, ist das Ergebnis wissenschaftlicher Arbeit. Diese Arbeit führt uns mit Notwendigkeit zu immer höherer Einheit; denn wir bearbeiten ja eine jede Seite der Erfahrungswelt grundsätzlich so lange in unseren Gedanken, bis wir den Anschluß an die übrigen Teile und damit die Einheit des Zusammenhanges erreicht haben. Und auch in der Geschichte der Wissenschaft tritt uns diese zunehmende Vereinheitlichung entgegen, wie z. B., wenn wir die letzten Fortschritte der Physik betrachten, durch welche die früher getrennten Gebiete der Optik, der Elektrik und neuerdings sogar der Mechanik zu einer großartigen Einheit verbunden werden.
Umgekehrt gehen die Religionen mit ebenso naturgesetzlicher Notwendigkeit den Weg aus der Einheit in die Verschiedenheit. Vom ältesten Christentum, das sich im griechischen Katholizismus petrifiziert hat, zweigte sich zunächst der römische Katholizismus ab, der seinerseits die Abtrennung des lutherischen und des kalvinischen Protestantismus erleben mußte. Jede dieser Sonderreligionen zeigt außerdem noch mannigfaltige innere Spaltungen, die im Laufe der Zeit nicht geringer, sondern stärker werden. In diesen geschichtlichen Tatsachen erweist sich besonders eindringlich die Überlegenheit der wissenschaftlichen Weltanschauung über die kirchliche.
Wissenschaftliche Weltanschauung und Monismus sind somit verschiedene Worte für dasselbe Ding. Eine wissenschaftliche Weltanschauung kann aber nicht ohne lebendige Betätigung sein, für welche der Dichter die unsterblichen Worte gefunden hat:
Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt.
Tor! wer dorthin die Augen blinzend richtet,
Sich über Wolken seines Gleichen dichtet!
Er stehe fest und sehe hier sich um;
Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm.