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Wir lesen zuweilen in den Zeitungen von unheimlichen Szenen sinnlosen Schreckens und tierischen Mangels an Selbstbeherrschung, die sich gelegentlich elementarer Unglücksfälle innerhalb größerer Menschenmassen entwickeln, handle es sich nun etwa um ein plötzliches Erdbeben, um eine Brandkatastrophe in einem geschlossenen Raume oder sonst um einen Vorgang, der unerwartet und schrecklich über die Menschen hereinbricht. Jedesmal sind die Vorgänge dann dadurch gekennzeichnet, daß die gewohnte Selbstbeherrschung und Rücksichtnahme auf andere von den Menschen abfällt, als wäre sie gar nicht vorhanden gewesen, und daß jeder einzelne wie ein wildes Tier nur um seine eigene Rettung besorgt ist und rücksichtslos alles niederstampft, was sich diesem unwiderstehlichen und unbeherrschten Triebe entgegenstellt. Seitdem die Menschheit über ihre Erlebnisse Berichte aufgezeichnet hat, sind solche einzelne Tatsachen bemerkt, empfunden und beschrieben worden, von dem »panischen Schrecken«, den die Griechen schildern, bis zu den entsprechenden Ereignissen, wie sie uns die Tagespresse, glücklicherweise nicht allzu oft, berichtet. Aber auch gegenüber diesen elementaren Ereignissen zeigen sich die verschiedenen Gruppen der Menschen verschieden. Während beispielsweise in den zeitlich sehr nahe zusammenfallenden Erdbebenkatastrophen in San Francisco und in Messina die Zerstörungen ungefähr gleich gewesen sind, ist das Verhalten der Menschen ein völlig entgegengesetztes gewesen. Die in den engsten Formen eines mittelalterlichen Katholizismus lebenden Süditaliener haben nicht vermocht, und auch nicht einmal gewollt, sich aus eigner Kraft aus den Schwierigkeiten emporzuarbeiten, welche das Naturereignis mit sich gebracht hatte. Sie veranstalteten Prozessionen und nahmen im übrigen die Hilfe der ganzen übrigen Kulturwelt in Anspruch, die schließlich doch nicht zu einem entsprechenden Ergebnis geführt hat; denn jene Gebiete sind noch gegenwärtig fast vollständig ein Trümmerfeld und von einem neuen Leben aus diesen Ruinen ist kaum die Rede. Im Gegensatz dazu haben die tatkräftigen Amerikaner, die nicht durch ihre religiösen Vorstellungen an der kräftigen Ergreifung der wirklichen Verhältnisse gehindert werden, zunächst die Hilfe von außerhalb dankend abgelehnt, da sie durchaus entschlossen waren, mit eigner Hilfe das Zerstörte wieder in Ordnung zu bringen. Und so haben sie sich auch verhalten und haben das Naturereignis nicht etwa als eine Strafe des Himmels für irgendwelche unbekannte Vergehen angesehen, sondern als einen natürlichen Vorgang, der mit der geologischen Beschaffenheit des Gebietes, auf welchem San Francisco steht, kausal verknüpft ist. Während also die kulturell tiefer stehende Bevölkerung Calabriens von dem Urgrauen ergriffen wurde, das den Menschen auf seine tierähnlichen Anfangszustände zurückwirft, blieben die wirklichkeitsbewußten Amerikaner frei davon und haben sich in die Verhältnisse geschickt, wie das Leuten geziemt, deren Reich von dieser Welt ist.
Das, was wir an diesen Beispielen beobachtet haben, ist von ganz allgemeiner Beschaffenheit. Je niedriger in der Kultur ein Mensch oder eine Menschengruppe steht, um so leichter verfällt sie dem panischen Schrecken, dem Gefühl absoluter Hilf- und Wehrlosigkeit gegenüber einer übergewaltigen Macht, vor der höchstens eiligste, rücksichtsloseste Flucht eine Rettung gewähren möchte. Je genauer umgekehrt der Mensch mit den Gesetzen der Natur und den kausalen Beziehungen zwischen allen Ereignissen bekannt ist, um so unabhängiger erweist er sich von derartigen plötzlichen Massenbeeinflussungen, um so freier und kühner steht er der Natur gegenüber, auch wenn diese am gewaltigsten und gefährlichsten sich dem Menschen entgegenstellt. Es handelt sich hier um eine ganz allgemeine Beschaffenheit des menschlichen Geistes, um eine biologisch bedingte Entwicklungserscheinung, über welche man im klaren sein muß, um persönlich zu derartigen Ereignissen die richtige Stellung zu finden.
Wir wissen, daß ganz allgemein die am frühesten erworbenen Eigenschaften in unserm Geiste zu unterst liegen, daß sie derart die Grundlage aller spätern Entwicklung bilden. Je später im Laufe der Entwicklungsgeschichte eine bestimmte Eigenschaft erworben ist, um so höher und lockerer liegt sie diesen Grundlagen auf und die zuletzt erworbenen Eigenschaften, die das Höchste, Feinste und Schwierigste darstellen, was den Menschen auszeichnet und ihn von den andern Lebewesen so grundsätzlich unterscheidet, können auch am ehesten verloren gehen. Sie treten in den Hintergrund und verschwinden, wenn der Mensch durch irgendwelche tiefgreifende plötzliche und seine Selbstkontrolle schädigende Ereignisse ergriffen wird, sie gehen auch zugrunde, wenn durch eine Krankheit des Gehirnes der Geist einer langsamen Zerstörung anheimfällt. Wir wissen es ja, daß Geisteskranke sehr häufig noch in vieler Beziehung scharfsinnig zu denken vermögen, daß sie dagegen fast alle zunächst die höchsten und feinsten Erwerbungen, das soziale Denken mit der dazu gehörigen Ethik verlieren und in dieser Beziehung als unzurechnungsfähig betrachtet werden müssen. In dem Maße, als die Krankheit weiter fortschreitet, gehen dann auch die mittleren intellektuellen Fähigkeiten zugrunde, während diejenigen Koordinationen, welche das einfache vegetative Leben möglich machen, noch lange Zeit bestehen bleiben. Verschwinden auch diese Eigenschaften, so hört der Mensch auf lebensfähig zu sein, nachdem er schon längst aufgehört hatte, ein Mensch im geistigen Sinne zu sein. Diesen Abtragungsprozeß der später erworbenen geistigen Eigenschaften, den wir hier durch den Verlauf der Krankheit bedingt erkennen, kann man auch beobachten, wenn durch ungewöhnliche und starke Beanspruchungen das gebrechliche Obergebäude der spätern Erwerbungen so erschüttert wird, daß nun die niederen, allgemeineren und elementareren Eigenschaften zur Geltung kommen. Daher rührt es, daß bei solchen allgemeinen Unglücksfällen der einzelne so leicht die Herrschaft über sich selbst verliert, daß wildes, ja tierisches Verhalten sich geltend macht bei Menschen, bei denen man eine derartige Abdeckung der oberen Kulturschichten und ein derartiges Hervortreten des Tierisch-Elementaren für ganz unmöglich gehalten hätte.
Entwicklungsgeschichtlich können wir uns sehr leicht Rechenschaft von diesem unheimlichen Untergrunde des menschlichen Geistes geben. Versetzen wir uns in die Existenz unserer noch halb tierischen Vorfahren zurück, so sehen wir sie in einer Welt, die ihnen von allen Seiten mit Tod und Vernichtung droht. Die gleichzeitigen Geschöpfe sind zum großen Teil stärker, geschwinder, besser mit Zähnen und Klauen ausgestattet, als sie, und nur durch die unaufhörliche Aufmerksamkeit auf herandrohende Gefahren und rechtzeitiges Verstecken, Fliehen, Ausweichen konnte der schwache Mensch sich dieser furchtbaren und grausamen Welt gegenüber halten. So ruht auf der alleruntersten Basis alles unseres Empfindens, die unbewußte Erinnerung an jenen Zustand unaufhörlicher Furcht, wo jedes fremdartige Geräusch oder Objekt zunächst im Menschen das Gefühl auslöste: hier liegt etwas Drohendes, etwas Gefährliches, etwas unter allen Umständen zu Vermeidendes vor. Je rauher und unwirtlicher die natürliche Umgebung war, umso stärker mußten sich derartige Gefühle entwickeln. So finden wir auch tatsächlich im Norden ganz vorherrschend die fürchterlichsten und unheimlichsten Mythen als Ausdruck der philosophisch-religiösen Stellung des Menschen zu seiner Umgebung, während in milderen Zonen auch entsprechend mildere und freundlichere Mythen vorherrschen. Aber selbst bei den Griechen bestand trotz der freundlichen Natur, in der sie lebten, neben der apollinischen Weltanschauung die von Nietzsche charakterisierte dionysische, in welcher ein sehr starkes Element jenes Urgrauens enthalten war, und welche ihre Wirksamkeit gerade daher bezog, daß sie durch bestimmte mystische Maßnahmen jene Urgefühle des Wilden in der wilden Natur wieder zum vorübergehenden Leben erweckte.
Auch bei den modernen Menschen kommen diese Grundgefühle und Grundstimmungen bei besonderen Gelegenheiten hervor. In harmlosester Gestalt bei der Jagd, wo die Leidenschaft des Verfolgens und Tötens der Kreatur als direktes Erbstück unserer wilden Vergangenheit angesehen werden muß und wo der eigentümliche Reiz, den die Betätigung dieser Erbstücke bietet, gerade in dem Gegensatz besteht, in welchen diese Urleidenschaft sich zu der modernen Kultur setzen darf, welche derartige Betätigungen nach anderer Seite durchaus verhindert und verbietet. Unheimlicher betätigt sich der gleiche Trieb unter besonderen Umständen, wenn die Jagd sich auf edleres Wild, auf den Menschen erstreckt. Die unwiderstehliche wilde Leidenschaft, welche eine Menschenmasse ergreift, wenn durch irgendeinen Grund eine derartig gemeinsame Hetze gegen ein einzelnes Wesen eintritt, sei es schuldig oder unschuldig, ist den meisten wohl aus den Zeitungsberichten, glücklicherweise wohl aber den wenigsten aus eigner, schreckhafter Erfahrung bekannt. Wer derartiges auch nur andeutungsweise durchgemacht hat, der hat mit tiefstem Entsetzen empfunden, wie dünn die Schicht ist, welche den modernen Kulturmenschen von jenen Urgründen des Grauens trennt und wie leicht, namentlich wenn viele Menschen gleichzeitig von demselben Gefühl ergriffen werden, diese dünne Schicht durchbrochen wird und das ursprüngliche wilde Tier ungebändigt zum Vorschein kommen läßt.
Derartige Erscheinungen treten wohl am einzelnen, besonders deutlich und unwiderstehlich aber bei Massen auf, die von dem gleichen Gefühl gleichzeitig ergriffen werden. Auch hierin wird man einen Ueberrest aus lang vergessenen frühern Entwicklungsstufen erkennen müssen, aus jenen Stufen, wo der einzelne sich mit seiner Persönlichkeit noch nicht scharf aus der Masse hervorhob und in seinem eigenen Bewußtsein weit enger mit der Familie und dem Stamm verknüpft war, als es gegenwärtig der einzelne empfindet. Dieses Massenbewußtsein macht sich dann gleichzeitig mit dem anderen Elementargefühl geltend und verstärkt es in einer zuweilen höchst unheimlichen Weise. Daher rührt denn auch die Gewalt, welche solche Volksredner und Volksbeeinflusser haben, welche diese Urgefühle an- und aufzuregen wissen. Diese Gewalt ist keineswegs eine unmittelbare Folge ungewöhnlicher Leistungsfähigkeit, Klugheit, Willenskraft oder dergleichen, sondern solche Persönlichkeiten haben die Fähigkeit, ganz unmittelbar jene unterbewußten Elementargefühle anzuregen und sie ihrem Willen gemäß zu beeinflussen.
Ein Gebiet nun, in welchem das Urgrauen eine ganz besonders wichtige und eingreifende Rolle spielt, ist das der Religion. Daß namentlich die ältern Formen der verschiedenen Religionen mit Grausamkeiten, ja Bestialitäten aller Art erfüllt waren, ist wohl bekannt. Wir haben ja selbst in den ältesten Büchern der Bibel noch einige Überreste jener Art und Weise, sich den Göttern zu nähern, beispielsweise in der Geschichte von Abraham, der seinen eigenen Sohn den Göttern zu opfern veranlaßt wurde. An gleicher Stelle macht sich aber auch schon der Übergang zu symbolischer Abschwächung jener ursprünglichen Form geltend, indem an die Stelle des zu opfernden Sohnes ein Widder erscheint, der dann die Tötung erdulden muß. Die Tötung selbst wird also als das Wesentliche angesehen, das zu tötende Objekt kann durch ein anderes substituiert werden, dessen Verlust weniger schmerzlich empfunden wird.
Gegenwärtig sind diese primitiven Formen der Religionsanschauung und Religionsausübung in der Kulturwelt verschwunden. Nicht verschwunden aber ist die Gewohnheit der Priester, sich auf die Existenz des Urgrauens zu stützen, um ihre Lehren zu besonderer Wirksamkeit zu bringen. Ich erinnere mich, vor kurzer Zeit eine Predigt gelesen zu haben, welche ein katholischer Priester in einer Zeitschrift allen Christen und Ungläubigen gehalten hatte. Es wurde da auseinandergesetzt, daß zwar der Mangel an Rechtgläubigkeit und an Gehorsam gegenüber der Geistlichkeit im Leben keine besonders auffallenden Folgen zu haben pflege, aber dann wurde immer geschlossen: wie wirst du im Lichte der Sterbekerze diesen Tatsachen gegenüber dastehen! Mit andern Worten: In dieser Welt geschieht dir für deinen Ungehorsam nichts besonders, aber in jener Welt, vor der du das Urgrauen empfindest, da wird Gott alles das rächen, was du ihm hier angetan hast! Und so sehen wir, wie bewußt oder unbewußt jede Priesterschaft nach Möglichkeit das Gefühl dieses Urgrauens zu pflegen und zu stärken bestrebt ist. Im Christentume geschieht das hauptsächlich mit Hilfe der Idee von der Unsterblichkeit der Seele und von der Riesigkeit der Strafe, die den ungehorsamen Menschen nach dem Tode erwartet. Es läßt sich nämlich auf keine Weise mehr behaupten, daß ein Ungehorsam gegen die Gesetze der Priesterschaft notwendig auf Erden üble Folgen ingestalt von Strafen der Gottheit mit sich bringt. Es gibt eine große Anzahl von Menschen, die von den Befehlen der Priester nichts wissen wollen, sich ihnen widersetzen oder sich nicht um sie kümmern, die trotzdem nicht nur in bezug auf äußere Güter alles Wünschenswerte erreichen, sondern auch in bezug auf ihr inneres Leben als harmonische, sittliche, freie und schöne Menschen anerkannt werden müssen. Gegenüber diesen Tatbeständen, die sich mit dem Fortschreiten der Kultur immer häufiger nachweisen lassen, bleibt gar nichts übrig, als Strafe und Vergeltung für den Ungehorsam in ein Jenseits zu verlegen, wo der behauptete Erfolg nicht kontrolliert werden kann, weil aus jenem Jenseits keinerlei Kunde bis zu uns gelangt. Daher der leidenschaftliche Eifer, mit welchem die christliche Priesterschaft sich gegen den wissenschaftlichen Nachweis wendet, nach welchem kein Fortleben des Menschen nach dem Tode erkennbar ist und das Fortleben einer vom Körper unabhängigen Seele schon insofern unannehmbar erscheint, als die Annahme einer vom Körper unabhängigen Seele überhaupt nicht mit den Tatsachen vereinbar ist.
In dem Vorstellungskreise des alten Testaments spielt der Unsterblichkeitsglaube keine irgendwie erhebliche Rolle. Denn damals wurde das Verhältnis des nationalen Gottes zu seinem Volke als derartig nah und unmittelbar empfunden, daß alle Ereignisse, die die Gemeinschaft trafen, als unmittelbare Ergebnisse der Betätigung und des Eingreifens jenes Gottes angesehen wurden. Hier handelte es sich noch nicht um die Notwendigkeit, Strafe und Belohnung in einem unkontrollierbaren Jenseits zu versprechen, weil die Priesterschaft mächtig genug war, Strafe und Belohnung je nach dem Verhalten zu ihren Befehlen bereits in dieser Wirklichkeit zur Geltung zu bringen. Sie wurden dann auf das Konto des starken und eifrigen Gottes gesetzt, welchen die Priester zu vertreten beanspruchten. Da das inzwischen anders geworden ist, so würde die Beseitigung des Unsterblichkeitsglaubens der gegenwärtigen Priesterschaft ihre wichtigste und einflußreichste Waffe nehmen. Daher ist hier der Widerspruch gegen die wissenschaftliche Auffassung vom menschlichen Leben ein so besonders leidenschaftlicher und nachdrücklicher.
Wie kann denn nun der Einfluß dieses Urgrauens, der in dieser Beziehung so unerwünscht und unerfreulich ist, beseitigt werden? Es handelt sich hierbei einerseits um das unbeherrschte Durchbrechen der tierischen Unternatur bei großen, plötzlichen Massenemotionen, andrerseits um die Fortsetzung der Priesterherrschaft, der die gegenwärtig erreichte Kulturhöhe der europäischen Menschheit nicht mehr entspricht. Die Antwort darauf ist bereits in der Darstellung der entwicklungsgeschichtlichen Begründung dieses Phänomens gegeben. Um so weniger leicht und um so weniger gewaltsam wird sich das Urgrauen bei dem einzelnen Menschen betätigen, je kräftiger und wirksamer die oberen Geistesschichten des kulturgemäßen Denkens und Wollens entwickelt sind. Das sicherste Hilfsmittel ist also die Wissenschaft, welche bei den höheren Schichten der Kulturmenschheit bereits Zauberglauben, Gespensterfurcht und derartige besondere Rückstände des Urgrauens recht erfolgreich beseitigt hat. Jeder einzelne von uns wird sich aus seiner jugendlichen Entwicklung erinnern, wie er gewisse Gebiete, in welchen bis dahin etwa durch falsche Erziehung oder durch den Einfluß des Religionsunterrichts Stücke jenes Urgrauens wirksam waren, durch fortschreitende wissenschaftliche Aufklärung unter die Herrschaft seines Willens gebracht und von jenen elementaren Gefühlen befreit hat. So sehr man versucht hat, das Wort Aufklärung, welches diese Befreiung der breitern Menschenschichten von dem Urgrauen ausdrückt, in Mißkredit zu bringen, so sehr muß doch immer wieder betont werden, daß es gar kein anderes Mittel für die Entwicklung der Kultur gibt, als eben diese Aufklärung. Die leidenschaftliche Verteidigung der elementaren Gefühlsseite von seiten der Priester und anderer Vertreter des Rückständigen ist weiter nichts, als die letzte Waffe gegen die zunehmende Unwirksammachung der Ausnutzung des Urgrauens vermöge der fortschreitenden Kultur. Jeder von uns muß sich davon frei machen, dieser Suggestion zu unterliegen, als sei der Verstand gegenüber dem Gefühl das Geringere, wo doch das tägliche Leben ebenso wie die Wissenschaft uns immer wieder lehrt, daß das Umgekehrte richtig ist.
Aber nicht nur nach der schrecklichen und unerfreulichen Seite macht sich dieses Elementargefühl geltend, es betätigt sich auch zuweilen in einer überaus glückbringenden Weise. Wenn wir einem intensiven Natur- oder Kunstgenuß uns ungestört hingeben können, etwa eine schöne Landschaft sehen oder die gute Ausführung einer Beethovenschen Symphonie anhören, so erleben wir gelegentlich ein wundervolles Zurückfallen in elementare Zustände, in welchen wir den größten Teil unseres individuellen Bewußtseins verlieren und gleichsam zusammenfließen mit den Tönen, die vor uns entstehen, mit der Landschaft, deren Eindruck uns für einige Augenblicke von der Last unserer Persönlichkeit befreit hat. Viele Dichter haben dies wundervolle und köstliche Gefühl geschildert, vor allen Lord Byron, und die meisten von uns werden es, wenn auch vielleicht nicht immer bewußt, erlebt haben. Auch hier handelt es sich um ein Zutagetreten solcher Urgefühle, solcher elementarer Stimmungen, die aber in diesem Falle nicht aus einer schrecklichen Periode stammen, die unsere Voreltern haben durchleben müssen, sondern aus einer der selteneren glücklichen, harmonischen und seligen Stimmungen, die unter günstigen Verhältnissen auch bei ihnen haben entstehen dürfen. Der Künstler, der solche Saiten zu rühren weiß, ist tiefster und nachhaltigster Wirkung sicher und die Pflege dieser Urgefühle ist dasjenige, was wir Monisten auch von unserem Standpunkt aus für wünschenswert, ja für vortrefflich halten müssen.